BGH: Beschwer bei Schmerzensgeld im Wege des unbezifferten Antrages

Die Klägerin verlangte von ihrer Krankenversicherung neben materiell-rechtlichem Schadensersatz u. a. Schmerzensgeld wegen einer angeblich zu Unrecht versagter Kostenübernahme. Die Klägerin hatte keinen bezifferten Antrag gestellt, sondern im Klageantrag nur ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt (vgl. § 92 Abs. Nr. 2 ZPO). In der Klagebegründung ließ sie allerdings ausführen, dass dabei ein Betrag in Höhe von 3.000 € nicht unterschritten werden sollte. Nachdem die Klage insgesamt abgewiesen und die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wurde, versuchte die Klägerin die Zulässigkeit der Revision herbeizuführen, indem sie eine Beschwer von über 20.000 € begründen wollte, und zwar durch „Aufblasen“ des abgewiesenen Schmerzensgeldes. Dieser Versuch war beim BGH (Beschl. v. 24.3.2016 – III ZR 52/15) erfolglos.

Die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwer ist zunächst einmal formell zu bestimmen, nämlich in Gestalt der Differenz zwischen Antrag und Entscheidung. Bei einem unbezifferten Antrag auf Schmerzensgeld ist für die Beschwer des Rechtsmittelklägers die von ihm geäußerte Größenvorstellung maßgeblich. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO soll die Klageschrift die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes enthalten, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht. Der demgemäß bei derartigen Streitigkeiten anzugebende Mindestbetrag muss nicht im Klageantrag selbst angegeben werden, sondern kann im Rahmen der Begründung des Anspruchs angeführt werden. Eine Beschwer besteht dann nur, wenn dieser Antrag unterschritten wurde. Bei – wie hier – vollständiger Klageabweisung liegt eine Beschwer nur hinsichtlich des mitgeteilten Mindestbetrages vor. Eine Beschwer von über 3.000 € lässt sich daher hier nicht begründen.

Allerdings hatte die Klägerin selbst in einem Schriftsatz an das Berufungsgericht, nachdem dieses eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO angekündigt hatte, ihre Schmerzensgeldforderung auf 8.000 € erhöht. Da die Klägerin selbst vor dem Berufungsgericht jedoch nicht postulationsfähig war, war dieser Schriftsatz unbeachtlich. Allerdings hatte ihr Rechtsanwalt in einem folgenden Schriftsatz um Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin gebeten. Dies ist aber nicht ausreichend, da er sich jedenfalls den Antrag nicht ausdrücklich zu Eigen gemacht hat. Alles in allem fehlte es vorliegend jedenfalls an einer grundsätzlich denkbaren Klageerweiterung in der Berufungsinstanz. Es blieb daher bei der Beschwer von 3.000 €.

Fazit: Wer sich die Möglichkeit einer Revision erhalten will und das Kostenrisiko nicht scheut, sollte – spätestens in der Berufungsinstanz – direkt einen bezifferten Antrag in ausreichender Höhe stellen oder jedenfalls eine Größenordnung angeben, die ausreichend „Luft“ hat. Nach Erlass des Berufungsurteils lässt sich die erforderliche Beschwer nicht mehr „aufblasen“.

BGH: Fristwahrung durch zu knappe Klageschrift?

Der Kläger war Opfer einer rechtswidrigen Durchsuchung geworden. Die von ihm beantragte Entschädigung hatte die Justizverwaltung im Wesentlichen abgelehnt. Die dreimonatige Klagefrist (§ 13 Abs. 1 S. 2 StrEG) wollte der Kläger durch folgende Klageschrift wahren, der keine Anlagen beigefügt waren: „Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.280,27 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 7.2.2014 an den Kläger zu bezahlen. – Begründung: Der Vorgang wird bei der Beklagten unter dem Aktenzeichen II B 5 – 4220/E/28/2013 geführt. Eine Begründung des Antrags wird in Kürze in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen.“ Später wurde diese „Klageschrift“ nach Fristablauf ergänzt. Der Kläger verlor den Prozess durch alle Instanzen.

Der BGH (Urt. v. 17.3.2016 – III ZR 200/15 = MDR 2016, 541; mit Besprechung Conrad MDR 2016, 572) nutzt diesen Fall, um ausführlich über die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 ZPO sowie die Bezugnahme auf Schriftstücke zu referieren. Erforderlich ist nach dem Gesetzeswortlaut die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs. Dafür ist Schlüssigkeit und Substantiierung nicht erforderlich, vielmehr ist es ausreichend, wenn der Anspruch identifizierbar ist. Grundsätzlich kann diese Indentifizierbarkeit auch durch eine konkrete Bezugnahme auf Anlagen erfolgen, wobei das Gericht aber nicht dazu verpflichtet ist, umfangreiche und ungeordnete Anlagen durchzuarbeiten. Anlagen dienen nur zur Erläuterung und Konkretisierung, nicht aber der Ersetzung von Vortrag. Wenn die Anlagen dazu erforderlich sind, die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 ZPO herbeizuführen, müssen sie von einem Rechtsanwalt stammen, auf Schreiben der Partei selbst darf nicht Bezug genommen werden. Wendet man diese Maßstäbe auf die hier vorliegende Klageschrift an, so ergibt sich, dass sie den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO nicht entspricht. Die Klageschrift enthält keinerlei Ausführungen, woraus sich ein Anspruch auf Zahlung von 33.280,27 € ergeben soll. Die Bezugnahme in der Klageschrift enthält keine Bezugnahme auf konkrete Urkunden, sondern nur einen allgemeinen Bezug auf eine Akte. Dies ist nicht ausreichend, zumal die Akte – oder wenigstens Auszüge daraus – auch nicht beigefügt waren. Damit war die Frist versäumt. Die Nachholung der Angaben entfaltet keine Rückwirkung.

Oftmals gilt der Satz: „Hier wäre weniger mehr gewesen.“ Im hiesigen Fall verhält es sich anders: Hier wäre „mehr“ unbedingt erforderlich gewesen. Im Zeitalter des „Bearbeiten-Kopieren-Einfügens“ dürfte es eigentlich keine Probleme bereiten, eine den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechende Klageschrift vorzulegen, mitunter kann auch ein Scanner helfen. In einer Klageschrift, die zur Fristwahrung erforderlich ist, ist grundsätzlich Vorsicht bei Bezugnahmen angebracht, da eine Heilung wegen der zu wahrenden Frist nicht möglich ist.

 

 

 

BGH: Verzugsschaden in Gestalt von Anwaltskosten

Der Beklagte hatte ein Darlehen in Höhe von 50.000 € bis spätestens zum 31.12.2012 zurückzuzahlen. Er hatte mehrfach angekündigt, diese Frist einzuhalten. Am 31.12.2012 erteilte er seiner Bank den Zahlungsauftrag. Die Darlehenssumme wurde erst am 4.1.2013 auf dem Konto des Klägers gut geschrieben. Der Kläger hatte am 2.1.2013 einen Rechtsanwalt beauftragt. Die insoweit entstandenen Kosten verlangt er vom Beklagten. Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG ihr stattgegeben. Die zugelassene Revision führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils!

Der BGH (Urt. v. 25.11.2015 – IV ZR 169/14) entscheidet diverse interessante Streitfragen nicht, u. a. die Frage, wann ein Schuldner einer Geldforderung tatsächlich geleistet hat, vor allem wenn es sich – wie hier – um Zahlungen außerhalb des Anwendungsbereichs der ersten Zahlungsverzugsrichtlinie handelt. Der BGH greift völlig zu Recht nur auf die in der Praxis noch wenig bekannten Vorschriften der §§ 675f Abs. 2 S. 1, 675n Abs. 1, S. 2, S. 4 zurück. Da der 31.12.2012 ein Bankfeiertag war, war der Zahlungsauftrag ohnehin erst am 2.1.2013, dem nächsten Arbeitstag, eingegangen und damit die nicht rechtzeitige Zahlung offensichtlich.

Der BGH hatte – im Hinblick auf durch Verzug entstehende Anwaltskosten – erst kürzlich entschieden, dass ein Gläubiger, dessen Schuldner sich in Verzug befindet, grundsätzlich auf Kosten des Schuldners einen Rechtsanwalt beauftragen darf, wobei das Mandat sich nicht auf die Abfassung eines einfachen Schreibens beschränken muss (Urt. v. 17.9.2015 – IX ZR 280/14 Rn. 8 ff; MDR 2015, 1408; siehe auch zur Ersatzpflicht für außergerichtliche Rechtsanwalts- und Inkassokosten, Woitkewitsch, MDR 2012, 500). Diesen Standpunkt bekräftigt der BGH erneut, sieht aber im konkreten Fall besondere Umstände, die eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Nur diejenigen Rechtsverfolgungskosten sind zu ersetzen, „die aus der ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person in der Situation des Geschädigten nach den Umständen des Falles zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen sind“. Eine solche Person hätte die Möglichkeit berücksichtigt, dass der Beklagte die Zahlung jedenfalls bereits veranlasst hat. Der 29.12.2012 war ein Samstag, der 30.12.2012 demnach ein Sonntag und der 31.12.2012 – ein Bankfeiertag – ein Montag. Der sich anschließende Dienstag war als 1.1.2013 ohnehin ein Feiertag. Angesichts der Höhe des Überweisungsbetrages war auch damit zu rechnen, dass eine „manuelle“ Prüfung der Überweisung erfolgen könnte, was erfahrungsgemäß zu zusätzlichen Verzögerungen führt. Letztlich hätte der Kläger damit rechnen müssen, dass aufgrund dieser Umstände selbst ein am 28.12.2012 erteilter Überweisungsauftrag nicht mehr hätte rechtzeitig ausgeführt werden können. Unter diesen konkreten Umständen hätte der Kläger daher noch abwarten müssen, bis er den Anwalt beauftragte, zumal der Beklagte dazu verpflichtet ist, einen eventuellen Zinsschaden zu ersetzen.

Man sieht: Der BGH verschafft einmal mehr der – zweifelhaften – Einzelfallgerechtigkeit Geltung und ist ohne weiteres dazu bereit, dafür zuvor aufgestellte Grundsätze wieder über Bord zu werfen. Es ist kein Wunder, dass die Rechtsanwendung immer komplizierter wird, wenn die Grundsätze in jedem zweiten Fall durch Besonderheiten eines Einzelfalls durchlöchert werden wie ein Schweizer Käse. War es hier nicht die Pflicht des Beklagten, für einen pünktlichen Zahlungseingang zu sorgen?!

Gleichwohl sollte man in der Praxis aus dieser Entscheidung und aus der unsicheren Rechtslage im Hinblick auf die Zahlungsverkehrsrichtlinie vorsichtshalber folgende Konsequenz ziehen: Nach Verzugseintritt lieber noch drei Tage warten, bevor man „loslegt“. Damit kann man eine Menge Schwierigkeiten vermeiden.

 

 

Berufung: Fristbeginn für Urteile nach Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO

Die Vorschrift des § 317 ZPO (Amtliche Überschrift: Urteilszustellung und –ausfertigung) wurde durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786 ff.) geändert. Nach § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO sind seitdem die Urteile den Parteien von Amts wegen nicht mehr in Ausfertigung, sondern nur noch in Abschrift zuzustellen. Die früher erforderliche Zustellung einer Ausfertigung erfolgt gemäß § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO nur noch auf Antrag. Gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 ZPO wird das zuzustellende Schriftstücke von der Geschäftsstelle (nur) beglaubigt (nicht mehr ausgefertigt!). Die in der Praxis Tätigen werden diesen Unterschied voraussichtlich schon bemerkt haben!

Vor der Änderung des § 317 ZPO setzte der Beginn der Berufungsfrist die Zustellung einer Ausfertigung voraus. Gemäß § 517 beginnt die Berufungsfrist von einem Monat mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, für den Fristbeginn sei gleichwohl die Zustellung einer Ausfertigung erforderlich (z. B. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl. (2015), § 517 Rn. 2). Nach der für die Praxis maßgeblichen Auffassung des BGH ist dies aber nicht der Fall (BGH, Urt. v. 27.1.2016 – XII ZB 684/14)! Die Berufungsfrist – und damit auch die Berufungsbegründungsfrist – werden nach der oben erwähnten Gesetzesänderung vielmehr bereits durch die Zustellung schon einer Abschrift des Urteils in Lauf gesetzt. Es liegt auf der Hand, dass schon die gesetzliche vorgesehene routinemäßige Zustellung der Geschäftsstelle die Berufungsfrist in Lauf setzen muss. Anderenfalls hätte es jede Partei in der Hand, durch den Verzicht auf den Antrag, ihr eine Ausfertigung zuzustellen, die Berufungsfrist beliebig bis zum Ablauf der absoluten Berufungsfrist von dann sechs Monaten zu erstrecken. Dies kann nicht der Sinn der Gesetzesänderung gewesen sein.

Der Leitsatz der Entscheidung, die sich im Übrigen mit verschiedenen weiteren komplexeren Fragen der Wiedereinsetzung befasst, worauf hier in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann, lautet wie folgt:

Für Urteile, die nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO zum 1.7.2014 zugestellt worden sind, setzt der Beginn der Fristen zur Berufungseinlegung und -begründung nicht mehr die Zustellung einer Urteilsausfertigung voraus. Entsprechend der nunmehr in § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltenen Regel genügt die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des in vollständiger Form abgefassten Urteils (Abgrenzung zu Senatsbeschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246 = MDR 2010, 946).

Dieser Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen!

 

BGH: Konkludenter Verzicht auf einen Beweisantritt

In einer kürzeren Entscheidung (Beschl. v. 4.2.2015 – IX ZR 133/15) hat der BGH folgendes ausgeführt: „Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht darin erblickt werden, dass das Berufungsgericht den von dem Kläger zum Nachweis der geltend gemachten Mängel benannten Zeugen F. M. nicht gehört hat. Der Kläger hat auf die Vernehmung des Zeugen konkludent verzichtet. Ein Verzicht auf einen Zeugen kann darin gesehen werden, dass die Partei, welche noch nicht vernommene Zeugen benannt hat, nach durchgeführter Beweisaufnahme ihren Beweisantrag nicht wiederholt. Die Schlussfolgerung eines Verzichts ist jedenfalls dann berechtigt, wenn die Partei aus dem Prozessverlauf erkennen konnte, dass das Gericht – wie hier das Berufungsgericht nach der Vernehmung der Zeugin H. und dem anschließenden Hinweis auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Berufung – mit der bisher durchgeführten Beweisaufnahme seine Aufklärungstätigkeit als erschöpft angesehen hat…“

Es wird häufiger versucht, Revisionsgründe zu schaffen, indem der gesamte Verfahrensstoff mehrerer Instanzen auf eine Passage in irgendeinem Schriftsatz durchsucht wird, worin relevantes Vorbringen enthalten war, was mit einem Zeugenbeweisantritt untermauert worden ist, dem jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nicht nachgegangen wurde. Das vom IX. Zivilsenat aufgezeigte Argumentationsmuster ermöglicht, in ausgewählten Fällen, derartige Versuche nicht zum Erfolg werden zu lassen. Für einen Antrag auf Parteivernehmung gilt dasselbe (vgl. BGH, Urt. v. 20.6.1996 – III ZR 219/95 aE). Es liegt aber auf der Hand, dass an den konkludenten Verzicht auf einen Zeugen strenge Anforderungen zu stellen sind, keinesfalls darf der Ausnahmefall zum Normalfall werden. Die Partei muss aus der Verfahrensweise des Gerichts bzw. dem Prozessverlauf erkennen können, dass das Gericht mit den bisher durchgeführten Maßnahmen seine Aufklärungspflicht als erschöpft angesehen hat.

Aus den vorliegenden Entscheidungen des BGH ergibt sich, dass ein solcher Fall etwa vorliegt, wenn das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, anschließend einen Termin bestimmt und zu erkennen gibt, dass es weitere Sachaufklärungen nicht mehr durchführen möchte, sondern vielmehr der Rechtsstreit nunmehr entschieden werden soll.

All dies – wie wohl praktisch durchaus sehr wichtig – ist dem BGH eine Aufnahme in den Leitsatz der Entscheidung allerdings nicht wert gewesen! Der Leitsatz befasst sich vielmehr nur mit einer bürgerlich-rechtlichen Fragestellung: Bei der Bewertung, ob eine Pflichtverletzung erheblich oder unerheblich ist, sind vor Abgabe der Rücktrittserklärung behobene Mängel im Allgemeinen außer Betracht zu lassen.

 

Ausschluss der Wiedereinsetzung: Nach Ablauf der Jahresfrist ist wirklich Schluss!

Nicht nur im Verfahrensrecht weitet sich die Aufweichung allgemeiner Grundsätze durch immer neue Ausnahmen und immer weiter gehende Billigkeitsrechtsprechung, teilweise aufgrund angeblicher verfassungsrechtlicher Notwendigkeiten, immer mehr aus. Umso erwähnenswerter ist eine neuere Entscheidung des BGH (Beschl. v. 21.1.2016 – IX ZA 24/15, MDR 2016, 343), die man wirklich mit dem Satz kommentieren könnte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Es ging um eine Fristwahrung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Schuldner hätte angemeldeten Forderungen aus dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung rechtzeitig widersprechen müssen, hatte dies aber unterlassen. Als eigene Anschrift hatte der Schuldner im Verfahren diejenige seiner – inzwischen verstorbenen – Mutter mitgeteilt. Diese hatte wichtige Schriftstücke an ihn nicht weiter geleitet, weil das Verhältnis zu ihr zerrüttet gewesen sei. Der Antrag des Schuldners auf Wiedereinsetzung wurde außerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO gestellt.

Der BGH bestätigt die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung durch die Vorinstanzen. Natürlich betont der BGH zunächst, dass die absolute Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nach einer Entscheidung des BVerfG mit dem GG vereinbar ist. Diese Frist stellt allerdings nicht auf irgendein Verschulden des Betroffenen ab. Demgemäß sind – natürlich aus verfassungsrechtlichen Gründen – Ausnahmen zu dieser Frist anerkannt, wenn nur so die verfassungsmäßigen Rechte des Betroffenen gewahrt werden können. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn die Jahresfrist aus Gründen nicht gewahrt wurde, die in der Sphäre des Gerichts liegen. Dies gilt z.B. dann, wenn das Gericht über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entscheidet und dabei die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO abläuft oder auch wenn das Gericht das Vertrauen erweckt hat, der eingelegte Rechtsbehelf sei ohnehin zulässig (vgl. a. BVerfG, Beschl. v. 15.4.2004 – 1 BvR 622/98). Dies liegt auf der Hand und ist überzeugend. Der BGH erwägt noch, ob dies auch gilt, wenn der Gegner die Versäumung der Frist arglistig herbeigeführt hat, lässt dies aber offen, da es im zu beurteilenden Fall nicht relevant war.

Hier lag der Grund für das Fristversäumnis jedoch alleine in der Sphäre des Schuldners, der diese Anschrift angegeben hatte. Damit bleibt es bei der Anwendbarkeit der Jahresfrist und der Schuldner schaut tatsächlich „in die Röhre“. Wer Angst hat, ein Mitbewohner würde ihm gegenüber Zustellungen unterschlagen, muss besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, etwa sich regelmäßig bei Gericht erkundigen oder – soweit möglich – einen zuverlässigen Bevollmächtigten, etwa einen Rechtsanwalt, bestellen. Man glaubt manchmal kaum, welche juristischen Gefahren im normalen Alltag entstehen können!

 

 

Abschleppen vom Privatparkplatz und neue Geschäftsmodelle der Parkplatzbewirtschaftung

Nachdem die zahlreichen Streitigkeiten über das Zuparken von Einfahrten, falsche Belegung von angebotenen Parkplätzen usw. früher die OLG und den BGH nicht erreichen konnten, kommt es in den letzten Jahren durch Zulassungsberufungen und ebensolche Revisionen doch vereinzelt zu Entscheidungen des BGH. Regelmäßig wird sich der Fahrer des störenden Fahrzeugs nicht ermitteln lassen, schon gar nicht mit einem vertretbaren Aufwand. Deswegen war es sachgerecht, dass der BGH schon im Jahre 2012 (Urt. v. 21.9.2012 – V ZR 230/11, MDR 2012, 1407) die Möglichkeit eröffnet hat, den Halter als zivilrechtlichen Störer in Anspruch zu nehmen. Das unbefugte Abstellen eines PKW auf einem Grundstück stellt verbotene Eigenmacht dar (§ 861 BGB). Selbst das einmalige Abstellen eines PKW begründet letztlich bereits eine Wiederholungsgefahr, dies hat der BGH mit der neuen, hier anzuzeigenden Entscheidung (Urt. v. 18.12.2015 – V ZR 160/14, MDR 2016, 267) wiederum bestätigt. Ausgeräumt werden kann die Wiederholungsgefahr nicht durch eine „normale“, sondern nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Bereits entschieden hatte der BGH auch, dass die Anwaltskosten für die Aufforderung zur Abgabe der Unterlassungserklärung regelmäßig zu erstatten sind (§§ 683, 677, 670 BGB).

In der Entscheidung aus dem Jahre 2012 hatte der BGH allerdings noch einen Anspruch aus denselben Vorschriften auf Erstattung der Kosten für die Halteranfrage (im konkreten Fall 5,94 Euro) bejaht. Von dieser Entscheidung distanziert sich derselbe (V.) Senat nunmehr. Eine Anspruchsgrundlage für die Kosten der Halteranfrage sei nicht ersichtlich. Es entspräche nicht dem mutmaßlichen Willen des „Halters, als Adressat einer Unterlassungsaufforderung ermittelt zu werden“. Wenn es sich um einen privaten Parkplatz handelt, sei § 679 BGB nicht einschlägig.

Hinzuweisen ist natürlich darauf, dass es vorliegend nur um Ansprüche gegen den Halter geht. Ist der Fahrer ermittelt oder steht fest, dass der Halter auch gefahren ist, kommen natürlich weitergehende Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB oder natürlich auch den §§ 281, 280 BGB in Betracht.

Die neue Entscheidung betraf übrigens einen Fall zur „neueren Parkplatzbewirtschaftung“: Man muss bei Einfahrt in den (privaten) Parkplatz einen Parkschein lösen und denselben in das Fahrzeug legen. Überschreitet man die Parkzeit um mehr als 15 Minuten oder legt keinen Parkschein aus, verpflichtet sich man zur Zahlung von 20 € erhöhtem Nutzungsentgelt. Regelmäßig erhält der Halter dann eine Zahlungsaufforderung mit der Anregung, ggfls. den Fahrer namhaft zu machen. Erfolgt weder eine Zahlung noch eine Namhaftmachung kommt vom Parkplatzbetreiber regelmäßig die Aufforderung an den Halter, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bezüglich der Benutzung abzugeben. Offenbar greift eine solche Art der Parkplatzbewirtschaftung um sich. Der BGH hat mit seiner Entscheidung dieses Geschäftsmodell letztlich genehmigt. Dem ist auch zuzustimmen. Die Inanspruchnahme jeglicher Leistung kostet auf dem Markt Geld. Warum sollte das Parken auf privaten Flächen umsonst sein? Ob der Parkplatzbetreiber mit einer solchen Taktik Kunden anlockt oder vertreibt, muss er als Unternehmer letztlich selbst entscheiden.