KG: Befangenheit wegen Nichtbescheidung eines Antrages auf Schriftsatznachlass?

Im Rahmen einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag hat das KG (Beschl. v. 17.4.2023 – 10 W 52/23) an einen wichtigen Verfahrensgrundsatz im Rahmen von Anträgen auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses erinnert.

Vor dem LG hatte die Beklagte einen Schriftsatznachlass beantragt. Der Einzelrichter hatte diesen Antrag nicht beschieden, sondern einen Verkündungstermin anberaumt. Nach Erhalt des Terminprotokolls stellte die Beklagte einen Befangenheitsantrag, weil der Richter den Antrag begründungslos abgelehnt habe. Im Laufe des Befangenheitsverfahrens erklärte der Richter auf Anfrage des KG noch, er habe den Verkündungstermin zur Bescheidung des Antrages auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses bestimmt, habe aber bisher wegen des zwischendurch gestellten Befangenheitsantrags diesen Antrag nicht bescheiden können.

Das KG weist zunächst darauf hin, dass sich bereits aus dem Wortlaut des § 283 S. 1 ZPO ergibt, dass der Antrag auf Schriftsatznachlass bereits im Termin und nicht erst im Verkündungstermin beschieden werden muss. Dies dürfte auch der h. M. entsprechen. Allerdings ist die Sichtweise der Literatur nicht ganz einheitlich, Entscheidungen zu dieser Frage sind – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.

Das KG weist den Befangenheitsantrag deswegen zurück, weil nicht jede Verletzung von Verfahrensrechten gleich eine Befangenheit begründet. Da der Richter den Antrag noch grundsätzlich bescheiden wollte, bestand keine Absicht, die Rechte der Beklagten unfair zu verkürzen. Der abgelehnte Richter unterlag hier schlichtweg einem Rechtsirrtum, der in der konkreten Prozesssituation noch vertretbar war.

In dem Umstand, dass sich der Richter in der dienstlichen Äußerung zunächst nur auf die Akte bezogen hat, liegt auch kein Befangenheitsgrund. Zwar kann eine dienstliche Äußerung auch erstmals einen durchgreifenden Befangenheitsgrund schaffen, wenn daraus auf eine unsachliche Einstellung geschlossen werden kann. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, da sich der Verlauf der Sache tatsächlich direkt aus der Akte ergab.

Fazit: Der Rechtsanwalt sollte daher darauf hinweisen und darauf achten, dass ein Antrag auf Schriftsatznachlass im Termin beschieden wird, zur Not nach einer kurzen Beratungs- bzw. – beim Einzelrichter – Überlegungspause.

BGH: Anspruch der Partei auf mündliche Befragung des Sachverständigen

Im Rahmen eines umfangreichen WEG-Prozesses, auf dessen Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann, hatte das Berufungsgericht ein Gutachten eines Sachverständigen aus einem Vorprozess verwertet. Allerdings hatte der Kläger zuvor beantragt, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören. Dem war das Berufungsgericht jedoch nicht nachgekommen.

Der BGH (Urt. v. 10.2.2023 – V ZR 246/21) sieht darin einen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung nötigt. Grundsätzlich darf eine Partei einem Sachverständigen nach den §§ 397, 402 ZPO Fragen zur mündlichen Beantwortung vorlegen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das Gericht keinen Erläuterungsbedarf mehr sieht. Anderenfalls liegt eine unzulässig vorweggenommene Beweiswürdigung vor.

In diesem Zusammenhang sieht der BGH noch einen weiteren Fehler des Berufungsgerichts: Es war einem Sachverständigengutachten nicht gefolgt, weil dieses einer im Internet veröffentlichten Studie widersprach. Allerdings hatte das Berufungsgericht insoweit weder den Sachverständigen dazu befragt noch war es nach § 412 ZPO vorgegangen. Damit hatte es gegen § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßen, da es nicht dargelegt hatte, aus welchem Grund es über die erforderliche Sachkunde, derartige Feststellungen gegen die Auffassung eines Sachverständigen zu treffen, verfügt.

Fazit: Die Gerichte müssen daher darauf achten, nicht gegen die Feststellungen eines Sachverständigen zu entscheiden, ohne diesen zuvor mit den entsprechenden Argumenten konfrontiert zu haben. Außerdem darf den Parteien nicht das Recht genommen werden, einem Sachverständigen in einem Termin Fragen zu stellen. Einfacher wird das Prozessieren durch diese Grundsätze allerdings nicht, vielmehr umständlicher und langwieriger. Aus der Sichtweise der Tatsacheninstanzen könnte man hinzufügen: Vor lauter Gewährung rechtlichen Gehörs kommt man gar nicht mehr dazu, die Rechtsstreitigkeiten auch einmal tatsächlich zu entscheiden.

BGH zur Gerichtsstandsbestimmung nach Klagerücknahme

Das LG B. hatte eine isolierte Drittwiderklage abgetrennt (§ 145 Abs. 2 ZPO) und diese sodann an das LG P. verwiesen. Das LG P. hielt dies für grob falsch und gab die Akte an das LG B. zurück. Dieses legte daraufhin gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Sache dem OLG Karlsruhe vor. Zwischenzeitlich wurde die zur Klage gewordene isolierte Drittwiderklage zurückgenommen. Das OLG Karlsruhe wollte daher die Zuständigkeitsbestimmung ablehnen, sah sich daran jedoch durch eine Entscheidung des OLG Brandenburg v. 9.8.2000 – 1 AR 46/00 gehindert, wonach eine Klagerücknahme einer Zuständigkeitsbestimmung nicht entgegenstehe, wenn es noch eines Beschlusses nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bedürfe. Demgemäß legt das OLG Karlsruhe die Sache dem BGH zur Entscheidung gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vor.

Der BGH, Beschl. v. 14.3.2023 – X ARZ 587/22 stimmt in seiner Entscheidung dem vorlegenden OLG Karlsruhe zu. Eine Gerichtsstandsbestimmung kommt nur in Betracht, so lange durch das in der Hauptsache zuständige Gericht tatsächlich Entscheidungen zu treffen sind. Eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO richtet sich jedoch nur nach formalen Kriterien. Für den Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung nach § 91a ZPO wurde bereits entschieden, dass diese durch das Gericht zu treffen ist, bei dem das Verfahren anhängig ist. Für die Kostenentscheidung nach Klagerücknahme kann nichts anderes gelten. Dies gilt auch für den Fall des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Dass nach der Rücknahme des Mahnantrages das Streitgericht für eine derartige Entscheidung zuständig ist, ändert daran nichts. Ein Mahngericht ist für derartige Entscheidungen nicht geeignet.

Zwar kommt eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Betracht, wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, es werde die Sache nicht bearbeiten. Diesbezüglich bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das LG B. die Sache nach den klarstellenden Ausführungen des BGH bearbeiten wird.

Für die Praxis kann daher festgehalten werden: Im Falle einer Klagerücknahme oder einer übereinstimmenden Erledigungserklärung ist das Gericht für die Kostenentscheidung zuständig, bei dem die Sache anhängig ist. Eine Verweisung ist in einer solche Situation genauso wenig zulässig wie eine Gerichtsstandsbestimmung.

OLG Düsseldorf zum notwendigen Hinweis auf Prozesskostenhilfe

Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 28.2.2023 – 24 U 335/20) hat einmal mehr betont, dass ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet ist, den Mandanten auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe zu verweisen, wenn er über die entsprechenden finanziellen Verhältnisse des Mandanten in Kenntnis gesetzt wird.

Im konkreten Fall vor einem LAG war dem Rechtsanwalt bekannt geworden, dass der Mandantin die finanziellen Mittel ausgegangen waren und sie demgemäß für das Verfahren vor dem LAG sogar Anspruch auf ratenfreie Prozesskostenhilfe gehabt hätte. Gleichwohl wurde das Mandat auf der Grundlage einer Stundenlohnvereinbarung durchgeführt. Die anschließende Honorarklage in nicht unerheblicher Höhe war im Wesentlichen erfolglos.

Der Rechtsanwalt schuldet dem Mandanten aus dem Mandatsvertrag eine umfassende Aufklärung über den gesamten Fall und muss alle Nachteile für den Mandanten verhindern. Das gilt auch im Hinblick auf die entstehenden Kosten. Dabei muss der Rechtsanwalt zur Not auch seine eigenen Vergütungsinteressen hinten anstellen. Erkennt er, dass der Mandant Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, muss er den Mandanten darauf hinweisen. Unterlässt er dies, begründet dies einen Schadensersatzanspruch des Mandanten.

Zwar gibt es im Dienstvertragsrecht keine Kürzung der Vergütung oder Minderung wegen einer schlechten Dienstleistung. Demgemäß hat der Rechtsanwalt grundsätzlich Anspruch auf sein Honorar. Der Mandant kann jedoch dem Rechtsanwalt die Belastung mit dieser Verbindlichkeit im Wegen der Einrede nach § 242 BGB entgegenhalten. Wie man dies im Einzelnen dogmatisch begründet, kann offenbleiben, denn jedenfalls führt dieser Gesichtspunkt dazu, dass der Mandant das Honorar nicht bezahlen muss. Bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätte der Rechtsanwalt gegen den Mandanten nämlich gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keinen durchgreifenden Honoraranspruch gegen den Mandanten gehabt.

Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die vorstehenden Grundsätze auch für die Beratungshilfe gelten (OLG Hamm, Urt. v. 30.4.2015 – 28 U 88/14).

BGH zur Befangenheit bei Ehegatten als Richter

Der BGH (Beschl. v. 26.7.2022 – I ZR 142/22) hat sich mit der Besorgnis der Befangenheit eines Richter befasst, ist begründet, wenn die Ehe­frau des abgelehnten Richters an der Entscheidung der Vorinstanz als Berufungsrichterin mitgewirkt hat.

Das LG hatte der Klage der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Provisionen stattgegeben. Das OLG wies alsdann die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurück. Im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde erreichte der Rechtsstreit anschließend den BGH. Ein Richter am BGH zeigte an, dass seine Ehefrau an der Entscheidung des OLG mitgewirkt hatte. Die Klägerin lehnte den Richter am BGH daraufhin wegen Befangenheit ab. Der BGH gibt dem Antrag statt!

Klar ist, dass eine tatsächliche Befangenheit des Richters nicht erforderlich ist, vielmehr ist der „böse Schein“ ausreichend. Dafür kommen nur objektive Gründe aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in Betracht. Derartige Gründe können sich auch aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen Richtern, die an derselben Sache beteiligt sind bzw. waren, ergeben.

Grundsätzlich hat der BGH allerdings bereits entschieden, dass die Mitwirkung eines Ehegatten an einer angefochtenen vorinstanzlichen Entscheidung eines Kollegialgerichts keinen durchgreifenden Befangenheitsgrund gegen einen „übergeordneten“ Richter begründen kann. Es bleibt unbekannt, ob und wie der Ehepartner entschieden hat, möglicherweise ist er überstimmt worden. Anders verhält es sich, wenn der Ehegatte als Einzelrichter entschieden hat. Hier ist klar, was der Ehegatte gemeint hat. Da vorliegend die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen wurde, lag gleichfalls – wie bei der Einzelrichterentscheidung – offen zu Tage, was der Ehegatte gemeint hat. Damit liegt hier ein Fall vor, der der Einzelrichterentscheidung vergleichbar. Folglich hat der Befangenheitsantrag Erfolg.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin, die den Antrag gestellt hat, in der Vorinstanz obsiegt hatte. Denn auch wenn es vielleicht näherliegt, dass der abgelehnte Richter seiner Ehefrau zustimmt, so bleibt doch auch die Möglichkeit, dass er sich besonders kritisch zu dem ergangenen Urteil positioniert, um seine Unvoreingenommenheit zu zeigen.

Im hier zu beurteilenden Fall musste der Richter am BGH daher aus dem Verfahren ausscheiden.

KG: Konkurrierende Sonderzuständigkeiten nach dem GVG

Das KG hatte über die Zuständigkeit einer „Baukammer“ bzw. „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 7 GVG) zu entscheiden und zur Auflösung des Konflikts auf den Schwerpunkt des Rechtsstreit abgestellt (Beschl. v. 16.1.2023 – 2 AR 2/23).

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger schlossen mit einer GmbKG, H & Co. KG einen Grundstückskaufvertrag mit Bauverpflichtung. Aufgrund des Vertrages wurden zu Gunsten der Kläger Auflassungsvormerkungen eingetragen. Die GmbH & Co. KG wurde insolvent. Die Kläger verlangten im hiesigen Verfahren vom Insolvenzverwalter mit der Klage die Erklärung der Auflassungen sowie Bewilligung der Eintragungen der Kläger als Eigentümer. Die Sache wurde bei der „Baukammer“ des LG eingetragen (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG). Der Insolvenzverwalter erhob eine Widerklage, womit er die Kläger zur Löschung der Vormerkungen verurteilen lassen wollte. Dies stützte er auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung.

Die Frage ist nunmehr, ob die „Baukammer“ oder die „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG) zuständig ist. Das KG ermittelte – sachgerecht – dazu folgendes: Für die Entscheidung derartiger Streitigkeiten ist in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO das übergeordnete Gericht zuständig. Auf Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des LG kann es hier nicht ankommen. Die Auslegung der §§ 72a, 119a GVG kann nicht durch das jeweilige Gerichtspräsidium erfolgen. Der Gesichtspunkt der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) kann gleichfalls keine Rolle spielen, weil sich durch die Widerklage der Streitgegenstand geändert hat (bzw. ergänzt wurde). Bei möglichen Missbrauchsfällen ist im Übrigen eine Abtrennung der Widerklage möglich (§ 145 ZPO). Da das Gesetz für derartige Fälle keine direkte Lösung vorsieht, bleibt damit nur noch, auf den Schwerpunkt des Rechtsstreites abzustellen.

Im hiesigen Fall kam das KG zu dem Schluss, dass bauvertragliche Gesichtspunkte im Laufe des Rechtsstreites aller Voraussicht nach keine besondere Rolle mehr spielen werden. Vielmehr wird es maßgeblich um insolvenzrechtliche Fragestellungen gehen. Letztlich ist damit die „Insolvenzkammer“ für dieses Verfahren zuständig.

Fazit: Dem KG ist es damit gelungen, ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium zu finden. Man sieht hier wieder einmal, dass gut gemeinte Neuregelungen immer wieder zu neuen Schwierigkeiten und Abgrenzungsproblemen führen.

 

BGH zu den Anforderungen an anwaltliche Unterschriften

Der BGH hat zwei neuere Entscheidungen zur Frage der Unterschrift von Rechtsanwälten getroffen (Urt. v. 20.12.2022 – VI ZR 279/21 und Beschl. v. 6.12.2022 – VIII ZA 12/22, MDR 2023, 183):

Im ersten Fall wurde auf dem Briefkopf der M. Rechtsanwaltskanzlei (bestehend aus M. und J.) Berufung eingelegt, und zwar durch Rechtsanwalt B., der auch den Schriftsatz unterzeichnet hatte. Unter der Unterschrift war vermerkt „B. Rechtsanwalt“. Das LG hatte die Berufung verworfen. Der BGH akzeptiert dies nicht.

Grundsätzlich spricht die Vermutung dafür, dass Rechtsanwalt B mit seiner Unterzeichnung die vollständige Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat. Erschüttert wäre diese Vermutung z. B. dann, wenn er mit „i. A.“ unterzeichnet hätte. Da die Berufung mit dem Briefkopf der M. Rechtanwaltskanzlei eingelegt wurde, spricht hier alles dafür, dass B. in Vertretung dieser Rechtsanwälte tätig werden wollte. Diese Sichtweise entspricht auch dem Grundsatz, dass im Zweifel gewollt ist, was vernünftig ist und was der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Ein besonderer Vertretungszusatz ist nicht erforderlich.

Mithin ist davon auszugehen, dass B. in Vertretung für die Kanzlei M. und J. Berufung eingelegt hat. Der BGH hebt daher den Verwerfungsbeschluss auf und weist darauf hin, dass das Berufungsgericht noch zu prüfen haben wird, ob B. tatsächlich Vertretungsmacht gehabt hat. Diese Prüfung wird zweifelsohne positiv ausgehen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass B. für M. und J. tätig geworden ist, ohne dass diese ihn damit beauftragt und damit jedenfalls gleichzeitig konkludent bevollmächtigt haben sollten.

Im zweiten Fall hatte ein Rechtsanwalt eine Berufungsbegründung für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, und zwar mit dem Zusatz „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter“.  Auch hier hatte das Berufungsgericht die Berufung verworfen.

Diese Entscheidung billigt der BGH. Durch den Zusatz hat der Rechtsanwalt zum Ausdruck gebracht, dass er – wiewohl er den Schriftsatz unterzeichnet hat – denselben nicht verantworten möchte. Gleichzeitig wurde der Schriftsatz aber durch den Rechtsanwalt, der ihn verantwortet hat, gar nicht unterzeichnet. Es ist aber notwendig, dass derjenige, der den Schriftsatz unterzeichnet, ihn auch vollständig verantwortet. Eine tatsächliche Prüfung des Schriftsatzes ist dafür nicht erforderlich, die Unterschrift alleine reicht aus. Der Anwalt darf also „auf volles Risiko gehen“! Der hier angebrachte Zusatz stellt die Einhaltung dieses Erfordernisses jedoch in Frage. Damit ist die Berufung zu Recht verworfen worden, weil es an dem Erfordernis der Unterschrift fehlt.

Fazit: Man kann nicht oft genug betonen, dass bei Zusätzen zu Unterschriften große Vorsicht geboten ist.

 

 

 

 

 

 

BGH: Separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 17.11.2022 – V ZB 38/22) hat entschieden, dass eine separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich ist. Jedoch muss diese Entscheidung gesondert mit der Rechtsbeschwerde gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO angefochten werden, um sie nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Folgender Fall lag der Entscheidung zugrunde: Der Kläger hatte den Prozess in erster Instanz verloren. Er beantragte sodann Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Der Antrag wurde zurückgewiesen, weil er seine Bedürftigkeit nicht ordnungsgemäß dargelegt hatte. Danach legte er die Berufung auf eigenes Kostenrisiko ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Gut fünf Wochen später verwarf das OLG dann die Berufung. Der Kläger beantragte nunmehr Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss.

Diesen Antrag weist der BGH zu Recht zurück. Grundsätzlich ist das Verfahren über die Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachzuholende Prozesshandlung zu verbinden (§ 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, separat darüber zu entscheiden (§ 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dann aber ist diese Entscheidung auch gesondert anzufechten (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 2 ZPO). Erfolgt keine Anfechtung, wird der Beschluss für das weitere Verfahren bindend und kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden, jedenfalls was den beschiedenen Sachverhalt betrifft.

Genauso liegen die Dinge hier. Zwar hatte sich das OLG bei dem Verwerfungsbeschluss erneut mit der Frage der Wiedereinsetzung auseinandergesetzt. Dies war jedoch genauso unnötig wie unschädlich. Die Wiedereinsetzung, vor allem im Rahmen von Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz, ist ein sehr schwieriges Feld. Hier kann sehr viel falsch gemacht werden. Der Rechtsanwalt muss sehr vorsichtig sein und jede Entscheidung eines Gerichts stets genau auf ihre Richtigkeit und eventuelle Anfechtbarkeit prüfen.

BGH: Unpfändbarkeit des Pflegegeldes

In einem Verfahren vor dem BGH (Beschl. v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22, MDR 2023, 187) ging es um die Einkommensberechnung einer Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Sohn der Schuldnerin ist pflegebedürftig. Die Schuldnerin selbst übernimmt die Pflege. Das Pflegegeld, das dem Sohn zusteht, wird von diesem an die Schuldnerin weitergeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Geld bei der Schuldnerin als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehört sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht gepfändet werden darf, nicht zur Insolvenzmasse. Damit wird über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch § 850e ZPO anwendbar, insbesondere die Nrn. 2. und 2a (Arbeitseinkommen wird mit Sozialleistungen zusammengerechnet soweit diese der Pfändbarkeit unterworfen sind).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Unpfändbarkeit von Geldleistungen, die Körperschaden ausgleichen) nicht einschlägig ist, denn die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig (vgl. auch § 14 SGB XI). Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung an den Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld bleibt bei Unterhaltsansprüchen und -verpflichtungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt. Daraus folgt, dass es im Übrigen an sich den allgemeinen Vorschriften der ZPO unterfällt.

Allerdings bejaht der BGH sodann die Voraussetzungen des § 851 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 399 BGB. Das Pflegegeld unterfällt § 399 Abs. 1 BGB. Die Leistung kann nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen, da hier die Leistung mit der Person so verknüpft ist, dass sie, würde sie ein anderer erbringen, als eine andere Leistung erscheinen wird. Eine andere Sicht der Dinge würde zudem auch den Zielen der Pflege, eine Betreuung in der häuslichen Atmosphäre zu ermöglichen, entgegenlaufen. Hinzu kommt, dass der Pflegebedürftige in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei ist.

Die zuvor streitige Frage ist daher nunmehr für die Praxis abschließend geklärt. Pflegegeld, das von dem Pflegebedürftigen an einen Pflegenden weitergeleitet wird, die die Pflege erbringt, ist bei diesem Pflegenden unpfändbar. Es ist bei der Einkommensberechnung daher nicht mit anderem Einkommen des Pflegenden zusammenzurechnen.

BGH: Erneute Anhörung eines Sachverständigen

Im Rahmen eines komplexen Schadensersatzprozesses war das OLG von einer sachverständigen Einschätzung des LG bezüglich der angemessenen Höhe eines Geschäftsführergehaltes abgewichen. Dies wurde damit begründet, dass ohnehin eine Schätzung nach § 287 ZPO geboten sei und die Mitglieder des Senats aus ihren früheren Tätigkeiten als Vorsitzende Richter eine Kammer für Handelssachen (Vorsitzende) sowie aus zahlreichen Unterhaltsprozessen (Beisitzer) selbst in der Sache erfahren seien.

Obwohl sich diese Begründung an sich gut las, lässt sie der BGH (Urt. v. 19.10.2022 – XII ZR 97/21) nicht gelten. Genauso wie bei der Würdigung von Zeugenaussagen geht der BGH auch bei Sachverständigen davon aus, dass diese erneut anzuhören sind, wenn die zweite Instanz von der ersten abweichen möchte. Das OLG hätte sich mithin über die Ausführungen des Sachverständigen nicht hinwegsetzen dürfen, ohne diesen erneut anzuhören. Das Argument des OLG, es verfüge über eine ausreichende eigene Sachkunde, lässt der BGH nicht gelten. Die von dem OLG in Anspruch genommene Sachkunde sei der Kenntnis des Sachverständigen nicht überlegen.

Diese Entscheidung sollte jeder Richter, der revisionssichere Urteile verfassen möchte, kennen. Freilich macht die Entscheidung es der Praxis nicht einfacher: Oftmals ergeben sich derartige Fragestellungen erst im Rahmen der Abfassung der Urteilsbegründung. Es kann nicht alles in Einzelheiten vorberaten werden, außerdem ergibt sich in einer Verhandlung doch oftmals etwas Neues. Dann wäre eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung notwendig. Dies kann jedoch unter Umständen zur Folge haben, dass noch weiterer Verfahrensstoff vorgetragen wird, der wiederum zu derartigen Schwierigkeiten führt. Letztlich führt diese Sicht der Dinge daher dazu, dass umfangreiche Prozesse kaum abgeschlossen werden können, schon gar nicht in angemessener Zeit.