Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweiskraft einer notariellen Urkunde.

Beweiskraft einer notariellen Urkunde
BGH, Beschluss vom 28. August 2024 – XII ZR 62/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit der Reichweite von § 415 ZPO.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Verletzung von Pflichten als Betreuer in Anspruch.

Der Beklagte war von September 2015 bis Februar 2016 als vorläufiger Betreuer und von März 2016 bis März 2017 als Betreuer für seine im Jahr 1935 geborene und im Laufe des Rechtsstreits verstorbene Großmutter (nachfolgend: Erblasserin) eingesetzt. Am 30. Dezember 2015 veräußerte er die Wohnung der Erblasserin in einem notariell beurkundeten Kaufvertrag für 120.000 Euro an eine Bekannte seiner Mutter. Nach dem Kaufvertrag hat die Erblasserin alle mit dem Vertrag verbundenen Kosten und die Grunderwerbsteuer zu tragen.

Das Betreuungsgericht teilte dem Beklagten mit Verfügung vom 31. März 2016 mit, gegen die Veräußerung der Wohnung bestünden im Grundsatz keine Bedenken. Die Angemessenheit des Kaufpreises sei aber durch ein Gutachten eines vereidigten Sachverständigen zu belegen. Die vom Beklagten vorgelegte Wertermittlung durch einen Immobilienmakler reiche nicht aus.

Daraufhin genehmigte die (unstreitig geschäftsfähige) Erblasserin den Kaufvertrag am 5. April 2016 in einer notariellen Urkunde. Diese Urkunde enthält unter anderem die Erklärung, der Notar habe der Erblasserin den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrages erklärt und insbesondere darauf hingewiesen, dass der vereinbarte Kaufpreis 120.000 Euro beträgt und dass dieser Betrag einer gutachterlichen Stellungnahme des Maklers H. entspricht.

Seit März 2017 war die Erblasserin durch einen Berufsbetreuer vertreten. Dieser machte geltend, der Marktwert der Wohnung sei bedeutend höher gewesen, und nahm den Beklagten im Namen der Erblasserin auf Schadensersatz in Höhe von rund 58.000 Euro in Anspruch. Seit dem Tod der Erblasserin verfolgt deren Erbe – ein Cousin des Beklagten – den Anspruch weiter.

Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass die notarielle Urkunde vom 5. April 2016 gemäß § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis dafür erbringt, dass die beurkundete Erklärung abgegeben worden ist. Ebenfalls zutreffend hat das OLG angenommen, dass der Kläger – der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt – weder behauptet noch unter Beweis gestellt hat, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist.

Das OLG hat aber verkannt, dass sich die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht auf die inhaltliche Richtigkeit der abgegebenen Erklärung erstreckt.

Im Streitfall ist durch die Urkunde nur bewiesen, dass die Erblasserin den Kaufvertrag genehmigt und bestätigt hat, dass ihr der Notar den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrags erklärt hat. Ob diese Bestätigung inhaltlich zutrifft, hat der Tatrichter hingegen auf der Grundlage von § 286 ZPO zu beurteilen.

Deshalb hätte das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nachgehen müssen, der Notar habe die Erblasserin nicht darauf hingewiesen, dass die Übernahme aller Kosten und Steuern durch den Veräußerer unüblich ist und dass hinsichtlich des Werts der Wohnung nur die Stellungnahme eines Maklers, nicht aber ein Wertgutachten eines Sachverständigen vorliege.

Dieses Vorbringen ist erheblich. Ein Betreuer muss vor dem Verkauf eines Grundstücks grundsätzlich ein Verkehrswertgutachten einholen. Diese Pflicht besteht nicht, wenn der Betreute sein Einverständnis mit der abweichenden Verfahrensweise erklärt. Auf ein solches Einverständnis kann sich der Betreuer aber nicht berufen, wenn er die Betreute nicht hinreichend über den Inhalt und die Bedeutung des Geschäfts aufgeklärt hat.

Praxistipp: Auch wenn die Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO nicht greift, kann die Darlegungs- und Beweislast bei der Partei liegen, die die Richtigkeit der Urkunde angreift. So muss im Streitfall der Kläger darlegen und beweisen, dass der Beklagte die ihm gegenüber der Erblasserin obliegende Aufklärungspflicht verletzt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von nicht vertretbaren Handlungen gegen einen prozessunfähigen Schuldner

Zwangsvollstreckung wegen vertretbarer Handlungen gegen Prozessunfähige
Beschluss vom 23. September 2021 – I ZB 20/21

Mit den Voraussetzungen des § 888 ZPO befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Gläubigerinnen betreiben aus einem erstinstanzlichen Urteil die Zwangsvollstreckung wegen der Erteilung von Auskunft über den Bestand eines Nachlasses. Die Schuldnerin ist an Demenz erkrankt und deshalb nicht in der Lage, die Auskunft selbst zu erteilen. Sie hat ihrer Tochter und einem Dritten eine Generalvollmacht erteilt. Während des Vollstreckungsverfahrens hat das OLG änderte die Verurteilung in einzelnen Details zugunsten der Schuldnerin abgeändert. Das LG wies den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsmittels ab. Das OLG setzte gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 Euro fest.

Die Rechtbeschwerde der Schuldnerin hat aus formalen Gründen Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das OLG.

Der Zwangsvollstreckungsantrag ist allerdings zulässig. Die Schuldnerin ist zwar prozessunfähig. Sie wird aber aufgrund der erteilten Generalvollmacht gemäß § 51 Abs. 3 ZPO wirksam von den beiden Bevollmächtigten vertreten.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch schon deshalb begründet, weil die Zwangsvollstreckung nicht mehr auf der Grundlage des erstinstanzlichen Urteils erfolgen darf, sondern nur noch auf der Grundlage des (in einzelnen Details weniger weit reichenden) zweitinstanzlichen Titels.

Auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Urteils kommt (nur) die Festsetzung eines Zwangsgelds gegen die Schuldnerin in Betracht. Hierüber wird das OLG nach der Zurückverweisung entscheiden müssen.

Ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO ist auch bei Prozessunfähigkeit des Schuldners stets gegen diesen festzusetzen, nicht gegen seinen Bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreter. Dass der Schuldner persönlich nicht in der Lage ist, die Verpflichtung zu erfüllen, macht die Erfüllung nicht unmöglich, wenn die zu erwirkende Handlung durch Hilfspersonen vorgenommen werden kann. Eine Auskunft, die ein Geschäftsunfähiger zu erteilen hat, kann von dessen Bevollmächtigten erteilt werden. Nur wenn dies nicht in Betracht kommt, muss ein Betreuer bestellt werden. Sowohl bei Vertretung als auch bei Betreuung kann ein Zwangsgeld gegen den Schuldner festgesetzt werden. Dieser kann die Hilfsperson gegebenenfalls in Regress nehmen. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen einen Bevollmächtigten oder Betreuer ist nicht zulässig.

Ersatzzwangshaft und Zwangshaft können demgegenüber jedenfalls dann nicht gegen den Schuldner festgesetzt werden, wenn dieser nicht hinreichend einsichtig und steuerungsfähig ist, um die geschuldete Handlung vorzunehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann Ersatzzwangshaft und Zwangshaft zwar gegen einen gesetzlichen Vertreter festgesetzt werden, nicht aber gegen einen Bevollmächtigten. Anders als die Bestellung zum Betreuer begründet eine Vollmacht grundsätzlich keine Pflicht, zugunsten des Vertretenen tätig zu werden.

Praxistipp: Sollte die Festsetzung von Zwangsgeld in der in Rede stehenden Konstellation nicht zum Erfolg führen, dürfte ein Betreuer zu bestellen sein, um die Möglichkeit zur Festsetzung weiterer Zwangsmittel zu schaffen und um eventuelle Regressansprüche gegen die Bevollmächtigten geltend zu machen.