Montagsblog: Neues vom BGH

Drei kurz hintereinander ergangene Entscheidungen befassen sich mit der Akteneinsicht zum Zwecke der Berufungsbegründung

Akteneinsicht und Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
Beschluss vom 16. Januar 2018 –VIII ZB 61/17

Der VIII. Zivilsenat entscheidet, dass die Frist zur Begründung der Berufung ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht um mehr als einen Monat verlängert werden darf, wenn der Berufungskläger noch keine Gelegenheit zur Akteneinsicht hatte.

Die Klägerin machte Ansprüche auf Zahlung von Miete geltend. Das AG wies die Klage ab. In der Berufungsschrift bat der erstmals für die zweite Instanz bestellte Prozessbevollmächtigte um Übersendung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist bis zum Ablauf von einem Monat nach Einsichtnahme. Die Akteneinsicht wurde bewilligt, der Antrag auf Fristverlängerung blieb unbeantwortet. Kurz vor Ablauf der bis 19.06.2017 laufenden, nicht verlängerten Frist erinnerte der Prozessbevollmächtigte an sein Verlängerungsgesuch und beantragte hilfsweise die Verlängerung „um einen weiteren Monat bis zum 19.06.2017“. Das LG ließ auch diesen Antrag zunächst unbeantwortet. Die Berufungsbegründung ging Mitte August 2017 ein – einen Monat nach Überlassung der Akten. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Der BGH sieht in dem Umstand, dass das LG die Anträge auf Fristverlängerung nicht beschieden hat, keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte zwar erwarten, dass die Begründungsfrist auf seine Anträge hin bis 19.07.2017 verlängert wird. Mit einer weiteren Fristverlängerung ohne Zustimmung des Gegners durfte er aber nicht rechnen. Anders als im Revisionsverfahren (§ 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO) ist im Berufungsverfahren (§ 520 Abs. 2 ZPO) eine Verlängerung der Begründungsfrist um mehr als einen Monat ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht möglich, wenn dem Berufungskläger die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestellt wurde. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung hat die Klägerin nicht gestellt. Sie hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch nicht vorgetragen, weshalb ihr Prozessbevollmächtigter an einer früheren Erstellung und Einreichung der Berufungsbegründung gehindert war.

Praxistipp: Um die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung verbundenen Unwägbarkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, sollte stets versucht werden, die Einwilligung des Gegners zu einer weiteren Verlängerung der Begründungsfrist einzuholen.

Antrag auf Wiedereinsetzung wegen verzögerter Überlassung der Akten
Beschluss vom 11. Januar 2018 –III ZB 81/17

Dass der Weg über einen Antrag auf Wiedereinsetzung grundsätzlich gangbar ist, belegt eine Entscheidung des III. Zivilsenats.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin beantragte in der Berufungsschrift die Übersendung der Akten und die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat. Die Frist wurde antragsgemäß verlängert. Die Akten konnten auch innerhalb der verlängerten Frist nicht zur Verfügung gestellt werden. Einem darauf gestützten Antrag auf nochmalige Verlängerung traten die Beklagten entgegen. Die Klägerin reichte hierauf „vorsorglich“ eine Berufungsbegründung ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach Gewährung der Akteneinsicht ergänzte sie die Begründung und beantragte erneut Wiedereinsetzung. Das Berufungsgericht versagte die Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH hebt die angefochtene Entscheidung auf und gewährt der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war nicht gehalten, vor Gewährung der beantragten Akteneinsicht eine Berufungsbegründung einzureichen. Die Überlassung der Akten ist erforderlich, um eine Prüfung auf Verfahrensfehler durchzuführen und um die Vollständigkeit der eigenen Unterlagen zu überprüfen. Der Berufungskläger darf diese Möglichkeit nutzen. Wenn ihm die Akten trotz eines rechtzeitig gestellten Antrags nicht zur Verfügung gestellt werden, braucht er auch keine vorläufige Berufungsbegründung zu fertigen. Ihm ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Berufungsbegründung nach Überlassung der Akten innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist einreicht und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dies gilt auch dann, wenn er innerhalb der Frist vorsorglich eine vorläufige Berufungsbegründung eingereicht hat.

Praxistipp: Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufungsbegründung müssen gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats nach Überlassung der Akten eingereicht werden.

Verspäteter Antrag auf Überlassung der Akten
Beschluss vom 12. Dezember 2017 –VI ZB 24/17

Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Anwalt von Beginn an große Sorgfalt walten lässt, zeigt eine Entscheidung des VI. Zivilsenats.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Am letzten Tag der antragsgemäß um einen Monat verlängerten Frist zur Berufungsbegründung beantragte die Klägerin die nochmalige Verlängerung um einen Monat und die Gewährung von Akteneinsicht, um einem von ihr beauftragten Privatgutachter eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung zu ermöglichen. Die Fristverlängerung wurde nicht gewährt. Drei Tage nach Überlassung der Akten – und zugleich einen Monat nach Ablauf der auf den ersten Antrag hin verlängerten Frist – reichte die Klägerin die Berufungsbegründung ein. Zugleich beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG wies diesen Antrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Zwar ist ein Berufungskläger als an der fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung gehindert anzusehen, wenn ihm die Prozessakten innerhalb der Frist nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Dies setzt aber voraus, dass er rechtzeitig die Gewährung von Akteneinsicht beantragt hat. Ein am letzten Tag der nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners verlängerbaren Begründungsfrist gestellter Einsichtsantrag reicht hierfür nicht aus.

Praxistipp: Um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu wahren, sollte stets schon in der Berufungsschrift um Überlassung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat gebeten werden.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Ausgangskontrolle bei Versand per Telefax
Beschluss vom 23. Mai 2017 – II ZB 19/16

Mit den Anforderungen an die Organisation des Telefaxversands in der Anwaltskanzlei befasst sich der II. Zivilsenat.

Der Rechtsanwalt des in erster Instanz unterlegenen Klägers hatte am letzten Tag der Frist eine Mitarbeiterin beauftragt, die Berufungsschrift per Telefax an das zuständige OLG zu versenden. Dort kamen nur die erste Seite der Berufungsschrift und eine Seite aus dem angefochtenen Urteil an, nicht aber die zweite Seite der Berufungsschrift mit der Unterschrift des Anwalts. Das OLG wies das Wiedereinsetzungsgesuch zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine Rechtsprechung, wonach es zur Ausgangskontrolle genügt, einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Entgegen der Auffassung des OLG ist es nicht erforderlich, die übermittelten Schriftstücke auf inhaltliche Vollständigkeit zu überprüfen oder den fristgebundenen Schriftsatz und dazu gehörende Anlagen getrennt zu übermitteln. Ebenfalls nicht erforderlich ist es, beim Gericht telefonisch nachzufragen, ob der Schriftsatz vollständig übermittelt worden ist.

Praxistipp: Bei umfangreichen Schriftsätzen mit zahlreichen Anlagen kann es sich dennoch empfehlen, Schriftsatz und Anlagen getrennt zu übermitteln, weil einige Faxgeräte die Übermittlung nach einer bestimmten Höchstdauer (z. B. eine Stunde) automatisch abbrechen und dies unter ungünstigen Umständen zum Verlust der gesamten Sendung führen kann.

Bedingte Fristverlängerung
Beschluss vom 1. Juni 2017 – V ZB 106/16

Das Gebot der Rechtsmittelklarheit konkretisiert der V. Zivilsenat.

Der Rechtsanwalt der in erster Instanz unterlegenen Klägerin hatte nach drei vorangegangenen Fristverlängerungen beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung nochmals zu verlängern, und anwaltlich versichert, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe zugestimmt. Der Vorsitzende des Berufungssenats gewährte die Fristverlängerung „mit der Maßgabe, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten seine Zustimmung erteilt hat“. Nach Eingang der Begründung innerhalb der verlängerten Frist machte die Beklagte geltend, eine Zustimmung zu der Verlängerung sei nicht erteilt worden. Das Berufungsgericht hielt die Fristverlängerung wegen Nichtvorliegens der in der Verfügung ausgesprochenen Bedingung für unwirksam und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er leitet aus dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit ab, dass die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden darf. Wenn das Gericht hiergegen verstößt, ist nicht die Fristverlängerung unwirksam, sondern nur die Bedingung. Deshalb war die Begründungsfrist trotz fehlender Zustimmung der Gegenseite wirksam verlängert worden.

Praxistipp: Um eine irrtümliche Fristverlängerung zu vermeiden, kann es sich für den Gegner empfehlen, das Gericht von sich aus darüber in Kenntnis zu setzen, dass er eine Bitte um Zustimmung zur Fristverlängerung abgelehnt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Bestreiten des Vermietervortrags zur Wohnfläche
Urteil vom 31. Mai 2017 – VIII ZR 181/16

Mit den Anforderungen an ein wirksames Bestreiten von Parteivortrag im Mieterhöhungsverfahren befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hat an die Beklagte eine aus drei Zimmern bestehende Dachgeschosswohnung vermietet. Vier Jahre nach Mietbeginn begehrte sie eine Mieterhöhung. Die Größe der Wohnung gab sie in dem Erhöhungsschreiben und im nachfolgenden Rechtsstreit mit 92,54 m² an. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Fläche in einem Wohnungsinserat mit 90 m² angegeben war, und erklärte, sie bezweifle beide Angaben. Vorsorglich beantragte sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Klägerin bot trotz gerichtlichen Hinweises keinen Beweis für die Wohnungsgröße an. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Anders als die Vorinstanzen sieht er den Vortrag der Klägerin zur Wohnungsgröße nicht als wirksam bestritten an. Wenn der Vermieter eine bestimmte Wohnfläche vorträgt, darf der Mieter dieses Vorbringen nicht pauschal bestreiten. Er muss vielmehr die Wohnung zumindest überschlägig vermessen und konkret darlegen, von welcher Fläche er ausgeht. Dies gilt auch dann, wenn die exakte Berechnung der Fläche aufgrund von Schrägen und Winkeln kompliziert ist.

Praxistipp: Um unnötigen Streit über die ausreichende Substantiierung zu vermeiden, sollte der Mieter nicht nur eine Zahl vortragen, sondern durch Vorlage von Skizzen oder dergleichen aufzeigen, wie er diesen Wert ermittelt hat.

Teilklage und Teilberufung
Beschluss vom 1. Juni 2017 – III ZB 77/16

Dass für die Bestimmtheit einer Berufung nicht dieselben Anforderungen gelten wie für die Bestimmtheit der Klage verdeutlicht der III. Zivilsenat.

Die Klägerin begehrte vom beklagten Land wegen Amtspflichtverletzung unter anderem Erstattung von Verdienstausfall in Höhe von 48.000 Euro und von Aufwendungen für berufliche Umorientierung in Höhe von 7.020 Euro. Das LG wies die Klage ab. In der Berufungsbegründung stellte die Klägerin ohne nähere Zuordnung zu den erstinstanzlichen Anträgen einen Zahlungsantrag in Höhe von 5.100 Euro. Das KG verwarf die Berufung durch Beschluss als unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht erkennen lasse, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten werde und welche Abänderungen beantragt würden.

Der BGH verweist die Sache an das KG zurück. Für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung reicht es aus, wenn erkennbar ist, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten werden soll und auf welche Gründe das Rechtsmittel gestützt wird. Eine Zuordnung einzelner Teilbeträge zu einzelnen Forderungen ist nicht erforderlich. Ihr Unterbleiben kann zwar zur Abweisung der Klage als unzulässig führen. Für die Zulässigkeit der Berufung ist dieser Mangel aber nicht von Bedeutung. Der Berufungskläger kann ihn auch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch beheben.

Praxistipp: Auch wenn nur die Zulässigkeit der Klage und nicht die Zulässigkeit der Berufung davon abhängt, sollte die erforderliche Aufteilung des geltend gemachten Teilbetrags auf die einzelnen Teile des Streitgegenstands möglichst schon in der Berufungsbegründung vorgenommen werden.