Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil.

Fernbleiben vom Termin nach Verlegungsantrag und Ablehnungsgesuch
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 – V ZB 53/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Sorgfaltspflichten im Vorfeld eines Einspruchstermins.

Die Klägerin begehrt eine Löschungsbewilligung. Das AG hat gegen den Beklagten antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen. Der Beklagte hat Einspruch eingelegt.

Fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte die Verlegung des Termins wegen fehlender Akteneinsicht begehrt. Mit einem unmittelbar vor Verhandlungsbeginn eingegangenen Schreiben hat er den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das AG hat den Einspruch durch den abgelehnten Richter durch Versäumnisurteil verworfen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das LG hat die Berufung zu Recht als gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig angesehen, weil der Beklagte in seiner Berufungsbegründung einen Fall der fehlenden oder schuldlosen Säumnis nicht dargelegt hat.

Der Beklagte durfte sich nicht darauf verlassen, dass sein unmittelbar vor dem Termin eingereichtes Ablehnungsgesuch dem abgelehnten Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegt wird. Deshalb war er gehalten, vorsorglich zum Termin zu erscheinen und sein Ablehnungsgesuch ggf. zu wiederholen.

Unabhängig davon reicht die Rüge, ein vor dem Termin gestelltes Ablehnungsgesuch sei fehlerhaft behandelt worden, zur Darlegung fehlender oder unverschuldeter Säumnis im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht aus. Entsprechendes gilt für die Rüge, durch die Nichtgewährung von Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Praxistipp: Bei einem Ablehnungsgesuch während der mündlichen Verhandlung kann der Termin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn anderenfalls eine Vertagung erforderlich wäre.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verhältnis zwischen der Verschwiegenheitspflicht eines Notars und dem Akteieinsichtsrecht von Beteiligten.

Einsicht in die Nebenakte eines Notars
BGH, Beschluss vom 11. Januar 2024 – V ZB 63/22

Der V. Zivilsenat beantwortet eine bislang offen gelassene Frage.

Die Beteiligten sind Geschwister und Erben ihrer im Jahr 2016 verstorbenen Mutter. Rund zwei Monate vor ihrem Tod hatte die Erblasserin der Beteiligten zu 2 in einem notariellen Vertrag eine Eigentumswohnung geschenkt. Der Beteiligte zu 1 macht in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht geltend, der Vertrag sei wegen Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin unwirksam. Das Landgericht hat beschlossen, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen einzuholen. Die beiden Beteiligten und die Präsidentin des Landgerichts (als zuständige Aufsichtsbehörde anstelle der verstorbenen Mutter, § 18 Abs. 2 BNotO) haben den beurkundenden Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit.

Der Notar hat einen Antrag des Beteiligten zu 1 auf Einsicht in die Nebenakte dennoch abgelehnt. Ergänzend hat er erklärt, in der Nebenakte finde sich zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin lediglich der handschriftliche Vermerk „voll geschäftsfähig“. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Versagung der Akteneinsicht ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 51 Abs. 3 BeurkG können die an einer Beurkundung beteiligten Personen vom Notar die Einsicht in die Urschrift verlangen. Ein Einsichtsrecht in die nicht zur Urkundensammlung gehörenden Unterlagen, die gemäß § 40 NotAktVV in der Nebenakte abzulegen und aufzubewahren sind, besteht hingegen nicht.

Der Inhalt der Nebenakte unterliegt der in § 18 Abs. 1 BNotO Pflicht des Notars zur Amtsverschwiegenheit. Ist der Notar von dieser Pflicht befreit worden, so ist er berechtigt, aber nicht verpflichtet, Einsicht in die Nebenakte oder einzelne Bestandteile davon zu gewähren. Die Entscheidung darüber obliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen.

Im Streitfall ist die Entscheidung des Notars, die Einsicht zu verweigern, weil die Nebenakten außer dem Vermerk „voll geschäftsfähig“ keine Unterlagen zur Geschäftsfähigkeit der Erblasserin enthalten, nicht zu beanstanden. Der Beteiligte zu 1 hat keinen Anspruch darauf, die Nebenakten nach Unterlagen zu durchsuchen, die möglicherweise doch relevant sind.

Praxistipp: Wenn der Notar von der Verschwiegenheitspflicht befreit wurde, ist er gemäß § 385 Abs. 2 ZPO nicht mehr zur Zeugnisverweigerung berechtigt.

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Diese Woche geht es um die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt im Zusammenhang mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Verlängerung der Begründungsfrist nach verspäteter Einlegung eines Rechtsmittels
BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2024 – IV ZR 29/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit einer haftungsträchtigen Situation.

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer privaten Krankenversicherung. Sein Begehren ist in den beiden ersten Instanzen erfolglos geblieben. Das Urteil des OLG wurde ihm am 30. November 2022 zugestellt. Am 27. Januar 2023 hat sein Prozessbevollmächtigter Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Am 9. Februar 2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte erstmals, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und des diesbezüglichen Wiedereinsetzungsantrags bis zum 9. April 2023 zu verlängern.

Der Prozessbevollmächtigte hat die Begründung des Rechtsmittels innerhalb der verlängerten Frist eingereicht. Er beantragt auch bezüglich der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, der Kläger habe sich bis 18. Januar 2023 krankheitsbedingt nicht um seine Rechtsangelegenheiten kümmern können. In der Zeit zwischen diesem Tag und dem regulären Ablauf der Begründungsfrist sei es nicht möglich gewesen, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen, zumal die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Der BGH lehnt die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht fristgerecht begründet worden. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist mit dem 30. Januar 2023 abgelaufen. Die gewährten Fristverlängerungen sind unwirksam, weil der erste Verlängerungsantrag gestellt wurde, als die Frist bereits abgelaufen war.

Die Versäumung der Frist beruht auf dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Dieser hätte bei Einlegung des Rechtsmittels am 27. Januar 2023 die Verlängerung der damals noch laufenden Begründungsfrist beantragen können und müssen. Der Antrag hätte schon deshalb Aussicht auf Erfolg gehabt, weil die Gerichtsakten noch nicht vorlagen.

Praxistipp: Ist die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bei Wegfall des Hindernisses bereits abgelaufen, muss die Begründung gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats eingereicht werden. Diese Frist ist nicht verlängerbar (zu einem Ausnahmefall vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2007 – V ZB 48/06, MDR 2007, 1332).

Konnte die Begründungsfrist deshalb nicht eingehalten werden, weil ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe erst nach Fristablauf bewilligt worden ist, beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO bei Berufung, Revision und Nichtzulassungsbeschwerde mit der Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist, bei einer Rechtsbeschwerde hingegen schon mit Bewilligung der Prozesskostenhilfe (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 – IX ZB 197/07, MDR 2008, 1058).

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Drei kurz hintereinander ergangene Entscheidungen befassen sich mit der Akteneinsicht zum Zwecke der Berufungsbegründung

Akteneinsicht und Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
Beschluss vom 16. Januar 2018 –VIII ZB 61/17

Der VIII. Zivilsenat entscheidet, dass die Frist zur Begründung der Berufung ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht um mehr als einen Monat verlängert werden darf, wenn der Berufungskläger noch keine Gelegenheit zur Akteneinsicht hatte.

Die Klägerin machte Ansprüche auf Zahlung von Miete geltend. Das AG wies die Klage ab. In der Berufungsschrift bat der erstmals für die zweite Instanz bestellte Prozessbevollmächtigte um Übersendung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist bis zum Ablauf von einem Monat nach Einsichtnahme. Die Akteneinsicht wurde bewilligt, der Antrag auf Fristverlängerung blieb unbeantwortet. Kurz vor Ablauf der bis 19.06.2017 laufenden, nicht verlängerten Frist erinnerte der Prozessbevollmächtigte an sein Verlängerungsgesuch und beantragte hilfsweise die Verlängerung „um einen weiteren Monat bis zum 19.06.2017“. Das LG ließ auch diesen Antrag zunächst unbeantwortet. Die Berufungsbegründung ging Mitte August 2017 ein – einen Monat nach Überlassung der Akten. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Der BGH sieht in dem Umstand, dass das LG die Anträge auf Fristverlängerung nicht beschieden hat, keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte zwar erwarten, dass die Begründungsfrist auf seine Anträge hin bis 19.07.2017 verlängert wird. Mit einer weiteren Fristverlängerung ohne Zustimmung des Gegners durfte er aber nicht rechnen. Anders als im Revisionsverfahren (§ 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO) ist im Berufungsverfahren (§ 520 Abs. 2 ZPO) eine Verlängerung der Begründungsfrist um mehr als einen Monat ohne Zustimmung des Gegners auch dann nicht möglich, wenn dem Berufungskläger die Gerichtsakten nicht zur Verfügung gestellt wurde. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung hat die Klägerin nicht gestellt. Sie hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch nicht vorgetragen, weshalb ihr Prozessbevollmächtigter an einer früheren Erstellung und Einreichung der Berufungsbegründung gehindert war.

Praxistipp: Um die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung verbundenen Unwägbarkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, sollte stets versucht werden, die Einwilligung des Gegners zu einer weiteren Verlängerung der Begründungsfrist einzuholen.

Antrag auf Wiedereinsetzung wegen verzögerter Überlassung der Akten
Beschluss vom 11. Januar 2018 –III ZB 81/17

Dass der Weg über einen Antrag auf Wiedereinsetzung grundsätzlich gangbar ist, belegt eine Entscheidung des III. Zivilsenats.

Die in erster Instanz unterlegene Klägerin beantragte in der Berufungsschrift die Übersendung der Akten und die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat. Die Frist wurde antragsgemäß verlängert. Die Akten konnten auch innerhalb der verlängerten Frist nicht zur Verfügung gestellt werden. Einem darauf gestützten Antrag auf nochmalige Verlängerung traten die Beklagten entgegen. Die Klägerin reichte hierauf „vorsorglich“ eine Berufungsbegründung ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach Gewährung der Akteneinsicht ergänzte sie die Begründung und beantragte erneut Wiedereinsetzung. Das Berufungsgericht versagte die Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH hebt die angefochtene Entscheidung auf und gewährt der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war nicht gehalten, vor Gewährung der beantragten Akteneinsicht eine Berufungsbegründung einzureichen. Die Überlassung der Akten ist erforderlich, um eine Prüfung auf Verfahrensfehler durchzuführen und um die Vollständigkeit der eigenen Unterlagen zu überprüfen. Der Berufungskläger darf diese Möglichkeit nutzen. Wenn ihm die Akten trotz eines rechtzeitig gestellten Antrags nicht zur Verfügung gestellt werden, braucht er auch keine vorläufige Berufungsbegründung zu fertigen. Ihm ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Berufungsbegründung nach Überlassung der Akten innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist einreicht und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dies gilt auch dann, wenn er innerhalb der Frist vorsorglich eine vorläufige Berufungsbegründung eingereicht hat.

Praxistipp: Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufungsbegründung müssen gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb eines Monats nach Überlassung der Akten eingereicht werden.

Verspäteter Antrag auf Überlassung der Akten
Beschluss vom 12. Dezember 2017 –VI ZB 24/17

Dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Anwalt von Beginn an große Sorgfalt walten lässt, zeigt eine Entscheidung des VI. Zivilsenats.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Am letzten Tag der antragsgemäß um einen Monat verlängerten Frist zur Berufungsbegründung beantragte die Klägerin die nochmalige Verlängerung um einen Monat und die Gewährung von Akteneinsicht, um einem von ihr beauftragten Privatgutachter eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung zu ermöglichen. Die Fristverlängerung wurde nicht gewährt. Drei Tage nach Überlassung der Akten – und zugleich einen Monat nach Ablauf der auf den ersten Antrag hin verlängerten Frist – reichte die Klägerin die Berufungsbegründung ein. Zugleich beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG wies diesen Antrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Zwar ist ein Berufungskläger als an der fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung gehindert anzusehen, wenn ihm die Prozessakten innerhalb der Frist nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Dies setzt aber voraus, dass er rechtzeitig die Gewährung von Akteneinsicht beantragt hat. Ein am letzten Tag der nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners verlängerbaren Begründungsfrist gestellter Einsichtsantrag reicht hierfür nicht aus.

Praxistipp: Um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu wahren, sollte stets schon in der Berufungsschrift um Überlassung der Akten und um Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat gebeten werden.