Montagsblog: Neues vom BGH

Der BGH stellt seinen Richtern wöchentlich eine Sammlung aller Leitzsatzentscheidungen zur Verfügung, die in der vorangegangenen Woche veröffentlicht worden sind. In Anknüpfung an diese sog. Montagspost berichtet der Montagsblog wöchentlich über – ausgewählte – aktuelle Entscheidungen des BGH.

Werkvertrag zwischen Bauherr und Prüfingenieur
Urteil vom 31. März 2016 – III ZR 70/15

Mit der Abgrenzung zwischen hoheitlichem Handeln und der Erbringung von Leistungen auf vertraglicher Grundlage hatte sich der III. Zivilsenat zu befassen.

Die Kläger hatten den beklagten Prüfingenieur mit der Prüfung der Standsicherheit und der Bauüberwachung bei der Errichtung eines Einfamilienhauses betraut. Nach den einschlägigen baurechtlichen Vorschriften genehmigte die Baubehörde das Vorhaben mit der Auflage, die Standsicherheit und die ordnungsgemäße Bauüberwachung durch Bescheinigungen eines Prüfsachverständigen nachzuweisen. Nach Errichtung des Gebäudes erwies sich eine Kellerwand aufgrund fehlerhafter statischer Berechnungen als nicht tragfähig. Das OLG wies die gegen den Prüfingenieur gerichtete Klage auf Ersatz der hieraus resultierenden Schäden mit der Begründung ab, der Beklagte sei hoheitlich tätig geworden und könne deshalb gemäß § 839 Abs. 1 BGB und Art. 34 Abs.1 GG nicht persönlich in Anspruch genommen werden.

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf. Nach seiner Auffassung erbrachte der Beklagte seine Tätigkeit auf der Grundlage eines mit dem Bauherrn geschlossenen Werkvertrags. Der BGH stützt sich hierbei auf etablierte Rechtsprechung, wonach für die Frage, ob ein Sachverständiger hoheitlich tätig wird, die Aufgabe maßgeblich ist, deren Wahrnehmung seine Tätigkeit im konkreten Fall dient. Eine hoheitliche Tätigkeit liegt danach vor, wenn die vom Sachverständigen vorzunehmende Prüfung einen Bestandteil der von der Behörde ausgeübten hoheitlichen Tätigkeit bildet. Daran fehlte es im Streitfall, weil dem Prüfingenieur nach den einschlägigen baurechtlichen Vorbereitungen nicht die Aufgabe zukam, die behördliche Entscheidung über die Baugenehmigung vorzubereiten. Die von ihm erstellten Bescheinigungen dienten vielmehr dazu, eine behördliche Überprüfung der darin behandelten Fragen überflüssig zu machen. Deshalb erbrachte der Sachverständige seine Leistungen auf der Grundlage eines Werkvertrags mit dem Bauherrn. Der vom Berufungsgericht angestellten Hilfserwägung, dieser Werkvertrag habe nur eine Überprüfung im öffentlichen Interesse zum Gegenstand gehabt, erteilte der BGH ebenfalls eine Absage. Aus der Interessenlage der Beteiligten ergab sich nach seiner Beurteilung vielmehr, dass die Tätigkeit des Beklagten auch dazu diente, den Bauherrn vor dem Eintritt von Schäden durch eine mangelhafte Baustatik zu bewahren.

Praxistipp: Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen einen auf behördliche Anordnung mit Prüfaufgaben betrauten Sachverständigen ist frühzeitig zu klären, auf welchen Vorschriften die Tätigkeit des Sachverständige beruhte und welcher Aufgabe sie diente.

Reaktion auf einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
Beschluss vom 10. März 2016 – VII ZR 47/13
Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14

Mit zwei Aspekten der viel kritisierten Möglichkeit, eine Berufung nach vorherigem Hinweis durch Beschluss als unbegründet zurückzuweisen, befassen sich der VII. und der IX. Zivilsenat.

Im ersten Fall hatte das Berufungsgericht in seinem nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis unter anderem ausgeführt, der geltend gemachte Feststellungsantrag – der auf eine Anregung des Landgerichts hin gestellt, von diesem aber als unbegründet angesehen worden war—sei unzulässig. Der Kläger reagierte auf diesen Hinweis mit einem hilfsweise gestellten Zahlungsantrag. Das Berufungsgericht lehnte es ab, über den Hilfsantrag mündlich zu verhandeln, und wies die Berufung durch Beschluss zurück.

Im zweiten Fall hatte das Berufungsgericht in seinem Hinweisbeschluss unter anderem ausgeführt, eine von zwei Steuerberatern erteilte Auskunft, auf die der Kläger sein Begehren stützte, sei lediglich als unverbindliche Prognose anzusehen. Der Kläger hatte hierauf nicht reagiert. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen den daraufhin ergangenen Zurückweisungsbeschluss machte er geltend, das Berufungsgericht habe seinen unter Beweis gestellten Vortrag übergangen, wonach die Steuerberater eine verbindliche Zusicherung gegeben hätten.

Im ersten Fall hebt der BGH den angefochtenen Beschluss auf; im zweiten weist er die Nichtzulassungsbeschwerde zurück. Beide Senate stützen sich dabei auf den Grundsatz, dass das Berufungsgericht dem Berufungskläger Gelegenheit geben muss, auf den nach § 522 Abs. 2 ZPO zu erteilenden Hinweis zu reagieren. Im ersten Fall beurteilte der BGH den vom Kläger gestellten Hilfsantrag als angemessene Reaktion auf den erteilten Hinweis, weil das Berufungsgericht erstmals Zweifel an der Zulässigkeit des Feststellungsantrags geäußert hatte, während die Vorinstanz diesen Antrag sogar angeregt hatte. Das Berufungsgericht hätte deshalb über den Hilfsantrag mündlich verhandeln müssen. Im zweiten Fall war für den Kläger schon aus dem Hinweisbeschluss ersichtlich, dass das Berufungsgericht die Äußerungen der Steuerberater anders bewertete als der Kläger. Deshalb hätte der Kläger schon innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf seinen abweichenden Vortrag und die Beweisangebote hierzu aufmerksam machen müssen. Wenn er diese Gelegenheit nicht wahrnimmt, ist es ihm verwehrt, die Nichtberücksichtigung dieses Vortrags mit der Nichtzulassungsbeschwerde als Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu rügen.

Praxistipp: Wenn das Berufungsgericht die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ankündigt, muss der Berufungskläger die erteilten Hinweise sorgfältig auswerten und innerhalb der gesetzten Frist umfassend darauf reagieren.

 

Berufung: Fristbeginn für Urteile nach Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO

Die Vorschrift des § 317 ZPO (Amtliche Überschrift: Urteilszustellung und –ausfertigung) wurde durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786 ff.) geändert. Nach § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO sind seitdem die Urteile den Parteien von Amts wegen nicht mehr in Ausfertigung, sondern nur noch in Abschrift zuzustellen. Die früher erforderliche Zustellung einer Ausfertigung erfolgt gemäß § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO nur noch auf Antrag. Gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 ZPO wird das zuzustellende Schriftstücke von der Geschäftsstelle (nur) beglaubigt (nicht mehr ausgefertigt!). Die in der Praxis Tätigen werden diesen Unterschied voraussichtlich schon bemerkt haben!

Vor der Änderung des § 317 ZPO setzte der Beginn der Berufungsfrist die Zustellung einer Ausfertigung voraus. Gemäß § 517 beginnt die Berufungsfrist von einem Monat mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, für den Fristbeginn sei gleichwohl die Zustellung einer Ausfertigung erforderlich (z. B. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl. (2015), § 517 Rn. 2). Nach der für die Praxis maßgeblichen Auffassung des BGH ist dies aber nicht der Fall (BGH, Urt. v. 27.1.2016 – XII ZB 684/14)! Die Berufungsfrist – und damit auch die Berufungsbegründungsfrist – werden nach der oben erwähnten Gesetzesänderung vielmehr bereits durch die Zustellung schon einer Abschrift des Urteils in Lauf gesetzt. Es liegt auf der Hand, dass schon die gesetzliche vorgesehene routinemäßige Zustellung der Geschäftsstelle die Berufungsfrist in Lauf setzen muss. Anderenfalls hätte es jede Partei in der Hand, durch den Verzicht auf den Antrag, ihr eine Ausfertigung zuzustellen, die Berufungsfrist beliebig bis zum Ablauf der absoluten Berufungsfrist von dann sechs Monaten zu erstrecken. Dies kann nicht der Sinn der Gesetzesänderung gewesen sein.

Der Leitsatz der Entscheidung, die sich im Übrigen mit verschiedenen weiteren komplexeren Fragen der Wiedereinsetzung befasst, worauf hier in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann, lautet wie folgt:

Für Urteile, die nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO zum 1.7.2014 zugestellt worden sind, setzt der Beginn der Fristen zur Berufungseinlegung und -begründung nicht mehr die Zustellung einer Urteilsausfertigung voraus. Entsprechend der nunmehr in § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltenen Regel genügt die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des in vollständiger Form abgefassten Urteils (Abgrenzung zu Senatsbeschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246 = MDR 2010, 946).

Dieser Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen!