Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und um die Zurückweisung einer Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei mehreren Schadensverursachern
Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit der subjektiven Reichweite der Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte.

Der klagende Unfallversicherer begehrte aus übergegangenem Recht zweier bei ihr versicherter Arbeitnehmer den Ersatz von Schäden aus einem Arbeitsunfall. Die Beklagte zu 3 hatte die Arbeitgeberin der Geschädigten mit Abbrucharbeiten auf einem früher zum Betrieb einer Brauerei genutzten Gelände beauftragt. Des Weiteren hatte sie den Beklagten zu 1 damit betraut, die betroffenen Gebäude auf eventuelle Gefahrenquellen zu untersuchen. Während der Abbrucharbeiten wurden die Geschädigten durch den Austritt von Ammoniak aus einer Kälteanlage verletzt. Im Gutachten des Beklagten zu 1 war diese Gefahrenquelle nicht ausgewiesen, weil der Beklagte zu 1 nur die Außenanlagen besichtigt hatte. Die gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen überwiegend Erfolg.

Die allein vom Beklagten zu 1 eingelegte Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Abweichend von den Vorinstanzen verneint der BGH eine Schutzwirkung des Vertrags zwischen der Beklagten zu 3 und dem Beklagten zu 1 zugunsten der geschädigten Arbeitnehmer. Diese sind im Verhältnis zum Beklagten zu 1 nicht schutzbedürftig, weil schon der Vertrag zwischen der Beklagten zu 3 und ihrer Arbeitgeberin Schutzwirkungen zu ihren Gunsten entfaltet und die Beklagte zu 3 für pflichtwidriges Handeln des Beklagten zu 1 nach § 278 BGB haftet. Das Berufungsgericht muss nach Zurückverweisung der Sache prüfen, ob gegen den Beklagten zu 1 deliktische Ansprüche bestehen.

Praxistipp: Auch wenn im Ergebnis nur einer von zwei Beklagten vertraglich haftet, sollte die Klage vorsorglich gegenüber beiden (auch) auf vertragliche Ansprüche gestützt werden, solange nicht feststeht, ob die Voraussetzungen des § 278 BGB erfüllt sind.

Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne Berufungserwiderung
Urteil vom 21. November 2017 – XI ZR 106/16

Eine allgemeine prozessuale Frage beantwortet der XI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagte nach Widerruf eines Darlehensvertrags auf Erstattung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung der Kläger nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Eine Berufungserwiderung lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des überwiegenden Teils der Klageforderung an das OLG zurück, weil dieses die Widerrufsbelehrung zu Unrecht als ausreichend angesehen hatte. Die von den Klägern ergänzend erhobene Rüge, die Berufungsentscheidung sei insgesamt aufzuheben, weil eine Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO erst nach Vorliegen einer Berufungserwiderung zulässig sei, sieht der BGH hingegen als unbegründet an. Er stützt dies auf den Wortlaut der Vorschrift, die den Eingang einer Berufungserwiderung oder die ergebnislose Setzung einer Erwiderungsfrist nicht vorsieht, und den Umstand, dass sich aus der Gesetzgebungsgeschichte keine abweichenden Anhaltspunkte ergeben.

Praxistipp: Die volle Verfahrensgebühr für einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nur dann nach § 91 ZPO erstattungsfähig, wenn der Berufungskläger sein Rechtsmittel begründet und die Begründung dem Gegner zugestellt ist. Vom Zeitpunkt der Zustellung an steht dem Gegner auch dann ein Erstattungsanspruch zu, wenn er seinen Antrag auf Zurückweisung schon zuvor gestellt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Normativer Schaden bei Ergebnisbeteiligung eines Arbeitnehmers
Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 40/16

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistung eines Dritten an den Geschädigten dem Schädiger nicht zugutekommen soll, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen der Beklagte einzustehen hat, verletzt. Die Klägerin begehrte anteiligen Ersatz für ausgezahlte Ergebnisbeteiligung, die dem Arbeitnehmer für das betreffende Jahr unabhängig von dessen Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand. AG und LG hielten den Anspruch für unbegründet, weil die erbrachte Leistung nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Prämie mit ausschließlichem Treuecharakter anzusehen sei und deshalb nicht vom Entgeltfortzahlungsgesetz erfasst werde.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er lässt offen, ob die erbrachte Leistung unter das Entgeltfortzahlungsgesetz fällt. Das Klagebegehren ist schon deshalb schlüssig, weil der geschädigte Arbeitnehmer seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat und weil der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Ergebnisbeteiligung trotz seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zustand, nach dem normativen Schadensbegriff nicht dem Beklagten zugutekommen darf. Ausschlaggebend ist insoweit nicht die Anwendbarkeit des Entgeltfortzahlungsgesetzes, sondern der Umstand, dass die Ergebnisbeteiligung ungeachtet ihres Charakters als Treueprämie jedenfalls auch der Vergütung der Arbeitsleistung im Kalenderjahr des Unfalls diente und die betriebliche Regelung, wonach die Leistung auch im Falle vorübergehender Arbeitsunfähigkeit in voller Höhe zu erbringen ist, nicht den Schutz des Schädigers bezweckt.

Praxistipp: Wenn nicht völlig zweifelsfrei ist, dass der Ersatzanspruch schon kraft Gesetzes (§ 6 EFZG) übergegangen ist, sollte sich der Arbeitgeber spätestens vor Klageerhebung vorsorglich die Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers abtreten lassen.

Keine Anordnung der Urkundenvorlegung im selbständigen Beweisverfahren
Beschluss vom 29. November 2016 – VIII ZB 23/16

Mit der Anwendbarkeit von § 142 Abs. 1 ZPO im selbständigen Beweisverfahren befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Eine Patientin leitete im Anschluss an eine Operation ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Krankenhausbetreiberin ein, um zu klären, ob eine eingetretene Entzündung durch einen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht wurde. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, er benötige die zum Zeitpunkt der Operation gültigen Vorschriften der Antragsgegnerin zur Aufbereitung des Instrumentariums. Das LG lehnte den Antrag, diese Unterlagen gemäß § 142 ZPO beizuziehen, ab. Das OLG wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

Der BGH verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das OLG vermag dessen Statthaftigkeit nicht zu begründen, weil bereits die Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung unzulässig war. Ein Antrag auf Erlass einer Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO ist kein Gesuch im Sinne von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, weil eine solche Anordnung von Amts wegen ergehen kann. Ergänzend führt der BGH aus, dieses Ergebnis sei aus zwei weiteren Gründen sachgerecht: Zum einem sei eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer solchen Anordnung auch in einem Hauptsacheverfahren nicht zulässig. Zum anderen sei eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO in einem selbständigen Beweisverfahren ohnehin nicht statthaft. Im Hauptsacheverfahren dürfe eine solche Anordnung nur bei schlüssigem, auf konkrete Tatsachen bezogenem Parteivortrag ergehen. Im selbständigen Beweisverfahren dürfe eine Schlüssigkeitsprüfung aber nicht erfolgen. Deshalb sei eine Entscheidung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht möglich. Damit ist die Rechtsfrage, zu deren Klärung das OLG unzulässigerweise die Rechtsbeschwerde zugelassen hatte, letztendlich doch beantwortet.

Praxistipp: Wenn sich der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren weigert, vom Sachverständigen benötigte Unterlagen vorzulegen, und der Antragsteller dennoch nicht sofort ein Hauptsacheverfahren wegen des zu sichernden Anspruchs einleiten will, kommt als Alternative in Betracht, den Antragsgegner auf Herausgabe der Unterlagen zu verklagen. Dies setzt allerdings einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch voraus.