BGH: Übertragung vom Einzelrichter auf die Kammer

Im Rahmen eines Mobiliarzwangsvollstreckungsverfahrens hatte das Amtsgericht eine Erinnerung des Gläubigers zurückgewiesen. Der Gläubiger legte gegen den entsprechenden Beschluss sofortige Beschwerde ein. Die Beschwerdekammer beschloss in der Besetzung mit drei Richtern, die Sache in die Kammer zu übernehmen, und wies später die sofortige Beschwerde zurück, ließ jedoch die Rechtsbeschwerde zu.

Anstatt die sicherlich vom LG erhoffte Entscheidung in der Sache zu treffen, hob der BGH (Beschl. v. 12.4.2023 – VII ZB 33/22) den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zurück! Das Gericht war nämlich nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen §§ 576 Abs. 3, 547 Abs. 1 ZPO). In einem solchen Fall ist der ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Hier hatte ein Richter am Amtsgericht über die Erinnerung entschieden. Demgemäß hätte gemäß § 568 S. 1 ZPO bei dem LG als Beschwerdegericht gleichfalls ein Einzelrichter entscheiden müssen. Die Kammer in vollständiger Besetzung mit drei Berufsrichtern darf nur entscheiden, wenn der Einzelrichter durch eine besondere Entscheidung die Sache der Kammer übertragen hat. An einem solchen Beschluss fehlte es hier. Da dieser Beschluss in die alleinige Entscheidungskompetenz des bei dem LG tätigen Einzelrichters fällt, ist es auch unerheblich, dass der originär zuständige Einzelrichter hier an der Kammerentscheidung mitgewirkt hat, zumal es sein kann, dass er überstimmt wurde.

Fazit: Es sollte allseits versucht werden, derartige Verfahrensfehler zu vermeiden, die weder für die Gerichte noch für die Parteien irgendwelche Vorteile bringen. Die Beschwerdekammern sollten sich vielmehr an den klaren Gesetzeswortlaut halten und nicht experimentieren, möglicherweise hat es sich aber auch nur um ein Versehen gehandelt.

KG: Unzulässiges Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit

Offenbar um einen Antrag auf Verlegung eines Termins zu untermauern bzw. das Verfahren zu verzögern, brachte ein Rechtsanwalt ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit für den Fall an, dass der Termin nicht verlegt werde. Der Antrag wurde als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss wurde sofortige Beschwerde eingelegt.

Dem KG (Beschl. v. 19.6.2023 – 10 W 100/23) stellte sich zunächst die Frage, ob die sofortige Beschwerde überhaupt zulässig ist. Gemäß § 46 Abs. 2 ZPO gibt es kein Rechtsmittel, wenn der Antrag für begründet erklärt wird; wird der Antrag hingegen für unbegründet erklärt, ist die sofortige Beschwerde zulässig. Hier war der Antrag jedoch als unzulässig verworfen worden. In einem solchen Fall greift § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ein, da ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wurde.

Im Rahmen der Begründetheit der sofortigen Beschwerde stellt sich die weitere Frage, ob das Gesuch zulässig ist. Dies ist nicht der Fall. Derartige Anträge können nicht unter einer Bedingung gestellt werden, auch nicht unter einer sonst oft zulässigen innerprozessualen Bedingung. Im Hinblick auf § 47 ZPO bedarf es nämlich vollständiger Klarheit darüber, ob der Richter zur Vornahme von Handlungen ermächtigt ist oder nicht.

Fazit: Die Ablehnung von Gerichtspersonen ist grundsätzlich bedingungsfeindlich (BGH, Beschl. v. 25.9.2013 – AnwZ (Brfg) 51/12). Demgemäß ist auch ein Ablehnungsgesuch, das nach einem Hinweisbeschluss für den Fall gestellt wird, dass das Gericht an seinem Beschluss festhalten sollte, unzulässig (OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.4.2013 – 13 U 195/12).

 

KG, Beschl. v. 19.6.2023 – 10 W 100/23

BGH: Unwirksame Zustellung durch Niederlegung

Durch die sich in den letzten Jahren immer mehr in allen Lebensbereichen ausbreitende „enge Taktung“ und beständige Hektik gibt es in der Gesellschaft eine zunehmende Tendenz zur nachlässigen bzw. oberflächlichen Arbeit, die wiederum fast alle Lebensbereiche umfasst. Davon sind insbesondere Massengeschäfte betroffen. Ein solches Massengeschäft sind für die Deutsche Post AG die Zustellungen.

Sehr häufig wird bei Zustellungen der Empfänger nicht angetroffen. Dies ist nicht weiter tragisch, denn dann wird durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt (§ 180 ZPO). Der Zusteller muss allerdings in einem solchen Fall gemäß § 180 S. 3 ZPO auf den Umschlag, der das zuzustellenden Schriftstück enthält, den Tag der Zustellung angeben. Dies ist wichtig, denn nicht jeder leert seinen Briefkasten jeden Tag. In letzter Zeit musste in der Praxis leider beobachtet werden, dass die Zusteller diesen Vermerk schlichtweg nicht anbringen. Abhängig von der Anzahl der Zustellungen kann man durch eine derartige Verfahrensweise täglich sicherlich einige Minuten – vielleicht noch mehr – einsparen.

Mit genau so einem Fall hatte sich der BGH (Versäumnisurt. v. 15.3.2023 – VIII ZR 99/22, MDR 2023, 797) zu befassen. Der Zustellungsempfänger hatte ein Versäumnisurteil ohne den erforderlichen Vermerk am 8.10. in seinem Briefkasten gefunden und ging demgemäß davon aus, dass die Zustellung auch am 8.10. erfolgt war. Sie war allerdings bereits – wie es sich aus der Zustellungsurkunde bei der Gerichtsakte ergab – am 7.10. erfolgt. Der Einspruch kam deswegen einen Tag zu spät und wurde in den Tatsacheninstanzen verworfen.

Diese Entscheidung fand, wiewohl die maßgebliche Frage in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, nicht die Zustimmung des BGH. Der BGH geht vielmehr davon aus, dass das Anbringen des Vermerkes mit dem Datum der Zustellung auf dem Umschlag für das zuzustellende Schriftstück eine zwingende Zustellungsvorschrift nach § 189 ZPO ist. Die Folge dieser Sichtweise ist klar: Das Schriftstück gilt erst als zugestellt, wenn es dem Empfänger tatsächlich zugegangen ist (§ 189 ZPO).

Der BGH folgt mit dieser Sichtweise einer Entscheidung des BFH und macht damit die Anrufung des gemeinsamen Senats der obersten Bundesgerichte entbehrlich.

Man sollte sich daher merken: Bei der Verpflichtung des Zustellers gemäß § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt.

Hinweis: Die Frage ist damit für die gerichtliche Praxis verbindlich geklärt. Wer als Zustellungsempfänger oder Rechtsanwalt eines solchen in eine derartige Situation gerät, tut gut daran, sofort ein Foto des Umschlages anzufertigen und den Umschlag selbst aufzuheben. Damit kann man das Versäumnis auch nachweisen, wenn das Original des Umschlages verloren geht.

KG: Befangenheit wegen Nichtbescheidung eines Antrages auf Schriftsatznachlass?

Im Rahmen einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag hat das KG (Beschl. v. 17.4.2023 – 10 W 52/23) an einen wichtigen Verfahrensgrundsatz im Rahmen von Anträgen auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses erinnert.

Vor dem LG hatte die Beklagte einen Schriftsatznachlass beantragt. Der Einzelrichter hatte diesen Antrag nicht beschieden, sondern einen Verkündungstermin anberaumt. Nach Erhalt des Terminprotokolls stellte die Beklagte einen Befangenheitsantrag, weil der Richter den Antrag begründungslos abgelehnt habe. Im Laufe des Befangenheitsverfahrens erklärte der Richter auf Anfrage des KG noch, er habe den Verkündungstermin zur Bescheidung des Antrages auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses bestimmt, habe aber bisher wegen des zwischendurch gestellten Befangenheitsantrags diesen Antrag nicht bescheiden können.

Das KG weist zunächst darauf hin, dass sich bereits aus dem Wortlaut des § 283 S. 1 ZPO ergibt, dass der Antrag auf Schriftsatznachlass bereits im Termin und nicht erst im Verkündungstermin beschieden werden muss. Dies dürfte auch der h. M. entsprechen. Allerdings ist die Sichtweise der Literatur nicht ganz einheitlich, Entscheidungen zu dieser Frage sind – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.

Das KG weist den Befangenheitsantrag deswegen zurück, weil nicht jede Verletzung von Verfahrensrechten gleich eine Befangenheit begründet. Da der Richter den Antrag noch grundsätzlich bescheiden wollte, bestand keine Absicht, die Rechte der Beklagten unfair zu verkürzen. Der abgelehnte Richter unterlag hier schlichtweg einem Rechtsirrtum, der in der konkreten Prozesssituation noch vertretbar war.

In dem Umstand, dass sich der Richter in der dienstlichen Äußerung zunächst nur auf die Akte bezogen hat, liegt auch kein Befangenheitsgrund. Zwar kann eine dienstliche Äußerung auch erstmals einen durchgreifenden Befangenheitsgrund schaffen, wenn daraus auf eine unsachliche Einstellung geschlossen werden kann. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, da sich der Verlauf der Sache tatsächlich direkt aus der Akte ergab.

Fazit: Der Rechtsanwalt sollte daher darauf hinweisen und darauf achten, dass ein Antrag auf Schriftsatznachlass im Termin beschieden wird, zur Not nach einer kurzen Beratungs- bzw. – beim Einzelrichter – Überlegungspause.

BGH: Anspruch der Partei auf mündliche Befragung des Sachverständigen

Im Rahmen eines umfangreichen WEG-Prozesses, auf dessen Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann, hatte das Berufungsgericht ein Gutachten eines Sachverständigen aus einem Vorprozess verwertet. Allerdings hatte der Kläger zuvor beantragt, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören. Dem war das Berufungsgericht jedoch nicht nachgekommen.

Der BGH (Urt. v. 10.2.2023 – V ZR 246/21) sieht darin einen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung nötigt. Grundsätzlich darf eine Partei einem Sachverständigen nach den §§ 397, 402 ZPO Fragen zur mündlichen Beantwortung vorlegen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das Gericht keinen Erläuterungsbedarf mehr sieht. Anderenfalls liegt eine unzulässig vorweggenommene Beweiswürdigung vor.

In diesem Zusammenhang sieht der BGH noch einen weiteren Fehler des Berufungsgerichts: Es war einem Sachverständigengutachten nicht gefolgt, weil dieses einer im Internet veröffentlichten Studie widersprach. Allerdings hatte das Berufungsgericht insoweit weder den Sachverständigen dazu befragt noch war es nach § 412 ZPO vorgegangen. Damit hatte es gegen § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßen, da es nicht dargelegt hatte, aus welchem Grund es über die erforderliche Sachkunde, derartige Feststellungen gegen die Auffassung eines Sachverständigen zu treffen, verfügt.

Fazit: Die Gerichte müssen daher darauf achten, nicht gegen die Feststellungen eines Sachverständigen zu entscheiden, ohne diesen zuvor mit den entsprechenden Argumenten konfrontiert zu haben. Außerdem darf den Parteien nicht das Recht genommen werden, einem Sachverständigen in einem Termin Fragen zu stellen. Einfacher wird das Prozessieren durch diese Grundsätze allerdings nicht, vielmehr umständlicher und langwieriger. Aus der Sichtweise der Tatsacheninstanzen könnte man hinzufügen: Vor lauter Gewährung rechtlichen Gehörs kommt man gar nicht mehr dazu, die Rechtsstreitigkeiten auch einmal tatsächlich zu entscheiden.

BGH zur Gerichtsstandsbestimmung nach Klagerücknahme

Das LG B. hatte eine isolierte Drittwiderklage abgetrennt (§ 145 Abs. 2 ZPO) und diese sodann an das LG P. verwiesen. Das LG P. hielt dies für grob falsch und gab die Akte an das LG B. zurück. Dieses legte daraufhin gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Sache dem OLG Karlsruhe vor. Zwischenzeitlich wurde die zur Klage gewordene isolierte Drittwiderklage zurückgenommen. Das OLG Karlsruhe wollte daher die Zuständigkeitsbestimmung ablehnen, sah sich daran jedoch durch eine Entscheidung des OLG Brandenburg v. 9.8.2000 – 1 AR 46/00 gehindert, wonach eine Klagerücknahme einer Zuständigkeitsbestimmung nicht entgegenstehe, wenn es noch eines Beschlusses nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bedürfe. Demgemäß legt das OLG Karlsruhe die Sache dem BGH zur Entscheidung gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vor.

Der BGH, Beschl. v. 14.3.2023 – X ARZ 587/22 stimmt in seiner Entscheidung dem vorlegenden OLG Karlsruhe zu. Eine Gerichtsstandsbestimmung kommt nur in Betracht, so lange durch das in der Hauptsache zuständige Gericht tatsächlich Entscheidungen zu treffen sind. Eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO richtet sich jedoch nur nach formalen Kriterien. Für den Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung nach § 91a ZPO wurde bereits entschieden, dass diese durch das Gericht zu treffen ist, bei dem das Verfahren anhängig ist. Für die Kostenentscheidung nach Klagerücknahme kann nichts anderes gelten. Dies gilt auch für den Fall des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Dass nach der Rücknahme des Mahnantrages das Streitgericht für eine derartige Entscheidung zuständig ist, ändert daran nichts. Ein Mahngericht ist für derartige Entscheidungen nicht geeignet.

Zwar kommt eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Betracht, wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, es werde die Sache nicht bearbeiten. Diesbezüglich bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das LG B. die Sache nach den klarstellenden Ausführungen des BGH bearbeiten wird.

Für die Praxis kann daher festgehalten werden: Im Falle einer Klagerücknahme oder einer übereinstimmenden Erledigungserklärung ist das Gericht für die Kostenentscheidung zuständig, bei dem die Sache anhängig ist. Eine Verweisung ist in einer solche Situation genauso wenig zulässig wie eine Gerichtsstandsbestimmung.

OLG Düsseldorf zum notwendigen Hinweis auf Prozesskostenhilfe

Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 28.2.2023 – 24 U 335/20) hat einmal mehr betont, dass ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet ist, den Mandanten auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe zu verweisen, wenn er über die entsprechenden finanziellen Verhältnisse des Mandanten in Kenntnis gesetzt wird.

Im konkreten Fall vor einem LAG war dem Rechtsanwalt bekannt geworden, dass der Mandantin die finanziellen Mittel ausgegangen waren und sie demgemäß für das Verfahren vor dem LAG sogar Anspruch auf ratenfreie Prozesskostenhilfe gehabt hätte. Gleichwohl wurde das Mandat auf der Grundlage einer Stundenlohnvereinbarung durchgeführt. Die anschließende Honorarklage in nicht unerheblicher Höhe war im Wesentlichen erfolglos.

Der Rechtsanwalt schuldet dem Mandanten aus dem Mandatsvertrag eine umfassende Aufklärung über den gesamten Fall und muss alle Nachteile für den Mandanten verhindern. Das gilt auch im Hinblick auf die entstehenden Kosten. Dabei muss der Rechtsanwalt zur Not auch seine eigenen Vergütungsinteressen hinten anstellen. Erkennt er, dass der Mandant Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, muss er den Mandanten darauf hinweisen. Unterlässt er dies, begründet dies einen Schadensersatzanspruch des Mandanten.

Zwar gibt es im Dienstvertragsrecht keine Kürzung der Vergütung oder Minderung wegen einer schlechten Dienstleistung. Demgemäß hat der Rechtsanwalt grundsätzlich Anspruch auf sein Honorar. Der Mandant kann jedoch dem Rechtsanwalt die Belastung mit dieser Verbindlichkeit im Wegen der Einrede nach § 242 BGB entgegenhalten. Wie man dies im Einzelnen dogmatisch begründet, kann offenbleiben, denn jedenfalls führt dieser Gesichtspunkt dazu, dass der Mandant das Honorar nicht bezahlen muss. Bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätte der Rechtsanwalt gegen den Mandanten nämlich gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keinen durchgreifenden Honoraranspruch gegen den Mandanten gehabt.

Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die vorstehenden Grundsätze auch für die Beratungshilfe gelten (OLG Hamm, Urt. v. 30.4.2015 – 28 U 88/14).

BGH zur Befangenheit bei Ehegatten als Richter

Der BGH (Beschl. v. 26.7.2022 – I ZR 142/22) hat sich mit der Besorgnis der Befangenheit eines Richter befasst, ist begründet, wenn die Ehe­frau des abgelehnten Richters an der Entscheidung der Vorinstanz als Berufungsrichterin mitgewirkt hat.

Das LG hatte der Klage der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Provisionen stattgegeben. Das OLG wies alsdann die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurück. Im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde erreichte der Rechtsstreit anschließend den BGH. Ein Richter am BGH zeigte an, dass seine Ehefrau an der Entscheidung des OLG mitgewirkt hatte. Die Klägerin lehnte den Richter am BGH daraufhin wegen Befangenheit ab. Der BGH gibt dem Antrag statt!

Klar ist, dass eine tatsächliche Befangenheit des Richters nicht erforderlich ist, vielmehr ist der „böse Schein“ ausreichend. Dafür kommen nur objektive Gründe aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in Betracht. Derartige Gründe können sich auch aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen Richtern, die an derselben Sache beteiligt sind bzw. waren, ergeben.

Grundsätzlich hat der BGH allerdings bereits entschieden, dass die Mitwirkung eines Ehegatten an einer angefochtenen vorinstanzlichen Entscheidung eines Kollegialgerichts keinen durchgreifenden Befangenheitsgrund gegen einen „übergeordneten“ Richter begründen kann. Es bleibt unbekannt, ob und wie der Ehepartner entschieden hat, möglicherweise ist er überstimmt worden. Anders verhält es sich, wenn der Ehegatte als Einzelrichter entschieden hat. Hier ist klar, was der Ehegatte gemeint hat. Da vorliegend die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen wurde, lag gleichfalls – wie bei der Einzelrichterentscheidung – offen zu Tage, was der Ehegatte gemeint hat. Damit liegt hier ein Fall vor, der der Einzelrichterentscheidung vergleichbar. Folglich hat der Befangenheitsantrag Erfolg.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin, die den Antrag gestellt hat, in der Vorinstanz obsiegt hatte. Denn auch wenn es vielleicht näherliegt, dass der abgelehnte Richter seiner Ehefrau zustimmt, so bleibt doch auch die Möglichkeit, dass er sich besonders kritisch zu dem ergangenen Urteil positioniert, um seine Unvoreingenommenheit zu zeigen.

Im hier zu beurteilenden Fall musste der Richter am BGH daher aus dem Verfahren ausscheiden.

KG: Konkurrierende Sonderzuständigkeiten nach dem GVG

Das KG hatte über die Zuständigkeit einer „Baukammer“ bzw. „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 7 GVG) zu entscheiden und zur Auflösung des Konflikts auf den Schwerpunkt des Rechtsstreit abgestellt (Beschl. v. 16.1.2023 – 2 AR 2/23).

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger schlossen mit einer GmbKG, H & Co. KG einen Grundstückskaufvertrag mit Bauverpflichtung. Aufgrund des Vertrages wurden zu Gunsten der Kläger Auflassungsvormerkungen eingetragen. Die GmbH & Co. KG wurde insolvent. Die Kläger verlangten im hiesigen Verfahren vom Insolvenzverwalter mit der Klage die Erklärung der Auflassungen sowie Bewilligung der Eintragungen der Kläger als Eigentümer. Die Sache wurde bei der „Baukammer“ des LG eingetragen (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG). Der Insolvenzverwalter erhob eine Widerklage, womit er die Kläger zur Löschung der Vormerkungen verurteilen lassen wollte. Dies stützte er auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung.

Die Frage ist nunmehr, ob die „Baukammer“ oder die „Insolvenzkammer“ (§ 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG) zuständig ist. Das KG ermittelte – sachgerecht – dazu folgendes: Für die Entscheidung derartiger Streitigkeiten ist in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO das übergeordnete Gericht zuständig. Auf Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des LG kann es hier nicht ankommen. Die Auslegung der §§ 72a, 119a GVG kann nicht durch das jeweilige Gerichtspräsidium erfolgen. Der Gesichtspunkt der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) kann gleichfalls keine Rolle spielen, weil sich durch die Widerklage der Streitgegenstand geändert hat (bzw. ergänzt wurde). Bei möglichen Missbrauchsfällen ist im Übrigen eine Abtrennung der Widerklage möglich (§ 145 ZPO). Da das Gesetz für derartige Fälle keine direkte Lösung vorsieht, bleibt damit nur noch, auf den Schwerpunkt des Rechtsstreites abzustellen.

Im hiesigen Fall kam das KG zu dem Schluss, dass bauvertragliche Gesichtspunkte im Laufe des Rechtsstreites aller Voraussicht nach keine besondere Rolle mehr spielen werden. Vielmehr wird es maßgeblich um insolvenzrechtliche Fragestellungen gehen. Letztlich ist damit die „Insolvenzkammer“ für dieses Verfahren zuständig.

Fazit: Dem KG ist es damit gelungen, ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium zu finden. Man sieht hier wieder einmal, dass gut gemeinte Neuregelungen immer wieder zu neuen Schwierigkeiten und Abgrenzungsproblemen führen.

 

BGH zu den Anforderungen an anwaltliche Unterschriften

Der BGH hat zwei neuere Entscheidungen zur Frage der Unterschrift von Rechtsanwälten getroffen (Urt. v. 20.12.2022 – VI ZR 279/21 und Beschl. v. 6.12.2022 – VIII ZA 12/22, MDR 2023, 183):

Im ersten Fall wurde auf dem Briefkopf der M. Rechtsanwaltskanzlei (bestehend aus M. und J.) Berufung eingelegt, und zwar durch Rechtsanwalt B., der auch den Schriftsatz unterzeichnet hatte. Unter der Unterschrift war vermerkt „B. Rechtsanwalt“. Das LG hatte die Berufung verworfen. Der BGH akzeptiert dies nicht.

Grundsätzlich spricht die Vermutung dafür, dass Rechtsanwalt B mit seiner Unterzeichnung die vollständige Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat. Erschüttert wäre diese Vermutung z. B. dann, wenn er mit „i. A.“ unterzeichnet hätte. Da die Berufung mit dem Briefkopf der M. Rechtanwaltskanzlei eingelegt wurde, spricht hier alles dafür, dass B. in Vertretung dieser Rechtsanwälte tätig werden wollte. Diese Sichtweise entspricht auch dem Grundsatz, dass im Zweifel gewollt ist, was vernünftig ist und was der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Ein besonderer Vertretungszusatz ist nicht erforderlich.

Mithin ist davon auszugehen, dass B. in Vertretung für die Kanzlei M. und J. Berufung eingelegt hat. Der BGH hebt daher den Verwerfungsbeschluss auf und weist darauf hin, dass das Berufungsgericht noch zu prüfen haben wird, ob B. tatsächlich Vertretungsmacht gehabt hat. Diese Prüfung wird zweifelsohne positiv ausgehen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass B. für M. und J. tätig geworden ist, ohne dass diese ihn damit beauftragt und damit jedenfalls gleichzeitig konkludent bevollmächtigt haben sollten.

Im zweiten Fall hatte ein Rechtsanwalt eine Berufungsbegründung für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, und zwar mit dem Zusatz „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter“.  Auch hier hatte das Berufungsgericht die Berufung verworfen.

Diese Entscheidung billigt der BGH. Durch den Zusatz hat der Rechtsanwalt zum Ausdruck gebracht, dass er – wiewohl er den Schriftsatz unterzeichnet hat – denselben nicht verantworten möchte. Gleichzeitig wurde der Schriftsatz aber durch den Rechtsanwalt, der ihn verantwortet hat, gar nicht unterzeichnet. Es ist aber notwendig, dass derjenige, der den Schriftsatz unterzeichnet, ihn auch vollständig verantwortet. Eine tatsächliche Prüfung des Schriftsatzes ist dafür nicht erforderlich, die Unterschrift alleine reicht aus. Der Anwalt darf also „auf volles Risiko gehen“! Der hier angebrachte Zusatz stellt die Einhaltung dieses Erfordernisses jedoch in Frage. Damit ist die Berufung zu Recht verworfen worden, weil es an dem Erfordernis der Unterschrift fehlt.

Fazit: Man kann nicht oft genug betonen, dass bei Zusätzen zu Unterschriften große Vorsicht geboten ist.