Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Schadensersatzpflicht des Vermieters nach Entzug des vertragsgemäßen Gebrauchs.

Ersatz von Mehrkosten für Unterbringung in Notunterkunft
BGH, Urteil vom 21. Juni 2023 – VIII ZR 303/21

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von Ersatzansprüchen nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB.

Die Beklagte hatte eine knapp 70 m² große Wohnung für rund 900 Euro inklusive Nebenkostenvorauszahlung an einen arbeitslosen Flüchtling untervermietet, der darin mit seiner insgesamt vierköpfigen Familie wohnte. Die Miete einschließlich Nebenkosten zahlte die Klägerin auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Einige Monate nach Abschluss des Untermietvertrags kündigte der Hauptvermieter den Mietvertrag mit der Beklagten wegen unerlaubter Untervermietung und Zahlungsrückständen. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte zur Herausgabe der Wohnung.

Der Untermieter kam dem Räumungsverlangen des Hauptvermieters nach. Er wurde mit seiner Familie in einer von einem öffentlich-rechtlichen Träger betriebenen Unterkunft untergebracht. Hierfür wurden pro Person 590 Euro pro Monat in Rechnung gestellt, insgesamt also 2.360 Euro pro Monat. Die Klägerin übernahm diese Kosten. Ihre Klage auf Ersatz der Mehrkosten hatte vor dem AG überwiegend Erfolg. Das LG wies die insoweit zuletzt auf Zahlung von rund 37.000 Euro gerichtete Klage ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass dem Untervermieter gegen die Beklagte wegen schuldhaften Entzugs des vertragsgemäßen Gebrauchs der untervermieteten Wohnung ein Schadensersatzanspruch nach § 536a und § 536 Abs. 3 BGB zusteht und dass dieser Anspruch in Höhe der erbrachten Sozialleistungen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen ist.

Entgegen der Auffassung des LG steht einem Anspruch auf Ersatz von Mehrkosten für die Unterbringung in der Notunterkunft nicht der Schutzzweck der verletzten Norm entgegen. Die Unterbringung ist eine Folge der Gefahr, die die Beklagte durch den unberechtigten Entzug der untervermieteten Wohnung geschaffen hat.

Dass die Unterbringung mit Kosten verbunden ist, die die vereinbarte Miete deutlich übersteigen, ist allenfalls bei der Bemessung der Schadenshöhe zu berücksichtigen. Nach der Zurückverweisung der Sache wird das LG die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Die zu erstattenden Mehrkosten sind nach § 249 BGB auf den Zeitraum bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder bis zum ersten möglichen Kündigungstermin begrenzt. Ferner sind sie nur insoweit ersatzfähig, als sie für eine anderweitige Unterbringung erforderlich waren. Hierfür ist von Bedeutung, welche Möglichkeiten zum Anmieten einer anderen Wohnung bestanden und wieviel Zeit für die Suche nach einer solchen Wohnung erforderlich war.

Das LG wird ferner zu prüfen haben, inwieweit die nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II erforderliche Personenidentität zwischen Anspruchsberechtigtem und Leistungsempfänger besteht.

Praxistipp: Während Ersatzansprüche gegen Dritte bei Zahlung von Bürgergeld und Grundsicherung gemäß § 33 Abs. 1 SGB II kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergehen, bedarf es bei Zahlung von Sozialhilfe gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich einer Überleitung durch Verwaltungsakt. Einen gesetzlichen Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger sehen § 94 Abs. 1 SGB XII für Unterhaltsansprüche, § 115 Abs. 1 SGB X für Ansprüche auf Arbeitsentgelt und § 116 Abs. 1 SGB X für Schadensersatzansprüche vor.

Montagsblog: Neues vom BGH

Der Strom der Entscheidungen reißt auch zum Jahreswechsel nicht ab. Allen Blog-Lesern wünsche ich ein erfolgreiches neues Jahr 2018!

Haftung des Anwalts für versehentlich versandte Selbstanzeige
Beschluss vom 9. November 2017 – IX ZR 270/16

Der IX. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zum normativen Schadensbegriff bei der Anwaltshaftung aus.

Die Klägerin hatte über mehrere Jahre hinweg Zahlungen an ihren Lebensgefährten zu Unrecht als Betriebsausgaben verbucht. Nach dem Tod des Lebensgefährten beauftragte sie den beklagten Rechtsanwalt mit der Vorbereitung einer Selbstanzeige, deren Freigabe sie sich ausdrücklich vorbehielt. Wegen eines Kanzleiversehens wurde die Selbstanzeige ohne Zustimmung der Klägerin an das Finanzamt versandt. Dieses setzte zusätzliche Steuern in Höhe von rund 70.000 Euro fest. Ferner entstanden der Klägerin Steuerberaterkosten in Höhe von rund 3.500 Euro. Die auf Ersatz dieser Beträge gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der Beklagte hat allerdings seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt, indem er zugelassen hat, dass die Selbstanzeige ohne Freigabe seitens der Klägerin an das Finanzamt versandt wurde. Hierdurch wurde auch ein Schaden verursacht, weil die Klägerin Steuern und Steuerberaterkosten zahlen musste. Bei wertender Betrachtung ist dieser Schaden aber nicht ersatzfähig, weil die Steuernachzahlungen in Einklang mit dem materiellen Recht standen. Das Interesse der Beklagten, ihr die Vorteile der eingetretenen Steuerverkürzung zu erhalten, ist nicht schutzwürdig. Deshalb kann die Beklagte auch nicht Ersatz der im Zusammenhang mit der Nachzahlung entstandenen Beraterkosten verlangen.

Praxistipp: Ein rechtlicher Berater darf sich vertraglich verpflichten, seinen Mandanten vor den Folgen einer Steuerstraftat zu schützen. Er darf es aber nicht übernehmen, dem Mandanten die Früchte einer vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren.

Bürgschaft und Stillhalteabkommen
Urteil vom 28. November 2017 – XI ZR 211/16

Mit der Reichweite des Einwendungsdurchgriffs nach § 768 Abs. 1 BGB befasst sich der XI. Zivilsenat.

Die klagende Bank hatte einem Unternehmen einen Kontokorrentkredit in Höhe von 4,6 Millionen Euro gewährt. Die Beklagte hatte dafür eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Nach Insolvenz der Hauptschuldnerin schloss die Klägerin mit dieser und einem anderen Bürgen einen Vergleich, in dem sie sich unter anderem verpflichtete, die Darlehensforderung vorbehaltlich einer Zahlung von rund 400.000 Euro nicht mehr gegen die Hauptschuldnerin geltend zu machen. Ihre gegen die Beklagte gerichtete Klage auf Zahlung des restlichen Darlehensbetrags blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Aufgrund des mit der Hauptschuldnerin wirksam vereinbarten Stillhalteabkommens ist die Klägerin gemäß § 768 Abs. 1 BGB auch gegenüber der Beklagten an einer weiteren Geltendmachung der Darlehensforderung gehindert. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in dem Abkommen eine Inanspruchnahme des Bürgen ausdrücklich vorbehalten hat. Gläubiger und Hauptschuldner können die im Gesetz vorgesehene Akzessorietät der Bürgschaft nicht ohne Mitwirkung des Bürgen einschränken.

Praxistipp: In einer Bürgschaftsvereinbarung kann wirksam vorgesehen werden, dass der Bürge auch für Ansprüche haften soll, die der Gläubiger gegen den Hauptschuldner aus Rechtsgründen nicht durchsetzen kann.