Kommission präsentiert gesellschaftsrechtliche „Wundertüte“

Nachdem es seit November vergangenen Jahres mehrfach verschoben wurde, hat die Europäische Kommission das fertige „Company Law Package“  am 25.04.2017 nun der Öffentlichkeit präsentiert. Mit Spannung wurde erwartet, welche Regelungsvorschläge es letztlich enthalten und ob die Kommission ihre umfassenden Ankündigungen wahr machen würde (vgl. Arbeitsprogramm der Kommission 2017, S. 8) . Auf den ersten Blick haben Kommissionspräsident Juncker und sein Team Wort gehalten: Ein Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht  und ein Vorschlag über die Regelung grenzüberschreitender Verschmelzungen, Spaltungen und Sitzverlegungen bilden zusammen mit ihrem Anhang einen insgesamt knapp 130 Seiten starken Vorschlag. Dieser wird komplettiert durch ein 194-seitiges Impact Assessment. Angesichts der Masse und der vielfältigen Regelungsmaterie handelt es sich um die bisher umfangreichste gesellschaftsrechtliche Initiative der Kommission, andernorts wird von einem „dicke[n] Paket“  gesprochen. Dennoch sucht die Kommission mit den Entwürfen in Buchstärke kein neues Regelungsregime zu schaffen, sondern will lediglich die erst im Sommer 2017 konsolidierte Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts  ergänzen. Bereits beim ersten Durchsehen der Texte fällt auf, dass diese Regelungstechnik (bspw. sollen statt einer Neuzählung die Art. 160a–160w eingefügt werden) die Handhabbarkeit erschwert.

Unabhängig von der gewöhnungsbedürftigen Verpackung bietet die „Wundertüte“ einige Überraschungen. Künftig soll es jedermann in der Union (offenbar auch juristischen Personen) möglich sein, in jedem Mitgliedstaat digital eine Kapitalgesellschaft zu gründen, ohne einen Fuß in den Registerstaat setzen zu müssen. Satzungsmuster (sog. Templates) sollen die Gründung zusätzlich erleichtern und müssen dazu von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.  Bei der Onlinegründung muss jede Rechtsordnung mindestens sicherstellen können, dass der Gründer rechtsfähig ist und seine Identität festgestellt werden kann.  Den Mitgliedstaaten verbleibt aber darüber hinaus auch ein Regelungsspielraum: Die Online-Ferngründung scheint insbesondere nicht das Ende für die notarielle Tätigkeit bei der Gründung von Kapitalgesellschaften zu bedeuten, zumindest nicht zwingend. Die Mitgliedstaaten können – solange dies keine physische Präsenz der Gründer erfordert – u.a. Notare in das Verfahren einbinden, was angesichts ihrer umfassenden und vielgestaltigen Beratungstätigkeit, in denjenigen Staaten, die bisher auf Notare setzen, auch weiterhin zu empfehlen sein dürfte. Die digital errichtete Gesellschaft soll innerhalb von fünf Werktagen nach Einreichung aller Unterlagen und Leistung der erforderlichen Zahlungen eingetragen werden. Den Mitgliedstaaten steht es zudem frei, die „großen“ Kapitalgesellschaften, wie die deutsche AG, nicht zur Onlinegründung zuzulassen, was angesichts der oft komplexen Gestaltungen bei diesen Gesellschaftstypen durchaus sinnvoll sein kann. Auf die Mitgliedstaaten kommt jedenfalls harte Arbeit zu, da (soweit ersichtlich) bisher nur Estland Erfahrungen mit effizienten grenzüberschreitenden Gründungsverfahren hat, die – über das eResidency-Programm  – auch für Personen ohne estnische Staatsangehörigkeit zugänglich sind.

Zudem hat sich die Kommission nun auch endlich mit grenzüberschreitenden Unternehmensumwandlungen befasst. Das Company Law Package enthält den Vorschlag für eine Novellierung der Verschmelzungsrichtlinie sowie Vorschläge für einen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen und Sitzverlegungen. In diesem Bereich will die Kommission vor allem einen rechtssicheren kodifizierten Rahmen für alle grenzüberschreitenden Umwandlungen schaffen, der im Einklang mit der bisherigen EuGH-Judikatur dazu stehen soll. Besonders im Fokus liegt bei allen drei Regelungskonzepten die Förderung der grenzüberschreitenden Unternehmensmobilität – explizit sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigt werden – bei gleichzeitiger Gewährleistung der Rechte zum Schutz der betroffenen stakeholder, wie Gläubiger, Gesellschafter und Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmermitbestimmung nehmen die neuen Regelungen zur grenzüberschreitenden Spaltung und Sitzverlegung Bezug auf das Verhandlungsverfahren, wie es bereits aus der SE-Verordnung  bekannt ist. Ähnliche Vorschläge fanden sich diesbezüglich bereits in den bislang nicht erfolgreichen Vorschlägen zur SPE  und zur SUP , weshalb die Möglichkeit besteht, dass dieser Aspekt auch für die neuen Vorschläge eine politische Hürde darstellen wird.

Ob sich das unionale Gesellschaftsrecht über die Überraschungen freuen kann, welche die „Wundertüte“ noch bereithält, wird die Zukunft zeigen. Fürs erste kann festgehalten werden, dass jedenfalls der Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht noch zahlreiche Fragen aufwirft und Rechtsunsicherheiten verstärken kann, während die Vorschläge zur Kodifizierung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und Spaltung das Potenzial haben, einen rechtssicheren Rahmen für diese Vorgänge im Binnenmarkt zu schaffen.

Erste Überlegungen zu Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Intersexualität auf das Aktien- und GmbH-Recht

Die Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 hat bei Verkündung in den Medien ein breites Echo gefunden. Unmittelbar betrifft die Entscheidung das Personenstandsrecht, welches der Gesetzgeber nun zu ändern hat. Es stellt sich freilich die Frage, ob es darüber hinaus auch Ausstrahlungen in das Aktien- und GmbH-Recht geben könnte.

Worum geht es? Medizinisch wurde erwiesen, dass es neben Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, auch Intersexuelle gibt, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“ Das BVerfG referiert in Rz. 10 eine Häufung von 1:500 in der Bevölkerung. Andere Stimmen nennen geringere Quoten zwischen 1:2000 und 1:5000.

Für diese Personen leitet das BVerfG aus dem Grundgesetz einen doppelten Schutz ab. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze (auch) deren geschlechtliche Identität. Weitergehend schütze aber Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (auch) Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.

Sowohl das Aktien- wie auch das GmbH-Recht kennen ihrerseits Personenverzeichnisse, die an den neuen Maßstäben des BVerfG zu messen sind. Anzuführen sind beispielsweise für die AG das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG) und das Aktienregister (§ 67 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie für die GmbH die Liste der Gesellschafter (§ 40 GmbHG). Alle diese Regelungen unterscheiden sich von § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG allerdings gerade dadurch, dass dort keine Angabe des Geschlechts verlangt wird. Insoweit stellt sich also lediglich die Frage, ob das Ausleben der geschlechtlichen Identität verfassungsrechtlich eine Erweiterung gebietet. Das ist jedoch auf Grundlage der Überlegungen des BVerfG unter Rz. 47 der Entscheidung klar zu verneinen. Dort legt das Gericht nämlich sichtlich Spur für eine diskriminierungsfreie Gestaltung des Personenstandsrechts durch Verzicht auf Geschlechtsangaben.

Damit rücken jene Bestimmungen des Gesellschaftsrechts in den Fokus, die ausdrücklich „nur“ das männliche und das weibliche Geschlecht ansprechen, wie etwa § 96 Abs. 2 AktG, der für die Besetzung von Aufsichtsräten „nur“ Mindestanteile von Frauen und Männern vorschreibt, nicht aber Mindestanteile an Intersexuellen. Ähnliche Regelungen enthalten §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG oder § 52 Abs. 2 GmbHG. Hier stellt sich vermeintlich offensichtlich die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses von Intersexuellen vom Quotenschutz mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Tatsächlich bedarf es jedoch keiner Änderung dieser Bestimmungen. Dafür streitet m.E. nämlich, dass sie auf einer spezielle(re)n Regelung des GG beruhen, nämlich Art. 3 Abs. 2 GG. Diese Vorschrift des GG stellt anders als Art. 3 Abs. 3 GG schon nach dem Wortlaut gerade nicht auf das Geschlecht ab, sondern auf Mann und Frau. Diesen Unterschied arbeitete auch das BVerfG in einer systematischen Verfassungsauslegung klar heraus (Rz. 60). Wörtlich führt es aus: „Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.

Die genannten Bestimmungen des Aktien- bzw. GmbH-Rechts sind daher ungeachtet der Nichtnennung Intersexueller dem Auftrag des GG aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“) entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierungen. Die Entscheidung, das weitergehende Gleichberechtigungsgebot auf Mann und Frau zu beschränken, hat die Verfassung selbst getroffen. Das ist auf der Ebene nachgeordneten (Aktien- und GmbH-) Rechts nicht zu revidieren.