BVerfG zur Selbsteinhaltung einer vom Gericht gesetzten Frist

Ein etwas merkwürdiges Geschehen war Gegenstands einer Kammerentscheidung des BVerfG (Beschl. v. 7.2.2018 – 2 BvR 549/17) geworden. Das LG war aufgrund vorgelegter Lichtbilder zu der Überzeugung gelangt, dass die Klage begründet sei. Das OLG beabsichtigte, die von der Beklagten eingelegte Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und setzte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.11. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 7.11. ausführlich Stellung genommen hatte, traf das OLG sogleich die angekündigte Entscheidung. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Hauptsächlich wurde gerügt, das OLG hätte die Frist zum 15.11. abwarten müssen.

Die 2. Kammer des zweiten Senates betont zunächst, dass das OLG hier das rechtliche Gehör der Beklagten tatsächlich verletzt hatte! Das Gericht ist dazu verpflichtet, eine selbst gesetzte Frist dann auch einzuhalten, bevor entschieden wird. Allerdings reicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs alleine nicht dafür aus, um eine Entscheidung aufzuheben. Hinzukommen muss die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hier hatte die Beklagte aber nicht dargelegt, was sie in der Frist, die ihr noch zur Verfügung gestanden hätte, noch vorgetragen hätte und welche Folgen dies für die Entscheidung hätte haben können. So bleibt die Verfassungsbeschwerde letztlich erfolglos!

Man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, das Gericht sei hier in eine bewusst aufgestellte Anwaltsfalle getappt! Dagegen spricht allerdings, dass der Gesichtspunkt der Ursächlichkeit, der eigentlich Allgemeingut ist, später übersehen wurde.

Was unbedingt zum Basiswissen jedes Richters zählen muss: Selbst gesetzte (und natürlich auch gesetzliche!) Fristen müssen vor einer Entscheidung tatsächlich abgelaufen sein, selbst wenn schon Stellung genommen wurde. Besonderer Arbeitseifer in Verbindung mit Erledigungsdruck usw. darf nicht dazu führen, dass zu früh entschieden wird! Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, nach Fristablauf noch weitere zwei bis drei Tage zu warten, damit auch auf anderen Faxgeräten eingehende Faxe und auf anderen Postwegen eingehende Schriftstücke, die nicht unverzüglich vorgelegt werden können, noch berücksichtigt werden. Bei einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör kommt es bekanntlich auf ein Verschulden des Gerichts nicht an. Der rechtzeitige Schriftsatzeingang auf irgendeinem zulässigen Weg bei Gericht ist regelmäßig ausreichend.

BGH zur Klageerweiterung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung

In einer etwas merkwürdigen Fallkonstellation hat sich der BGH (Beschl. v. 7.11.2017 – XI ZR 529/17) einmal wieder mit der Frage beschäftigt, ob eine nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich angebrachte Klageerweiterung zulässig ist.

Die Klägerin hatte gegen die Beklagte beim LG zunächst 8.221,15 € geltend gemacht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurden die Anträge gestellt und der Kläger erhielt einen Schriftsatznachlass auf einen Schriftsatz der Beklagten. In dem fristgemäß eingegangenen Schriftsatz erweiterte die Klägerin die Klage dann auf 60.194,81 € (wahrscheinlich um den Rechtsstreit bis zur Revisionsinstanz führen zu können). Das LG behandelte die Klageerweiterung als unzulässig und wies im Verkündungstermin die Klage ab. Das OLG entschied über die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Klägerin erhob Nichtzulassungsbeschwerde. Noch vor der Begründung derselben legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für die Revisionsinstanz das Mandat nieder und beantragte die Festsetzung des Streitwertes (wahrscheinlich um gegen die Klägerin die Kosten seiner Vertretung festsetzen zu lassen).

Der BGH setzte den Streitwert auf lediglich 8.221,15 € fest. Ein höherer Betrag ist nicht Gegenstand des Nichtzulassungsverfahrens geworden.

Die Klageerweiterung ist in der ersten Instanz nicht rechtshängig geworden, weil Anträge – wie wohl eigentlich von § 296a ZPO nicht erfasst (!) – nach st. Rspr. gleichwohl spätestens am Ende der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen. Der gewährte Schriftsatznachlass änderte daran nichts, da dieser nur für Angriffs- und Verteidigungsmittel maßgeblich ist. Zwar wurde der Schriftsatz zugestellt, diese Zustellung erfolgte jedoch ersichtlich nicht, um die Rechtshängigkeit herbeizuführen, zumal der Schriftsatz mit dem Urteil zugestellt wurde.

In der Berufungsinstanz hat die Klägerin den Antrag zwar wiederholt, was als Klageerweiterung ausgelegt werden kann. Da das Berufungsgericht jedoch eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gefällt hatte, verlor die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Somit konnte nicht mehr als die ursprüngliche Klageforderung in der Revisionsinstanz anfallen.

In der Sache selbst wird der BGH später jedenfalls deswegen nicht mehr entschieden haben, da die Klägerin keine Beschwer von mindestens 20.000 € geltend machen kann und das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hatte. Am kostengünstigsten dürfte ohnehin die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sein.

Fazit: Eine Klageerweiterung ist nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich, auch wenn zuvor ein Schriftsatznachlass gewährt wurde. Man muss sich also rechtzeitig überlegen, ob man die Klage noch erweitern will. Wenn es ganz „eng“ wird, darf man zur Not keinen Antrag stellen. Da die Klageerweiterung – wie gesehen – nicht rechtshängig geworden ist, könnte die Klägerin natürlich erneut klagen, wenn sie dies für sinnvoll hält.

 

BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung

Einer Entscheidung des BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung  (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

In einer vom LG erlassenen einstweiligen Verfügung wurde „einer Anzahl von 40 männlichen und weiblichen Personen, die sich als „Kulturkollektiv Arno-Nitzsche“ bezeichnen und sich zum Zeitpunkt der Zustellung“ auf einem näher bezeichneten Grundstück dauerhaft aufhalten (Schuldner) u. a. aufgegeben, das bezeichnete Grundstück zu räumen. Der Gerichtsvollzieher weigerte sich zu vollziehen, da die Schuldner – entgegen § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO – nicht hinreichend individualisierbar seien. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel (Erinnerung, sofortige Beschwerde, Rechtsbeschwerde) blieben alle erfolglos.

Die Regelung des § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO spricht ausdrücklich davon, dass der Schuldner namentlich bezeichnet werden muss. Dies war hier nicht der Fall. Auch aus einer Auslegung des Titels selbst – was ausreichend ist – konnten sich die Schuldner nicht mit erforderlichen Eindeutigkeit ergeben. Eine klare Abgrenzung wer zu diesem Kollektiv gehört und wie diese Personen von eventuellen Besuchern o. ä. abzugrenzen wären, ergab sich aus dem Titel nicht.

Auch Billigkeitserwägungen können es nicht rechtfertigen, von einer genauen Bezeichnung des Vollstreckungsschuldners abzusehen. Ein „Titel gegen Unbekannt“ oder „gegen den, den es angeht“ oder einen „lagebezogenen“ Titel kennt das geltende Recht nicht. Die Schaffung eines solchen Titels kann nicht durch die Rechtsprechung erfolgen, sondern ist dem Gesetzgeber vorbehalten.

Allerdings kann es nicht sein, dass der Gläubiger rechtlos gestellt wird. Dem Eigentümer eines besetzten Hauses muss es daher möglich sein, dessen Räumung zu erreichen. Dies sicherzustellen, ist dann aber die Aufgabe des Polizei- und Ordnungsrechtes. Liegt ein strafbarer Hausfriedensbruch vor, muss die zuständige Polizeibehörde auf Antrag auch zur Sicherung privater Rechte aktiv werden. Eine faktische Rechtsverweigerung liegt damit auch nicht vor.

Über die Rechtmäßigkeit des Titels hatte der BGH (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) nicht zu entscheiden. Aus den Ausführungen zur Zwangsvollstreckung folgt aber zwangsläufig, dass die einstweilige Verfügung so nicht hätte ergehen dürfen.

Hinweis: In derartigen Fällen empfiehlt es sich, unter Hinweis auf diese Entscheidung, direkt die Polizeibehörden einzuschalten. In der Praxis wird dies freilich nicht ganz so einfach sein, wie der BGH sich dies vorstellt, da man zu dieser Thematik auch aus öffentlich-rechtlicher Sicht einiges sagen könnte. Aber jedenfalls hat der BGH mit dieser Entscheidung den „schwarzen Peter“ zunächst einmal in das öffentliche Recht verschoben. Man darf gespannt sein, wie sich diese Materie weiter entwickeln wird, wenn die Verwaltungsgerichte erneut damit befasst werden.

BGH zur Weiterleitung von Rechtsmittelschriften

Der BGH (Beschl. v. 19.9.2017 – VI ZB 37/16, MDR 2018, 173) hat sich mit den Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes beschäftigt:

Der Kläger hatte die Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil des LG anstatt beim OLG beim LG eingelegt. Der Schriftsatz ging am letzten Tag der Frist gegen 13 Uhr ein. Der Schriftsatz wurde von dem LG nicht unmittelbar weitergeleitet. Das OLG lehnte die Wiedereinsetzung ab. Der Kläger versuchte hier, aus der Nichtweiterleitung durch das LG „Honig zu saugen“.

Nach ständiger Rechtsprechung gibt es ja bekanntlich eine Pflicht der Gerichte, fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Wird diese Pflicht vom Gericht verletzt, kann dies dazu führen, dass ein Verschulden der Partei bzw. des Anwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) dann nicht mehr für das Fristversäumnis ursächlich ist, weil diese nicht darauf, sondern auf der gerichtlichen Pflichtverletzung beruht. Dieser Gedanke führte hier aber nicht weiter, da bei einem Eingang um 13 Uhr des letzten Tages der Frist nicht mehr erwartet werden kann, dass bis 24 Uhr desselben Tages eine Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erfolgen kann.

Der Kläger versuchte nun freilich, eine Verschärfung dieser Pflicht durchzusetzen. Dies machte der BGH nicht mit. Zu Maßnahmen außerhalb des Geschäftsganges besteht gerade keine Verpflichtung. Dem Rechtsmittelführer kann zum einen nicht die Verantwortung für das Rechtsmittel gänzlich abgenommen werden, zum anderen muss hier auch berücksichtigt werden, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit insoweit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden muss.

Interessant war noch der letzte Versuch des Klägers, einen „Rettungsanker“ auszuwerfen: Anstatt den Schriftsatz weiterzuleiten, kann natürlich auch ein Hinweis an die betroffene Partei erfolgen. Ein solcher Hinweis könnte – wenigstens theoretisch – natürlich auch sofort nach Eingang des Schriftsatzes erfolgen. Die Tatsache, dass das Gericht einen Hinweis erteilt darf, bedeutet jedoch gerade nicht, dass es auch verpflichtet ist, einen solchen auch tatsächlich und vor allem unverzüglich zu geben. Eine Hinweispflicht des Gerichts, aus der der Kläger etwas für sich herleiten könnte, bestehe daher nicht.

Damit blieb es bei der Entscheidung des OLG. Wenn an der Klage – es ging immerhin um 150.000 € – etwas dran gewesen sein sollte, muss der Kläger jetzt eben seinen Rechtsanwalt in Regress nehmen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch folgendes: Das OLG hatte noch nicht die Berufung verworfen, sondern lediglich die Wiedereinsetzung abgelehnt. In einem solchen Fall kann jedoch bereits gegen einen solchen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (§§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO)!

 

 

Auswirkungen von Mängeln bei der Urteilsverkündung

Der BGH (Beschl. v. 5.12.2017 – VIII ZR 204/16) hat entschieden, dass Verkündungsmängel (hier: Verkündung im Dienstzimmer des Richters) dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen stehen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.

Die Berufungskammer des LG hatte einen Verkündungstermin auf 12.00 Uhr bestimmt. Der Beklagte war persönlich erschienen. Die Tür zum Sitzungssaal war verschlossen. Später am Tag erklärte der Vorsitzende dem Beklagten nach mündlicher Mitteilung der Entscheidung, dass die Tür nicht geöffnet worden wäre, da man davon ausgegangen sei, es werde niemand erscheinen. Im vom Vorsitzenden unterzeichneten Verkündungsprotokoll waren er und zwei Beisitzer aufgeführt. Darüber hinaus hieß es, das anliegende Urteil sei in öffentlicher Verhandlung verkündet worden. Das Urteil wurde dann auch zugestellt.

Aus den von dem BGH eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei Richter ergab sich: Die Beisitzer waren bei der Verkündung nicht zugegen. Der Vorsitzende erklärte, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang. Üblicherweise würde die Tür zum Sitzungssaal verschlossen, wenn vor einer Verkündung eine längere Pause liege und dann bei der eigentlichen Verkündung geöffnet.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte gleichwohl keinen Erfolg. Es liegt kein Scheinurteil vor, da tatsächlich ein Urteil verkündet wurde und dieses auch unterschrieben und zugestellt wurde. Verkündungsmängel eines Urteils stehen dem wirksamen Erlass eines solchen nur dann entgegen, wenn es sich um elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse handelt, so dass letztlich von einer Verlautbarung im Rechtssinne gar nicht gesprochen werden kann. Nachdem das Urteil unterschrieben und zugestellt wurde und das Ergebnis auch dem Beklagten persönlich mitgeteilt wurde, bestehen aber keine Zweifel daran, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war.

Zwar spricht nach den eingeholten dienstlichen Stellungnahmen alles dafür, dass die Verkündung lediglich im Dienstzimmer des Vorsitzenden in Abwesenheit der Beisitzer erfolgt ist. Auch dies würde das Urteil jedoch nicht zum Scheinurteil machen, sondern wäre lediglich ein letztlich insoweit nicht beachtlicher Verkündungsmangel, zumal das Urteil bei der Verkündung in vollständiger Form vorlag und unterschrieben war. Letzteres wird durch das Protokoll nachgewiesen und ist nicht in Frage gestellt worden.

Der BGH weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es sich gleichwohl bei einer derartigen Verfahrensweise um eine richterliche Dienstpflichtverletzung handelte. Den Gerichten steht es in der Tat schlecht an, bei den Förmlichkeiten nachlässig zu sein. Gerade hier müssen die Gerichte mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch Verkündungstermine sollten daher stets „sauber“ abgehalten werden. Es muss die Möglichkeit der Teilnahme durch die Parteien und der Öffentlichkeit gegeben sein, eine vollständig abgefasste und unterschriebene Entscheidung sollte unbedingt vorliegen. Das Protokoll muss nur diejenigen wiedergeben, die auch tatsächlich anwesend sind. Bei der Verwendung eines Formulars müssen die richtigen „Kreuzchen“ gesetzt werden. Und schließlich: Bei den Unterschriften der Richter sowohl unter dem Urteil als auch unter dem Protokoll muss es sich um solche handeln, nicht etwa um Kurzzeichen o. ä.

BGH zum zutreffenden Beginn der Verzinsung

Eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, MDR 2017, 1196) mit beträchtlichem Umfang befasst sich eigentlich mit der Wirksamkeit von Bearbeitungsgebühren bei Darlehen an Unternehmer. Auf die Frage des Zinslaufes geht sie nur ganz am Rande ein. Sie zeigt insoweit nicht wirklich etwas ganz Neues auf, weist aber auf einen Fehler hin, der der Praxis sehr häufig unterläuft. Sie betrifft die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB. Die Gerichte sprechen sehr oft Zinsen ab dem Datum, das die in der Akte vorliegende Zustellungsurkunde als Zustellungsdatum für die Klageschrift oder den Mahnbescheid ausweist, zu. Dies ist jedoch nicht richtig! In entsprechender Anwendung des § 187 BGB beginnt der Zinslauf nicht mit dem Tage der Zustellung der Klage oder des Mahnbescheides, sondern erst mit dem Tag danach. In der Regel wird dies mit der Formel „minima (oder: de minimis) non curat praetor“ (teilweise sinngemäß: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richter nicht.) abgetan. Allerdings kann dieser Umstand, über einen längeren Zeitraum gesehen oder bei sehr hohen Beträgen oder bei vielen zu führenden Prozessen, durchaus einmal eine nicht mehr zu vernachlässigende Bedeutung bekommen. Auf derartige alltägliche Unsicherheiten und Irrtümer sollte an geeigneter Stelle hin und wieder hingewiesen werden!

Denn: Was man unproblematisch richtigmachen kann, sollte man auch tatsächlich so handhaben.

 

 

 

BGH zur rechtzeitigen Zustellung demnächst

Der BGH hat sich (Urt. v. 29.9.2017 – V ZR 103/16) mit der Wahrung der Klagefrist von einem Monat des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG befasst. Die angefochtenen Beschlüsse wurden am 26.2.2015 gefasst. Am 11.3.2015 ging die Anfechtungsklage bei dem AG ein. Die Gerichtskostenrechnung ging am 24.3.2015 bei der Klägervertreterin ein. Am 23.4.2015 wurde der Vorschuss gezahlt, am 29.4.2015 wurde die Klage zugestellt.

Da die Monatsfrist offensichtlich versäumt wurde, konnte eine Fristwahrung nur nach § 167 ZPO erreicht werden. Es kommt also darauf an, ob die Klage noch demnächst zugestellt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung ist von einer Zustellung „demnächst“ nur auszugehen, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten. Dabei wird regelmäßig von einer Frist von 14 Tagen ausgegangen. Dies gilt für alle Fallgruppen, auch die Einzahlung der Gerichtskosten. Es kommt allerdings darauf an, um wieviele Tag sich der ohnehin erforderliche Zeitraum verzögert hat.

Gänzlich unerheblich ist allerdings der Zeitraum bis zum 26.3.2015, denn der Kläger hatte die Klage zu früh eingereicht, er hätte aber bis zum 26.3.2015 abwarten dürfen.

Der BGH geht davon aus, dass der Partei im Normalfall eine Woche dafür zusteht, die erforderlichen Gerichtskosten zu bezahlen. Dies ist insofern bemerkenswert, als ein anderer Senat hierfür nur drei Tage angesetzt hat. Einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen bedurfte es jedoch nicht, da die Ausführungen des anderen Senats nicht entscheidungserheblich waren.

Interessant ist weiterhin, dass der BGH den Zeitraum, der erforderlich ist, um die Kostenrechnung von der Klägervertreterin zu dem Kläger weiterzuleiten, nicht in die 14 Tage-Frist einrechnet!

Die Frist berechnet sich daher wie folgt: Die Frist begann am 27.3.2015. Eine Einzahlung wäre daher bis zum 7.4.2015 zu erwarten gewesen. Allerdings fiel das Osterfest in diesen Zeitraum. Es kann aber von einer Partei nicht verlangt werden, an Feiertagen für die Zahlung der Kosten zu sorgen. Damit sind zwei Tage (Karfreitag und Ostermontag) hinzuzurechnen. Mithin hätten die Kosten bis zum 9.4.2015 unter normalen Umständen beglichen sein müssen. Ab diesem Tag lieft die oben erwähnte 14 Tages-Frist. Damit war die Zahlung am 23.4.2015 gerade noch rechtzeitig.

Fazit: Diese Entscheidung ist sehr lehrreich. Gleichwohl sollte man es auf eine solche Fristberechnung nicht ankommen lassen, sondern vorsorglich stets innerhalb der 14 Tages-Frist reagieren bzw. die vertretene Partei entsprechend belehren.

 

 

BGH zum wirksamen Beglaubigungsvermerk

Eine Klage wurde am 30.12.2013 eingereicht, der Anspruch wäre am 31.12.2013 verjährt. Wenig später wurde dem Beklagten eine Kopie der Klageschrift zugestellt, die auf der ersten Seite zwischen Briefkopf und Überschrift den Vermerk „Beglaubigt zwecks Zustellung Beglaubigt {Unterschrift} Rechtsanwalt“ enthielt. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Verjährungsfrist nicht gewahrt worden sei, da der Beglaubigungsvermerk regelmäßig auf der letzten Seite oder auf einem gesonderten Deckblatt anzubringen sei. Der BGH (Urt. v. 13.9.2017 – IV ZR 26/16) teilt diese Auffassung grundsätzlich, kommt aber über § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gleichwohl zur Fristwahrung.

Für die Hemmung der Verjährung ist grundsätzlich die Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift erforderlich. Daneben wäre natürlich auch die Zustellung einer Urschrift oder einer Ausfertigung ausreichend. Bei der beglaubigten Abschrift muss sich die Beglaubigung auf das gesamte Schriftstück erstrecken und mit diesem zu einer Einheit verbunden sein. Dies muss der entsprechende Vermerk entweder ausdrücklich beinhalten oder er muss am Ende des Schriftstückes angebracht sein, dann folgt aus dem Vermerk – sozusagen – automatisch, dass er sich auf das gesamte Schriftstück bezieht. Letzteres ist allgemein üblich. Im hier zu beurteilenden Fall war jedoch nicht ersichtlich, in welchem Umfang die Beglaubigung erfolgen sollte, da er sich ohne weitere Erläuterung nur auf der ersten Seite befand.

Allerdings hatte das Berufungsgericht die Heilungsvorschrift des § 189 ZPO nicht berücksichtigt. Der BGH hatte bereits entschieden, dass die Zustellung einer einfachen anstatt einer beglaubigten Abschrift einen Zustellungsmangel darstellt, der nach § 189 ZPO geheilt werden kann, wenn die einfache mit der beglaubigten Abschrift übereinstimmt (was hier der Fall war). Auch bereits durch den BGH entschieden wurde: § 167 ZPO (Die Zustellung – wie hier – demnächst) umfasst auch eine Zustellung mit Heilungsfiktion nach § 189 ZPO.

Letztlich bedeutet dies: Die Verjährungsfrist wurde über die §§ 204 Abs. 1 BGB, 167, 189 ZPO noch gewahrt, so dass das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben werden musste, damit dieses die Berechtigung des Anspruchs noch prüfen kann.

 

OLG Hamm: Willkürliche Verweisung in einem Verkehrsunfallprozess

Der Kläger reichte bei dem Wohnsitzgericht des Beklagten zu 1) eine Klage gegen den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) aufgrund eines Verkehrsunfalls ein. Eine Zuständigkeit für die Beklagte zu 2) war nicht ersichtlich, da der Unfallort in einem anderen Gerichtsbezirk lag. Das Gericht verwies den Rechtsstreit insgesamt an das Gericht des Unfallortes. Das OLG Hamm (Beschl. v. 13.4.2017 – 32 SA 6/17) hielt diesen Verweisungsbeschluss für willkürlich bezüglich der Beklagten zu 1)!

Diese Auffassung greift viel zu kurz. Bereits im Jahre 1993 hatte der Verfasser ausführlich begründet (F. O. Fischer MDR 1993, 198): „Die Verweisung eines Rechtsstreites trotz bereits ausgeübten Wahlrechts ist dann zulässig, wenn dadurch erreicht werden soll, dass gegen Streitgenossen einheitlich in einem Prozess verhandelt werden soll.“ Das (damals noch bestehende, aber später als „Stoiber-Opfer“ schändlicherweise aufgelöste) BayObLG hat später eine derartige Sicht der Dinge ausdrücklich nicht als willkürlich bezeichnet (NJW-RR 2001, 646 f.; hierzu ausführlich F. O. Fischer MDR 2002, 1401 zu VI.). Wenn das OLG Hamm nunmehr von dieser Entscheidung abweicht, hätte es sich ausführlicher mit dieser Fallkonstellation befassen müssen. Natürlich ist die Frage, ob in einer solchen Konstellation verwiesen werden darf, umstritten, wie könnte es anders sein. Dann kann aber natürlich nicht ohne weiteres eine der beiden Auffassungen als willkürlich bezeichnet werden, ohne sich wirklich mit den tatsächlich vorhandenen Gegenargumenten auseinanderzusetzen.

Der Entscheidung des OLG Hamm sollte daher nicht gefolgt werden, vielmehr sollte nach wie vor davon ausgegangen werden, dass eine Verweisung dann ausnahmsweise möglich ist, wenn sie dazu dient, gegen mehrere Gesamtschuldner einheitlich zu verhandeln. Alles andere führt nur zu chaotischen Verfahrensabläufen, die niemandem nutzen.

Im Übrigen stellt sich die hochinteressante Frage, ob das OLG Hamm den Fall nicht gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH hätte vorlegen müssen, da es von einer Entscheidung des BayObLG ersichtlich abgewichen ist. Zwar ist in dieser Vorschrift nur von anderen Oberlandesgerichten die Rede, die Vorlagepflicht dürfte aber erst recht gelten, wenn von einer Entscheidung des BayObLG abgewichen wird, oder etwa nicht?

 

 

Das Recht der Parteien auf Anhörung eines Sachverständigen

Nach einem in den Tatsacheninstanzen verlorenen Arzthaftungsprozess griff die Klägerin das Urteil des OLG mit einer Verfahrensrüge an. Entgegen ihrem Antrag sei der Sachverständige weder vom LG noch vom OLG angehört worden. Der BGH, Beschl. v. 30.5.2017 – VI ZR 439/16, sieht darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes (§§ 397, 402 ZPO; § 402 verweist für den Sachverständigenbeweis subsidiär auf die Vorschriften des Zeugenbeweises, § 397 Abs. 1 ZPO regelt das Fragerecht der Parteien an einen Zeugen) hat die Partei einen Anspruch darauf, den Sachverständigen selbst zu befragen. Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht. Die Partei ist auch nicht dazu verpflichtet, die zu stellenden Fragen vorher mitzuteilen. Dieses Recht besteht unabhängig von einem Verfahren des Gerichts nach § 411 Abs. 3 ZPO. Gibt das erstinstanzliche Gericht dieses Recht nicht, muss das Berufungsgericht diesem Antrag entsprechen. Geschieht dies nicht, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Fazit: Rein vom Wortlaut her ist das Ergebnis zutreffend. Ob eine solche Vorgehensweise in der Praxis immer die richtige Taktik ist, muss sorgfältig erwogen werden. Muss der Sachverständige zur Beantwortung der Fragen möglicherweise noch recherchieren, ist es sinnvoll, die Fragen vorher mitzuteilen, da sonst die Sache im Termin nicht vorankommen wird. Wer das Verfahren verschleppen oder Verwirrung stiften will, wird allerdings von diesem Recht gerne Gebrauch machen! Das Gericht muss dann gute Miene zu bösem Spiel machen.

Hinweis: Zum Recht der Prozesspartei auf mündliche Befragung des Sachverständigen, s.a. BGH Beschl. v. 21.2.2017 – VI ZR 314/15, MDR 2017, 785 und MDR 2017, 933 (Laumen) .