Barwert der Ausgleichszahlungen als (weitere) Untergrenze beim Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages – (wie) wird sich der BGH entscheiden?

Bei einem Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages stellt sich die Frage der Relevanz der in der Regel festen Ausgleichszahlungen für die Barabfindung. Der BGH (v. 12.1.2016 – II ZB 25/4) hat klargestellt, dass die als ewige Rente kapitalisierte Ausgleichszahlung bzw. der Barwert der Ausgleichszahlungen („BdA“) keine Wertobergrenze für die Abfindung darstellt. Der anteilige Unternehmenswert sei maßgeblich, wenn dieser über dem BdA liegt. Die Frage, ob der BdA neben dem Börsenkurs als (weitere) Untergrenze zu berücksichtigen ist, hat der BGH im Jahr 2016 explizit offengelassen.

In der Literatur wird in Bezug auf die Bedeutung des BdA von einer unsicheren Rechtslage, der Irrelevanz der Ausgleichszahlungen, der Möglichkeit eines Kombinationswertes aus zeitlich begrenzter Ausgleichszahlung und Ertragswert, sowie davon ausgegangen, dass der BdA als Untergrenze zu berücksichtigen ist (vgl. zu einzelnen Nachweisen Popp/Ruthardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rz. 12.219).

Das OLG Düsseldorf (v. 15.11.2016 – 26 W 2/16, AG 2017, 672) hat nach der Entscheidung des BGH im Jahr 2016 seine Auffassung bekräftigt, nach der der BdA generell nicht zu berücksichtigen sei und zur Begründung auf rechtliche Überlegungen abgestellt (vgl. zu den Kernaussagen Ruthardt, DB 2017, 535): Die Ausgleichsberechtigung vermittele keine grundrechtlich relevante und damit verfassungsrechtlich schutzbedürftige Rechtsposition. Sie stelle kein mitgliedschaftliches Recht dar und beinhalte lediglich ein vorübergehendes schuldrechtliches Forderungsrecht gegenüber Dritten, das durch zahlreiche Maßnahmen, die zur Beendigung des Unternehmensvertrages führen, entschädigungslos entzogen werden könne.

Dagegen hat jüngst das OLG Frankfurt (v. 20.11.2019 – 21 W 77/14, AG 2020, 298) die Auffassung vertreten, der BdA sei als Mindestwert zu berücksichtigen, wenn dieser den anteiligen Ertragswert und den Börsenkurs übersteigt. Aufgrund der Divergenz zur Auffassung anderer OLG hat das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung v. 20.11.2019 die sofortigen Beschwerden dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

Das OLG Frankfurt hält dabei insbesondere fest, das Anteilseigentum vermittele neben der mitgliedschaftlichen Stellung auch vermögensrechtliche Ansprüche. In vermögensrechtlicher Hinsicht trete bei einem Unternehmensvertrag der i.d.R. festbemessene Ausgleich nach § 304 AktG an die Stelle der Dividende und stelle wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage. Vor diesem Hintergrund stelle die Fruchtziehung in Form der Ausgleichszahlung einen Teil der Beteiligung des Minderheitsaktionärs in vermögensrechtlicher Hinsicht dar, die bei der Kompensation zwingend zu berücksichtigen sei. Eine Berücksichtigung dieses Teils der Beteiligung des Minderheitsaktionärs habe dabei in Form einer Untergrenze der Abfindung zu erfolgen.

Das OLG Frankfurt argumentiert insofern aus der Perspektive des außenstehenden Aktionärs. Es sei der Grenzpreis (des Anteils) zu ermitteln, zu dem ein außenstehender Aktionär aus der Gesellschaft ausscheiden könne, ohne einen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Das OLG Frankfurt orientiert sich grundsätzlich an den Beträgen, die einem außenstehenden Aktionär mit dauerhafter Halteabsicht („Daueranleger“) unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme unter Berücksichtigung der aus der Sicht des Stichtages (unter vereinfachenden Annahmen) erwarteten Laufzeit des Unternehmensvertrages zukünftig zugeflossen wären.

Die Frage, ob durch den Rückgriff auf die im Spruchverfahren erhöhte Ausgleichszahlung nach Einkommensteuer, die unterstellte unendliche Laufzeit des Unternehmensvertrages und den für die Kapitalisierung angesetzten Zinssatz im vorliegenden Fall eine betriebswirtschaftlich nachvollziehbare Wertindikation für diese Perspektive ermittelt wird, soll hier nicht vertieft werden.

Für eine erhöhte Transparenz lässt sich jedenfalls bezogen auf den Ausgleich nach Einkommensteuern für die Stamm- und Vorzugsaktie und den festgelegten Kapitalisierungszinssatz mittels Rentenbarwertfaktor die implizite Laufzeit des Unternehmensvertrages bestimmen, die sowohl für die Stammaktien als auch die Vorzüge zu einem Barwert der Ausgleichszahlungen führt, der gerade noch unterhalb der korrespondierenden Börsenkurse liegt. In den Rentenbarfaktor geht die Laufzeit sowie der Abzinsungseffekt aus dem zeitlichen Anfall der Ausgleichszahlung ein. Hiernach muss die Vertragslaufzeit für die Stammaktien mehr als 56 Jahre betragen. Für die Vorzüge liegt die entsprechende Laufzeit bei mehr als 53 Jahren. Ob es sich bei impliziten Laufzeiten in dieser Größenordnung um realitätsgerechte Annahmen handelt, soll hier wiederum nicht vertieft werden. Festzuhalten bleibt, dass die Parameterfestlegungen des OLG Frankfurt für beide Aktiengattungen zu einem um rund 22,9 % gegenüber dem Bewertungsgutachten erhöhten Barwert der Ausgleichszahlungen führen.

Abgesehen von der Frage der konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen bzw. deren betriebswirtschaftlich richtiger „Bewertung“ sind vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren intensiv geführten Diskussionen zur grundsätzlichen Bedeutung des BdA keine wesentlich neuen Argumente mehr zu erwarten. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich der BGH hier positioniert bzw. sich auch dezidiert mit der betriebswirtschaftlichen Sichtweise zur grundsätzlichen Relevanz und konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen auseinandersetzen wird.

Hinweis: Für eine ausführliche Darstellung des Vorlagebeschlusses des OLG Frankfurt sowie zu weiteren Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2019 verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2019 – Teil II: Ertragswertverfahren und Barwert der Ausgleichszahlungen, AG 2020, 322 sowie den umfassenden Beitrag zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung von Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Stürmische Zeiten an der Börse – Bedeutung des Börsenkurses für die Ermittlung der angemessenen Kompensation in Spruchverfahren

Die Furcht vor den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sorgt für dramatische Kursverluste an den Aktienmärkten und stellt die Unternehmensbewertungspraxis vor neue Herausforderungen. Die aktuellen Entwicklungen werden auch (zukünftige) aktien- und umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen (bspw. Squeeze Out, Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, etc.) prägen, bei denen außenstehenden Aktionären eine „angemessene“ Kompensation anzubieten ist.

In der jüngeren Vergangenheit wird dazu von juristischen Kommentatoren eine stärkere Gewichtung bzw. im Extremfall alleinige Orientierung an Börsenkursen vertreten. In Spruchverfahren aus dem Jahr 2019 haben sich insbesondere die Landgerichte Stuttgart und Frankfurt a.M. in ihren Beschlüssen vom 8.5.2019 bzw. 27.6.2019 ausführlich dazu geäußert, warum nach ihrer Auffassung die marktorientierte Bewertung (allein) anhand eines umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses eine grundsätzlich geeignete und in der Regel zu angemessenen Ergebnissen führende Bewertungsmethode sei. Eine gerichtliche Prüfung des Ertragswerts sei entbehrlich, wenn es aussagekräftige Börsenkurse gebe (vgl. LG Stuttgart v. 8.5.2019 – 31 O 25/13, BeckRS Rz. 255; LG Frankfurt/M. v. 27.6.2019 – 3-05 O 38/18, AG 2020, 143 = BeckRS Rz. 66).

Gerade in Krisenzeiten wird deutlich, dass Börsenkurse „Preise“ für einzelne Wertpapiere darstellen. Nicht weniger aber eben auch nicht mehr. „Preise“ sind – als Momentaufnahme – das Ergebnis von Angebot und Nachfrage und können (mehr oder weniger stark) durch nicht fundamental begründbare Faktoren bzw. (irrationale/erratische) Marktstimmungen beeinflusst sein. Zu Verkäufen aufgrund schlechterer Ertragsaussichten kommen solche aufgrund kurzfristiger Liquiditätsbedürfnisse von Investoren hinzu. Algorithmus-basierte Handelsstrategien können bestehende Trends verstärken (vgl. FAUB, Fachlicher Hinweis zur Auswirkung des Coronavirus auf Unternehmensbewertungen v. 25.3.2020).

Betriebswirtschaftlich ist von „Börsenpreisen“ der nach fundamentalanalytischen Wertermittlungsverfahren – d.h. im Rahmen einer Unternehmensbewertung – ermittelte „Wert“ von Unternehmen und Unternehmensanteilen zu unterscheiden. Für die Wertbemessung wird dabei im Rahmen von Spruchverfahren regelmäßig auf das Ertragswertverfahren zurückgegriffen. Der „Wert“ bestimmt sich dabei durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen zukünftigen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 4). Der fundamentale oder innere Wert einer Aktie weicht regelmäßig von ihrem Börsenkurs ab. Der Börsenkurs wird vor diesem Hintergrund als ein Wert bezeichnet, der einem labilen Regelkreis folgend um seinen fundamentalen Wert schwankt. Die Richtung (nach oben oder nach unten) und die Dauer der Abweichungen lässt sich allerdings nicht verallgemeinern. Regelmäßig wird davon ausgegangen, dass nur langfristig eine Rückkehr auf den fundamentalen Wert zu erwarten ist.

Unstrittig dürfte sein, dass es sich weder beim Börsenkurs noch beim Ertragswert um perfekte Wertmaßstäbe handelt und ein eindeutiger „wahrer Wert“ ein unerreichbares Ideal verkörpert. Durch eine fundamentale Unternehmensbewertung kann allerdings eine angebotene Kompensation durch eine fundamentale Unternehmensbewertung durch den Bewertungsgutachter, den gerichtlich bestellten Prüfer sowie das erkennende Gericht unter Rückgriff auf umfassende unternehmensinterne Informationen und Ansprechpartner gewürdigt werden. Auf diese Weise können alle möglichen verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden, um dem hehren Ziel einer verfassungs- und einfachrechtlich angemessenen Kompensation möglichst nahe zu kommen. Vor dem Hintergrund des notwendigen Nebeneinanders von Börsenkurs und Ertragswert kann tatsächlich von der Unternehmensbewertung als einem interdisziplinären Begegnungsfach gesprochen werden.

Hinweis: Für eine ausführliche Diskussion der Bedeutung des Börsenkurses im Rahmen von aktien- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung – Entwicklungen im Jahr 2019 – Teil I: Börsenkurs, AG 2020, 240 sowie den umfassenden Beitrag zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung von Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Corona-Krise – Das Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt – Beschluss im Bundeskabinett

Die Corona-Krise führt zu raschen Maßnahmen des Bundesgesetzgebers. Erst vor einer Woche, am 16.3.2020, hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) per Pressemitteilung angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers vom 17.3.2020). Schon eine Woche später, am 23.3.2020, hat das Bundeskabinett seinen Beschluss zu dem Gesetzentwurf gefasst  und am Mittwoch, 25.3.2020, soll der Deutsche Bundestag das Gesetz beschließen.

Das geplante COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CoVInsAG) baut zwar gesetzestechnisch auf der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 auf, öffnet sich aber deutlich im Sinne der vom Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 geforderten Erweiterung durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung

I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CoVInsAG)

In § 1 Satz 1 CoVInsAG heißt es nun allgemein, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB bis zum 30.9.2020 ausgesetzt ist. Sodann werden in Satz 2 zwei Ausnahmen angeführt: (1) Die Insolvenzreife beruht nicht auf der Covid-19-Pandemie. (2) Es bestehen keine Aussichten darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Wäre es bei dieser – der Ankündigung des BMJV vom 16.3.2020 entsprechenden – Regelung geblieben, hätte mühsam im Einzelfall geprüft werden müssen, ob die entsprechende Kausalität vorliegt und wie die konkreten Aussichten des Unternehmens sind, welche im aktuell unsicheren Umfeld schwer zu bestimmen sind. Daher hilft der Gesetzgeber mit einer neuen Vermutung in § 1 Satz 3 CoVInsAG: War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Mit dieser Vermutung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gewährleistet werden, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen „in keiner Weise“ zulasten des Antragspflichtigen gehen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein. Der jetzige Entwurf nähert sich damit der vom Verfasser im Blogbeitrag v. 17.3.2020 geforderten bedingungslosen Aussetzung der Antragspflicht sehr weit an, lässt aber – durchaus berechtigt – ein Hintertürchen offen, um eindeutige Missbrauchsfälle einzufangen. Wenig sinnvoll erscheint dabei freilich, dass die Vermutung – jedenfalls dem Wortlaut nach – auch für Unternehmen gelten soll, die am 31.12.2019 zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon überschuldet waren und sich folglich bereits seit dem Jahresanfang 2020 im Zustand der Insolvenzverschleppung befanden. Eventuell wurde hier zu Beginn von Satz 3 versehentlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit statt an die fehlende Insolvenzreife angeknüpft, weil auch die Ausnahme in Satz 2 – dort berechtigt – auf die Zahlungsunfähigkeit beschränkt ist. Eine Korrektur dieses unglücklichen Wortlauts kann dadurch erfolgen, dass man bei bereits bestehender Überschuldung zum 31.12.2019 die Vermutung des Satzes 3 als widerlegt ansieht, weil dann nämlich „die Insolvenzreife“ i.S.v. Satz 2 nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

II. Privilegien für Geschäftsleiter, Kreditgeber und sonstige Vertragspartner im Haftungs- und Anfechtungsrecht (§ 2 CoVInsAG)

In § 2 Abs. 1 CoVInsAG wird ein guter Teil der Vorschläge aufgegriffen, welche der Verfasser im Blogbeitrag vom 17.3.2020 unterbreitet hatte:

In Nr. 1 wird parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch die Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG und die Parallelvorschriften) eingeschränkt: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen (§ 64 Satz 2 GmbHG und die Parallelvorschriften).

Nach Nr. 2 werden „neue“ Kredite und deren Besicherung anfechtungsrechtlich privilegiert, also solche, die zu einer effektiven Zufuhr weiterer Liquidität im Aussetzungszeitraum führen (vgl. dazu demnächst Bitter in ZIP). Auch für „neue“ Gesellschafterdarlehen wird eine im Ansatz vergleichbare Privilegierung eingeführt, die sich allerdings nicht auf die Besicherung solcher Kredite erstreckt. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 135 ff.) und die Regelung über gesellschafterbesicherte Drittdarlehen in § 44a InsO (dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 348 ff.) werden für solche „neuen“, im Aussetzungszeitraum gewährten Kredite vorübergehend bis zum 30.9.2023 abgeschafft, um in der aktuellen Krisensituation Anreize für die Gewährung neuer Kredite oder Sicherheiten von Gesellschafterseite zu setzen. Die Regelung tritt selbstständig neben die bereits vorhandene Ausnahme im Rahmen des Sanierungsprivilegs aus § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (dazu ausführlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 109 ff.).

Durch Nr. 3 soll für Kreditgeber zusätzlich auch das Risiko ausgeschaltet werden, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge eines Anspruchs geschädigter Dritter gemäß § 826 BGB (vgl. dazu die Nachweise bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Die vom BGH für das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufgestellten Anforderungen an ein substanzhaltiges und von einem objektiven Dritten überprüftes Sanierungskonzept (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123) laufen im Grundsatz parallel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Kreditgeber, wenn sie eine drittschädigende Kreditgewährung gemäß § 826 BGB und eine Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vermeiden wollen (vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 131). Da ein derartiges substanzhaltiges Sanierungskonzept in der aktuellen Krisensituation nicht zeitnah erstellt werden kann und zudem die weitere (Unternehmens-)Entwicklung nicht realistisch absehbar ist, erscheint es richtig, dass Kreditgeber durch Nr. 2 und 3 hinsichtlich aller genannten Konsequenzen Rechtssicherheit bekommen.

Nach Nr. 4 werden schließlich auch andere im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen, die nicht in einer Kreditgewährung i.S.v. Nr. 2 bestehen, anfechtungsrechtlich privilegiert. Dies betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Bei Nr. 4 wird es eine Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur sein, durch eine restriktive Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine zu weitgehende Anwendung auszuschließen, insbesondere nicht solche Zahlungen zu privilegieren, durch welche schlicht Altforderungen bedient werden, ohne dass ein Beitrag des Gläubigers zur Überwindung der Krise des Unternehmens geleistet wird (vgl. die Bedenken des Gravenbrucher Kreises in seiner Stellungnahme v. 22.3.2020).

In § 2 Abs. 2 werden die Regelungen der vorgenannten Nummern 2 bis 4 auch auf nicht insolvenzreife Unternehmen ausgedehnt. Diese sollen in der aktuellen Krise nicht schlechter als die bereits insolvenzreifen stehen.

III. Aussetzung von Gläubigeranträgen (§ 3 CoVInsAG)

Durch § 3 CoVInsAG wird für drei Monate auch die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen (vgl. zu den Insolvenzantragsrechten Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 117 ff.). Durch diese Regelung soll nach der Begründung des Entwurfs für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert werden, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können. Hierdurch wird zum einen die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (oben I.) flankiert; zum anderen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mit Hilfe von Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen und sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.

IV. Verordnungsermächtigung (§ 4 CoVInsAG)

Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, wird das BMJV in § 4 CoVInsAG ermächtigt, die o.g. Maßnahmen bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Corona-Krise – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat per Pressemitteilung vom 16.3.2020 angekündigt, die Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen auszusetzen. Damit reagiert die Bundesregierung – sehr verständlich – auf die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur für uns alle zu deutlichen Einschränkungen des privaten und beruflichen Lebens führt, sondern auch weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits gravierend beeinflusst: Den Fluggesellschaften, Messebauern, Reise- und Kulturveranstaltern, dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie vielen anderen Unternehmen, die unmittelbar von den angeordneten Beschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind, geht derzeit in finanzieller Hinsicht die Luft aus. In einer zweiten Welle werden weitere Wirtschaftsbereiche folgen, weil allgemein von einem deutlichen Rückgang des Konsums auszugehen ist: Jede nicht dringend erforderliche Investition wird derzeit im Zweifel zurückgestellt, sodass sich eine wahre Insolvenzwelle durchs Land fressen könnte, die das Ausmaß der Finanzkrise noch übersteigt.

Im Grundsatz sollen insolvenzreife Gesellschaften vom Markt ferngehalten werden, wozu die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und das Gebot der Massesicherung (insbes. § 64 GmbHG) beitragen (dazu Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 573 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 646 ff.). Die zugrunde liegenden Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) werden von der Rechtsprechung mit Recht streng angewendet (Details bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 38 ff.; ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 ff., 578 ff.). Darüber hinaus hat der Verfasser dazu aufgerufen, die Fortführungsprognose im Zweifel strikter als bisher zu handhaben, um zu verhindern, dass eine Unternehmensfortführung oder Sanierung auf Kosten der Neugläubiger geht (Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 51 ff., insbes. Rz. 60 ff.).

Doch können diese allgemeinen Grundsätze auch jetzt in der Corona-Krise gelten? Sie ist durch die Besonderheit geprägt, dass Unternehmen gänzlich unverschuldet in finanzielle Schieflage geraten. Umsätze brechen von heute auf morgen zu großen Teilen oder vollständig weg, ohne dass den Unternehmenslenkern irgendein Vorwurf gemacht werden könnte. Die Geschäftsmodelle sind tauglich und die Insolvenzreife allein durch die nicht vorhersehbaren, extremen äußeren Rahmenbedingungen verursacht.

In einer solchen Situation ist es richtig, die Insolvenzantragspflicht zu suspendieren, um den Unternehmen eine Schonfrist zu gewähren. Sanierungen können dann auf gesichertem Boden stattfinden. Eine seriöse Fortführungsprognose (auf der Basis eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts, vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 59) kann derzeit kein Berater erstellen, weil die weiteren Konsequenzen der Corona-Krise für niemanden abschätzbar sind. Dann jedoch sollte man erwägen, über die Ankündigung in o.g. Presseerklärung des BMJV hinaus die Antragspflicht (und die korrespondierende Massesicherungspflicht) ohne weitere Voraussetzungen für solche Unternehmen zu suspendieren, die nicht schon vor der aktuellen Corona-Krise insolvenzreif waren. Im Zweifel beruht nämlich jede in den kommenden Wochen und Monaten eintretende Insolvenz zumindest mittelbar auf den gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen. Dann aber sollte man die ex post in Strafverfahren oder Haftungsprozessen entscheidenden Gerichte nicht mit der im Einzelfall streitigen Frage belasten, ob und in welchem Maße der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht. Den redlichen und durch die Corona-Krise überrumpelten Geschäftsleitern muss jetzt der straf- und haftungsrechtliche Druck genommen werden, damit sie sich voll auf die wirtschaftliche Erholung ihrer Betriebe konzentrieren können. Sie sollen ihre Zeit (und das restliche Geld der Betriebe) nicht damit verschwenden, ggf. schwer beweisbare Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch anwaltliche oder sonstige Gutachten zu belegen, die ohnehin auf äußerst schwankendem Boden erstellt werden (ebenso Prof. Dr. Stephan Madaus; restriktiver Thole, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2020).

Der Gläubigerschutz ist damit nicht vollständig suspendiert, sondern die Grenze des (Kredit-)Betrugs und die daran anknüpfende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265b StGB bestehen fort (vgl. dazu Bitter, ZInsO 2018, 625 ff., 641 f.). Wer bedingt durch die Corona-Epidemie ernsthafte Zweifel an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit hat, muss also seine Lieferanten und sonstigen Gläubiger darüber aufklären. Und die Gläubiger müssen derzeit ohnehin wachsam sein und sich selbst sichern (etwa durch die Umstellung auf Vorkasse), weil selbst jahrzehntelang seriös geführte Unternehmen (unverschuldet) in Schieflage geraten.

Auch über weitere Maßnahmen wie die Erleichterung von Finanzierungen in der Krise durch Reduzierung der Anfechtungsgefahr aus § 133 InsO und eine partielle Aussetzung des Gesellschafterdarlehensrechts für echte Neukredite ist nachzudenken. Es muss nun jeglicher Anreiz gesetzt werden, trotz gänzlich unsicherer wirtschaftlicher Lage von Gläubiger- und Gesellschafterseite in Unternehmen mit im Grundsatz soliden Unternehmenskonzepten zu investieren, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. dazu die Vorschläge von TMA Deutschland in der Pressemitteilung vom 13.3.2020 und Lürken in Börsenzeitung v. 14.3.2020, S. 9).

Zusätzlich könnte eine Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums auf 6 Monate solchen Unternehmen helfen, die trotz Suspendierung der Antragspflicht den Weg ins Insolvenzverfahren gehen müssen, weil ihnen schlicht das Geld ausgeht, um weiter wirtschaften zu können. Auch im Insolvenzverfahren ist diese längere Schonfrist erforderlich, weil sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit in den kommenden Monaten kein Käufer für insolvente Unternehmen finden wird. Die Alternative wäre dann allein die Betriebsstilllegung mit Verlust aller Arbeitsplätze, obwohl das Unternehmenskonzept eigentlich stimmt. Das muss verhindert werden.

 

Hinweis des Verlags:

Mit Erscheinen von Band I ist der Scholz 2018 in die 12. Auflage gestartet. Band II und III werden 2020 (Sommer) erscheinen. Schon jetzt bietet der Scholz seinen Fans aber ein ganz besonderes Plus: Bereits vor Erscheinen der Bände II und III können zahlreiche Kommentierungen online genutzt werden. Alle Kommentierungen wurden grundlegend überarbeitet und warten mit zahlreichen spannenden Neuerungen auf. Darunter auch die Kommentierungen von Prof. Dr. Georg Bitter zu den Gesellschafterdarlehen (Anh. § 64) und zum Insolvenzrecht der GmbH und GmbH & Co. KG (Vor § 64).

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Welchen Weg aus der LLP?

Nicht nur das Vereinigte Königreich bereitet sich auf einen „harten“ Brexit vor, sondern auch die deutsche Gesellschaftsrechtspraxis. Der drohende Wegfall der Niederlassungsfreiheit betrifft dabei neben in Deutschland ansässigen Limiteds auch Limited Liability Partnerships (LLPs). Diese Rechtsform war aufgrund der umfassenden Haftungsbeschränkung insbesondere für Anwaltskanzleien attraktiv. In der Diskussion über mögliche Rettungsmaßnahmen steht sie bisher nur begrenzt im Fokus. Nach den bisherigen Stellungnahmen sollen der UK LLP grenzüberschreitende Umwandlungen nur auf Basis der SEVIC-Rechtsprechung des EuGH offenstehen. Denn als Personengesellschaft sei sie nicht von Art. 118-134 GesRRL erfasst und könne darum auch nicht an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach §§ 122a-122m UmwG beteiligt sein (vgl. J. Schmidt, GmbHR 2018, R292, R293). Das ist mit Rechtsunsicherheit verbunden, weshalb stattdessen alternative Lösungen wie Anwachsungsmodelle propagiert werden. Auch das kürzlich inkraftgetretene 4. UmwÄndG (siehe dazu bereits den Eintrag von Knaier) hält keine besonderen Mechanismen für die LLP bereit, sondern erweitert nur den Kreis der aufnehmenden Rechtsträger auf Personenhandelsgesellschaften (oHG und KG).

Dem scheint die – angesichts des Namens verständliche – Fehlvorstellung zugrundezuliegen, die LLP sei eine Sonderform der englischen partnership, also eine Personengesellschaft. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die LLP eher einer company, also einer Kapitalgesellschaft ähnelt: Nach sec. 1 (2) des Limited Liability Partnerships Act 2000 ist die LLP eine Körperschaft (body corporate) mit eigener Rechtspersönlichkeit. Die Haftung ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, das gegen unzulässige Entnahmen abgesichert ist. Die LLP Regulations 2009 wenden darum weite Teile des Companies Act 2006 für die LLP entsprechend an, außerdem auch die britischen Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (Cross-border Mergers Regulations 2007).

Zugleich ist das Richtlinienrecht offen für eine solche Erweiterung der verschmelzungsfähigen Rechtsträger durch die Mitgliedsstaaten. „Kapitalgesellschaft“ im Sinne von Art. 119 Nr. 1 GesRRL sind nicht nur die in Annex II der Richtline aufgezählten Rechtsformen, sondern nach lit. b auch

eine Gesellschaft, die Rechtspersönlichkeit besitzt und über gesondertes Gesellschaftskapital verfügt, das allein für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, und die nach dem für sie maßgebenden nationalen Recht Schutzbestimmungen im Sinne des Titels I Kapitel II Abschnitt 2 und des Titels I Kapitel III Abschnitt 1 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter einhalten muss.

Diese Merkmale treffen auf die LLP zu, weshalb sie für die grenzüberschreitende Verschmelzung als „Kapitalgesellschaft“ nach § 122b UmwG qualifiziert werden muss. Ihr steht damit die grenzüberschreitende Hineinverschmelzung als rechtssichere Gestaltungsoption zur Verfügung. Zielrechtsträger kann allerdings nur eine deutsche Kapitalgesellschaft (namentlich AG und GmbH) sein, nicht dagegen eine PartG mbB, was insbesondere für Anwalts-LLPs infrage gekommen wäre. Als Personenhandelsgesellschaft kann eine Anwaltskanzlei nicht betrieben werden.

Zugleich müssen die bisher diskutierten Gestaltungsalternativen kritisch überdacht werden. Verbreitet wird vorgeschlagen, der Zielrechtsträger solle als Gesellschafter in die LLP eintreten. Eine entsprechende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag vorausgesetzt, käme es dann bei Austritt der übrigen Gesellschafter zur Anwachsung mit Gesamtrechtsnachfolge, wie dies bei Personengesellschaften üblich ist (vgl. dazu Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 640; Zwirlein/Großerichter/Gätsch, NZG 2017, 1041, 1045). Diese Lösung dürfte sich aber für die LLP nicht als gangbarer Weg erweisen. Für diese sind nämlich – ihrer kapitalgesellschaftlichen Natur entsprechend – die Vorschriften des Insolvency Act 1986 zum Liquidationsverfahren zu beachten. Entsprechend findet das Anwachsungsmodell im englischen Schrifttum keine Erwähnung. Stattdessen wird als Alternative zur Verschmelzung die sogenannte „reconstruction by voluntary liquidation“ genannt, bei der sich die LLP in ein freiwilliges Abwicklungsverfahren begibt und der Abwickler das Unternehmen im Tausch gegen Anteile in die Zielgesellschaft einbringt (vgl. dazu Morse et al., Palmer’s Limited Liability Partnership Law, 2. Aufl. 2011, Rn. A10-47 ff.).

Die Einordnung der LLP zeigt, dass Vorsicht geboten ist, wenn Vorstellungen der nationalen Rechtsdogmatik auf ausländische Rechtsformen übertragen werden sollen. Die grenzüberschreitende Verschmelzung jedenfalls steht ihr als rechtssicherer, wenngleich bürokratischer Ausweg aus dem britischen Recht offen. Daneben mag das freiwillige Abwicklungsverfahren als Alternative in Betracht kommen, während das Anwachsungsmodell nicht empfohlen werden kann (siehe zur Thematik ausführlich Wolff, GmbHR 2019, 52).

 

Das Company Law Package in der Werkstatt: Generalüberholung der gesellschaftsrechtlichen „Wundertüte“

Am 25.04.2018 präsentierte die europäische Kommission mit ihrem Company Law Package das bisher größte Maßnahmenpaket in der wechselhaften Geschichte des unionalen Gesellschaftsrechts. Die „gesellschaftsrechtliche Wundertüte“ wurde seitdem in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen diskutiert (Ein erster Überblick findet sich bei Knaier, GmbHR 2018, R148; siehe zum Vorschlag über den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht etwa: Knaier, GmbHR 2018, 560; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229; Wachter, GmbH-StB 2018, 214 und 263; Lieder, NZG 2018, 1081; Noack, DB 2018, 1324; Bock, DNotZ 2018, 643; zum Vorschlag über grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Sitzverlegungen etwa Knaier, GmbHR 2018, 607; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229, 235 ff. und 273; Wachter, GmbH-StB 2018, 283 und 317; Noack/Kraft, DB 2018, 1577; Schollmeyer, NZG 2018, 977; Bungert/Wansleben,DB 2018, 2094). Sogar im fernen Japan (ein weiterführender Link zum Beitrag von Prof. Dr. Dr. Eiji Takahashi folgt demnächst in den Kommentaren zu diesem Blogeintrag) wurde der Digitalisierungsvorschlag Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Doch auch rechtspolitisch bewegt sich mittlerweile einiges. Neben durchaus kritischen Stellungnahmen  der Bundesnotarkammer, des Deutschen Notarvereins und des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu den Vorschlägen, meldete sich nun auch der Bundesrat zu Wort. Dieser Input liefert damit innerhalb nur eines halben Jahres seit Veröffentlichung des Pakets einige Überarbeitungs- und Verbesserungsvorschläge zur Diskussion.

Doch was haben eigentlich die verantwortlichen Akteure auf Unionsebene bisher in Sachen Company Law Package unternommen? Erste – wenn auch noch vage – Antworten auf diese Frage konnten vergangene Woche am 28.09.2018 im Rahmen des 12. ECFR Symposiums gewonnen werden. Neben mehreren Mitgliedern der Informal Company Law Expert Group (ICLEG), welche die beiden Vorschläge in wesentlichen Teilen ausgearbeitet hatte, waren im Diskussionsforum zahlreiche Experten des unionalen Gesellschaftsrechts zusammengekommen. Außerdem waren Vertreter der Österreichischen Ratspräsidentschaft anwesend, welche die Vorschläge derzeit verhandelt. Auch die Kommission selbst war in Person von Bartłomiej Kurcz vertreten, dem Leiter des gesellschaftsrechtlichen Referats.

Letzterer berichtete in seiner Keynote-Speech von den bereits erreichten Fortschritten, verbunden mit der Hoffnung, nach einem zügigen Verhandlungsverfahren die beiden Vorschläge alsbald durch das Parlament und den Rat zu bekommen, nämlich als Änderungsrichtlinien zur Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (zur Kodifizierungstechnik der Kommission Knaier, GmbHR 2018, 560, 561 und GmbHR 2018, 607, 612). Es folgten Diskussionen über einzelne Details der Vorschläge in den Fachvorträgen zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts aus praktischer und akademischer Perspektive, zu grenzüberschreitenden Sitzverlegungen im Allgemeinen und zum Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern im Speziellen (die Beiträge und Diskussionsberichte werden in Heft 1/2019 der ECFR veröffentlicht). Im Anschluss hieran wurde seitens der Ratspräsidentschaft vor allem deutlich gemacht, dass die beiden Vorschläge nur gemeinsam verabschiedet werden sollen. Aufgrund der Komplexität der Regelungsmaterie und wegen altbekannter Stolpersteine, wie der Arbeitnehmermitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen und Spaltungen, erscheint das Ziel eines zügigen Richtlinienerlasses jedoch derzeit eher wie ein frommer Wunsch.

Dennoch bleibt es spannend in Sachen Company Law Package. Nach dem bisherigen Stand der Überarbeitung scheinen die verantwortlichen Akteure die Anregungen und die Kritik aus Wissenschaft und Praxis jedenfalls ernst zu nehmen. Es bleibt die Hoffnung, dass aus der „Wundertüte“ Company Law Package den betroffenen Rechtsanwendern und Unternehmern am Ende zumindest kein Schachtelteufel entgegenspringt.

Doch kein „Brexit“ mit Schrecken? – Bundesregierung legt Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vor

Seit nunmehr zweieinhalb Jahren schwebt das Damoklesschwert des „Brexit“ über den in Deutschland ansässigen Unternehmen in englischer Rechtsform (Ltd., PLC, LLP). Wird der Austritt Großbritanniens aus der EU wirksam, ohne dass ein Austrittsabkommen ausgehandelt wurde, das für diese Briefkastengesellschaften einen Rettungsanker parat hält, droht der Verlust der Rechtsfähigkeit in Deutschland (dazu Teichmann/Knaier, IWRZ 2016, 243). Es ist nämlich davon auszugehen, dass dann wieder die Sitz- und nicht die durch den EuGH und die Niederlassungsfreiheit vorgegebene Gründungstheorie Anwendung findet. Für die englischen Gesellschaften wären die Folgen fatal: Die deutschen Gerichte würden eine Umqualifizierung der englischen Rechtsform in ein deutsches Pendant vornehmen. Aus einer Limited könnte dann eine OHG oder GbR, aus einer Einpersonen-Limited ein Einzelkaufmann oder schlicht eine gewöhnliche unbeschränkt haftende Person werden. All dies ist nichts Neues und die bisherige Literatur hat die Thematik und Lösungsmöglichkeiten umfassend aufgezeigt (siehe jüngst bspw. die Vorschläge von Miras/Tonner, GmbHR 2018, 601; Wachter, GmbHR 2018, R260 und Süß, ZIP 2018, 1277).

Die erdachten Rettungsmöglichkeiten für englische Ltd´s erwiesen sich in der Praxis jedoch teilweise als problematisch. Ein beliebter Vorschlag war der grenzüberschreitende Formwechsel in eine deutsche Rechtsform, der nach den Grundsätzen des EuGH möglich ist. Doch selbst im grenzüberschreitenden Umwandlungsrecht sehr aktive und versierte Praktiker mussten bei einem solchen Versuch die Erfahrung machen, dass das britische Companies House angesichts des Austritts nicht sehr kooperativ ist. Ein veröffentlichtes Schreiben des Companies House zeigt, dass man dort nicht gewillt ist, einen Formwechsel nach den Vorgaben des EuGH durchzuführen und einzutragen. Die immer dringlicher werdende Frage in Deutschland war also: Brexit – Was nun?

Der deutsche Gesetzgeber nahm diese Frage ernst (hierzu im Vorfled des Referentenentwurfes Wachter, GmbHR 2018, R260, R260 f.) und präsentierte jüngst mit dem Referentenentwurf für ein Viertes Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes seine Antwort darauf. Ziel des Gesetzes ist, es Rechtssicherheit für die betroffenen britischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland zu schaffen und den geordneten Wechsel in eine inländische Gesellschaftsrechtsform mit beschränkter Haftung durch eine neue Variante zu erweitern bzw. zu ermöglichen. Hierfür sieht der Entwurf vor, in den §§ 122a ff. UmwG Vorschriften über die Hineinverschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Personenhandelsgesellschaften zu ergänzen und das bestehende Regelungskonzept entsprechend anzupassen.

In der Praxis wird hierdurch ermöglicht, eine britische Gesellschaft auf eine KG zu verschmelzen und deren bisherige(n) Gesellschafter als Kommanditisten zu beteiligen. Mit der klassischen Konstruktion einer GmbH & Co. KG bleibt so die Haftung beschränkt, unter Einsatz einer UG (haftungsbeschränkt) als Komplementär ist sogar das Mindestkapital (fast) entbehrlich. Der Entwurf zielt somit ersichtlich darauf ab, die „abtrünnigen“ Limited-Unternehmer zurück zu den heimischen Rechtsformen zu locken.

Gesetzgebungstechnisch wird vorgeschlagen, Buch 2 Teil 2 Abschnitt 10 des UmwG für Personenhandelsgesellschaften i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwG zu öffnen. Dies betrifft die OHG und die KG. Auf diese sollen nach § 122a Abs. 2 UmwG-E die Vorschriften des Ersten Teils und des Ersten Unterabschnitts des Ersten Abschnitts des Zweiten Teils des UmwG entsprechend angewendet werden. Allerdings sieht § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG-E diese nur als übernehmende oder neue Gesellschaften vor. § 122c Abs. 2 Nr. 13 UmwG-E stellt nun klar, dass für jeden Anteilsinhaber bei der Verschmelzung auf eine Personenhandelsgesellschaft im Verschmelzungsplan oder dessen Entwurf klargestellt werden muss, ob ihm in der übernehmenden oder der neuen Personenhandelsgesellschaft die Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters oder eines Kommanditisten gewährt wird. Weitere Änderungen betreffen vor allem formale Anpassungen und Anpassungen an die Besonderheiten der Beteiligung von Personenhandelsgesellschaften an der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Neugeschaffen wird ein Anwendungsbefehl für § 8 Abs. 3 UmwG in § 122e S. 3 UmwG-E. Hierdurch soll das Verfahren der Verschmelzung auf eine Personenhandelsgesellschaft als Zielgesellschaft vereinfacht werden, indem ein Verschmelzungsbericht dann für entbehrlich erklärt wird, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf seine Erstattung verzichten oder sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden.

Neu eingefügt werden soll darüber hinaus § 122m UmwG-E über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union. Hiermit wird eine Übergangsvorschrift für vor Wirksamwerden des Brexit begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Verschmelzungen geschaffen. Entscheidend für das Eingreifen der Norm ist die notarielle Beurkundung des Verschmelzungsplans nach § 122c Abs. 4 UmwG vor dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Ist diese geschehen, wird eine britische Gesellschaft, die auf eine übernehmende oder neue deutsche Handelsgesellschaft verschmolzen wird, für den Zweck der Verschmelzung auch nach Wirksamwerden des Brexit als EU-Gesellschaft behandelt. Hinzu kommt jedoch, dass die Verschmelzung unverzüglich nach dem Zeitpunkt der notariellen Beurkundung des Verschmelzungsplans zur Eintragung beim Handelsregister angemeldet werden muss. Der Gesetzgeber schränkt dies jedoch ein und lässt eine Anmeldung innerhalb von zwei Jahren zu, um unter § 122m UmwG-E zu fallen.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern noch bestehende britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland von dem neuen Angebot des Gesetzgebers Gebrauch machen werden. In vielen Fällen droht trotz der neuen Möglichkeit der Verlust der Rechtsfähigkeit, wenn versäumt wird, den Verschmelzungsplan vor Wirksamwerden des Brexit notariell beurkunden zu lassen. Trotzdem ist der vom Gesetzgeber gewählte Weg im Grunde zu begrüßen. Auf diese Weise wird den vom Brexit betroffenen Gesellschaften ein durchaus gangbarer Ausweg aus der Problematik ermöglicht. Erfreulicherweise wurde nicht der Weg gewählt, den betroffenen Gesellschaften durch eine dauerhafte Anerkennung ihrer Rechtsform Bestandsschutz zu gewähren.

Blockchain: Mehrwert für Unternehmen?

In der kürzlich erschienenen Ausgabe aus der Schriftenreihe der BaFin „BaFinPerspektiven“ (Seiten 40 – 42) zum Thema Digitalisierung behandeln Autoren des Frankfurt School Blockchain Centers und aus der Technologiebranche die Chancen von Blockchainanwendungen für Unternehmen. Dabei geht es um die sogenannten privaten Blockchains, an denen nur ein festgelegter Personenkreis teilnimmt (siehe zur Erklärung und Abgrenzung von öffentlichen Blockchains auch Lutzenberger, Die Besteuerung von Bitcoin und sonstigen Blockchain-Währungen, GmbHR 2018, 794).

Die dezentrale Datenspeicherung in einer Blockchain und die vollautomatisierte Durchführungsweise der Smart Contract-Technik könnten die Unternehmensverwaltung der Zukunft sein. So ließen sich in einem solchen Programm (auch virtuelle) Güter einem Konto zuweisen, bewerten, nachverfolgen und bei Änderungen diesbezügliche Zahlungsströme in Gang setzen. Dem folgend könnten automatisch die passenden Dokumente ausgetauscht werden. Und dies alles mit dem großen Vorteil der Blockchain, welche durch die Anknüpfung an die bisherige Historie der bewegten Güter deren Ursprung und Authentizität für jeden einsehbar garantiert. Änderungen geschähen in Echtzeit und, besonders wichtig, in jedem vorhersehbaren Fall in einer einheitlichen Weise.

Diese Smartness des Computers findet ihr Ende jedoch im Gefüge der BGB-Gründerväter, die etwa für den Eigentumsübergang bei gegenständlichen Gütern die zusätzlichen Voraussetzungen einer juristisch wirksamen Einigung und der Eigentümerstellung des Übertragenden vorsahen, wie auch das evtl. Eingreifen der Gutglaubensvorschriften, welche auf menschlicher Auslegung und Verkehrsauffassung aufbauen. Auch ganz generell darf die Vorher-Programmierbarkeit von Vertragsgestaltungen mit jeder denkbaren Eventualität angezweifelt werden.

Bezüglich juristischer Vorgänge kann die Blockchain also nie die Umsetzung selbst, sondern immer nur eine (nicht garantiert richtige) Abbildung darstellen.

 

Fazit: Die disruptive Blockchain-Technologie könnte virtuelle Werte besser fassen und abbilden, sie wäre ein vertrauensschaffendes und vereinheitlichendes Tool im Unternehmensverbund. Bei der Einbeziehung rechtlicher Vorgänge ist jedoch Vorsicht die Mutter der Porzellankiste.

5. EU-Geldwäscherichtlinie: Verschärfung der Vorschriften zum Transparenzregister in Sicht

Kaum hat die Praxis das Inkrafttreten der auf der 4. Geldwäscherichtlinie (Richtlinie [EU] 2015/849) basierenden Vorschriften zum Transparenzregister (§§ 18 ff. GwG) „verarbeitet“, stehen bereits europarechtlich induzierte Verschärfungen des noch jungen Regulierungsregimes an:

Am 19. April 2018 hat das Europäische Parlament die 5. Geldwäscherichtlinie verabschiedet, wobei die noch ausstehende Zustimmung des Rates als sicher gilt, da der Richtlinientext das Produkt eines Trilog-Kompromisses ist. Die Richtlinie wird 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union – d.h. zur Jahresmitte – in Kraft treten. Mit Blick auf die Umsetzungsfristen in Art. 67 Geldwäscherichtlinie n.F. ist somit Ende 2019 mit einem neuen Geldwäschegesetz zu rechnen. Die für das Transparenzregister zu erwartenden Änderungen werden skizziert bei Bochmann, GmbHR 2018, R164 ff.

Kommission präsentiert gesellschaftsrechtliche „Wundertüte“

Nachdem es seit November vergangenen Jahres mehrfach verschoben wurde, hat die Europäische Kommission das fertige „Company Law Package“  am 25.04.2017 nun der Öffentlichkeit präsentiert. Mit Spannung wurde erwartet, welche Regelungsvorschläge es letztlich enthalten und ob die Kommission ihre umfassenden Ankündigungen wahr machen würde (vgl. Arbeitsprogramm der Kommission 2017, S. 8) . Auf den ersten Blick haben Kommissionspräsident Juncker und sein Team Wort gehalten: Ein Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht  und ein Vorschlag über die Regelung grenzüberschreitender Verschmelzungen, Spaltungen und Sitzverlegungen bilden zusammen mit ihrem Anhang einen insgesamt knapp 130 Seiten starken Vorschlag. Dieser wird komplettiert durch ein 194-seitiges Impact Assessment. Angesichts der Masse und der vielfältigen Regelungsmaterie handelt es sich um die bisher umfangreichste gesellschaftsrechtliche Initiative der Kommission, andernorts wird von einem „dicke[n] Paket“  gesprochen. Dennoch sucht die Kommission mit den Entwürfen in Buchstärke kein neues Regelungsregime zu schaffen, sondern will lediglich die erst im Sommer 2017 konsolidierte Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts  ergänzen. Bereits beim ersten Durchsehen der Texte fällt auf, dass diese Regelungstechnik (bspw. sollen statt einer Neuzählung die Art. 160a–160w eingefügt werden) die Handhabbarkeit erschwert.

Unabhängig von der gewöhnungsbedürftigen Verpackung bietet die „Wundertüte“ einige Überraschungen. Künftig soll es jedermann in der Union (offenbar auch juristischen Personen) möglich sein, in jedem Mitgliedstaat digital eine Kapitalgesellschaft zu gründen, ohne einen Fuß in den Registerstaat setzen zu müssen. Satzungsmuster (sog. Templates) sollen die Gründung zusätzlich erleichtern und müssen dazu von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.  Bei der Onlinegründung muss jede Rechtsordnung mindestens sicherstellen können, dass der Gründer rechtsfähig ist und seine Identität festgestellt werden kann.  Den Mitgliedstaaten verbleibt aber darüber hinaus auch ein Regelungsspielraum: Die Online-Ferngründung scheint insbesondere nicht das Ende für die notarielle Tätigkeit bei der Gründung von Kapitalgesellschaften zu bedeuten, zumindest nicht zwingend. Die Mitgliedstaaten können – solange dies keine physische Präsenz der Gründer erfordert – u.a. Notare in das Verfahren einbinden, was angesichts ihrer umfassenden und vielgestaltigen Beratungstätigkeit, in denjenigen Staaten, die bisher auf Notare setzen, auch weiterhin zu empfehlen sein dürfte. Die digital errichtete Gesellschaft soll innerhalb von fünf Werktagen nach Einreichung aller Unterlagen und Leistung der erforderlichen Zahlungen eingetragen werden. Den Mitgliedstaaten steht es zudem frei, die „großen“ Kapitalgesellschaften, wie die deutsche AG, nicht zur Onlinegründung zuzulassen, was angesichts der oft komplexen Gestaltungen bei diesen Gesellschaftstypen durchaus sinnvoll sein kann. Auf die Mitgliedstaaten kommt jedenfalls harte Arbeit zu, da (soweit ersichtlich) bisher nur Estland Erfahrungen mit effizienten grenzüberschreitenden Gründungsverfahren hat, die – über das eResidency-Programm  – auch für Personen ohne estnische Staatsangehörigkeit zugänglich sind.

Zudem hat sich die Kommission nun auch endlich mit grenzüberschreitenden Unternehmensumwandlungen befasst. Das Company Law Package enthält den Vorschlag für eine Novellierung der Verschmelzungsrichtlinie sowie Vorschläge für einen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen und Sitzverlegungen. In diesem Bereich will die Kommission vor allem einen rechtssicheren kodifizierten Rahmen für alle grenzüberschreitenden Umwandlungen schaffen, der im Einklang mit der bisherigen EuGH-Judikatur dazu stehen soll. Besonders im Fokus liegt bei allen drei Regelungskonzepten die Förderung der grenzüberschreitenden Unternehmensmobilität – explizit sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigt werden – bei gleichzeitiger Gewährleistung der Rechte zum Schutz der betroffenen stakeholder, wie Gläubiger, Gesellschafter und Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmermitbestimmung nehmen die neuen Regelungen zur grenzüberschreitenden Spaltung und Sitzverlegung Bezug auf das Verhandlungsverfahren, wie es bereits aus der SE-Verordnung  bekannt ist. Ähnliche Vorschläge fanden sich diesbezüglich bereits in den bislang nicht erfolgreichen Vorschlägen zur SPE  und zur SUP , weshalb die Möglichkeit besteht, dass dieser Aspekt auch für die neuen Vorschläge eine politische Hürde darstellen wird.

Ob sich das unionale Gesellschaftsrecht über die Überraschungen freuen kann, welche die „Wundertüte“ noch bereithält, wird die Zukunft zeigen. Fürs erste kann festgehalten werden, dass jedenfalls der Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht noch zahlreiche Fragen aufwirft und Rechtsunsicherheiten verstärken kann, während die Vorschläge zur Kodifizierung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und Spaltung das Potenzial haben, einen rechtssicheren Rahmen für diese Vorgänge im Binnenmarkt zu schaffen.