Anwaltsblog: Welche Pflichten treffen den Rechtsanwalt, der selbst einen fristgebundenen Schriftsatz aus dem beA versendet?

Übermittelt ein Rechtsanwalt einen fristgebundenen Schriftsatz per beA, entsprechen seine Sorgfaltspflichten denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Dabei gehört die korrekte Eingabe der Empfängernummer zu seinen Sorgfaltsanforderungen. Ob hiervon ausgehend eine Prozessbevollmächtigte, die den Versand der Berufungsschrift über das beA selbst vorgenommen hatte, verpflichtet ist, sich darüber zu vergewissern, dass der – von ihr durchgeführte – Sendevorgang an das zuständige Berufungsgericht als dem richtigen Empfangsgericht adressiert ist, hatte der VIII. Zivilsenat zu entscheiden:

Mit einem an das Landgericht Berlin adressierten Schriftsatz hat die Klägerin Berufung gegen das Urteil des AG Berlin-Schöneberg eingelegt. Dieser Schriftsatz ist als elektronisches Dokument über das beA an das Amtsgericht versandt worden, wo er am letzten Tag der Rechtsmittelfrist -eingegangen ist. Beim (zuständigen) Landgericht ist er nach Weiterleitung durch das Amtsgericht erst nach Fristablauf eingegangen. Ihren Wiedereinsetzungsantrag hat die Klägerin wie folgt begründet: Ihre Prozessbevollmächtigte habe die Berufungsschrift am Vormittag des Tags des Fristablaufs diktiert und nach Vorlage des Diktats und Kontrolle des Schriftsatzes eigenhändig unterschrieben. Sie habe anschließend eine Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsschrift sofort in ihr beA für den Versand einzustellen. Gegen 14 Uhr habe die Kanzleimitarbeiterin ihr mitgeteilt, die beA-Nachricht sei mit Ausnahme der qualifizierten elektronischen Signatur sofort versandfertig an das Berufungsgericht. Die Prozessbevollmächtigte habe sich sofort in ihren beA-Account eingeloggt, die Berufungsschrift sowie die Anlage jeweils einzeln mit ihrer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und den „Senden-Button gedrückt“. Anschließend habe sie die Akte wieder an die Angestellte mit der Anweisung übergeben, den Versand zu überprüfen. Auf spätere Nachfrage habe diese versichert, der Versand sei ordnungsgemäß erfolgt. Tatsächlich aber sei durch ein unerklärliches Versehen der Mitarbeiterin beim Einstellen der beA-Nachricht in das Postfach der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Auswahl des Empfängers über die globale Adressliste das Amtsgericht Schöneberg anstelle des Landgerichts Berlin ausgesucht worden, obwohl die Berufungsschrift (richtig) an das Landgericht adressiert gewesen sei.

Der Wiedereinsetzungsantrag hat keinen Erfolg. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte, als sie die Berufungsschrift selbst über das beA versandte, ohne Weiteres und rechtzeitig die Fehlerhaftigkeit der zuvor von ihrer Mitarbeiterin getroffenen Auswahl des Amtsgerichts als Empfänger der Nachricht erkennen können und korrigieren müssen. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Entschließt er sich, einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einzureichen, hat er auch in diesem Fall geeignete Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang zu gewährleisten.    Hiervon ausgehend war die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die den Versand der Berufungsschrift über das beA selbst vorgenommen hatte, verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, dass der – von ihr durchgeführte – Sendevorgang an das zuständige Berufungsgericht als dem richtigen Empfangsgericht adressiert ist. Dies hat sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt getan. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte beim Versand der Berufungsschrift aus der beA-Webanwendung den Adressaten ihrer Nachricht – ähnlich einer E-Mail – dem deutlich sichtbaren Empfängerfeld entnehmen. Für sie war somit erkennbar, wohin sie die beA-Nachricht schickt, wenn sie, wie von ihr ausgeführt, auf den „Senden-Button gedrückt“ hat. Es musste ihr ohne Weiteres auffallen, dass es sich bei dem ausgewählten Amtsgericht nicht um das zuständige Gericht für die Einlegung einer Berufung handeln konnte. Zudem muss ein Rechtsanwalt, auch soweit er sich grundsätzlich auf seine Mitarbeiter verlassen kann, selbst tätig werden und für die ordnungsgemäße Erfüllung der betreffenden Aufgabe Sorge tragen, wenn für ihn bei gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt erkennbar ist, dass seinem Büropersonal im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises Fehler unterlaufen sind oder es Anweisungen nicht beachtet hat. Dies ist hinsichtlich des von der Kanzleimitarbeiterin im beA ersichtlich unzutreffend ausgewählten erstinstanzlichen Gerichts als Adressat für die Berufungsschrift der Fall. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte ohne weiteres – insbesondere ohne Abgleich mit dem Schriftsatz – und rechtzeitig erkennen können, dass ihre Mitarbeiterin nicht das richtige Gericht im Empfängerfeld der beA-Nachricht ausgewählt hatte, und hätte dies vor dem Absenden korrigieren müssen.

(BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – VIII ZB 60/22)

 

Fazit: Ein Prozessbevollmächtigter, der den Versand der Berufungsschrift über das beA selbst vornimmt, ist verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, dass der – von ihm durchgeführte – Sendevorgang an das zuständige Berufungsgericht als das richtige Empfangsgericht adressiert ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Ausgangskontrolle bei Versand per Telefax
Beschluss vom 23. Mai 2017 – II ZB 19/16

Mit den Anforderungen an die Organisation des Telefaxversands in der Anwaltskanzlei befasst sich der II. Zivilsenat.

Der Rechtsanwalt des in erster Instanz unterlegenen Klägers hatte am letzten Tag der Frist eine Mitarbeiterin beauftragt, die Berufungsschrift per Telefax an das zuständige OLG zu versenden. Dort kamen nur die erste Seite der Berufungsschrift und eine Seite aus dem angefochtenen Urteil an, nicht aber die zweite Seite der Berufungsschrift mit der Unterschrift des Anwalts. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine Rechtsprechung, wonach es zur Ausgangskontrolle genügt, einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Entgegen der Auffassung des OLG ist es nicht erforderlich, die übermittelten Schriftstücke auf inhaltliche Vollständigkeit zu überprüfen oder den fristgebundenen Schriftsatz und dazu gehörende Anlagen getrennt zu übermitteln. Ebenfalls nicht erforderlich ist es, beim Gericht telefonisch nachzufragen, ob der Schriftsatz vollständig übermittelt worden ist.

Praxistipp: Bei umfangreichen Schriftsätzen mit zahlreichen Anlagen kann es sich dennoch empfehlen, Schriftsatz und Anlagen getrennt zu übermitteln, weil einige Faxgeräte die Übermittlung nach einer bestimmten Höchstdauer (z. B. eine Stunde) automatisch abbrechen und dies unter ungünstigen Umständen zum Verlust der gesamten Sendung führen kann.

Bedingte Fristverlängerung
Beschluss vom 1. Juni 2017 – V ZB 106/16

Das Gebot der Rechtsmittelklarheit konkretisiert der V. Zivilsenat.

Der Rechtsanwalt der in erster Instanz unterlegenen Klägerin hatte nach drei vorangegangenen Fristverlängerungen beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung nochmals zu verlängern, und anwaltlich versichert, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe zugestimmt. Der Vorsitzende des Berufungssenats gewährte die Fristverlängerung „mit der Maßgabe, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten seine Zustimmung erteilt hat“. Nach Eingang der Begründung innerhalb der verlängerten Frist machte die Beklagte geltend, eine Zustimmung zu der Verlängerung sei nicht erteilt worden. Das Berufungsgericht hielt die Fristverlängerung wegen Nichtvorliegens der in der Verfügung ausgesprochenen Bedingung für unwirksam und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er leitet aus dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit ab, dass die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden darf. Wenn das Gericht hiergegen verstößt, ist nicht die Fristverlängerung unwirksam, sondern nur die Bedingung. Deshalb war die Begründungsfrist trotz fehlender Zustimmung der Gegenseite wirksam verlängert worden.

Praxistipp: Um eine irrtümliche Fristverlängerung zu vermeiden, kann es sich für den Gegner empfehlen, das Gericht von sich aus darüber in Kenntnis zu setzen, dass er eine Bitte um Zustimmung zur Fristverlängerung abgelehnt hat.