Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz.

Neues Vorbringen im Verfahren nach § 522 Abs. 1 ZPO
Beschluss vom 24. September 2019 – VI ZB 517/18

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Berufungsgericht eine Berufung durch Beschluss als unbegründet zurückweisen darf, obwohl es die Begründung der Vorinstanz für unzutreffend hält, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Klägerin verlangt vom beklagten Insolvenzverwalter, Schadensersatzansprüche aus der Vermittlung einer Kapitalanlage zur Insolvenztabelle festzustellen. Das LG wies die Klage als unzulässig ab. Das OLG sah die Klage als zulässig an, wies die Berufung aber dennoch gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil es die Klage mangels Kausalitätsnachweis als unbegründet ansah. Ein auf Vernehmung eines Zeugen gerichtetes Beweisangebot der Klägerin zu diesem Thema wies es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO und hilfsweise gemäß § 296 Abs.1 ZPO als verspätet zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Zurückweisung des Beweisangebots nach § 531 Abs. 2 ZPO ist im Streitfall schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin es bereits in der Klageschrift unterbreitet und in der Berufungsinstanz lediglich wiederholt hat. Aus diesem Grund kommt auch eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht den Zeugen auch dann hätte vernehmen müssen, wenn die Klägerin ihn erstmals in der Berufungsinstanz benannt hätte. Das Berufungsgericht war gehalten, die Klägerin auf seine vom Landgericht abweichende Rechtsaufassung hinzuweisen, und ihr Gelegenheit zu geben, zu dem nach Auffassung des LG nicht relevanten Thema der Kausalität ergänzende Angriffsmittel vorzubringen.

Praxistipp: Nach § 522 Abs. 3 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO (ab 1.1.2020: § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Wert der mit dem Rechtsmittel geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die formellen Mindestanforderungen an den Inhalt eines Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Erkennbarkeit der Berufungsanträge in Zurückweisungsbeschluss
Urteil vom 12. Juni 2018 – II ZR 229/16

Der II. Zivilsenat stellt klar, dass ein mit Rechtsmitteln anfechtbarer Beschluss, mit dem eine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 zurückgewiesen wird, denselben formellen Inhaltsanforderungen unterliegt wie ein Berufungsurteil.

Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der Mehrheitsgesellschafterin der insolventen GmbH und deren ehemaligem Geschäftsführer Ersatz wegen einer Zahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens. Das LG verurteilte die beiden Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 24.750 Euro. Das OLG wies die Berufung der Beklagten nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurück.

Der BGH verweist die Sache aus formellen Gründen an das OLG zurück. Um eine Überprüfung in der Revisionsinstanz zu ermöglichen, muss ein mit Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbares Berufungsurteil erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel begehrt hat. Diese Anforderungen gelten auch für einen mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbaren Beschluss, mit dem die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. Hierbei reicht es aus, wenn der nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erteilende Hinweis die erforderlichen Angaben enthält und das Gericht im Zurückweisungsbeschluss darauf Bezug nimmt. Im Streitfall ließ sich weder dem Zurückweisungs- noch dem Hinweisbeschluss entnehmen, was die Beklagten mit ihrer Berufung anstrebten. Deshalb war der Beschluss ohne Sachprüfung aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. In seiner „Segelanweisung“ führt der BGH ergänzend aus, dass die vom LG angestellten Erwägungen rechtlich nicht tragfähig sind, der geltend gemachte Anspruch nach entsprechender Aufklärung des Sachverhalts unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten aber dennoch begründet sein kann.

Praxistipp: Nach der derzeit bis 31.12.2019 befristeten Regelung in § 26 Nr. 8 EGZPO ist eine Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen statthaft, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

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Um die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und um die Zurückweisung einer Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO geht es in dieser Woche.

Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei mehreren Schadensverursachern
Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit der subjektiven Reichweite der Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte.

Der klagende Unfallversicherer begehrte aus übergegangenem Recht zweier bei ihr versicherter Arbeitnehmer den Ersatz von Schäden aus einem Arbeitsunfall. Die Beklagte zu 3 hatte die Arbeitgeberin der Geschädigten mit Abbrucharbeiten auf einem früher zum Betrieb einer Brauerei genutzten Gelände beauftragt. Des Weiteren hatte sie den Beklagten zu 1 damit betraut, die betroffenen Gebäude auf eventuelle Gefahrenquellen zu untersuchen. Während der Abbrucharbeiten wurden die Geschädigten durch den Austritt von Ammoniak aus einer Kälteanlage verletzt. Im Gutachten des Beklagten zu 1 war diese Gefahrenquelle nicht ausgewiesen, weil der Beklagte zu 1 nur die Außenanlagen besichtigt hatte. Die gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen überwiegend Erfolg.

Die allein vom Beklagten zu 1 eingelegte Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Abweichend von den Vorinstanzen verneint der BGH eine Schutzwirkung des Vertrags zwischen der Beklagten zu 3 und dem Beklagten zu 1 zugunsten der geschädigten Arbeitnehmer. Diese sind im Verhältnis zum Beklagten zu 1 nicht schutzbedürftig, weil schon der Vertrag zwischen der Beklagten zu 3 und ihrer Arbeitgeberin Schutzwirkungen zu ihren Gunsten entfaltet und die Beklagte zu 3 für pflichtwidriges Handeln des Beklagten zu 1 nach § 278 BGB haftet. Das Berufungsgericht muss nach Zurückverweisung der Sache prüfen, ob gegen den Beklagten zu 1 deliktische Ansprüche bestehen.

Praxistipp: Auch wenn im Ergebnis nur einer von zwei Beklagten vertraglich haftet, sollte die Klage vorsorglich gegenüber beiden (auch) auf vertragliche Ansprüche gestützt werden, solange nicht feststeht, ob die Voraussetzungen des § 278 BGB erfüllt sind.

Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne Berufungserwiderung
Urteil vom 21. November 2017 – XI ZR 106/16

Eine allgemeine prozessuale Frage beantwortet der XI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagte nach Widerruf eines Darlehensvertrags auf Erstattung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung der Kläger nach vorherigem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Eine Berufungserwiderung lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des überwiegenden Teils der Klageforderung an das OLG zurück, weil dieses die Widerrufsbelehrung zu Unrecht als ausreichend angesehen hatte. Die von den Klägern ergänzend erhobene Rüge, die Berufungsentscheidung sei insgesamt aufzuheben, weil eine Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO erst nach Vorliegen einer Berufungserwiderung zulässig sei, sieht der BGH hingegen als unbegründet an. Er stützt dies auf den Wortlaut der Vorschrift, die den Eingang einer Berufungserwiderung oder die ergebnislose Setzung einer Erwiderungsfrist nicht vorsieht, und den Umstand, dass sich aus der Gesetzgebungsgeschichte keine abweichenden Anhaltspunkte ergeben.

Praxistipp: Die volle Verfahrensgebühr für einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nur dann nach § 91 ZPO erstattungsfähig, wenn der Berufungskläger sein Rechtsmittel begründet und die Begründung dem Gegner zugestellt ist. Vom Zeitpunkt der Zustellung an steht dem Gegner auch dann ein Erstattungsanspruch zu, wenn er seinen Antrag auf Zurückweisung schon zuvor gestellt hat.

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Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO nach zweitinstanzlicher Klageerweiterung
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15

Eine seit längerer Zeit umstrittene Frage beantwortet der III. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. In zweiter Instanz erweiterte der Kläger sein Begehren um einen weiteren Schadensersatzbetrag. Das Berufungsgericht wies die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe zurück, dass auch die in zweiter Instanz erweiterte Klage abgewiesen werde.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Er stellt klar, dass das Berufungsgericht durch die in zweiter Instanz erfolgte Klageerweiterung nicht gehindert war, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Eine solche Entscheidung darf aber nur hinsichtlich des erstinstanzlichen Streitgegenstands ergehen. Die zweitinstanzliche Klageerweiterung des Berufungsklägers wird mit dem Zurückweisungsbeschluss entsprechend der (für eine Anschlussberufung geltenden) Regelung in § 524 Abs. 4 ZPO unwirksam. Soweit das Berufungsgericht über den erstmals in zweiter Instanz geltend gemachten Teil des Anspruchs entschieden hat, unterliegt sein Beschluss folglich schon deshalb der Aufhebung.

Praxistipp: Mit der Entscheidung steht fest, dass die (auch im Streitfall vom Kläger verfolgte) Taktik, einen drohenden Zurückweisungsbeschluss durch Klageerweiterung abzuwenden, nicht erfolgversprechend ist.

Formunwirksamer Heil- und Kostenplan
Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15

Mit der Vergütungspflicht für medizinisch nicht notwendige Arztleistungen befasst sich ebenfalls der III. Zivilsenat.

Die klagende Zahnärztin hatte für die Beklagte einen Heil- und Kostenplan für Keramikverblendungen erstellt, der einen Eigenanteil von knapp 7.000 Euro auswies. Die Beklagte gab den Plan mit einem von ihrer Krankenversicherung erteilten Genehmigungsvermerk an die Klägerin zurück und ließ die Behandlung durchführen. Den ihr nach Abschluss in Rechnung gestellten Eigenanteil von knapp 4.000 Euro bezahlte sie trotz Mahnung nicht. Im Zahlungsprozess machte sie unter anderem geltend, der Heil- und Kostenplan sei unwirksam, weil er von keiner der Parteien unterschrieben sei. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß; das LG wies die Klage wegen des Formmangels ab.

Der BGH stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Er sieht die Bestimmung in § 2 Abs. 3 Satz 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte, wonach medizinisch nicht notwendige Leistungen nur dann berechnet werden dürfen, wenn sie in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden, als gesetzliches Formerfordernis im Sinne von § 126 BGB an. Aus dem Zweck der Vorschrift leitet er ferner ab, dass bei Nichteinhaltung der Form nicht nur ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes ausgeschlossen ist, sondern auch ein Anspruch auf Wertersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag. Dennoch sieht er das Klagebegehren als begründet an, weil die erstmals im Prozess erfolgte Berufung auf den Formmangel eine besonders schwere Treueverletzung darstellt.

Praxistipp: Um Auseinandersetzungen über die Anwendbarkeit von § 242 BGB zu vermeiden, liegt es wohl im Interesse beider Seiten, vor Beginn der Verhandlung besonders sorgfältig auf die Einhaltung der Schriftform zu achten.

Vermutung beratungsgerechten Verhaltens
Urteil vom 15. Juli 2016 – V ZR 168/15

Der V. Zivilsenat gleicht seine Rechtsprechung zur Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers in Kapitalanlagesachen an neuere Entscheidungen der anderen mit dieser Materie befassten Senate an.

Der Kläger hatte von der Beklagten eine Eigentumswohnung als Kapitalanlage erworben. Den Kaufpreis finanzierte er in voller Höhe durch einen Bausparvertrag. Später verlangte er Rückabwicklung des Vertrags mit der Begründung, das mit dem Vertrieb betraute Vermittlungsunternehmen habe ihn unzutreffend über die zu erwartende monatliche Belastung informiert. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Mit diesem ist er der Auffassung, dass nicht völlig zweifelsfrei ist, ob der Kläger bei zutreffender Beratung vom Kauf Abstand genommen hätte. Eine zutreffende Beratung hätte dahin gehen müssen, dass dem Kläger nicht der in Aussicht gestellte monatliche Überschuss von 50 Euro, sondern eine monatliche Belastung von rund 225 Euro verbleibt. Diesen Betrag hätte der Kläger aufbringen können und der Erwerb konnte sich auch unter diesen Umständen als wirtschaftlich sinnvoll darstellen. Dennoch kommt der V. Zivilsenat abweichend vom OLG (und abweichend von seiner früheren Rechtsprechung) zu dem Ergebnis, dass die Ursächlichkeit des Beratungsfehlers für den Kaufentschluss nicht verneint werden kann. In Angleichung an die neuere Rechtsprechung der anderen mit Kapitalanlagefällen befassten Senate bejaht er eine Kausalitätsvermutung nunmehr auch für solche Fälle, in denen der Kunde bei ordnungsgemäßer Beratung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil es mehrere sinnvolle Entscheidungsmöglichkeiten gegeben hätte.

Praxistipp: Für andere Konstellationen, insbesondere für die Haftung von Rechtsanwälten und Steuerberatern, hält der BGH bislang weiterhin an seiner früheren Rechtsprechung fest.