Wieder einmal hatte der BGH Anlass, in einem Wiedereinsetzungsverfahren die Voraussetzungen an die Kanzleiorganisation und insbesondere an die Postausgangskontrolle bei Versendung fristgebundener Schriftsätze per beA zusammenzufassen:
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Diese Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen. Der Rechtsanwalt darf nicht von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes per beA an das Gericht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren.
Die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begehrende Klägerin hat lediglich allgemein behauptet, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze die Anweisung, am Ende eines jeden Arbeitstages die Fristenliste mit den erfolgreichen „beA-Versandprotokollen“ abzugleichen und eine endgültige Erledigung nur zu notieren, wenn das „Versandprotokoll“ auf Existenz und Inhalt geprüft worden sei. Es lässt sich insoweit bereits nicht feststellen, ob sich die behauptete Anweisung einer Überprüfung des „Versandprotokolls“ auf die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO oder das Übermittlungsprotokoll bezog. Eine genaue Anweisung durch den Rechtsanwalt ist insbesondere erforderlich, um Verwechslungen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO mit dem Übermittlungsprotokoll zu vermeiden, dessen Vorliegen für die Ausgangskontrolle nicht genügt. Schon an der Darlegung einer solchermaßen eindeutigen Anweisung fehlt es. Zudem fehlen einer solcherart gefassten Anordnung auch hinreichende Anweisungen dazu, wie der zuständige Mitarbeiter die Kontrolle im Einzelfall vorzunehmen hat. Insoweit genügt es nicht, dass zur Organisation der Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten die Weisung an die den Postversand tätigenden Büromitarbeiter gehört, zu prüfen, ob die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO vorliegt. Der Rechtsanwalt muss dem Mitarbeiter vielmehr vorgeben, an welcher Stelle innerhalb der benutzten Software die elektronische Eingangsbestätigung zu finden ist und welchen Inhalt sie haben muss. Die pauschale Anweisung, das Vorliegen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren, lässt den Mitarbeiter dagegen schon darüber im Unklaren, welches im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr erstellte Dokument eine elektronische Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO ist. Wie die Eingangsbestätigung aufgerufen und ihr Inhalt überprüft werden kann, erfordert eine intensive Schulung der mit dem Versand über das beA vertrauten Mitarbeiter. Dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine den Postversand tätigenden Mitarbeiter entsprechend geschult oder angewiesen hat, hat die Klägerin schon nicht vorgetragen.
(BGH, Beschluss vom 6. September 2023 – IV ZB 4/23).
Fazit: Fristen dürfen erst nach Erhalt und Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs gestrichen werden (BGH MDR 2023, 858; Schwenker MDR 2023, 1161).
Anwaltsblog: Kein Vertrauen auf (erstmalige) Fristverlängerung von mehr als einem Monat ohne Zustimmung Gegenseite!
Darf der Rechtsmittelführer bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag von mehr als einem Monat auf die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist vertrauen und braucht nicht bei Gericht nachzufragen?
Das Familiengericht hat die Antragsgegnerin durch am 3. Januar 2022 zugestellten Beschluss zur Auskunftserteilung verpflichtet. Die Antragsgegnerin hat Beschwerde eingelegt und am 3. März 2022 beantragt, die Frist zur Begründung um sechs Wochen bis einschließlich 14. April 2022 zu verlängern. Mit am 14. April 2022 beim OLG eingegangenem Schriftsatz hat sie ihre Beschwerde begründet. Nach Hinweis hat die Antragsgegnerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihre zuverlässige und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte habe den Ablauf der Begründungsfrist, nachdem ein erster, auf Verlängerung bis zum 4. April 2022 gerichteter Fristverlängerungsantrag abgefasst worden sei, weisungsgemäß zunächst auf dieses Datum in den elektronischen Kalender eingetragen. Da allerdings dann eine weitergehende Fristverlängerung bis 14. April 2022 für nötig befunden worden sei, habe die Kanzleiangestellte die Frist auf den 14. April 2022 umgetragen. Die Verfahrensbevollmächtigte habe auf eine zeitnahe Entscheidung über das Fristverlängerungsgesuch vertraut und erst durch den gerichtlichen Hinweis bemerkt, dass die Beschwerdebegründung nicht zu dem von ihr vorgegebenen Fristende am 4. April 2022 eingereicht worden sei.
Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung sind nicht offenkundig. Die Sorgfaltspflicht verlangt in Fristsachen von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig – spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung – überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann. Dass diese Anforderungen erfüllt waren, hätte der konkreten Darlegung und Glaubhaftmachung bedurft.
Dass das OLG über den Fristverlängerungsantrag nicht vor Ablauf der ohne Einwilligung des Gegners verlängerbaren Frist entschieden hat, war nicht verfahrensfehlerhaft. Es war auch nicht aufgrund seiner gerichtlichen Fürsorgepflicht gehalten, die Antragsgegnerin vor Ablauf des ohne Einwilligung des Gegners bewilligungsfähigen Zeitraums auf die mangels Einwilligung fehlende Möglichkeit einer weitergehenden Fristverlängerung hinzuweisen. Denn das Rechtsmittelgericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten eines Beteiligten die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung von mehr als einem Monat bekannt sind. Grundsätzlich ist es Sache der Verfahrensbeteiligten, für die Wahrung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen Sorge zu tragen, eine etwa erforderliche Einwilligung des Gegners zu einer Fristverlängerung beizubringen und Unklarheiten rechtzeitig auszuräumen. Darf der Beteiligte auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung vertrauen, weil deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, bedarf es keiner Nachfrage beim Gericht. Anderes gilt jedoch, wenn mit der beantragten Fristverlängerung nicht gerechnet werden kann. In einem solchen Fall ist es Sache des Beteiligten, sich rechtzeitig nach dem Schicksal des von ihm gestellten Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu erkundigen, um die Begründung fristwahrend einreichen zu können.
(BGH, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 96/23)
Fazit: Regressfälle wie dieser können durch die ordnungsgemäße Notierung von Vorfristen vermieden werden. Für Rechtsmittelbegründungen muss außer dem Fristablauf noch (mindestens) eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist notiert werden (BGH vom 21.06.2023 – XII ZB 418/22).
Blog powered by Zöller: § 130d ZPO – Wohltat oder Fallgrube?
Dass es beim elektronischen Rechtsverkehr technische Probleme geben kann und dass diese bei fristgebundenen Schriftsätzen zu fatalen Folgen führen können, hat der Gesetzgeber bedacht. Deshalb hat er in § 130d ZPO zugelassen, dass ein Schriftsatz in einem solchen Fall auf herkömmlichem Wege (z.B. schriftlich oder per Telefax) übermittelt wird. Doch diese im Kleide der Wohltäterin daherkommende Vorschrift ist tückisch. Sie bewirkt nämlich, dass der von der Technik im Stich gelassene Anwalt sich nicht mit dem Gedanken an eine Wiedereinsetzung beruhigen oder seinen von der Elektronik verweigerten Schriftsatz einfach aufs Faxgerät legen darf. Eine Wiedereinsetzung scheidet vielmehr aus, wenn er die Frist noch mittels einer solchen Ersatzeinreichung wahren könnte – und wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, darf er nicht versäumen, die technische Störung gleichzeitig mit dieser glaubhaft zu machen. Dies folgt aus Satz 3 der Vorschrift, wonach die Störung „bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach“ glaubhaft zu machen ist.
Zwar klingt das so, als stünde es ihm frei, ob er die Glaubhaftmachung sogleich beifügt oder – ohne schuldhafte Verzögerung – nachreicht. So ist es aber nicht zu verstehen, hat der BGH vor kurzem entschieden (Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22). Die Möglichkeit der unverzüglichen Nachreichung wollte der Gesetzgeber nämlich, wie sich aus den Materialien ergibt, nur für den Fall einräumen, dass die Glaubhaftmachung zum Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes noch nicht möglich war. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall war die Störung aber schon lange vor Fristablauf bekannt, sodass der Anwalt dem Schriftsatz einen Beleg hierfür, etwa durch eidesstattliche Versicherung, hätte beifügen können. Die nachgereichte Glaubhaftmachung konnte das Rechtsmittel nicht mehr retten. So kann die Wohltat des § 130d ZPO zur Fallgrube werden.
Pluspunkt im Online-Auftritt des Zöller: Diesen Hinweis finden Sie jetzt schon bei § 130d ZPO Rn. 2. – ebenso wie andere Hinweise zu aktueller Rechtsprechung an vielen anderen einschlägigen Zöller-Stellen.