Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex veröffentlicht

Die Regierungskommission Deutsche Corporate Governance hat am 9.5.2019 eine vollständige Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex beschlossen und diese am 22.5.2019 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Vorangegangen war ein Konsultationsverfahren, das von der Veröffentlichung der Entwurfsfassung des Kodex am 6.11.2018 bis zum 31.1.2019 dauerte und in dessen Rahmen mehr als 100 Verbände, Unternehmen etc. Stellungnahmen abgegeben haben.

Die Struktur des Kodex wurde grundlegend überarbeitet und ist nun anhand von Aufgaben statt wie bislang nach den Organen der Aktiengesellschaft gegliedert. Den einzelnen Anregungen und Empfehlungen vorangestellt sind insgesamt 25 sog. Grundsätze, welche wesentliche rechtliche Vorgaben wiedergeben sollen. Ferner enthält der neue Kodex eine Reihe neuer Empfehlungen. Wesentliche Änderungen sind:

  • Verschärfung der Höchstgrenzen für die Zahl konzernexterner Aufsichtsratsmandate: Grundsätzlich maximal 5 Mandate (Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt), für Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften maximal zwei Mandate und kein Aufsichtsratsvorsitz.
  • Konkretisierung der Kriterien für die Einstufung eines Aufsichtsratsmitglieds als unabhängig anhand verschiedener Indikatoren, wie sie auch von Stimmrechtsberatern verwendet werden.
  • Empfehlung zur Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder mit Sonderreglung für den Fall der Existenz eines kontrollierenden Aktionärs.
  • Die Erstbestellung von Vorstandsmitgliedern soll für maximal 3 Jahre erfolgen.
  • Langfristig variable Bestandteile der Vorstandsvergütung sollen von den Vorstandsmitgliedern entweder überwiegend in Aktien der Gesellschaft angelegt oder entsprechend aktienbasiert gewährt werden.

Anwendung finden wird die Neufassung des Kodex erst mit ihrer offiziellen Veröffentlichung durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Diese soll erst nach – für den Herbst 2019 erwarteten – Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes zur Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) erfolgen, um etwaigem Anpassungsbedarf am Kodex aufgrund von Änderungen des ARUG II im weiteren Gesetzgebungsverfahren Rechnung tragen zu können. Dies sollte Gesellschaften ausreichend Zeit geben, um sich auf die Vorgaben des neuen Kodex einzustellen.

In der Endfassung des Kodex nicht mehr enthalten ist das „Apply and Explain“-Prinzip. Nach diesem im Entwurf vorgesehenen Konzept sollten Gesellschaft darlegen, wie sie die Empfehlungen und Anregungen umsetzen, denen sie folgen.

Abseitsfalle des OLG München: Wo tagt der Aufsichtsrat?

In vielen Aktiengesellschaften ist es bewährte Praxis, dass der Aufsichtsrat nicht nur im Elfenbeinturm der Konzernzentrale tagt, sondern auch in Betriebsstätten oder bei Tochtergesellschaften. Anlass können nicht nur Unternehmenszusammenschlüsse oder größere Zukäufe sein, wo es in besonderem Maße im Unternehmensinteresse liegen kann, die Integration durch ein entsprechendes Symbol der Wertschätzung zu fördern. Ebenso können eine lokale Krisenlage, eine im Raum stehende Werksschließung oder ein Personalabbau einen anderen Sitzungsort tragen. Aber auch ein Rückzug in ein (ländliches) Hotel für eine in den Folgen weitreichende, mehrtätige Strategiesitzung mit dem Vorstand oder auch nur zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit eines neu zusammengesetzten Aufsichtsrats, dessen Mitglieder sich kennen und schätzen lernen sollen, sind gelebte Praxis und richtigerweise nicht zu beanstanden.

Bei alldem ist aber neuerdings Vorsicht geboten. Denn das OLG München (Beschluss v. 28.8.2018 – 31 Wx 61/17, abrufbar http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-20541?hl=true hat sich zum rechtlich zulässigen Sitzungsort des Aufsichtsrats mit einer m.E. nicht gebotenen Parallelwertung zum Recht der Hauptversammlung auf Kante gestellt und entschieden:

„Zwar enthält das AktG keine ausdrückliche Regelung darüber, an welchem Ort der Aufsichtsrat einer AG seine Sitzungen abzuhalten hat. Jedoch folgt daraus, (…) nicht, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nach eigenem Gutdünken einen Versammlungsort bestimmen kann. Vielmehr ist, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht, der ordnungsgemäße Versammlungsort grundsätzlich entsprechend § 121 Abs. 5 AktG der Sitz der Gesellschaft, wobei die Räumlichkeiten der Gesellschaft im Fall ihrer Eignung als Versammlungslokal der Wahl angesehen werden. Die Regelung hat den Zweck, auch Aufsichtsratsmitglieder vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechts zu schützen. (…) Nur wenn alle Aufsichtsratsmitglieder einverstanden sind, könnte ausnahmsweise auch ein anderer Ort zur Abhaltung der Sitzungen des Aufsichtsrats gewählt werden.“

Gerade bei streitigen Beschlussgegenständen auf der Tagesordnung ist angesichts dieser Wendung der Rechtsprechung fortan bei der Wahl des Versammlungsortes besondere Vorsicht geboten. Gleiches gilt natürlich, wenn einzelne Aufsichtsratsmitglieder verhindert sind.

Abhilfe könnte m.E. hier eine Satzungsänderung bei nächster Gelegenheit bieten, die dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Wahl unter verschiedenen alternativen Tagungsorten bei der Einberufung der Aufsichtsratssitzung ausdrücklich zuweist; auch das OLG München hat den Satzungsvorbehalt ausdrücklich erwähnt.

Erste Überlegungen zu Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Intersexualität auf das Aktien- und GmbH-Recht

Die Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 hat bei Verkündung in den Medien ein breites Echo gefunden. Unmittelbar betrifft die Entscheidung das Personenstandsrecht, welches der Gesetzgeber nun zu ändern hat. Es stellt sich freilich die Frage, ob es darüber hinaus auch Ausstrahlungen in das Aktien- und GmbH-Recht geben könnte.

Worum geht es? Medizinisch wurde erwiesen, dass es neben Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, auch Intersexuelle gibt, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“ Das BVerfG referiert in Rz. 10 eine Häufung von 1:500 in der Bevölkerung. Andere Stimmen nennen geringere Quoten zwischen 1:2000 und 1:5000.

Für diese Personen leitet das BVerfG aus dem Grundgesetz einen doppelten Schutz ab. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze (auch) deren geschlechtliche Identität. Weitergehend schütze aber Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (auch) Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.

Sowohl das Aktien- wie auch das GmbH-Recht kennen ihrerseits Personenverzeichnisse, die an den neuen Maßstäben des BVerfG zu messen sind. Anzuführen sind beispielsweise für die AG das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG) und das Aktienregister (§ 67 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie für die GmbH die Liste der Gesellschafter (§ 40 GmbHG). Alle diese Regelungen unterscheiden sich von § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG allerdings gerade dadurch, dass dort keine Angabe des Geschlechts verlangt wird. Insoweit stellt sich also lediglich die Frage, ob das Ausleben der geschlechtlichen Identität verfassungsrechtlich eine Erweiterung gebietet. Das ist jedoch auf Grundlage der Überlegungen des BVerfG unter Rz. 47 der Entscheidung klar zu verneinen. Dort legt das Gericht nämlich sichtlich Spur für eine diskriminierungsfreie Gestaltung des Personenstandsrechts durch Verzicht auf Geschlechtsangaben.

Damit rücken jene Bestimmungen des Gesellschaftsrechts in den Fokus, die ausdrücklich „nur“ das männliche und das weibliche Geschlecht ansprechen, wie etwa § 96 Abs. 2 AktG, der für die Besetzung von Aufsichtsräten „nur“ Mindestanteile von Frauen und Männern vorschreibt, nicht aber Mindestanteile an Intersexuellen. Ähnliche Regelungen enthalten §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG oder § 52 Abs. 2 GmbHG. Hier stellt sich vermeintlich offensichtlich die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses von Intersexuellen vom Quotenschutz mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Tatsächlich bedarf es jedoch keiner Änderung dieser Bestimmungen. Dafür streitet m.E. nämlich, dass sie auf einer spezielle(re)n Regelung des GG beruhen, nämlich Art. 3 Abs. 2 GG. Diese Vorschrift des GG stellt anders als Art. 3 Abs. 3 GG schon nach dem Wortlaut gerade nicht auf das Geschlecht ab, sondern auf Mann und Frau. Diesen Unterschied arbeitete auch das BVerfG in einer systematischen Verfassungsauslegung klar heraus (Rz. 60). Wörtlich führt es aus: „Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.

Die genannten Bestimmungen des Aktien- bzw. GmbH-Rechts sind daher ungeachtet der Nichtnennung Intersexueller dem Auftrag des GG aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“) entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierungen. Die Entscheidung, das weitergehende Gleichberechtigungsgebot auf Mann und Frau zu beschränken, hat die Verfassung selbst getroffen. Das ist auf der Ebene nachgeordneten (Aktien- und GmbH-) Rechts nicht zu revidieren.