Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Ersatzeinreichung.

Glaubhaftmachung technischer Probleme bei beA
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – XII ZB 88/23

Kurz nach dem Anwaltssenat, dessen Entscheidung im Anwaltsblog 8/2024 vorgestellt wird, hat sich auch der XII. Zivilsenat mit den Anforderungen aus § 130d ZPO befasst. 

Die Antragstellerin begehrt Zugewinnausgleich. Das AG hat ihrem Antrag nur teilweise stattgegeben. Dagegen legte sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten fristgerecht Beschwerde ein. Einige Tage vor Ablauf der Frist übermittelte die Antragstellerin, die sich nunmehr als Rechtsanwältin selbst vertritt, per Telefax eine Beschwerdebegründung und einen Schriftsatz, in dem sie darlegte, weshalb sie die Begründung nicht über beA eingereicht hat. Das OLG hat die hilfsweise begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.

Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH setzt die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände voraus, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. 

Bei einer Störung des beA-Servers oder des Servers für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Empfängergerichts kann hierfür die Bezugnahme auf Screenshots mit entsprechenden Fehlermeldungen der Bundesrechtsanwaltskammer oder des EGVP-Betreibers genügen. Bei Fehlern, die ihre Ursache im Verantwortungsbereich des Absenders haben, ist hingegen eine detailliertere Darstellung erforderlich.

Im Streitfall hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, der Fehlbedienungszähler ihrer beA-Karte sei abgelaufen gewesen und sie habe deshalb eine neue beA-Karte beantragen müssen, deren Lieferung ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könne. Diesem Vorbringen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, ob eine technische Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO oder ein schlichter Anwenderfehler vorlag. Eine vollständige Darlegung hätte zumindest Ausführungen dazu erfordert, weshalb ein Zurücksetzen des Fehlbedienungszählers mit Hilfe des hierfür vorgesehenen PUK (Personal Unblocking Key) nicht möglich war.

Praxistipp: Um bei „unerklärlichen“ Fehlern mit der beA-Karte dennoch Schriftsätze wirksam einreichen zu können, empfiehlt sich der zusätzliche Erwerb eines Softwarezertifikats. Dieses kann zwar nicht für eine qualifizierte elektronische Signatur eingesetzt werden, wohl aber für den Versand auf einem sicheren Übermittlungsweg – und für den mobilen Zugriff auf das beA-Postfach.

Anwaltsblog 8/2024: Schwierigkeiten bei der Ersatzeinreichung

Professionelle Einreicher wie Rechtsanwälte müssen die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen, wie der Anwaltssenat des BGH wieder einmal feststellen musste (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 33/23):

 

Die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft war von der Anwaltskammer wegen Vermögensverfalls widerrufen worden. Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof (AGH) abgewiesen. Mit am 21. August 2023 in Schriftform beim AGH eingereichten Schriftsatz vom selben Tage hat der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das ihm nach eigenen Angaben am 21. Juli 2023 zugestellte Urteil beantragt und diesen Antrag mit am 18. September 2023 per Telefax an den (als Berufungsgericht fungierenden) BGH übersandten Schriftsatz vom selben Tage begründet. Beiden Schriftsätzen war eine eidesstattliche Versicherung beigefügt, in der der Kläger erklärte, dass die Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht möglich gewesen sei, weil seine Legitimationskarte von dem Kartenlesesystem bzw. beim Online-Log-In nach Updates für den beA Client Security nicht erkannt worden sei.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird als unzulässig verworfen, weil es jedenfalls an einer formgerechten Begründung des Zulassungsantrags vor Ablauf der Begründungsfrist am 21. September 2023 fehlt. Sowohl der Antrag auf Zulassung der Berufung als auch die Antragsbegründung waren grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dem genügte weder der in Schriftform beim AGH eingereichte Antragsschriftsatz noch die Übersendung der Antragsbegründungsschrift per Telefax an den BGH. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften hat der Kläger jedenfalls hinsichtlich der Antragsbegründung nicht dargetan und glaubhaft gemacht. Eine Ersatzeinreichung ist zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dabei spielt es zwar keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Möglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder – wie hier nach dem Vortrag des Klägers – in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist, weil auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen soll. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird jedoch klargestellt, dass professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Danach kommt hier auch nach dem Vorbringen des Klägers jedenfalls bei der Ersatzeinreichung der Antragsbegründung die Annahme einer nur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nicht in Betracht.

Es ist bereits fraglich, ob der eidesstattlich versicherte Vortrag des Klägers zur Ersatzeinreichung des Zulassungsantrags am 21. August 2023 für die Darlegung einer nur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit ausreicht. Der Kläger hat hierzu angegeben, dass eine elektronische Einreichung bis zum 21. August 2023 nicht möglich gewesen sei, weil seine Legitimationskarte „nach dem letzten Update für den beA Client Security am 15. August 2023 beim Online-Log-In nicht mehr erkannt“ worden sei. Demnach war dem Kläger die Störung bereits seit mehreren Tagen bekannt, ohne dass er angegeben hat, ob und ggf. welche Maßnahmen er dagegen unternommen habe. Unabhängig davon lag aber auch nach dem Vortrag des Klägers jedenfalls bei der Ersatzeinreichung der Antragsbegründung am 18. September 2023 keine nur vorübergehende technische Unmöglichkeit vor. Diesbezüglich hat der Kläger in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 18. September 2023 ausgeführt, er habe den „Antrag auf Zulassung der Berufung bis zum 19. [sic] September 2023“ aus technischen Gründen nicht per beA übersenden können, „weil die Legitimationskarte seit den letzten beiden Updates (letztes Update ausgeführt am 18. September 2012 [sic]) für den beA Client Security beim Online-Log-In nicht mehr erkannt“ werde. Die Karte sei nicht lesbar und müsse von ihm neu beantragt werden. Danach ist davon auszugehen, dass der Zugang des Klägers zum beA am 18. September 2023 bereits seit mehreren Wochen, nämlich seit dem vorletzten Update am 15. August 2023, nicht mehr funktionierte und dem Kläger dies bekannt war. Dass er versucht habe, Abhilfe zu schaffen, hat der Kläger auch hier nicht dargetan. Nach seinem weiteren Vortrag in der Antragsbegründung ist vielmehr davon auszugehen, dass er keine Maßnahmen gegen die Störung ergriffen hat, da er dort angegeben hat, entsprechende Zugangsprobleme seien auch schon in der Vergangenheit aufgetreten, allerdings sei der Zugang dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder unproblematisch möglich gewesen, weswegen er sich entschieden habe, den Vorgang kurz vor Fristablauf noch einmal zu versuchen. In Anbetracht dessen kommt die Annahme einer nur vorübergehenden technischen Störung jedenfalls am 18. September 2023 nicht (mehr) in Betracht.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Das Versäumnis des Klägers war nicht unverschuldet. Diesem mussten als Rechtsanwalt die gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung bekannt sein, so dass ihn auch ein etwaiger diesbezüglicher Rechtsirrtum nicht entlasten würde.

 

Fazit: Einem Rechtsanwalt muss bekannt sein, dass ihn ab dem 1. Januar 2022 nicht nur wie bereits zuvor die („passive“) Pflicht trifft, elektronische Zustellungen und Erklärungen über das von ihm vorzuhaltende elektronische Anwaltspostfach zu empfangen (§ 31a Abs. 6 BRAO), sondern eine („aktive“) Nutzungspflicht bezüglich des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Die entsprechende Bestimmung des § 130d Satz 1 ZPO gehört zum verfahrensrechtlichen Grundwissen eines im Zivilprozess tätigen Rechtsanwalts (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 – VIII ZB 41/22 –, MDR 2023, 383). Daher ist jeder Rechtsanwalt verpflichtet, sich mit den technischen Voraussetzungen der einzig zulässigen Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut zu machen. Dazu gehört auch die Installation der regelmäßig angebotenen Updates.

Anwaltsblog 7/2024: Anforderung an die Glaubhaftmachung der Ersatzeinreichung bei Störung des beA

Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt nach § 130d Satz 2 ZPO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Mit den Anforderungen an die Glaubhaftmachung hatte sich wieder einmal der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2024 – I ZB 51/23):

 

Nachdem die Klägerin gegen das am 20. Februar 2023 zugestellte Urteil des Landgerichts fristgemäß Berufung eingelegt hatte, hat sie mit einem am 20. April 2023 um 16:37 Uhr per Telefax eingereichten Schriftsatz beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. In einem zeitgleich versandten weiteren Schriftsatz hat sie ausgeführt, eine Versendung des Fristverlängerungsantrags über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sei nicht möglich. Es bestehe seit 9:00 Uhr „eine Störung von beA im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen“. Zur Glaubhaftmachung hat sie einen als „Störmeldung der BRAK“ bezeichneten zweiseitigen Ausdruck der am 20. April 2023 auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen vorgelegt. Auf dieser Internetseite werden einerseits von Nutzern gemeldete Störungen erfasst, andererseits Inhalte der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu aktuellen beA-Störungen wiedergegeben. Der von der Klägerin vorgelegte Ausdruck der Internetseite bea.expert beginnt mit der Mitteilung zum Stand vom 20. April 2023 16:19 Uhr: „keine beA-Störung gemeldet oder festgestellt.“ Weiter ist auf dem Ausdruck eine Störungsmeldung der BRAK, veröffentlicht auf der Internetseite https://portal.beasupport.de/→Aktuelles, Stand 16:00 Uhr, wiedergegeben, nach der im Land Nordrhein-Westfalen im Justizbereich eine Störung seit dem 19. April 2023, 14:12 Uhr, bestehe.

Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen. Sie sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hierfür geltenden zweimonatigen Frist begründet worden sei. Dem per Telefax am 20. April 2023 eingegangenen Fristverlängerungsantrag habe nicht entsprochen werden können, da er als elektronisches Dokument zu übermitteln gewesen wäre. Die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO lägen nicht vor. Zwar sei durch eine Mitteilung des Zentralen IT-Dienstleisters der Justiz in Nordrhein-Westfalen gerichtsbekannt, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) vom 19. April 2023 um 14:12 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21:20 Uhr in Nordrhein-Westfalen gestört gewesen sei. Dies habe die Klägerin jedoch nicht von der in § 130d Satz 3 ZPO normierten Obliegenheit entbunden, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments unverzüglich glaubhaft zu machen. Die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 entspreche nicht ansatzweise den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO. Die der Ersatzeinreichung beigefügte Erklärung, dass ausweislich der beigefügten Störmeldung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Störung des beA im Gebiet von Nordrhein-Westfalen vorliege, weshalb eine Versendung über das beA nicht möglich sei, enthalte keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Zudem sei für eine Glaubhaftmachung erforderlich, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichere, woran es im Schriftsatz vom 20. April 2023 ebenfalls fehle.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Die Klägerin war ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr am 20. April 2023 per Telefax übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier. Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag – die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters – geltend gemacht. Darin liegt ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung regelmäßig rechtfertigt.

Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische – und damit formgerechte – Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des OLG die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt. Das OLG hat bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom 20. April 2023 enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln. Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes geht unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei. Soweit der Klägervertreter in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben hat, es liege eine Störung des beA vor, trifft dies ausweislich der auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen, die sich aus dem mit diesem Schriftsatz vorgelegten Ausdruck ergeben, allerdings nicht zu. Es hat keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist jedoch unschädlich. Im Ergebnis hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht trifft sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte. Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht erforderlich.

Das Berufungsgericht hat außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt iSv. § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

 

Fazit: Der Rechtsanwalt, der die Ersatzeinreichung veranlasst hat, muss sich vor Fristablauf nicht weiter um eine elektronische Übermittlung bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu muss vorgetragen werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2023 – V ZR 134/22 –, MDR 2023, 1230).

 

Anmerkung: Ungeklärt ist, ob ein Gericht die Störung des EGVP als gemäß § 291 ZPO offenkundig und damit als nicht beweisbedürftig behandeln darf (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – XI ZB 1/23 –, MDR 2024, 58). Das BAG meint dagegen, der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht (zu § 46g Satz 4 ArbGG: BAG, Urteil vom 25. August 2022 – 6 AZR 499/21 –, MDR 2023, 457). Vorsorglich sollte daher eine Glaubhaftmachung erfolgen.

Anwaltsblog 6/2024: Wie weit geht das Bankgeheimnis, wenn die Fälschung von Unterschriften im Raume steht?

Darf sich ein Bankinstitut unter Berufung auf das Bankgeheimnis weigern, Original-Urkunden einem Schriftsachverständigen vorzulegen, wenn ein als Bürge Inanspruchgenommener geltend macht, seine Frau habe seine Unterschriften gefälscht? Diese Frage hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 29. November 2023 – XII ZB 141/22):

Getrenntlebende Eheleute sind gemeinsam mit der Mutter des Ehemanns Miteigentümer eines von ihnen bewohnten Anwesens. Auf Antrag der Ehefrau ist das Scheidungsverfahren anhängig. Der Ehemann hat beantragt, von der Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG (Wegfall wegen grober Unbilligkeit) abzusehen. Dazu hat er vorgetragen, die Ehefrau habe unberechtigt seine Unterschriften auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung angebracht. Hiervon habe er erstmals erfahren, als die Bausparkasse ihn auf Zahlung von rund 19.500 € für ein Darlehen des volljährigen Sohnes in Anspruch genommen habe. Zum Beweis der behaupteten Fälschung seiner Unterschriften hat der Ehemann die Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens beantragt sowie zu diesem Zweck die an die Bausparkasse gerichtete gerichtliche Anordnung, die in ihrem Besitz befindlichen Originale der in Kopie vorliegenden Bürgschaftsurkunde und Eigentümererklärung vorzulegen, begehrt. Die Bausparkasse hat die Vorlage der beiden Original-Urkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweigert, da die Unterlagen ein Darlehensverhältnis zwischen ihr und einer dritten, am gerichtlichen Verfahren nicht beteiligten Person beträfen, die ihr ausdrücklich die Herausgabe der Unterlagen untersagt habe.

Die Bausparkasse muss die Original-Urkunden vorlegen. Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Die Vorschrift, die auch für die Vorlegung von Urkunden durch Dritte Anwendung findet, begründet ein Zeugnisverweigerungsrecht für die dem zivilrechtlichen Bankgeheimnis unterfallenden Tatsachen. Dieses Bankgeheimnis gilt jedoch nicht grenzenlos. So sieht bereits das Gesetz selbst Durchbrechungen vor (vgl. etwa § 840 ZPO). Darüber hinaus kann es zu einer Kollision des Bankgeheimnisses mit Aufklärungs- oder Auskunftsansprüchen eines anderen Kunden oder eines Dritten kommen, die im Einzelfall durch eine Interessen- und Güterabwägung zu lösen ist. Insbesondere in Fällen von Kreditsicherheiten eines Dritten für eine fremde Darlehensschuld wie bei einer Bürgschaft oder Grundschuld kann im Einzelfall eine Aufklärungs- oder Informationspflicht bestehen, die dem Bankgeheimnis vorgeht. Daher ist die Bausparkasse nicht berechtigt, unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage der Originale der Bürgschaftsurkunde und der Eigentümererklärung zu verweigern.

Denn dem als Drittsicherungsgeber in Anspruch genommenen Ehemann steht gegenüber der Bausparkasse ein Einsichtsrecht nach § 810 Alt. 2 BGB zu, hinter dem das Bankgeheimnis zurücktreten muss. Nach § 810 Alt. 2 BGB kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse – nämlich zumindest auch für ihn als Beweismittel – errichtet wurde und in dieser ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes – gegebenenfalls unwirksames – Rechtsverhältnis beurkundet ist. Auf ein rechtliches Interesse kann sich jeder berufen, der – wie hier der Ehemann – die Einsichtnahme in eine Urkunde zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt. So steht etwa dem Bürgen gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zu. Nichts Anderes kann für denjenigen gelten, der seiner Inanspruchnahme als Bürge mit der substantiierten Behauptung entgegentritt, die Bürgschaftserklärung sei gefälscht, und der die Einsichtnahme in die Bürgschaftsurkunde benötigt, um diese Behauptung zu beweisen. Hinter dem rechtlichen Interesse des Ehemanns muss unter den hier maßgeblichen Umständen das durch das Bankgeheimnis geschützte Geheimhaltungsinteresse der Bausparkasse zurücktreten. Dabei ist bei der erforderlichen Abwägung auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang die aufklärungspflichtige Bank gezwungen wäre, Einzelheiten ihrer Geschäftsverbindung mit einem anderen Kunden und über dessen Vermögenslage zu offenbaren. Die beiden Urkunden, insbesondere die Eigentümererklärung, enthalten nur wenige Einzelheiten über die Geschäftsverbindung zwischen der Bausparkasse und ihrem Kunden. Die Bürgschaftsurkunde benennt neben der Bausparvertrag-Nummer den Darlehensnehmer, den Darlehensbetrag sowie die Konditionen des Darlehens. Die Eigentümererklärung beschränkt sich demgegenüber auf die Mitteilung der Darlehensgewährung, des Darlehensnehmers und der Bausparvertrag-Nummer. Diese Umstände sind aber aufgrund der Kopien der Urkunden, die die Bausparkasse zur Realisierung ihrer eigenen Ansprüche übersandt hat, bereits offenbart und bekannt.

 

Fazit: Ein Bankinstitut kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist (hier: zum Beweis der Unechtheit der Urkunden).

 

Anmerkung: Eine zivilprozessuale Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei kann sich nur aus den speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder aus einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO ergeben. § 142 Abs. 1 ZPO ist auch anwendbar, wenn sich der beweispflichtige Prozessgegner auf eine Urkunde bezogen hat, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befindet. Auch die Vorschrift des § 142 Abs. 1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substanziierungslast. Daher darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen (BGH, Urteil vom 26.06.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333).

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietvertrags über Wohnraum.

Das Zerrüttungsprinzip gilt nicht im Mietrecht
BGH, Urteil vom 29. November 2023 – VIII ZR 211/22

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit den Tatbestandvoraussetzungen von § 543 Abs. 1 BGB.

Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung der Kläger. Die Kläger wohnen im Erdgeschoss desselben Hauses. Seit 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher Vertragsverletzungen, etwa Verstößen gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten. Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige, in der sie unter anderem angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Wegen dieser Anzeige und wegen Zerrüttung des Mietverhältnisses erklärten die Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg.

Die Revision der Kläger bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Strafanzeige stellt keinen hinreichenden Grund für die fristlose Kündigung dar, weil sie nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts inhaltlich zutrifft.

Die unstreitig vorliegende Zerrüttung des Mietverhältnisses reicht für eine fristlose Kündigung ebenfalls nicht aus. Ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ist im Allgemeinen nur dann gegeben, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt. Eine Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage kommt deshalb nur dann als zureichender Kündigungsgrund in Betracht, wenn sie zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist. Diese Voraussetzung ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht erfüllt.

Praxistipp: Damit eine fristlose Kündigung auf die Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag gestützt werden kann, ist gemäß § 543 Abs. 3 BGB grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich.

Anwaltsblog 5/2024: Welche Mindestangaben muss ein erster Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist aufweisen?

Ob für einen ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Angabe des Berufungsführers ausreicht, er sei „nicht in der Lage“, die Berufung fristgerecht zu begründen, hatte aktuell der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2024 – VIII ZB 31/23):

 

Der Kläger hat beantragt, die am 16. Januar 2023 (Montag) ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, da er „nicht in der Lage“ sei, die Berufung fristgerecht zu begründen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung vom 13. Januar 2023 abgelehnt und den Kläger anschließend – nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist – darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung mangels Eingangs einer Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen. Daraufhin hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufungsbegründung eingereicht.  Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe mit seiner Ausführung, wonach er „nicht in der Lage“ gewesen sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, einen erheblichen Grund iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht dargelegt. Es werde lediglich mitgeteilt, dass die Frist nicht eingehalten werden könne, ohne hierfür überhaupt einen sachlichen Grund anzugeben. Eine Schlussfolgerung auf einen erheblichen Grund wäre eine reine Spekulation. Somit habe der Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Berufungsbegründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert werde, und diese daher schuldhaft versäumt.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Gemessen hieran verletzen die Versagung einer Wiedereinsetzung und die Verwerfung der Berufung als unzulässig den Kläger in seinen vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Denn dieser durfte mangels Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht auf die Gewährung der von ihm beantragten Verlängerung der Frist vertrauen. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungskläger grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn (und soweit) er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dies ist jedoch bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe iSd. des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde.

So liegt der Fall hier. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in seinem Antrag einen erheblichen Grund für die Gewährung der von ihm begehrten Fristverlängerung nicht genannt. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass er „nicht in der Lage“ sei, die Berufung fristgerecht zu begründen, was das Berufungsgericht zu Recht als bloße Mitteilung der Nichteinhaltung der Frist angesehen hat. Ein Grund, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu „nicht in der Lage“ gewesen sei, wird nicht genannt. Somit genügt der Fristverlängerungsantrag selbst den geringen Anforderungen nicht, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung eines erheblichen Grundes iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO stellt. Anders als der Kläger meint, kann die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten nicht dahingehend ausgelegt werden, er habe sich konkludent darauf berufen, aufgrund einer Arbeitsüberlastung „nicht in der Lage“ gewesen zu sein, die Berufung fristgerecht zu begründen. Zwar kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen und zählt zu den erheblichen Gründen iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten. Einer Auslegung des Fristverlängerungsantrags dahingehend, dass sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers konkludent auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe, steht jedoch entgegen, dass im Antrag keinerlei tatsächlichen Umstände genannt werden, aus denen der Anlass der begehrten Fristverlängerung hätte entnommen und aus denen somit ein Rückschluss auf den erheblichen Grund hätte gezogen werden können. Allein aus der unterbliebenen Angabe anderer Hinderungsgründe folgt entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass sich der Klägervertreter zur Begründung seines Fristverlängerungsantrags (konkludent) auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe.

 

Fazit: An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insoweit reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund – wie z.B. Arbeitsüberlastung – aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Die Angabe des Berufungsführers, er sei „nicht in der Lage“, die Berufung fristgerecht zu begründen, reicht aber nicht aus.

 

Anmerkung: Bei Einwilligung des Gegners ist auch das Vertrauen des Berufungsklägers in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern, darf er darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben wird. (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2023 – VIa ZB 15/22 -, MDR 2023, 379). Voraussetzung ist aber, dass mit dem Antrag die Einwilligung des Gegner vorgelegt oder zumindest anwaltlich versichert wird.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Reichweite der Verjährungseinrede.

Verjährung des Anspruchs auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2023 – V ZR 161/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg.

Der Vater der beiden Parteien hatte dem Kläger im Jahr 2002 ein notarielles Angebot zum Verkauf mehrerer Grundstücke zum Preis von 6 Euro pro Quadratmeter unterbreitet. Am 30.12.2009 – einen Tag vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist – nahm der Kläger das Angebot an. Nach dem Vertrag ist der Kaufpreis fällig, sobald die Löschung der im Grundbuch eingetragenen Grundpfandrechte nachgewiesen ist. Der Notar darf den Antrag auf Umschreibung des Eigentums erst dann stellen, wenn der Verkäufer den Erhalt des Kaufpreises schriftlich bestätigt hat. In der Folgezeit kam es weder zur Löschung der Grundpfandrechte noch zur Zahlung des Kaufpreises.

Mit seiner Anfang Dezember 2019 eingereichten und kurz darauf zugestellten Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten als alleinigem Erben des im Jahr 2015 verstorbenen Vaters die Zustimmung zur Löschung der Grundpfandrechte und die Übergabe von Löschungsbewilligungen und Grundpfandbriefen an den Vollzugsnotar.

Während des Rechtsstreits hat der Kläger den Kaufpreis für die Grundstücke beim Amtsgericht hinterlegt. Der Notar erteilte ihm daraufhin eine Ausfertigung der Auflassungserklärung und der Eintragungsbewilligung. Der Kläger reichte diese Unterlagen beim Grundbuchamt ein. Die Umschreibung ist noch nicht erfolgt.

Das LG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Klage abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Zu Recht hat das OLG entschieden, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Löschung der dinglichen Belastungen nicht verjährt ist. Selbst wenn die Zehnjahresfrist des § 196 BGB mit Abschluss des Kaufvertrags Ende Dezember 2009 begonnen hat, wurde sie durch die Anfang Dezember 2019 eingereichte und demnächst zugestellte Klage wirksam gehemmt.

Entgegen der Auffassung des OLG steht dem Klageanspruch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Dieser wäre zwar begründet, wenn der Anspruch auf Übereignung wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar wäre. Im Streitfall kann der Beklagte den Eigentumserwerb durch den Kläger aber trotz Verjährung des Übereignungsanspruchs nicht mehr verhindern.

Der Anspruch auf Übereignung der Grundstücke ist zwar noch nicht erfüllt, weil der Kläger noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Der Kläger kann sich das Eigentum aber ohne Mitwirkung des Beklagten verschaffen, weil die zur Übertragung des Eigentums erforderlichen Erklärungen bereits abgegeben sind.

Dass der Notar den Antrag erst nach Bestätigung der Kaufpreiszahlung durch den Beklagten beim Grundbuchamt einreichen durfte, ist unerheblich. Nach der Hinterlegung des Kaufpreises durfte der Kläger vom Notar die Herausgabe der erforderlichen Unterlagen verlangen und diese selbst beim Grundbuchamt einreichen, wie dies mittlerweile auch geschehen ist.

Praxistipp: Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass vor Erhebung einer zur Verjährungshemmung gebotenen Klage sorgfältig geprüft werden muss, welcher Mitwirkungshandlungen des Schuldners es bedarf und welchen Leistungserfolg der Gläubiger selbst herbeiführen kann. Im Zweifel sollte lieber „zu viel“ in den Klageantrag aufgenommen werden als „zu wenig“.

Anwaltsblog 5/2024: In welcher Frist verjährt der Vergütungsanspruch des Bauträgers?

Verjährt der Vergütungsanspruchs des Bauträgers in der Regelverjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren oder in der der speziellen Verjährungsfrist des § 196 BGB bei Rechten an einem Grundstück von zehn Jahren? Diese Frage hatte der VII. Zivilsenat des BGH (erneut) zu entscheiden (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – VII ZR 231/22):

 

Ein Bauträger verlangt von den Erwerbern einer Eigentumswohnung die Schlussrate von rund 15.000 €. Die Erwerber berufen sich auf Verjährung und bekommen vor dem Land- wie Oberlandesgericht recht, weil die Restvergütungsforderung der Klägerin der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliege, die gemäß § 195 BGB drei Jahre betrage und bei Klageerhebung abgelaufen gewesen sei. Auch wenn die Klageforderung Teil des Entgelts dafür sei, dass die Klägerin den Beklagten Eigentum an einem Grundstück zu übertragen habe, und die errichtete Wohnung „lediglich“ wesentlicher Bestandteil des Miteigentumsanteils sei, richte sich die Verjährung nicht nach § 196 BGB. Die Forderung sei nicht nur die Gegenleistung für die Übertragung des Miteigentumsanteils, sondern auch für die Erbringung von Bauleistungen. Deshalb sei die Vergütungsforderung nicht aufteilbar in eine für die Eigentumsübertragung sowie eine für die Bauleistung, weshalb die Verjährung einheitlich nach der Leistung zu beurteilen sei, die bei weitem überwiege und das Vertragsverhältnis charakterisiere. Das sei die Bauleistung.

Die Revision des Bauträgers hat Erfolg. Der Anspruch auf Zahlung der restlichen Vergütung aus dem Bauträgervertrag unterliegt der zehnjährigen Verjährungsfrist gemäß § 196 BGB und ist noch nicht verjährt. Bei einem Bauträgervertrag handelt es sich um einen einheitlichen Vertrag, der neben werkvertraglichen auch (soweit der Grundstückserwerb in Rede steht) kaufvertragliche Elemente enthält. Grundsätzlich ist bei Bauträgerverträgen hinsichtlich der Errichtung des Bauwerks Werkvertragsrecht, hinsichtlich der Übertragung des Eigentums an dem Grundstück hingegen Kaufrecht anzuwenden. Der Anspruch der Klägerin hat daher eine einheitliche Vergütung zum Gegenstand, so dass der Vergütungsanspruch nur einheitlich verjähren kann.    Für den einheitlichen Vergütungsanspruch des Bauträgers gilt jedoch nicht die dreijährige Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB, sondern die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 196 BGB. Nach § 196 BGB verjähren Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung in zehn Jahren. § 196 BGB verdrängt insoweit als speziellere gesetzliche Regelung § 195 BGB. Diese spezielle Verjährungsregelung ist auch auf den Vergütungsanspruch des Bauträgers anwendbar. Aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten ist es gerechtfertigt, § 196 BGB als speziellere Regelung auf den Vergütungsanspruch des Bauträgers anzuwenden. Da es sich bei dem Vergütungsanspruch des Bauträgers um einen einheitlichen Anspruch handelt, der folglich einer einheitlichen Verjährung unterliegt, kann sich die Verjährung dieses Anspruchs nur entweder nach § 196 BGB oder nach § 195 BGB richten. Da der einheitliche Vergütungsanspruch des Bauträgers jedenfalls auch eine Gegenleistung für die von ihm – neben der Bauwerkserrichtung – geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück und damit eine Gegenleistung iSd. § 196 BGB darstellt, ist es gerechtfertigt, insoweit einheitlich die speziellere Verjährungsregelung des § 196 BGB anzuwenden. Gegen diese Beurteilung kann nicht eingewendet werden, dass es sich bei dem Vergütungsanspruch um einen Anspruch aus einem Mischvertrag handelt, bei dem die vom Bauträger geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück gegenüber der Bauwerkserrichtung von derart untergeordneter Bedeutung für das Vertragsverhältnis ist, dass § 196 BGB auf den Vergütungsanspruch nicht angewendet werden könnte. Vielmehr ist die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück bei einem Bauträgervertrag von wesentlichem Interesse für den Erwerber. Der Anspruch des Erwerbers ist auf Übertragung des Grundstücks mit dem zu errichtenden Bauwerk gerichtet. Das Bauwerk wird mit seiner Errichtung wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Eigentum an dem Grundstück erstreckt sich daher auch auf das Eigentum an dem Bauwerk (§ 946 BGB). Die mit der einheitlichen Vergütung abgegoltenen Leistungen – auch die Leistungen betreffend die Bauwerkserrichtung – haben danach für den Erwerber keinen nachhaltigen Wert, wenn er nicht Eigentümer des Grundstücks wird.

Fazit: Verpflichtet sich der Veräußerer eines Grundstücksanteils in einem Bauträgervertrag zur Errichtung eines Bauwerks, verjährt sein einheitlich für Grundstücksanteil und Bauwerk vereinbarter Vergütungsanspruch gemäß § 196 BGB in zehn Jahren.

Anmerkung: Derselbe Senat hat 1978 entschieden, dass der einheitlich für Grundstücksanteil und Eigentumswohnung vereinbarte Vergütungsanspruch in der damaligen Regelfrist von  zwei Jahren verjährt (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1978 – VII ZR 288/77 – MDR 1979, 219). Die Verjährung für aus verschiedenen Leistungselementen bestehende Mischverträge sei nach den Leistungen zu beurteilen, die „bei weitem überwiegen und dem Vertragsverhältnis seine charakteristische Note geben“. Das sei die Bauleistung. Der Senat stellt nunmehr fest, dass das vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ergangene Urteil vom 12. Oktober 1978 der aktuellen Entscheidung schon deshalb nicht entgegensteht, weil es durch die Umgestaltung des Verjährungsrechts auf einer anderen Rechtslage beruht. Eine tragfähige Begründung, warum der Bauträgervertrag nicht durch die Bauwerkserrichtungsleistungen derart geprägt wird, dass sich die Verjährung des Vergütungsanspruchs einheitlich nach den für werkvertragliche Vergütungsansprüche geltenden Vorschriften richtet, wie derselbe Senat zuvor gemeint hatte, lässt die besprochen Entscheidung vermissen.

Anwaltsblog 4/2024: Auch ein nicht zu den Akten gelangter per beA übermittelter Schriftsatz wahrt die Frist!

Der BGH hatte zu entscheiden, ob eine verfahrensordnungswidrige Gehörsverletzung vorliegt, wenn eine rechtzeitig bei Gericht eingegangene Berufungsbegründungsschrift unberücksichtigt bleibt, weil sie nicht zur Verfahrensakte gelangt ist:

Der Beklagte hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts, durch das er zur Räumung seiner Mitwohnung verurteilt worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufung wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen, weil eine Berufungsbegründung auch nach dem Verstreichen der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht nicht vorliege. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat gehörswidrig die von dem Beklagten innerhalb der (verlängerten) Berufungsbegründungsfrist eingereichte Berufungsbegründungsschrift nicht zur Kenntnis genommen. Ein Gericht verstößt gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an; das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich. Deshalb ändert es an der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nichts, wenn den erkennenden Richtern der Schriftsatz im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob der Schriftsatz den Richtern nach Eingang bei Gericht nur nicht vorgelegt wurde oder erst gar nicht zur Verfahrensakte gelangt ist.

Der Berufungsbegründungsschriftsatz ist am 19. Juni 2023 und damit innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Für den rechtzeitigen Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, dass diese vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt. Die per beA übersandte Berufungsbegründungsschrift ist ausweislich des in den Gerichtsakten befindlichen Prüfvermerks an diesem Tag („Eingangszeitpunkt: 19.06.2023, 16:27:17“) und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen. Dass das elektronische Dokument – offenbar infolge eines gerichtsinternen Versehens – erst am 19. Juli 2023 zur Gerichtsakte gelangt ist, ist dagegen für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht von Bedeutung und steht aus den vorgenannten Gründen auch der Annahme eines Gehörsverstoßes nicht entgegen.

(BGH, Beschluss vom 8. November 2023 – VIII ZB 59/23)

 

Fazit: Ein Gericht verstößt gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an; das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich. Deshalb ändert es an der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nichts, wenn den erkennenden Richtern der Schriftsatz im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2018 – XII ZB 240/17 –, MDR 2018, 1334).

 

Anmerkung: Zwar werden bei fehlerhafter gerichtlicher Sachbehandlung für die III. Instanz Gerichtskosten nicht erhoben (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Das ändert aber nichts daran, dass den Parteien, die für Notwendigkeit der Rechtsbeschwerde nicht verantwortlich sind, Anwaltskosten entstanden sind, die im Ergebnis der unterliegenden Partei aufzuerlegen sind. Einen einfacheren Weg, die eklatant falschen Entscheidung des Berufungsgerichts abzuändern, kennt das geltende Recht jedoch nicht. Die Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO, die Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schafft, ist subsidiär und nicht gegeben, wenn ein Rechtsmittel statthaft ist (§ 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es wäre sinnvoll, wenn der Gesetzgeber Abhilfe schaffen würde, zumal Sachverhalte wie dieser aufgrund der nach wie vor mangelhaften Organisation der Behandlung elektronisch eingereichter Schriftsätze durch die Gerichte immer wieder vorkommen werden.

Anwaltsblog 3/2024: Noch einmal – Wann muss das Berufungsgericht Zeugen erneut vernehmen?

Ob das Berufungsgericht eine erstinstanzliche durchgeführte Beweisaufnahme wiederholen muss, wenn mit der Berufungsbegründung die Bewertung der Beweisaufnahme durch das erstinstanzliche Gericht angegriffen wird, hatte der VIII. Zivilsenat zu entscheiden:

Die Klägerin hatte an die Beklagten ein Haupt- und ein Nebenhaus an einem oberbayerischen See mit einer Gesamtwohnfläche von 410 m² vermietet. Sie beabsichtigte zunächst, das Grundstück zu verkaufen. Eine Besichtigung des Objekts durch den Makler wurde von den Beklagten, denen die Klägerin ebenfalls ein Verkaufsangebot unterbreitet hatte, verwehrt. Kurz darauf kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Sie wolle nunmehr das Haus selbst mit einem ihrer Söhne und dessen Familie bewohnen und ihr anderer Sohn wolle einen Bereich des Hauses als Zweitwohnsitz nutzen.

Das Amtsgericht hat der auf Räumungsklage nach zeugenschaftlicher Vernehmung der beiden Söhne zum Vorliegen des behaupteten Eigenbedarfs stattgegeben. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Berufungsgericht sei grundsätzlich an die erstinstanzliche Beweiswürdigung gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit vorgetragen würden. Solche Anhaltspunkte seien ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügten nicht. Die Berufungsbegründung könne derartige konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht aufzeigen. Insgesamt setzten die Beklagten lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Amtsgerichts.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Dem Berufungsgericht ist eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Das Berufungsgericht hat den Prüfungsmaßstab der Vorschrift des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und seine daraus folgende Prüfungskompetenz und -pflicht grundlegend verkannt und deshalb die nach dem Gesetz erforderliche eigene Beweiswürdigung unter Einbeziehung der von den Beklagten in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen unterlassen. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht zwar grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist dabei nicht – wie die revisionsrechtliche Prüfung – auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt. Das Berufungsgericht als zweite Tatsacheninstanz hat die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr sind auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet.

(BGH, Beschluss vom 8. August 2023 – VIII ZR 20/23, MDR 2023, 1331)

 

Fazit: Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben. Allerdings reicht für eine zweitinstanzliche Wiederholung einer Beweisaufnahme nicht jegliches Infragestellen der Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht aus. Bloß subjektive Zweifel sowie abstrakte Erwägungen oder Vermutungen genügen aber nicht (kritisch dazu: Elzer MDR 2023, 1501 und Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 1/2024 Anm. 6.