In Kooperation mit dem Munich Center for Dispute Resolution, einer Forschungsstelle der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München), veranstaltete die Centrale für Mediation ihren 18. Mediations-Kongress am 5. und 6. April an der LMU in München. Im Zentrum standen Zukunftsfragen der Mediation. Dabei war der thematische Bogen weit gespannt und reichte von speziellen Fragen der allgegenwärtigen Digitalisierung bis hin zu den allgemeinen gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen konsensualer Streitbeilegung und dem weit verbreiteten Eindruck, dass konsensorientierte Konfliktbewältigung in Zeiten von Trump und Co gesellschaftlich betrachtet gerade nicht en vogue ist. Anlässlich der Veröffentlichung einiger Vorträge im kommenden Heft 4/2019 der ZKM (für CfM-Mitglieder bereits online verfügbar), werden hier einige zentrale Erkenntnisse in Erinnerung gerufen.
Den Auftakt zum 18. Mediations-Kongress gab Prof. Dr. Thomas Riehm, der im Lichte der Entscheidung des BGH vom 21.9.2017 – IX ZR 34/17 die Haftungsrisiken für Mediatoren untersuchte (zugleich Riehm ZKM 4/2019, 120 ff.). Zutreffend betonte Riehm zunächst die unzulängliche terminologische Differenzierung im Bereich der alternativen Streitbeilegung durch den BGH (ZKM 2019, 120, 122). Zuzustimmen ist Riehm darüber hinaus in der Einschätzung, dass das Ergebnis der Entscheidung dennoch überzeuge. Der Schlüssel zur Haftungsvermeidung ist demnach größtmögliche Transparenz. Allerdings vermag auch diese – wie Riehm weiter zeigte – nicht alle Haftungsstricke zu beseitigen.
Aus den Niederlanden erhielten die Teilnehmenden einen ersten Eindruck, wie fortgeschritten der Einsatz digitaler Tools in der außergerichtlicher Streitbeilegung bereits sein kann (zugleich van Zeeland ZKM 4/2019, 128 ff.). Es glich einem Blick in eine für Deutschland noch recht weit entfernt scheinende Zukunft, als Corry van Zeeland die niederländischen Websites www.rechtwijzer.nl und https://uitelkaar.nl vorstellte. Angesichts der ca. 1.817 Scheidungs- und Trennungsverfahren, die darüber zur Zufriedenheit der Benutzer bereits abgewickelt wurden, wirken die kürzlich zur Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrum für Schlichtung e.V. in Kehl veröffentlichten Zahlen sehr ernüchternd (vgl. Creutzfeldt/Steffek Expertenblog Beitrag vom 9.5.2019). Allerdings scheint der zukunftsweisende Charakter des niederländischen Online-Verfahrens nicht nur im Verhältnis zu Deutschland zu gelten, vielmehr beschrieb eine internationale Studie die Seite so: „[…] this site shows clear signs of being a game changer and far in advance of anything else in the world […]“ (vgl. van Zeeland ZKM 2019, 128, 129 Fn. 3). Dank der Berücksichtigung psychologischer Erkenntnisse, wie sie auch in der Mediation angewandt werden, und dem Feedback zahlreicher Testnutzer wurde hier eine Plattform geschaffen, die eine gelungene Nutzeroberfläche mit empathisch formulierten Fragen verbindet (ZKM 4/2019, 128, 131 Fig. 3: als positiv hervorgehoben werden u.a. „open questions“ und „emphasis on how to communicate in a constructive way“).
Gerade mit Blick auf die Zahlen aus Kehl und angesichts der Tatsache, dass immerhin 67 % der Unternehmer, die bereits an einem Verbraucherschlichtungsverfahren beteiligt waren, mit diesem zufrieden sind, stellt sich die Frage, woher Zurückhaltung in diesem Bereich rührt. Deshalb ist der Einblick in die Denk- und Entscheidungsstrukturen eines größeren Unternehmens, den Dr. Eike Wissmann gewährt, sehr aufschlussreich (ZKM 4/2019, 141 ff.). Nach den schlechten Erfahrungen aus einem ersten Versuch mit ADR wurde jahrelang der Gang vor die staatlichen Gerichte bevorzugt. Der Erfolg aus einem kürzlich durchgeführten hybriden Verfahren mit mediativem Schwerpunkt stieß einen Prozess des Umdenkens an. Die ersten positiven Auswirkungen auf die Unternehmenskultur zeigten sich beispielsweise in der zunehmenden Einbindung von ADR-Klauseln. Dieses Beispiel bestärkt den Eindruck, dass sich viele Unternehmen nur zögerlich dem Thema ADR nähern. Es sei nur kurz daran erinnert, dass eine Abhilfe hiervon die an anderer Stelle geforderte Einführung eines Deutschen Konfliktmanagementkodex bieten würde (vgl. Steffek, Blogbeitrag vom 5.2.2019).
Eine für dieses Problem zusätzlich bestehende Abhilfemöglichkeit, in Form einer gelungenen Anwendung der digitalen Möglichkeiten unserer Zeit im Bereich der alternativen Streitbeilegung, präsentierte Dr. Ulrich Hagel mit dem DiReCT-Tool, welches erst wenige Stunden vor dem Vortrag auf der Website www.rtmkm.de freigeschaltet wurde. Das äußerst bemerkenswerte Tool zur Wahl des nach den Umständen meist geeigneten ADR-Verfahrens weist den richtigen Weg in die Zukunft technologieunterstützter Streitbelegung (ausführlicher zu dem Tool bereits in der April-Ausgabe, ZKM 2/2019, 63 ff.).
Neue Anwendungsfelder der konsensualen Streitbeilegung stellte Bettina Hoffmann mit der von ihr erfolgreich betriebenen Telefonmediation vor. Vorteile seien insbesondere die hohe Flexibilität und eine möglicherweise geringere Hemmschwelle für die Parteien, das Verfahren einzuleiten bzw. die Mediation als Verfahren zu wählen. In seinem Korreferat ging Dr. Martin Riemer unter anderem darauf ein, dass sich nicht alle Konfliktfälle gleichermaßen für eine Telefonmediation eigneten. Im Anschluss folgte eine angeregte Diskussion, insbesondere über die Einordnung dieser Form der Konfliktbewältigung als Mediation sowie ihre Erfolgsquote. Hier wurde erneut die Forderung nach einer umfangreichen empirischen Erfassung der Mediationsfälle laut. Für Diskussionsstoff sorgte außerdem die These Riemers, dass die Telefonmediation v.a. Instrument der Rechtsschutzversicherer sei, um in diesem Bereich Kosten zu drücken (s. ZKM 4/2019, 145 ff.).
Einige Nachteile der Mediation rief Dr. Markus Troja unter dem Titel „Die dunkle Seite der Mediation“ in Erinnerung (ZKM 4/2019, 136 ff.). So könnten sich Mediationsverfahren etwa als Innovationsbremsen entpuppen (so im Bereich erneuerbarer Energien, wo technische Innovationen, insbesondere im Immissionsschutz, durch Konsenslösungen u.U. verhindert würden), oder zur Beseitigung gesellschaftlich brisanter Konflikte („Spotlight“, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz) in Hinterzimmern beitragen und so die Wahrnehmung und Diskussion durch die Öffentlichkeit verhindern. Auch dürfe nicht in Vergessenheit gerade, dass auch das typisch gewordene Win-Win-Denken letztlich nur Ausdruck eines gewissen Egoismus sei. Oftmals gerate in Vergessenheit, dass einem Kompromiss bzw. einem einseitigen Nachgeben auch ein gewisser Glanz innewohnt, und sich dieser langfristig positiv auf die Beziehung mit dem Gegenüber als auch auf das gesellschaftliche Klima auswirken könne.
Wie oft das Individuum Opfer der eigenen Stereotype wird und welche fatalen Folgen dies haben kann, führte Prof. Dr. Isabell Welpe in gleichermaßen eindrücklicher wie kurzweiliger Weise vor Augen. Nachdenklich stimmt etwa die Erkenntnis, dass mehr Todesfälle bei Hurrikanen mit weiblichen als bei solchen mit männlichen Namen auftreten, offenbar weil die als weich empfundenen weiblichen Namen ein weniger vorsichtiges Verhalten hervorrufen. Nicht minder gilt dies für die Einsicht, dass es für Bewerberinnen generell vorteilhafter ist, nicht über das Einstiegsgehalt zu verhandeln, weil dies ihre Chancen auf eine Zusage signifikant schmälert.
Durchaus bedrückende Einsichten in die Verrohung der gesellschaftlichen Debattenkultur lieferte am zweiten Kongresstag die Bundestagsabgeordnete Renate Künast. Ausdrücklich warnte sie vor der angestrebten systematischen Zersetzung der demokratischen Ordnung durch das erstarkte rechtsextreme Spektrum und andere radikalisierte Bewegungen. Eine Warnung, die zwischenzeitlich mit dem Mord an Dr. Walter Lübcke auf traurigste Weise Wirklichkeit wurde. Umso eindrücklicher bleiben die Aufforderungen Künasts im Gedächtnis: Ganz entscheidend für die Verteidigung demokratischer Werte sei es, Haltung zu bewahren und sich nicht auf die Enttabuisierung in Umgang und Sprache einzulassen. Darüber hinaus müsse der Journalismus die zunehmende Vernetzung der rechtsextremen Szene und deren hohen Organisationsgrad im digitalen Raum (social bots, zielgerichtete retweets und shitstorms etc.) aufdecken. Die Strategien und Ziele demokratiefeindlicher Bewegungen müssten im öffentlichen Diskurs offensiv erkannt, benannt und „enttarnt“ werden.
Abgerundet wurde das Tagungsprogramm durch eine Reihe instruktiver Praxis-Workshops. An dieser Stelle sei lediglich exemplarisch auf den theoretischen Input über die Nachfolgeprozesse in Familienunternehmen hingewiesen, welcher in einem zweiteiligen Aufsatz in der ZKM erscheinen wird (Halter ZKM 4/2019, 132 = Teil 1).
Insgesamt lieferte der 18. Mediations-Kongress viele wertvolle theoretische und praktische Impulse. Dennoch wird die Veröffentlichung der Beiträge mit Spannung erwartet, bietet sie doch die Möglichkeit, zahlreiche Einsichten zu vertiefen.
Hinweis der Redaktion: Das Kongressheft steht Interessierten auf der ZKM-Website als kostenloser Download zur Verfügung.