Montagsblog: Neues vom BGH

Um grundlegende Anforderungen an die Zulässigkeit einer Berufung geht es in dieser Woche.

Festhalten an erstinstanzlich vertretener Rechtsauffassung
Beschluss vom 7. Juni 2018 – I ZB 57/17

Der I. Zivilsenat sieht eine Berufung, die auf die bloße Wiederholung einer in erster Instanz erfolglos vertretenen Rechtsauffassung gestützt wird, als zulässig an.

Das LG hatte eine auf Unterlassung bestimmter Werbemaßnahmen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Mit ihrer Berufung wiederholte die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen, an der in der Klageschrift benannten Adresse könnten auch an solchen Tagen Zustellungen vorgenommen werden, an denen ihr Geschäftsführer nicht anwesend sei, weil die Mitarbeiter eines anderen, an derselben Adresse ansässigen Unternehmens entsprechend bevollmächtigt seien. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Berufung ist zwar grundsätzlich unzulässig, wenn der Berufungskläger lediglich seinen erstinstanzlichen Tatsachenvortrag wiederholt, ohne sich mit abweichenden Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auseinanderzusetzen. Ist der Berufungskläger in erster Instanz aus rechtlichen Gründen erfolglos geblieben, genügt es aber, wenn er seine bereits in erster Instanz vertretene Rechtsauffassung erneut darlegt. Im Streitfall beruhte die erstinstanzliche Klageabweisung allein auf der rechtlichen Erwägung, die vorgetragene Bevollmächtigung reiche zur Begründung einer ladungsfähigen Anschrift nicht aus. Deshalb durfte die Klägerin ihre Berufungsbegründung auf die Wiederholung ihrer abweichenden Rechtsauffassung beschränken.

Praxistipp: Ungeachtet der relativ großzügigen Mindestanforderungen sollte sich der Berufungskläger in seiner Rechtsmittelbegründung vorsorglich auch mit der rechtlichen Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts auseinandersetzen.

Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands
Beschluss vom 21. Juni 2018 – V ZB 254/17

Der V. Zivilsenat bekräftigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die fristgerechte Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands nicht zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Berufung gehört.

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte beschlossen, die Außenfassade des bisher in grün gehaltenen Gebäudes grau anstreichen zu lassen. Die Anfechtung dieses Beschlusses blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Ein Berufungskläger muss zwar gemäß § 511 Abs. 3 ZPO darlegen und glaubhaft machen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands die für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels maßgebliche Wertgrenze (600 Euro, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt. Anders als bei einer Nichtzulassungsbeschwerde führt ein Verstoß gegen diese Obliegenheit aber nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Vielmehr muss das Berufungsgericht den Wert auch ohne Glaubhaftmachung auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen schätzen. Im Streitfall sah sich der BGH außer Stande, die Schätzung selbst vorzunehmen. Auch wenn es nur um die Farbe geht, kann zwar der auf den Kläger entfallenden Anteil an den Kosten des Neuanstrichs als Anhaltspunkt genommen werden. Aus dem für die Rechtsbeschwerdeinstanz relevanten Tatsachenvorbringen ließ sich aber nicht entnehmen, wie hoch die maßgeblichen Gesamtkosten sind.

Praxistipp: Um eine ihm ungünstige Schätzung zu vermeiden, sollte der Berufungskläger stets bestrebt sein, die Überschreitung der Wertgrenze eingehend vortragen und glaubhaft machen.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog regelmäßig über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Gutachterkosten nach Verkehrsunfall
Urteil vom 19. Juli 2016 – VI ZR 491/15

Einen pragmatischen Ansatz verfolgt der VI. Zivilsenat hinsichtlich einer praktisch häufig auftretenden Frage.

Ein Geschädigter hatte nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen mit der Begutachtung seines Fahrzeugs betraut. Der Sachverständige ließ sich die aus dem Unfall resultierenden Ansprüche auf Ersatz der Gutachterkosten abtreten. Die Haftpflichtversicherung des Geschädigten hielt das Gutachten für unbrauchbar und verweigerte die Zahlung. Die daraufhin erhobene Klage hatte beim AG zum überwiegenden Teil und beim LG in vollem Umfang Erfolg. Das LG hielt das Gutachten für nicht völlig unbrauchbar und die geltend gemachten Kosten für angemessen, weil nicht ersichtlich sei, dass dem Geschädigten ein Auswahlverschulden zur Last falle.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Mit dem LG ist er der Auffassung, dass ein Geschädigter grundsätzlich nicht gehalten ist, vor der Beauftragung eines Sachverständigen den Markt zu erforschen. Deshalb darf der Geschädigte grundsätzlich Ersatz desjenigen Betrags verlangen, den er an den Sachverständigen gezahlt hat. Ein bloßes Bestreiten der Schadenshöhe ist in solchen Fällen irrelevant. Abweichend vom LG beschränkt der BGH diese subjektbezogene Schadensbetrachtung aber auf Konstellationen, in denen der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen selbst beglichen hat. Ein Sachverständiger, der sich stattdessen die Ersatzforderung des Geschädigten abtreten lässt, muss bei Bestreiten der Gegenseite zur Angemessenheit seiner Forderung näher vortragen.

Praxistipp: Ein Geschädigter, der Ersatzansprüche an einen Sachverständigen abtritt, sollte sich vor der Abtretung vom Sachverständigen bestätigen, dass er nur insoweit zur Honorarzahlung verpflichtet ist, als sich die Anspruchshöhe im Verhältnis zum Geschädigten als angemessen erweist.

Doppelter Formmangel eines Schenkungsvertrags
Urteil vom 28. Juni 2016 – X ZR 65/14

Mit einem Fall des Doppelmangels befasst sich der X. Zivilsenat.

Die spätere Erblasserin hatte den Beklagten bevollmächtigt, über alle von ihr gehaltene Fondanteile – die im Wesentlichen ihr gesamtes Vermögen ausmachten – auch zu eigenen Gunsten zu verfügen. Wenige Stunden vor dem Tod der Erblasserin veräußerte der Beklagte aufgrund dieser Vollmacht Fondanteile der Erblasserin und ließ sich den Erlös auf sein eigenes Konto überweisen. Die Rückzahlungsklage der Erben hatte in erster Instanz Erfolg. Das OLG wies die Klage ab, mit der Begründung, die Erblasserin habe ein Schenkungsversprechen erteilt, das zunächst formnichtig gewesen, mit der Gutschrift des Veräußerungserlöses aber wirksam geworden sei.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er stellt klar, dass der Vollzug der vom OLG festgestellten Schenkung zwar gemäß § 518 Abs. 2 BGB den Mangel der für ein Schenkungsversprechen in § 518 Abs. 1 vorgesehenen Form heilt, nicht aber den Mangel der in § 311b Abs. 3 BGB vorgesehenen Form für einen Vertrag, in dem sich ein Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen.

Praxistipp: Wenn das Schenkungsversprechen nicht unter § 311b Abs. 3 BGB fällt, müssen die Erben darauf bedacht sein, eine erteilte Vollmacht möglichst zeitnah zu widerrufen. In der hier zugrunde liegenden Fallgestaltung wäre es dafür allerdings zu spät gewesen.