KapMuG-Reform: Problematische Änderungen im Rechtsausschuss

Am 13.6.2024 fand im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Beratung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) statt (vgl. BT‑Drucks. 20/10942). Wenige Tage zuvor haben die Regierungsfraktionen tiefgreifende und überwiegend ausgesprochen problematische Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf vorgeschlagen, die Gegenstand dieser Beratungen waren. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen zurück auf die Empfehlungen des Rechtsausschusses (BT‑Drucks. 20/11787). Im Folgenden werden die vom Rechtsausschuss empfohlenen und vom Bundestagsplenum angenommenen wesentlichen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs kritisch gewürdigt.

Neufassung von Feststellungszielen im Eröffnungsbeschluss

Das Oberlandesgericht ist nach dem Regierungsentwurf nicht mehr an den Vorlagebeschluss des Landgerichts gebunden, sondern erlässt einen eigenen Eröffnungsbeschluss (§ 9 Abs. 1 KapMuG-E). Diese wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage soll die Verfahrensherrschaft des Oberlandesgerichts stärken (BT‑Drucks. 20/10942, 33). Nicht vollständig geklärt war bislang, welcher Prüfungsmaßstad für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses gelten soll und inwieweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele „inhaltlich zuschneiden“ können soll.

Der Rechtsausschuss empfiehlt nun, dass das Oberlandesgericht die Feststellungsziele innerhalb des durch die vorgelegten Musterverfahrensanträge gezogenen Rahmens auch teilweise oder gänzlich „neu fassen“ kann, um die Sachdienlichkeit der Klärung des betreffenden Feststellungsziels im Musterverfahren erst herzustellen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KapMuG‑E; Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 46 f.). Gegenüber dem Regierungsentwurf soll damit der Spielraum des Oberlandesgerichts beim Erlass seines Eröffnungsbeschlusses und der Festlegung der Feststellungsziele erweitert werden. In der Regierungsbegründung wurde jedoch zu Recht klargestellt, dass sich das Oberlandesgericht bei der Bestimmung der Feststellungsziele im Einklang mit § 308 Abs. 1 ZPO innerhalb des durch die vorlegten Musterverfahrensanträge bestimmten potenziellen Rahmens des Musterverfahrens halten muss (BT‑Drucks. 20/10942, 34).

Das von der Beschlussempfehlung angestrebte (sehr) weite Ermessen des Oberlandesgerichts bei der Festlegung der Feststellungsziele darf keinesfalls dazu führen, dass das Oberlandesgericht im Eröffnungsbeschluss gleichsam von Amts wegen und damit entgegen § 308 Abs. 1 ZPO den Streitgegenstand des Musterverfahrens selbst bestimmt. Vielmehr muss auch weiterhin die Maxime gelten, dass auf der Grundlage unzulässiger Musterverfahrensanträge kein Musterverfahren durchgeführt werden darf (vgl. zum RegE: Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1062).

Zu weitgehende Lockerung des Aussetzungsmaßstabs

Dreh- und Angelpunkt einer sachgerechten Verbindung der Ausgangsverfahren vor den Landgerichten mit dem Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht ist das Merkmal der „Abhängigkeit“ der Ausgangsverfahren von der Klärung der Feststellungsziele im Musterverfahren (derzeit § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG).

Die Beschlussempfehlung sieht nun vor, dass alle Ausgangsverfahren ausgesetzt werden sollen, die „voraussichtlich“ von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen (§ 10 KapMuG-E). Das Prozessgericht soll eine „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ treffen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47). Es soll damit ein sog. abstrakter Abhängigkeitsbegriff kodifiziert werden, die eine Abkehr von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeuten würde, nach der ein konkreter Maßstab bei der Aussetzungsentscheidung anzulegen ist (vgl. BGH v. 30.4.2019 – XI ZB 13/18, WM 2019, 1553).

Nach der sachgerechten Rechtsprechung des BGH dürfen nur diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen vor der Aussetzung offenbleiben, die den Feststellungszielen des Musterverfahrens nachgelagert sind und die nur auf der Grundlage des Musterentscheids sinnvoll beantwortet werden können. Zu allen anderen Tatsachenfragen ist ggf. Beweis zu erheben, bevor das betreffende Ausgangsverfahren ausgesetzt werden kann. Diese Rechtsprechung beruht auf zentralen verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzerwägungen: Die Beteiligung an einem Musterverfahren bei gleichzeitiger Aussetzung des eigenen Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht ist den Parteien nicht zuzumuten, wenn nicht feststeht, dass es für ihren individuellen Rechtsstreit auf den Ausgang des Musterverfahrens ankommt. Wenn die im Musterverfahren zu klärenden Feststellungsziele für das eigene Ausgangsverfahren unerheblich sind, darf das Ausgangsverfahren nicht ausgesetzt werden, weil den Parteien ansonsten der verfassungsrechtlich gewährte effektive Rechtsschutz verweigert wird.

Schon unter dem geltenden Recht sind die Landgerichte incentiviert, mit leichter Hand selbst unzulässige, unschlüssige und selbst Klagen, in denen es nicht einmal um kapitalmarktrechtliche Haftungsnormen geht, auszusetzen und die Prozessparteien mit ihrem Rechtsstreit gleichsam in einem KapMuG-Verfahren „zu parken“ (vgl. dazu eingehend Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1065 ff.). Die Einführung eines abstrakten Aussetzungsmaßstabs würde zur Folge haben, dass die Landgerichte noch schneller Verfahren aussetzen könnten, zumal die dann nur noch geforderte „von einem Wahrscheinlichkeitsurteil getragene Prognoseentscheidung“ kaum justiziabel wäre. Die Aussetzungsstreitigkeiten würde sich dann zwangsläufig in das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht verlagern, was zu erheblichen Verfahrenszögerungen führen würde.

Die angestrebte Lockerung des Gesetzgebers bei der Aussetzung der Ausgangsverfahren wird auch das von ihm angestrebte Ziel, die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren zu verringern (BT‑Drucks. 20/10942, 25, 35), offensichtlich verfehlen. Will der Gesetzgeber die Anzahl der Beteiligten im Musterverfahren verringern, muss er einen konkreten Abhängigkeitsmaßstab wählen, wie ihn die Rechtsprechung bereits vorgegebenen hat, damit nur solche Verfahren ausgesetzt werden, deren Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht konkret von den Feststellungszielen abhängt. Bei einem abstrakten Maßstab würden eher mehr als weniger Verfahren ausgesetzt werden (sofern der Kläger einen Antrag auf Aussetzung stellt, dazu sogleich), da die Voraussetzungen niedriger sind.

Will der Gesetzgeber das Musterverfahren „entschlacken“ (zu diesem trügerischen Gesetzgebungsziel s. Liebscher/Steinbrück/Vollmerhausen, WM 2024, 1058, 1064), muss bereits auf der Ebene der Landgerichte – wie in anderen Zivilprozessen auch – frühzeitig die „Spreu vom Weizen getrennt“ werden. Es dürfen nur zulässige und schlüssige Ausgangsverfahren ausgesetzt werden, da nur deren Prozessparteien ein legitimes Interesse am Ausgang des Musterverfahrens haben. Nur dieses Regelungsmodell fördert die Effektivität der Streiterledigung bei kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren und wird dem Anspruch der Parteien auf effektiven Rechtsschutz gerecht.

Aussetzungsantrag nur noch vom Kläger

Weiter sieht die Beschlussempfehlung vor, dass nur noch der Kläger einen Aussetzungsantrag stellen kann (§ 10 Abs. 2 KapMuG-E). Der Beklagte soll keine Möglichkeit mehr haben, alle gegen sich gerichteten Verfahren, die von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängen, zu bündeln. Seine Verteidigungsmöglichkeiten würden damit erheblich und ohne Sachgrund eingeschränkt. Als Begründung wird angeführt, mit dieser Regelung die „klägerische Dispositionsbefugnis über die Art und Weise der Rechtsverfolgung“ stärken zu wollen. Ein etwaiges Interesse des Beklagten, sich nur in einem einheitlichen Musterverfahren verteidigen zu müssen, trete dahinter zurück (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 47).

Die mit dieser Änderung angestrebten vermeintlichen Rechtsschutzverbesserung für die Kläger wird allerdings in der Regel nicht erreicht werden, wenn einzelne Ausgangsverfahren parallel zum Musterverfahren geführt werden. Sofern es in den Parallelprozessen zumindest teilweise um identische Streitfragen geht, besteht – neben der Gefahr von widersprechenden Entscheidungen – das erhebliche Risiko paralleler Beweisaufnahmen in Parallel- und Musterverfahren. Denn der Sachverhalt müsste sowohl im Parallelprozess als auch im Musterverfahren ermittelt werden, so dass bei streitigen entscheidungserheblichen Tatsachen Beweis erhoben werden muss. Der Vorteil des Musterverfahrens liegt schließlich gerade in der einheitlichen Entscheidung über kollektive entscheidungserhebliche Streitfragen. Dieses Kernmerkmal des KapMuG-Modells würde mit der vorgesehenen Änderung weitgehend aufgegeben werden, da nicht einmal der Beklagte Verfahren, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, in einem Musterverfahren bündeln kann. Es droht eine Zersplitterung der kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren. Dies würde das Ziel einer effizienten Verfahrensführung und der Entlastung der Justiz geradezu konterkarieren. Es gilt stattdessen, Waffengleichheit zwischen Kläger und Beklagten herzustellen und beiden Seiten ein Antragsrecht auf Aussetzung des Verfahrens einzuräumen.

Vorlage von Beweismitteln

Gänzlich neu ist § 17 KapMuG-E, der die Vorlage von Beweismitteln regeln und eine Konkretisierung des Regelungsgedankens der §§ 142 ff. ZPO darstellen soll.  Die Regelung ist an § 33g GWB angelehnt (s. dazu Hellmann/Steinbrück, NZKart 2017, 164 ff.).

Bei der prozessualen Dokumentenvorlage nach § 142 ZPO stellen die Gerichte hohe Anforderungen bezüglich der Identifizierung und des behaupteten Inhalts der vorzulegenden Dokumente; eine Ausforschung der Gegenpartei soll vermieden werden (Bünnigmann in Anders/Gehle, 82. Aufl. 2024, § 142 ZPO Rz. 8). Auch nimmt § 142 ZPO dem Kläger nicht seine allgemeine Darlegungs- und Substantiierungslast ab. Diese Grundsätze sollen auch beim neuen § 17 KapMuG-E gelten, wobei die Beweismittel so genau bezeichnet werden müssen, „wie dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist„.

Die Beschlussempfehlung will mit dieser Regelung die bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten angeblich bestehenden wechselseitigen Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten abbauen (Empfehlungen des Rechtsausschusses, BT‑Drucks. 20/11787, 48). Dabei soll das Informationsinteresse des Antragstellers mit den Geheimhaltungsinteressen des Anspruchsgegners sorgfältig abgewogen und, sofern möglich, in einen Ausgleich gebracht werden. Dazu sieht § 17 Abs. 3 KapMuG-E eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. In diesem Spannungsfeld obliegt es dem um Auskunft ersuchten Unternehmen bzw. seiner Prozessbevollmächtigten, dessen berechtigten Schutzinteressen durchzusetzen. Vielfach wird auf die zu § 33g GWB entwickelten Grundsätze zurückzugreifen seien, wobei den kapitalmarktrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen wäre. Die neuen Regelungen zur Beweismittelbeschaffung werden – sofern sie denn überhaupt Eingang ins Gesetz finden – in künftigen Musterverfahren eine zentrale Rolle spielen und zu erheblichen (Neben-)Streitigkeiten mit entsprechenden Verfahrensverzögerungen führen. Warum ausgerechnet in kapitalmarktrechtlichen Haftungsstreitigkeiten größere Sachaufklärungsmöglichkeiten mit entsprechendem Ausforschungs- und Missbrauchspotential als in anderen Zivilrechtsprozessen bestehen sollen, ist nicht ersichtlich. Gerade das Ziel einer verbesserten Verfahrenseffizienz wird sicherlich nicht dadurch gefördert werden, dass nun auch im Kapitalmarkthaftungsrecht eine am US-Prozessrecht orientierte „Discovery light“ eingeführt wird.

Evaluation in fünf Jahren

Zu begrüßen ist demgegenüber die vorgesehene Evaluation des neuen KapMuG in fünf Jahren. Hier wird sich zeigen, ob die dann getroffenen Änderungen zielführend waren oder – wie hier vorhergesagt – dazu geführt haben, dass sich die Rahmenbedingungen für kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten nicht wesentlich verbessert haben.

Fazit

Der Bundestag hat das Reformgesetz noch vor der Sommerpause in der Sitzung am 13.6.2024 beschlossen, damit das derzeitige KapMuG zum 31.8.2024 nicht ausläuft. Der Bundesratsbeschluss steht noch aus; er kann in der Sitzung am 14.6.2024 oder am 5.7.2024 erfolgen. Die durch den Rechtsausschuss vorgeschlagenen Änderungen kommen sehr spät und sind überwiegend wenig zielführend, sondern vielmehr aus vielerlei Gründen hochproblematisch. Es steht zu befürchten, dass die vom Gesetzgeber angestrebte Verfahrensbeschleunigung mit diesen vorgeschlagenen Änderungen eher konterkariert als bestärkt wird.

Baustellen im SPACs-Regime nach dem Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

Im Blog-Beitrag v. 24.8.2023 hat Niklas Joser die Grundzüge der Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) nach §§ 44 ff. BörsG-E erläutert und zugleich dargestellt, an welchen Stellen der Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes die Regelungsvorschläge aus dem Referentenentwurf nachgebessert hat. Auch wenn der Vorstoß der Bundesregierung, die deutsche AG durch punktuelle Modifikationen des Aktienrechts SPACs-fähig zu machen, generell zu begrüßen ist und die Nachbesserungen im Regierungsentwurf ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben doch einige Baustellen offen, die im Gesetzgebungsverfahren geschlossen werden sollten.

Baustelle 1: Konkretisierung des Vollständigkeitsbegriffs in § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E

Der Gegenstand einer BMAG erstreckt sich gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E auf die Vorbereitung und den Abschluss einer Zieltransaktion. Nach § 44 Abs. 2 BörsG-E umfasst die Zieltransaktion sämtliche Erwerbsvorgänge einschließlich Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz, bei denen die BMAG mindestens drei Viertel der Anteile der Zielgesellschaft erwirbt (share deal) oder das Vermögen der Zielgesellschaft vollständig auf die Gesellschaft übergeht (asset deal). Für den letztgenannten Fall sollte der Gesetzgeber im Regelungswortlaut oder zumindest in den Materialien klarstellen, wann ein vollständiger Übergang des Vermögens der Zielgesellschaft auf die BMAG zu bejahen ist: Ist die Vollständigkeit wörtlich zu verstehen oder ist der Begriff in Anlehnung an die – durchaus umstrittenen – Grundsätze auszulegen, die im Kontext des § 179a Abs. 1 AktG entwickelt wurden (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179a AktG Rz. 8)?

Baustelle 2: Konkretisierung des Durchführungsbegriffs in § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E

Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E ist der Bestand der BMAG von der Durchführung der Zieltransaktion innerhalb der in der Satzung festgelegten Frist abhängig. Der Durchführungsbegriff ist konkretisierungsbedürftig, weil sich aus dem Gesetz nicht ergibt, wann die Zieltransaktion durchgeführt wurde. Vielmehr kann an mehrere Ereignisse angeknüpft werden, etwa den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts (signing), den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion oder den „dinglichen“ Vollzug der Zieltransaktion (closing). Der Gesetzgeber sollte eindeutig im Gesetz regeln oder zumindest in den Materialien Auslegungshinweise darauf geben, was unter der Durchführung i.S.d. § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E zu verstehen ist.

Zudem sollte § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E nicht den irreführenden Eindruck erwecken, dass die BMAG nach dem Verstreichen der Durchführungsfrist als Rechtsträger erlischt. Anders als im Gesetzeswortlaut angedeutet, hängt der Bestand der Gesellschaft nicht von der Durchführung der Zieltransaktion ab. Vielmehr ist der erfolglose Fristablauf gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E lediglich ein Auflösungsgrund (hierzu mit gelungenem Formulierungsvorschlag Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 15).

Baustelle 3: terminologische Ungereimtheiten

Wie bereits an einer anderen Stelle moniert, bedient sich das Gesetz einer uneinheitlichen Terminologie (s. Harnos, AG 2023, 348 Rz. 35 Fn. 165): In § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG-E ist vom „Gegenstand der Gesellschaft“, in § 44 Abs. 4 Nr. 1 BörsG-E vom „Geschäftsgegenstand“ die Rede. Vorzugswürdig erscheint es, in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG auch in § 44 BörsG-E einheitlich vom Unternehmensgegenstand zu sprechen.

Baustelle 4: Börsenzulassung der Wertpapiere

Nach § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E gelten die Sonderregelungen in §§ 44 ff. BörsG-E, wenn die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel am regulierten Markt zugelassen sind. Zumindest in den Gesetzesmaterialien sollte klargestellt werden, dass die Wertpapiere der Initiatoren (§ 44 Abs. 6 BörsG-E) – wie in der internationalen Transaktionspraxis üblich – nicht zum Börsenhandel zugelassen werden müssen (vgl. hierzu auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Baustelle 5: Zeitpunkt für den Rechtsformzusatz

Nicht ganz klar geregelt ist der Zeitpunkt, ab dem die Gesellschaft den Rechtsformzusatz „Börsenmantelaktiengesellschaft“ führen muss (zu dieser Vorgabe s. § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E). Da die Wertpapiere der Gesellschaft bei ihrer Gründung nicht automatisch zum Börsenhandel zugelassen sind, ist § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E nicht erfüllt, so dass § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E im Zeitpunkt der Gründung nicht einschlägig ist. Dies spricht dafür, dass die Gesellschaft zunächst als eine „reguläre“ AG firmieren muss; den besonderen Rechtsformzusatz kann und muss sie erst nach dem Börsengang annehmen. Folgt man dem, muss nach dem Börsengang eine Hauptversammlung einberufen werden, um den Rechtsformzusatz in der Satzung zu ändern. Um diesen umständlichen Weg zu vermeiden, sollte § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E der Gesellschaft gestatten, schon in der Gründungsphase und bis zum Börsengang den Rechtsformzusatz „BMAG i. Gr.“ zu führen (dafür DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740). Alternativ könnte der Aufsichtsrat in § 44 Abs. 5 Satz 3 BörsG-E – in Anlehnung an § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179 AktG Rz. 23 ff.) – zu einer Fassungsberichtigung nach dem Börsengang gesetzlich ermächtigt werden.

Baustelle 6: generelle Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen

Es ist zu begrüßen, dass § 47a BörsG-E die Emission selbständiger Optionsscheine (naked warrants) durch die BMAG gestattet. Dabei vermeidet der Regierungsentwurfs eine Formulierung, die noch im Referentenentwurf enthalten war („… abweichend von § 221 des Aktiengesetzes …“) und die nahelegen würde, dass selbständige Aktienoptionen im allgemeinen Aktienrecht unzulässig seien (zur unglücklichen Formulierung des Referentenentwurfs s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 3. und Joser, ZIP 2023, 1006, 1008 f.). Vorzugswürdig wäre es, wenn der Gesetzgeber einen Schritt weiter gehen und die Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen – im Einklang mit der ganz herrschenden Auffassung (s. nur Fest in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 238 ff.; Koch, 17. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 75) – in §§ 187, 192, 221 AktG bestätigen würde; § 47a Abs. 1 BörsG-E wäre dann zu streichen (dafür und die Anhebung der Höchstgrenze in § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG erwägend DAV-HRA, NZG 2023, 738, 742). Die Ausnahme für Vorstands- und Mitarbeiteroptionen, die in § 47a Abs. 2 BörsG-E vorgesehen ist (keine Frist nach § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG), sollte hingegen im Gesetz verbleiben.

Baustelle 7: Verzinsung beim Andienungsrecht

Erklärt ein Aktionär der BMAG gegen den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion (s. § 46 BörsG-E) Widerspruch zur Niederschrift, kann er gem. § 47 Abs. 1 BörsG-E ein Andienungsrecht geltend machen. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass der Anspruch des Aktionärs auf Rückzahlung der Bareinlage nebst Aufgeld zu verzinsen ist. Die Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs steht systematisch im Einklang mit § 45 Abs. 2 Satz 2 BörsG-E, wonach das Treuhandkonto für Einlagen der BMAG-Aktionäre angemessen zu verzinsen ist.

Baustelle 8: Ungereimtheiten bei Vermeidung unbedeutender Zieltransaktionen

Wird die Zieltransaktion nicht während der statutarischen Frist durchgeführt, so wird die BMAG gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E grundsätzlich aufgelöst (s. dazu bereits Baustelle 2). Dies gilt nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E nicht, wenn die Zieltransaktion einschließlich der Bedienung des Andienungsrechts erfolgreich durchgeführt wurde, soweit der Wert der im Zuge der Zieltransaktion durch die BMAG erworbenen Vermögenswerte nicht um mehr als 20 Prozent hinter dem Wert der Einlagen einschließlich Aufgeld zurückbleibt. Mit der Einführung der 20-Prozent-Grenze will der Gesetzgeber vermeiden, dass die BMAG-Initiatoren eine unbedeutende Zieltransaktion durchführen, um einen Ansehensverlust zu vermeiden und ihre Vergütung – die über BMAG-Aktien und selbständige Optionen auf BMAG-Aktien erfolgt – zu realisieren (zum teleologischen Hintergrund des § 47b Abs. 1 Satz 2 BörsG-E s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 4.; für die Einführung einer solchen Regelung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Dieses Ziel ist im Ausgangspunkt zu begrüßen. Allerdings erscheint das eingesetzte Instrument problematisch: Wird die 20-Prozent-Grenze überschritten, folgt aus dem Wortlaut des § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E, dass die BMAG aufgelöst wird. Gilt dies auch in Fällen, in denen die Zieltransaktion inklusive ggf. nötiger Registereintragungen durchgeführt wurde, weil die in § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E geregelte Grenzüberschreitung niemandem aufgefallen ist? Wenn man bedenkt, dass die Anwendung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E die Bewertung einer nicht börsennotierten Zielgesellschaft erfordert und die Unternehmensbewertung mit Unsicherheiten behaftet ist, erscheint ein solches Szenario – also eine „versehentliche“ Registereintragung einer unbedeutenden Transaktion – nicht völlig ausgeschlossen. Wird in einem solchen Fall die Auflösung nach § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E wegen der Bestandskraft der Zieltransaktion nach der Registereintragung verdrängt, um die Transaktionssicherheit zu erhöhen? Dieses Problem sollte der Gesetzgeber umschiffen, indem er die Regelung über die Vermeidung unbedeutender Transaktionen von den Auflösungsvorschriften trennt und sie als eine Vorstandsvorgabe formuliert. Als Regelungsstandort bietet sich etwa ein (neuer) § 44 Abs. 3 Satz 2 BörsG-E an.

Baustelle 9: share deal im Zieltransaktionsbericht

Die Zieltransaktion bedarf der Zustimmung der Hauptversammlung der BMAG. Für Umwandlungsmaßnahmen folgt dies aus dem Umwandlungsgesetz, für sonstige Zieltransaktionen aus § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E. Im letztgenannten Fall muss der Vorstand der BMAG gem. § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E einen Zieltransaktionsbericht erstellen und dabei u.a. „die Angemessenheit der der Zielgesellschaft versprochenen Gegenleistung im Verhältnis zum Wert der Zielgesellschaft“ erläutern und begründen. Diese Formulierung ist allein auf den asset deal zugeschnitten. Bei einem share deal erhält nicht die Zielgesellschaft eine Gegenleistung, sondern deren Gesellschafter. Diesen Fall sollte der Gesetzgeber in § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E ebenfalls erfassen.

Baustelle 10: Unklarheiten in § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E

Unklar ist der Regelungsgehalt des § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E, wonach sich die Bekanntmachungspflicht nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG auch auf den Zieltransaktionsbericht erstreckt (krit. auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741). Es leuchtet nicht ein, wieso der Zieltransaktionsbericht Gegenstand des Beschlussvorschlags der Verwaltungsorgane sein soll. Wenn sich der Beschlussvorschlag der Verwaltungsorgane auf die Zieltransaktion selbst beziehen soll (was selbstverständlich erscheint und deshalb nicht speziell für die BMAG geregelt werden muss), ist § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E entsprechend anzupassen.

Baustelle 11: Anfechtungsrelevanz fehlerhafter Zieltransaktionsberichte

Ein Fehler des Zieltransaktionsberichts kann unter Umständen ein Anfechtungsgrund i.S.d. § 243 Abs. 1, Abs. 4 AktG sein. In einem solchen Fall sind nach § 245 Nr. 1 AktG diejenigen BMAG-Aktionäre anfechtungsbefugt, die gegen den Zustimmungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben. Zugleich können diese Aktionäre nach § 47 Abs. 1 AktG das Andienungsrecht geltend machen. Dieses Nebeneinander ist bedenklich. Es leuchtet nicht unmittelbar ein, wieso die Aktionäre wegen etwaiger Berichtsfehler gegen die gesamte Zieltransaktion vorgehen können, wenn sie sich durch die Ausübung des Andienungsrechts schützen können. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sollte deshalb ein genereller Anfechtungsausschluss erwogen werden (vorsichtig in diese Richtung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 12: Freigabeverfahren für begleitende Beschlüsse

Hinzu kommt, dass die Aktionäre unter Berufung auf einen Berichtsfehler die Zieltransaktion ausbremsen könnten: Wird aus der BMAG eine „reguläre“ AG mit operativem Geschäftsbetrieb, muss deren Satzung zum einen wegen des Unternehmensgegenstandes, zum anderen wegen des Rechtsformzusatzes geändert werden. Weil der Satzungsänderungsbeschluss kein Gegenstand des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG sein kann, könnte er ein Ziel etwaiger Beschlussmängelklagen sein, die sich auf (womöglich nur behauptete) Fehler des Zieltransaktionsberichts stützen. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber erwägen, das Freigabeverfahren auf registerpflichtige (Satzungsänderungs-)Beschlüsse im Umfeld der Zieltransaktion zu erstrecken (dafür auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 13: kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts

Während die Baustellen 11 und 12 die gesellschaftsrechtlichen Folgen des Zieltransaktionsberichts betreffen, hat die Baustelle 13 die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts zum Gegenstand: Wenn Anleger im Rahmen eines Börsengangs Wertpapiere eines operativ tätigen Unternehmens erwerben, können sie sich anhand des (Börsenzulassungs-)Prospekts u.a. über das Geschäftsmodell, die Finanzzahlen und weitere investitionsrelevante Umstände informieren. Der Prospekt einer BMAG ist weniger aussagekräftig. Er erstreckt sich wegen des Mantelcharakters der BMAG in erster Linie auf die Umschreibung potenzieller Zielgesellschaften (etwa nach Branchenzugehörigkeit oder Region) und der Erwerbsstrategie (dazu etwa Hell, BKR 2021, 26, 29). Detaillierte Informationen über die unternehmerische Ausrichtung der BMAG enthält der Prospekt nicht, weil die BMAG keinen eigenen operativen Geschäftsbetrieb hat. Die Anleger erhalten Informationen zum (künftigen) operativen Geschäftsbetrieb erst mit dem Zieltransaktionsbericht. Insoweit kann der Bericht als eine Verlängerung des Prospekts und damit als eine Kapitalmarktinformation angesehen werden.

Folgt man der Einordnung des Zieltransaktionsberichts als eine besondere Art der Kapitalmarktinformation, könnten diejenigen Aktionäre, die das Andienungsrecht aus § 47 Abs. 1 BörsG-E nicht ausgeübt haben, wegen etwaiger Berichtsfehler analog §§ 9 ff. WpPG Ansprüche geltend machen, die auf Rückabwicklung der Investition in die BMAG gerichtet sind. Für die Praxis hilfreich wäre ein Hinweis des Gesetzgebers darauf, ob ein fehlerhafter Zieltransaktionsbericht solche kapitalmarktrechtlichen Folgen nach sich ziehen kann. Bleibt ein gesetzgeberischer Hinweis aus, dürften Praxis und Wissenschaft die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts dogmatisch vermessen.

Baustelle 14: Vorstandshaftung

Praxis und Wissenschaft werden zudem die Aufgabe meistern müssen, die Grundsätze der Vorstandshaftung wegen einer ungünstigen Zieltransaktion und eines fehlerhaften Zieltransaktionsberichts herauszuarbeiten (erste Ansätze bei Fuhrmann, AG 2022, R91, R92). So bleibt etwa zu klären, inwieweit der Zustimmungsbeschluss gem. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG eine Enthaftungswirkung erzeugt und ob sich die Vorstandsmitglieder trotz etwaiger Interessenkonflikte auf die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) berufen können.

Baustelle 15: Regelungsstandort

Schließlich sollte der Standort des deutschen SPACs-Regimes im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren überdacht werden. Aus systematischen Gründen spricht viel dafür, die BMAG-Großbaustelle vom Börsengesetz ins Aktiengesetz zu verlegen (dafür etwa Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 10 f.; Herzog/Gebhard, NZG 2023, 1055, 1056; Kuthe, BB 2023, 1603, 1606 f.; s. auch bereits Harnos, AG 2023, 348 Rz. 40 f.).