Als ich Anfang Juni meinen mobilen Reiseplan betrachtete, bemerkte ich eine neue Funktion. „Komfort-Check-In“ in 5 Minuten verfügbar, stand da. Bislang kannte ich die Funktion nur aus dem Flugzeug. Der angekündigte Nutzen? Ich könne mich getrost zurücklehnen, sobald ich eingecheckt wäre, könne ich ungestört reisen, ohne meine Fahrkarte vorzeigen zu müssen. Ich fühlte mich direkt herausgefordert, die Deutsche Bahn in dieser neuen APP-Funktion zu erproben. Also checkte ich mich ein und wartete. Wie gewohnt ging der Schaffner durch die Reihen, kontrollierte die Karten und wurde wie immer mehr oder weniger freundlich dabei angesprochen. Meine Spannung stieg mit jedem Fahrgast. Schließlich wurde mein Sitznachbar kontrolliert und – als hätte es der Schaffner geahnt – schaute er mich sodann vielsagend an, nickte und ging ohne mich zu kontrollieren weiter.
Ich war zunächst hellauf begeistert – es hatte tatsächlich funktioniert. Je weiter sich der Schaffner allerdings entfernte, umso mehr stiegen Zweifel in mir auf, ob er ebenso so begeistert war. Die Tatsache, dass ich auf meinen Zugfahrten nicht auf ihn warten wollte und mich von einer lästigen Pflicht befreit sah, hatte auch eine Schattenseite für ihn. Denn: eine Aufgabe, die originär zum Tätigkeitsfeld eines*r Schaffner*in gehört, würde zukünftig wegfallen. Und dass dies genauso kommen könne, dazu hatte ich gerade einen aktiven Beitrag geleistet. Eine kleine technische Innovation, mit nur einem Klick von mir genutzt mit möglicherweise großer Wirkung. Sollten diese und ähnliche Funktionen ein Erfolg werden, was hieße dies für das Berufsbild des*r Zugbegleiters*in?
Ein Klick, der mein Leben verändert und der wiederum die Welt um mich herum verändert? Ist es mein Bedarf, der diese Entwicklung vorantreibt? Oder ändere ich meine Bedürfnisse, weil ich die Chance dazu habe? Welche Konsequenz hat mein bzw. unser Wunsch nach Vereinfachung und Komfort langfristig?
Einen sechzigminütigen Einblick in eine mögliche und sehr baldige Zukunft gab Sascha Lobo am 8. Juni 2018 auf dem BarCamp2018 „Mediation 4.0 – Mut zur Veränderung“ in Weimar. Er machte in einer mitreißenden Art und Weise in seiner Keynote auf die Punkte in der Gesellschaft aufmerksam, bei denen wir als Mensch gerne wegschauen. „Sofortness“ nannte er ein wichtiges „neuzeitliches“ Bedürfnis, das wesentliche technische Entwicklungen vorantreibe. Unterstrichen wurde Lobos Eindruck von Prof. Dr. Andreas Schmietendorf, der am 9. Juni 2018 sehr konkrete Konfliktlinien in der Gesellschaft aufzeigte, die entstehen werden bzw. bereits entstanden sind.
Schnell wurde in beiden Vortrag deutlich, dass wir DER wesentliche Teil der gesellschaftlichen Veränderungen sind. Wir alle sind es, die sie vorantreiben UND wir sind von ihr betroffen. Die Konsequenz?
230 Menschen aus verschiedenen Berufsgruppen und Anwendungsfeldern waren am 08. und 09. Juni 2018 nach Weimar gekommen, um die Impulse der beiden Keynote-Speaker aufzunehmen, Zukunftsfragen aus gänzlich verschiedenen Perspektiven zu betrachten und ggf. Lösungen zu finden. Anlass war der dritte gemeinsame Mediationskongress der drei Verbände BAFM, BM und BMWA im neuen Format – einem BarCamp.
Die Teilgeber*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erlebten eine selbstorganisierte Konferenz ohne vorab festgelegte Redner*innen oder Workshops; sie bestimmten die Agenda zu Beginn der beiden Veranstaltungstage selbst; anmoderiert durch unser ein professionelles Moderationsteam wurden die Teilgeber*innen darin unterstützt, ihre Themen in 5 Sessionrunden einzubringen und sie in insgesamt 50 Sessions (Workshops) zur Diskussion zu stellen (mehr dazu unter www.barcamp2018.de).
Was ich aus den vielfältigen Diskussionen mitgenommen habe?
Interessens- und Verteilungskonflikte werden (weiter) zunehmen. Gerechtigkeitsfragen über die Verteilung von Geld, Ressourcen und Chancen werden sich verstärken. Die Mediation mit ihren Prinzipien und dem zugehörigen Menschenbild kann einen Beitrag leisten, um die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in konstruktive Bahnen zu lenken sowie nachhaltig tragfähige Lösungen in einem verantwortungsvollen Miteinander zu entwickeln – auf der persönlichen und politische Ebene.
Es werden sich zahlreiche neue Arbeitsfelder ergeben und damit auch veränderte Anforderungen auch an uns Mediator*innen stellen. Wir werden Menschen sowohl im Beruf als auch im Privatleben noch bewusster über ihre verschiedenen Traditionen und Werte miteinander in den gelingenden Austausch bringen müssen. Es gilt, gemeinsam ein Miteinander Leben, Wohnen, Arbeiten usw. zu gestalten. Unternehmen und Organisationen befassen sich beispielsweise schon jetzt mit einer veränderten Arbeitskultur (wie z.B. der Holokratie), in der Konflikte frühzeitig präventiv angesprochen werden sollten. Unsere Mediationsparteien werden zukünftig verstärkt an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten sein. Wir werden Wege finden, sie zusammenbringen – auf welcher technischen Grundlage auch immer.
Für mich ist die Zukunft der Gesellschaft UND der Mediation in Weimar deutlicher geworden. Wir müssen uns mit den anstehenden Entwicklungen proaktiv auseinandersetzen. Wir können die Augen nicht davor verschließen. Die Veränderung kommt sowieso – gestalten wir sie also mit!