Anwaltsblog 16/2025: Auch ein geschäftsunfähiger Auftraggeber eines Notars muss Notarkosten bezahlen!

Ob ein nicht erkennbar geschäftsunfähiger Auftraggeber einem Notar zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet ist oder ob dem §§ 104 ff. BGB entgegenstehen, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2025 – IV ZB 37/24):

 

Die (nicht erkennbar) geschäftsunfähige Beteiligte suchte einen Notar auf, weil sie ihren ehemaligen Bankberater adoptieren, zum Alleinerben einsetzen und ihm eine umfassende Vollmacht erteilen wollte. Der Notar beriet die Beteiligte in mehreren Terminen. Nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, von dem Vorhaben Abstand genommen zu haben, erteilte der Notar eine Kostenberechnung über 3.531,32 €. Auf Antrag der Beteiligten hat das Landgericht die Kostenberechnung aufgehoben. Die Beschwerde des Notars hat das Kammergericht zurückgewiesen. Er könne Zahlung nicht verlangen, weil die Beteiligte geschäftsunfähig iSv. § 104 Nr. 2 BGB sei und der erteilte Beratungsauftrag entsprechend dem Rechtsgedanken des § 105 Abs. 1 BGB nichtig war.

Die Rechtsbeschwerde des Notars ist begründet. Ihm steht ein Gebührenanspruch gegen die Beteiligte zu. Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht eine Kostenhaftung der Beteiligten aus § 29 Nr. 1 GNotKG abgelehnt. Ein – für den Notar nicht erkennbar – geschäftsunfähiger Auftraggeber ist zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet. Die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf Aufträge an einen Notar weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

Nach § 29 Nr. 1 GNotKG ist Kostenschuldner, wer dem Notar den Auftrag erteilt oder den Antrag gestellt hat. Unter dem Begriff des Auftrags ist jedes an den Notar gerichtete Ansuchen zu verstehen, das auf die Vornahme einer notariellen Amtstätigkeit gerichtet ist. Einen Auftrag, zu einem Testament, einer Adoption und einer Vorsorgevollmachtserteilung zumindest beraten zu werden, hat die Beteiligte dem Notar jedenfalls erteilt; ob sich dieses Ansinnen bereits auf eine Beurkundung richtete, kann offenbleiben. Die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf den Auftrag an einen Notar nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich dabei nicht um eine privatrechtliche Willenserklärung des Auftraggebers handelt. Der Notar nimmt seine Amtsgeschäfte aufgrund seiner Eigenschaft als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wahr (§ 1 BNotO); das Rechtsverhältnis, in dem er zu den Beteiligten steht, ist – obwohl das Gesetz in § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BNotO vom „Auftraggeber“ des Notars spricht – kein privatrechtlicher Vertrag. Dies gilt nicht nur für die Urkundstätigkeit, sondern ebenso für die Amtstätigkeit im Sinne der §§ 23, 24 BNotO, d.h. auch für die „sonstigen Betreuungsgeschäfte“.

Eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB auf den Notarauftrag kommt nicht in Betracht. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Hier fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. § 29 Nr. 1 GNotKG übernimmt den Grundsatz der Antragstellerhaftung bzw. Auftraggeberhaftung aus § 2 Nr. 1 KostO, der für Gerichtsverfahren und Notarauftrag (§ 141 KostO) gleichermaßen galt. Eine inhaltliche Änderung der früheren Regelung, nach der die Kosten schuldet, wer die Tätigkeit „veranlasst“ hat, war daher nicht beabsichtigt. Obwohl vor Erlass des GNotKG am 23. Juli 2013 die zur Kostenordnung ergangene Rechtsprechung, die eine Kostenhaftung des unerkannt geschäftsunfähigen Auftraggebers annahm, bekannt war, sah der Gesetzgeber keinen Anlass, eine entsprechende Ausnahme zugunsten Geschäftsunfähiger anzuordnen. Darüber hinaus sind auch die Situation des Geschäftsunfähigen, der vor Verpflichtungen durch privatrechtliche Willenserklärungen geschützt werden soll, und die des geschäftsunfähigen Auftraggebers eines Notars nicht miteinander vergleichbar. Nach den §§ 104 ff. BGB soll der Schutz Geschäftsunfähiger und beschränkt Geschäftsfähiger Vorrang vor den Interessen des Rechtsverkehrs haben, sodass dem Vertragspartner das Risiko der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zugewiesen wird. Der Notar dagegen gehört nicht zum Rechtsverkehr in diesem Sinne, sondern wird als Amtsträger zur Erbringung einer öffentlich-rechtlichen Leistung in Anspruch genommen. Dabei soll, wie § 11 Abs. 1 BeurkG zeigt, der Notar nach Erteilung eines Auftrags – bereits als Teil seiner Amtstätigkeit – prüfen, ob einem Beteiligten die erforderliche Geschäftsfähigkeit fehlt, wenn dafür ein Anlass besteht. Erst die Überzeugung des Notars vom Fehlen der Geschäftsfähigkeit soll nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BeurkG zur Ablehnung einer Beurkundung führen. Die fehlende Anwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB beruht nicht darauf, dass der Notar zu bestimmten Tätigkeiten verpflichtet ist, sondern darauf, dass das Kostenschuldverhältnis ohne Mitwirkung des Notars ohne weiteres zustande kommt. Zwischen der Urkundstätigkeit, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht ohne ausreichenden Grund verweigert werden kann, und einer Beratung, deren Ablehnung im pflichtgemäßen Ermessen des Notars steht, besteht daher für die Kostenhaftung eines geschäftsunfähigen Auftraggebers kein durchgreifender Unterschied.

 

Fazit: Ein – für den Notar nicht erkennbar – geschäftsunfähiger Auftraggeber ist unabhängig von der Art der notariellen Tätigkeit zur Zahlung der Notarkosten verpflichtet. Die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB sind auf Aufträge an einen Notar weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

Anwaltsblog 15/2025: Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle

Was eine Partei vortragen muss, um Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist gewährt zu bekommen, hat erneut den BGH beschäftigt (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VI ZB 36/24):

Die Klägerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist. Hierzu hat sie durch ihre Prozessbevollmächtigten ausführen und anwaltlich versichern lassen, wie die Fristenkontrolle in der Kanzlei organisiert sei und dass eine bis dahin stets zuverlässige Kanzleiangestellte G. am 17. Mai 2024 versehentlich die am 7. Juni 2024 ablaufende Berufungsbegründungsfrist als erledigt vermerkt habe, obwohl die Berufungsbegründung nicht der zuständigen Rechtsanwältin zur abschließenden Prüfung vorgelegt und versendet worden sei. Das Berufungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, weil ihre Büroorganisation hinsichtlich der Ausgangskontrolle der Post unzureichend sei.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet. So liegt es hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten beruht. Die Klägerin hat in ihrem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten über eine Ausgangskontrolle verfügt, die den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des BGH genügt. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Dazu gehört u.a. die Anordnung, die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine beauftragte Bürokraft zu überprüfen. Eine wirksame Ausgangskontrolle hat sich dabei auch darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde. Deshalb ist die Bürokraft anzuweisen, gegebenenfalls anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind. Bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Daher hat der Rechtsanwalt das zuständige Personal anzuweisen, stets den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren. Von einer erfolgreichen Übermittlung darf der Rechtsanwalt nicht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Gemessen daran hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Ihr Vortrag zur allabendlichen Kontrolle hat sich auf folgenden – anwaltlich versicherten – Satz beschränkt: „Vor Büroschluss wird von Frau G. noch einmal kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt sind; erst dann wird die Frist gelöscht.“ Es fehlen jegliche Angaben dazu, wie die Kontrolle, „ob alle Fristsachen erledigt“ sind, nach den kanzleiinternen Anweisungen zu erfolgen hat. Insbesondere wird nicht mitgeteilt, ob und wie organisatorisch sichergestellt wird, dass im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete fristgebundene Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden und bei Gericht eingegangen sind. Die Erklärung, es werde noch einmal kontrolliert, ob „alle Fristsachen erledigt“ sind, impliziert nicht, dass die spezifischen an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind. Der Vortrag im Wiedereinsetzungsantrag war damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

 

Fazit: Begehrt eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat sie einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Der Vortrag, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten werde vor Büroschluss noch einmal kontrolliert, „ob alle Fristsachen erledigt sind“, impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind; er ist damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

Anwaltsblog 14/2025: Keine Pflicht des Gerichts zur rechtzeitigen Erteilung eines Hinweises an die Partei bei Fristversäumung

Der BGH hatte zu entscheiden, ob einer Prozesspartei, deren Prozessbevollmächtigter gut 14 Tage vor Fristablauf statt der Berufungsbegründung eine an seinen Mandanten gerichtete Kostenrechnung an das Berufungsgericht übermittelt hatte, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren ist (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23):

In einem Berufungsverfahren war die Begründungsfrist für den Kläger bis zum 14. August 2023 verlängert worden. Am 25. Juli 2023 ging auf dem Justizserver eine aus dem beA des Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelte Datei ein. Hierbei handelte es sich um eine an den Kläger gerichtete E-Mail seines Prozessbevollmächtigten mit der als Anhang beigefügten Kostenrechnung für das Berufungsverfahren. Nachdem das Berufungsgericht darauf hingewiesen hatte, dass bis zum Fristablauf eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers per beA einen Schriftsatz vom 18. Juli 2023 mit der Berufungsbegründung eingereicht und zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe selbst am 25. Juli 2023 die Berufungsbegründung übermitteln wollen und dabei versehentlich nicht die betreffende Datei, sondern ein E-Mail-Schreiben an seinen Mandanten ausgewählt, das „unmittelbar neben der Berufungsbegründung in der Schriftsatzhistorie des Anwaltsprogramms positioniert“ gewesen sei. Das Berufungsgericht hätte auf die Einreichung eines falschen, nicht an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatzes hinweisen müssen; dann hätte das Versehen noch geheilt werden können.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Seine Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschulden bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten beruht. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Prozessbevollmächtigte müssen in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Dies erfordert zunächst die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Es fällt in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Die Kontrollpflichten erstrecken sich u.a. darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie – anhand des zuvor vergebenen Dateinamens – ob die richtige Datei übermittelt wurde. Der Rechtsanwalt kann die Ausgangskontrolle zwar auf zuverlässiges Büropersonal übertragen und braucht sie nicht selbst vorzunehmen. Übernimmt er sie aber im Einzelfall selbst, muss er auch selbst für eine wirksame Ausgangskontrolle Sorge tragen.

An diesen Grundsätzen gemessen hat das Berufungsgericht zu Recht eine Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten des Klägers angenommen. Sein für die Fristversäumung ursächliche Verschulden entfällt auch nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Das Berufungsgericht war aufgrund der gerichtlichen Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Eingang der am 25. Juli 2023 übermittelten Datei zum Anlass zu nehmen, den Prozessbevollmächtigten des Klägers noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist darauf hinzuweisen, dass von diesem anstatt einer Berufungsbegründung eine an seinen Mandanten gerichtete E-Mail eingereicht wurde. Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt. Das Gericht darf allerdings nicht sehenden Auges zulassen, dass ein offenbares Versehen einer Partei zur Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist und damit zu Rechtsnachteilen für die Partei führt. Es hat deshalb bei ohne weiteres erkennbaren Fehlern im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs darauf hinzuweisen, um der Fristversäumnis entgegen zu wirken. Hiervon ausgehend war das Berufungsgericht nicht zu einem Hinweis an den Prozessbevollmächtigten des Klägers verpflichtet. Es lag nicht offen zutage, dass am 25. Juli 2023 seitens des Klägers (gerade) der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung übermittelt werden sollte und deshalb die Auswahl des übersandten – nicht die Berufungsbegründung enthaltenen – elektronischen Dokuments offenkundig auf einem Versehen beruhen musste. Eine leicht erkennbare Fehlerhaftigkeit der am 25. Juli 2023 erfolgten Übermittlung eines Dokuments an das Berufungsgericht ergibt sich auch nicht daraus, dass an dem betreffenden Tag für den Kläger als einzige Frist diejenige zur Berufungsbegründung lief. Denn das Berufungsgericht musste den Umstand, dass überhaupt ein Schriftsatz der Klägerseite eingegangen ist, nicht ohne Weiteres mit dem noch mehr als 14 Tage später anstehenden Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in Zusammenhang bringen.

Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Bezeichnung und den Inhalt der übermittelten Datei über die Bedeutung des eingereichten Dokuments im Unklaren war und einen Fehler des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Auswahl des zu übersendenden elektronischen Dokuments für möglich gehalten haben könnte, wäre das Berufungsgericht nicht zu einem Hinweis an den Kläger verpflichtet gewesen. Insoweit ist der Sachverhalt nicht mit den Fallgestaltungen zu vergleichen, in denen ein Schriftsatz versehentlich bei einem unzuständigen Gericht eingeht oder an einem offensichtlichen äußeren formalen – ohne Kenntnis der Akten und ohne inhaltliche Prüfung unschwer erkennbaren – Mangel, etwa einer fehlenden Unterschrift, leidet. Dagegen lässt der Eingang einer Datei – beinhaltend eine an den Mandanten gerichtete E-Mail mit der Bitte um Bezahlung der angehängten anwaltlichen Kostenrechnung – aus der Sicht des Gerichts nicht erkennen, dass auch die nach der Übermittlung vorzunehmende beA-Ausgangskontrolle des absendenden Rechtsanwalts, die gerade (auch) eine Prüfung der Übereinstimmung der übermittelten mit der zu übermittelnden Datei umfassen soll, versagt hat und dass der Absender deshalb der Fehlvorstellung unterliegt, mit der erfolgten Versendung die Rechtsmittelbegründungsfrist gewahrt zu haben. Eine entsprechende Hinweispflicht liefe auf eine weitgehende Verlagerung der Verantwortung für die Ausgangskontrolle von dem dafür zuständigen Absender auf das Gericht und damit auf eine Überspannung der gerichtlichen Fürsorgepflicht hinaus.

 

Fazit: Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (BGH, Beschluss vom 21. März 2023 – VIII ZB 80/22 –, MDR 2023, 796).

Anwaltsblog 13/2025: Unzulässigkeit einer Berufung, wenn Begründung vom Mandanten erstellt worden ist!

Der BGH hatte über die Zulässigkeit einer Berufung zu entscheiden, bei der Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die vom Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Berufungsbegründungsschrift durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt nicht erfolgt war (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2025 – IX ZB 46/23):

 

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rechtsanwaltsvergütung in Anspruch. Der Beklagte, der sich vor dem Amtsgericht selbst vertreten hat, hat Widerklage erhoben und verlangt Schadensersatz, weil Mandate, die den geltend gemachten Vergütungsansprüchen zugrunde lägen, zur Unzeit gekündigt worden seien. Er hat im Verlauf des Rechtsstreits erster Instanz eine Mehrzahl von Ablehnungsgesuchen gestellt, die als rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig angesehen worden sind. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Ein von dem Beklagten beauftragter Rechtsanwalt hat Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und eine 44 Seiten lange Berufungsbegründung zu den Akten gereicht, die sowohl in ihrem äußeren Erscheinungsbild als auch inhaltlich dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beklagten stark ähnelt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil diese nicht von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt verfasst worden sei.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat sich davon überzeugt, dass der als Berufungsbegründung bezeichnete Schriftsatz abgesehen vom Einleitungssatz vom Beklagten selbst und nicht von dessen Prozessbevollmächtigten verfasst worden sei. Dieser habe den Schriftsatz ohne eigene Prüfung lediglich unterzeichnet. Die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt stellt keine bloße Formalität dar, sie ist zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt. Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffs vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüberhinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat. Ausnahmen hiervon werden für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat. Zur letztgenannten Fallgruppe werden insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze gerechnet, die weitgehend unverständlich sind und Ausführungen enthalten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stehen oder nach deren Inhalt schlechthin auszuschließen ist, dass der Anwalt sie in der gebotenen Weise überprüft haben kann.

Diesen Grundsätzen entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat erkannt und näher begründet, dass der Schriftsatz, der zur Begründung der Berufung zu den Akten gereicht worden ist, abgesehen vom Einleitungssatz vom Beklagten selbst und nicht von dessen Prozessbevollmächtigten verfasst worden ist. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob die Berufungsbegründungsschrift ihrem Inhalt nach den Schluss erlaubt, dass der Prozessbevollmächtigte das von dem Beklagten stammende Schriftstück unbesehen unterzeichnet hat. Dies hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte des Beklagten angenommen. Es hat anhand des Inhalts des Schriftsatzes begründet, dass ein an den Regeln des anwaltlichen Berufsrechts und den Zwecken des Anwaltszwangs orientierter Rechtsanwalt die von dem Beklagten ausgearbeitete Berufungsbegründung entweder gar nicht, nicht ohne Änderungen oder ohne Distanzierung eingereicht haben würde. Darauf beruht die Überzeugung, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten müsse die Berufungsbegründung ohne eigenverantwortliche Prüfung eingereicht haben. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass die Berufungsbegründungsschrift in weiten Teilen aus unverständlichen, teils wirren Ausführungen bestehe, die juristische Fachkenntnisse vermissen ließen. Dies zeigt sich an dem elf Ziffern (zum Teil mit Unterpunkten) umfassenden Antragsprogramm. Es kann ausgeschlossen werden, dass ein an den Zwecken des Anwaltszwangs orientierter Rechtsanwalt nach eigenverantwortlicher Überprüfung Gericht und Gegner ein derartiges Antragsprogramm unterbereitet und etwa beantragt hätte, die Sache noch vor der Durchführung des Berufungsverfahrens an das Amtsgericht zurückzuverweisen (Antrag zu 4). Auch die weiteren Inhalte der Berufungsbegründungsschrift begründen die Überzeugung, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe diese unbesehen unterzeichnet. Mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass es an der von § 520 ZPO geforderten Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts fehlt. Die Berufungsbegründungsschrift wird stattdessen durch weitgehend unverständliche und wirre Ausführungen geprägt, die bei eigenverantwortlicher Prüfung durch einen Rechtsanwalt nicht zu erwarten gewesen wären.

 

Fazit: Für ein Berufungsgericht besteht in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat. Ausnahmen hiervon werden für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat.

Anwaltsblog 12/2025: Wann ist die Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB rechtsmissbräuchlich?

Der BGH hatte zu entscheiden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag der Widerruf des Verbrauchers rechtsmissbräuchlich ist (BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – VII ZR 133/24):

 

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Werklohn für eine Verkehrsflächenreinigung. Durch den PKW des Beklagten kam es am 31. August 2020 auf der Bundesautobahn 5 im Bereich der Ausfahrt Karlsruhe zu einer Verunreinigung der Verkehrsfläche durch eine Ölspur. Der Beklagte beauftragte die Klägerin am selben Tag vor Ort schriftlich mit der Reinigung der Fahrbahn. Er unterzeichnete zudem ein ihm ausgehändigtes, gesondertes Blatt mit einer Widerrufsbelehrung. Diese enthielt weder einen Hinweis auf das Muster-Widerrufsformular noch wurde ihm ein solches ausgehändigt. Die Klägerin reinigte die Verkehrsfläche und rechnete hierfür 1.975,43 € brutto ab. Der Beklagte erklärte auf Anraten seines Haftpflichtversicherers mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 den Widerruf des mit der Klägerin geschlossenen Vertrags.

Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 1.975,43 € gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klageforderung zuerkannt. Der Beklagte habe den Werkvertrag nicht wirksam widerrufen. Allerdings habe ihm aufgrund des außerhalb von Geschäftsräumen erfolgten Vertragsschlusses ein gesetzliches Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB zugestanden. Der Beklagte sei jedoch nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf sein Widerrufsrecht zu berufen. Bei Nassreinigungsarbeiten auf Straßen handele es sich um Arbeiten, die aufgrund des Gefährdungspotentials für andere Verkehrsteilnehmer mit Zeitdruck durchgeführt werden müssten. Bei diesen Arbeiten bestehe nur ein kurzes Zeitfenster – im Streitfall höchstens eineinhalb Stunden – in dem überhaupt ein Widerruf durchgeführt werden könne. Es komme hinzu, dass Nassreinigungsarbeiten üblicherweise vom Träger der Straßenbaulast beauftragt würden; dieser habe sodann gegen den Schädiger einen Anspruch auf Ersatz der Reinigungskosten. Bei einer Beauftragung des Reinigungsunternehmers durch den Träger der Straßenbaulast stehe diesem kein Widerrufsrecht zu. Es wäre daher eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Beklagten, wenn seine Ersatzpflicht als Schädiger nur deshalb entfiele, weil er den Reinigungsunternehmer selbst beauftragt habe und er diesen Vertrag wegen eines kleinen Fehlers bei der Widerrufsbelehrung auch noch nach Ausführung der Leistung widerrufen könne.

Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Beklagten sei rechtsmissbräuchlich, ist rechtsfehlerhaft. Allerdings ist es weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht ausgeschlossen, der Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1 BGB im Einzelfall den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenzuhalten. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Es setzt der Rechtsausübung dort Schranken, wo sie zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führt. Insbesondere muss § 242 BGB dann in Betracht gezogen werden, wenn die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen der Beteiligten ein unzumutbar unbilliges Ergebnis zur Folge hätte. Dagegen berechtigt § 242 BGB nicht zu einer reinen Billigkeitsjustiz. Gründe der Rechtssicherheit verbieten es vielmehr, Vorschriften des zwingenden Rechts unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben auch dort anzutasten, wo besondere gesetzliche Regelungen den Interessenkonflikten bereits Rechnung tragen. Hiervon ausgehend kommt ein Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, in Betracht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bereits das gesetzliche Regelungsgefüge zum Verbraucherwiderrufsrecht die als schutzwürdig erkannten Interessen sowohl des Verbrauchers auf der einen als auch des Unternehmers auf der anderen Seite berücksichtigt. Die darin liegenden gesetzlichen Wertungen dürfen nicht durch die Anwendung von § 242 BGB umgangen werden.

Dies hat das Berufungsgericht verkannt. Es hat den Ausnahmecharakter des Einwands des Rechtsmissbrauchs nicht berücksichtigt und ist insoweit von einem unzutreffenden Wertungsmaßstab ausgegangen. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben wegen Rechtsmissbrauchs nicht. Die Dringlichkeit der Reinigungsarbeiten aufgrund des mit der Ölspur verbundenen Gefährdungspotentials sowie die kurze Ausführungsdauer sind keine Umstände, die ausnahmsweise den Einwand rechtfertigen könnten, die Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts durch den Beklagten sei rechtsmissbräuchlich. Das Berufungsgericht verkennt insoweit, dass bereits das Gesetz in § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB (dringende Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten auf Aufforderung des Verbrauchers) und § 356 Abs. 4 BGB (Erlöschen des Widerrufsrechts bei vollständiger Leistungserbringung) derartige Umstände berücksichtigt und den Interessen des Unternehmers Rechnung trägt, indem es unter den dort geregelten Voraussetzungen ein Widerrufsrecht des Verbrauchers verneint. Liegen in diesen Fällen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verneinung des Widerrufsrechts nicht vor, kann die darin liegende gesetzliche Wertung nicht durch den Rückgriff auf § 242 BGB umgangen werden. Es müssen dann vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die den nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Einwand des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen können. Solche weiteren Umstände, die eine besondere Schutzbedürftigkeit des Unternehmers begründen, sind nicht erkennbar. Der Umstand, dass üblicherweise der Träger der Straßenbaulast Nassreinigungsarbeiten beauftragt, diesem kein Widerrufsrecht zusteht und er den Schädiger im Anschluss wegen der Kosten der Reinigung nach § 7 StVG oder § 823 BGB in Regress nehmen kann, kann den nur ausnahmsweise eingreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht begründen. Das Berufungsgericht verkennt insoweit, dass sich die Klägerin dafür entschieden hat, die Nassreinigungsarbeiten nicht auf der Grundlage eines Vertrags mit dem Träger der Straßenbaulast durchzuführen, sondern hierüber einen Vertrag mit dem Beklagten als Verbraucher abzuschließen. Sie hat sich damit bewusst dem Regime des Verbrauchervertrags und damit dem Risiko einer Widerruflichkeit der Willenserklärung des Beklagten zu diesem Vertrag ausgesetzt.

Die Anforderungen an die gebotene Belehrung im Fall eines Widerrufsrechts des Verbrauchers gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB ergeben sich aus Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB. Diese Vorschrift regelt den gesetzlichen Mindestinhalt einer Widerrufsbelehrung. Danach ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular aus der Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB zu informieren. Die gesetzlichen Informationspflichten dienen dem vom nationalen Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU verfolgten Zweck, dem Verbraucher eine ungehinderte Ausübung des Widerrufsrechts zu ermöglichen. Der Verbraucher soll durch die Belehrung nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses ohne Schwierigkeiten wirksam auszuüben. Das Muster-Widerrufsformular bezweckt dabei unter anderem die Vereinfachung des Widerrufsverfahrens für den Verbraucher. Danach weist die Widerrufsbelehrung der Klägerin keinen nur geringfügigen Fehler auf, vielmehr hält sie die gesetzlichen Mindestvorgaben nicht ein. Denn die Klägerin hat in der Widerrufsbelehrung keinen Hinweis auf das Muster-Widerrufsformular erteilt und dieses dem Beklagten auch nicht ausgehändigt.

 

Fazit: Der Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB wegen Rechtsmissbrauchs kommt nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, in Betracht. Das gesetzliche Regelungsgefüge zum Verbraucherwiderrufsrecht berücksichtigt bereits die als schutzwürdig erkannten Interessen sowohl des Verbrauchers auf der einen als auch des Unternehmers auf der anderen Seite. Die darin liegenden gesetzlichen Wertungen dürfen nicht durch die Anwendung von § 242 BGB umgangen werden.

Anwaltsblog 11/2024: Wann darf das Gericht eine beantragte Zeugenvernehmung zurückweisen?

Unter welchen Voraussetzungen ein Gericht eine Partei mit einem Beweismittel (hier: Zeugenvernehmung) wegen dessen Nichterreichbarkeit ausschließen darf, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – XII ZR 5/23):

 

Die Beklagte ist zur Zahlung rückständiger Miete für eine Gaststätte in Höhe von 22.120,10 € nebst Zinsen verurteilt worden. Mit ihrer Berufung hat sie behauptet, es sei mündlich eine Mietreduzierung vereinbart worden, und zum Beweis das Zeugnis ihrer Mutter angeboten. Das Berufungsgericht hat von der Vernehmung der Zeugin abgesehen und den Beweis als nicht erbracht angesehen. Die Zeugin sei reise- und verhandlungsunfähig. Eine Beweisaufnahme in  Form einer Video-Übertragung sei auf unabsehbare Zeit nicht durchführbar, sodass die Beklagte beweisfällig geblieben sei. Die Verurteilung wurde daher lediglich auf 20.902 € nebst Zinsen korrigiert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Die Beklagte rügt mit Recht, dass sie durch die angefochtene Entscheidung in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, so hat das Gericht nach § 356 ZPO durch Beschluss eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird.

Im vorliegenden Fall fehlt es hinsichtlich der Vernehmung der angebotenen Zeugin bereits an einem Hindernis iSv. § 356 ZPO. Denn das Berufungsgericht hat nicht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Durchführung der Zeugenvernehmung ausgeschöpft. Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war die Zeugin zwar nicht reisefähig. Sie konnte danach weder vor dem Berufungsgericht noch vor dem vom Berufungsgericht für eine Videovernehmung ausgewählten Amtsgericht erscheinen. Daraus ergibt sich aber noch keine Undurchführbarkeit der Zeugenvernehmung. Vielmehr standen dem Berufungsgericht dazu weitere Möglichkeiten zur Verfügung, welche die Reisefähigkeit der Zeugin nicht voraussetzten. So bestand die Möglichkeit, die Zeugin nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des Berufungssenats zu vernehmen. Hätte dem entgegengestanden, dass ein unmittelbarer Eindruck von der Zeugin unerlässlich war, hätte das Berufungsgericht eine Vernehmung der Zeugin durch den vollbesetzten Senat in deren Wohnung gemäß § 219 Abs. 1 ZPO in Erwägung ziehen und erforderlichenfalls durchführen müssen. Dagegen hat das Berufungsgericht neben der von ihm verworfenen schriftlichen Beantwortung der Fragen lediglich eine Videovernehmung versucht, was mangels Reisefähigkeit der Zeugin gescheitert ist. Zwar hat das Berufungsgericht daneben noch eine mangelnde Verhandlungsfähigkeit der Zeugin angeführt. Abgesehen davon, dass es bei Zeugen nicht auf die Verhandlungs-, sondern auf die Vernehmungsfähigkeit ankommt, fehlt es an einer Begründung, warum die Zeugin nicht zu einer Aussage in der Lage gewesen sein sollte. Allein ihr Alter von seinerzeit 83 Jahren und ihre fehlende Reisefähigkeit genügen dazu nicht.

 

Fazit: Die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann; weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2021 – XII ZR 152/19 –, MDR 2021, 958).

Anwaltsblog 10/2024: Befangenheit eines Richters bei Mitwirkung an Versäumnisurteil in erster Instanz?

Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Vorsitzende eines Berufungssenats gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wenn er in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hatte, das in dem die Instanz abschließenden streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2025 – I ZB 40/24):

 

In einem Wettbewerbsprozess war Vorsitzender Richter am OLG K., damals noch als Vorsitzender einer Zivilkammer des Landgerichts, in erster Instanz am Erlass eines (ersten) Versäumnisurteils gegen die Beklagte beteiligt. Durch Endurteil, erlassen ohne die Beteiligung von K., erhielt die Kammer das Versäumnisurteil im Wesentlichen aufrecht. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. K. sitzt dem zuständigen Berufungssenat des OLG vor. Die Beklagte meint, er sei wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der Berufungssenat hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt.

Der BGH ist mit dem OLG der Ansicht, dass ein Richter, der in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil gegen den Beklagten mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist, nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Er möchte die Rechtsbeschwerde daher zurückweisen, sieht sich an einer solchen Entscheidung aber gehindert, weil er damit von der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG abwiche. Nach dessen Auffassung ist ein Richter, der in der Vorinstanz ein Versäumnisurteil erlassen hat, das auf Grund eines Einspruchs in einer neuen Entscheidung, an der ein anderer Richter mitgewirkt hat, aufgehoben oder bestätigt worden ist, gegen die nunmehr Berufung eingelegt wird, jedenfalls dann gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der weiteren Ausübung des Richteramts im Berufungsverfahren ausgeschlossen, wenn es sich – wie vorliegend – um ein nach § 331 Satz 1 ZPO gegen den säumigen Beklagten erlassenes Versäumnisurteil handelt, das gemäß § 343 ZPO aufrechterhalten worden ist (BAG, Beschluss vom 7. Februar 1968 – 5 AR 43/68). Deshalb ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 RsprEinhG beim 5. Senat des BAG anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält:

Nach Ansicht des Senats hat das OLG zu Recht entschieden, dass K. im vorliegenden Berufungsverfahren nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Danach ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund greift nicht ein, wenn der Richter – wie im Streitfall – in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Es liegt zwar eine Mitwirkung in einem früheren Rechtszug vor, die sich nicht lediglich auf die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters erstreckt. Die Mitwirkung betrifft jedoch nicht den Erlass der angefochtenen Entscheidung. Nach § 511 Abs. 1 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Vorliegend ist das die erste Instanz beendende Urteil nicht das Versäumnisurteil vom 8. März 2023, an dem K. mitgewirkt hat, sondern das Urteil vom 23. November 2023 aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung, an dem K. nicht mitgewirkt hat. Dass mit dem angefochtenen Urteil ein unter Mitwirkung des Richters erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist, stellt keine Mitwirkung des Richters an der angefochtenen Entscheidung dar. Bei einem zulässigen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist das Gericht zu einer vollständigen Prüfung der Sache verpflichtet, und zwar auch dann, wenn der durch § 342 ZPO bewirkte Wegfall der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage führt. Insbesondere kann und muss es die Schlüssigkeit der Klage ohne Bindung an das Versäumnisurteil neu beurteilen.

Es ist nicht geboten, die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO über ihren Wortlaut hinaus auf die Mitwirkung an einem ersten Versäumnisurteil anzuwenden, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Die ZPO wird von dem Gedanken geprägt, dass Richterinnen und Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten, wenn sie sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet haben. Das Verfahrensrecht sieht sie dazu in der Lage, ihre rechtliche Beurteilung fortlaufend zu überprüfen, sei es innerhalb desselben Verfahrens, sei es in einem nachfolgenden Verfahren. Die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO stellt eine begrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsmittelverfahrens sollen Richterinnen und Richter eine Entscheidung, an der sie selbst mitgewirkt haben, nicht in einem späteren Rechtszug überprüfen. Darüber hinaus eröffnet § 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 und 3 ZPO jeder Partei das Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Für eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO fehlt es daher bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

 

Fazit: Der Ausschlussgrund des § 41 Nr. 6 ZPO greift nicht ein, wenn der Richter in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist.

 

Anwaltsblog 9/2025: Folgen der verzögerten Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB)

Wie ein ungewöhnlich langer Zeitraum (sechs Wochen) zwischen dem Zeitpunkt der elektronischen Übersendung eines gerichtlichen Dokuments und dem eEB des Rechtsanwalts angegebenen Zustelldatum zu bewerten ist, hatte das OLG Celle zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 31. Januar 2025 – 20 U 8/24):

In einem Berufungsverfahren hat der Senat den Kläger gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit Beschluss vom 28. Oktober 2024 auf die Aussichtslosigkeit seiner Berufung hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung gegeben. Die elektronische Eingangsbestätigung aus dem System des Klägervertreters weist als Datum des Eingangs auf seinem Server den 5. November 2024 um 13:08:24 Uhr aus. Am 16. Dezember 2024 (13:31:08 Uhr) hat der Klägervertreter das elektronische Empfangsbekenntnis zurückgesandt und als Zustelldatum den 16. Dezember 2024 angegeben. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Senat den Klägervertreter aufgegeben mitzuteilen, ob es sich bei der Datumsangabe um ein Versehen handele und – verneinendenfalls – die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals zu der elektronischen Übersendung des Senatsbeschlusses vom 28. Oktober 2024 bis zum 23. Dezember 2024 angeordnet. Daraufhin hat der Kläger beantragt, ihm eine Frist zur Erwiderung bis zum 23. Januar 2025 einzuräumen. Diesen Antrag hat der Senat zurückgewiesen, aber darauf hingewiesen, nicht vor dem 14. Januar 2025 über die Berufung des Klägers zu entscheiden. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2025 hat der Kläger Stellung genommen.

Das OLG stellt fest, dass der Schriftsatz vom 13. Januar 2025 erst nach Ablauf der insoweit nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzten Frist eingegangen. Der Hinweisbeschluss vom 28. Oktober 2024 ist dem Klägervertreter schon deutlich vor dem 16. Dezember 2024 gemäß § 173 Abs. 3 ZPO zugestellt worden. Davon ist der Senat überzeugt, nachdem der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist und sich – trotz entsprechender Hinweise des Senats – nicht substantiiert zu den Umständen erklärt hat, die die Richtigkeit des vorliegenden Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen. Zudem hat er – trotz gerichtlicher Anordnung – auch nicht das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters vorgelegt. Die Zustellung eines elektronischen Dokuments an einen Rechtsanwalt nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird gem. § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch ein eEB nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Rücksendung des eEB in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des eEB setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen. Darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein eEB nicht ausgelöst wird. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt insoweit gemäß § 175 Abs. 3 ZPO (= § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, ist damit zwar nicht ausgeschlossen; nicht ausreichend ist aber eine bloße Erschütterung der Richtigkeit der Angaben im eEB. Vielmehr muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden. An die Führung des die Beweiswirkungen eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses beseitigenden Gegenbeweises sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine erhebliche zeitliche Diskrepanz bzw. ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum erbringt den Gegenbeweis für sich genommen noch nicht. An den Beweis der Unrichtigkeit des eEB dürfen aber auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es gelten die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, wenn konkrete Umstände – wie beispielsweise ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im eEB angegebenen Zustelldatum – die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen. Das ist bei der Annahme- bzw. Empfangsbereitschaft als Voraussetzung für die Zustellung gegen EB nach §§ 173, 175 ZPO der Fall. Zu der subjektiven Willensentscheidung, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen, können nur die betreffende Partei und ihr Prozessbevollmächtigter vortragen. Für das Empfangsbekenntnis hat das zur Folge, dass sich der Prozessgegner zu Umständen, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, substantiiert erklären muss. Er kann sich daher nicht damit begnügen, pauschal die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zu behaupten, sondern muss seinerseits erklären, wann sein Rechtsanwalt die Nachricht zum ersten Mal gelesen hat und wie es zu der Verzögerung kam.

Außerdem kann nach §§ 142, 144 ZPO die gerichtliche Anordnung getroffen werden, das beA-Nachrichtenjournal des Rechtsanwalts vorzulegen, wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses bestehen, wenn auch die Beweislast damit nicht übergeht. Denn in der beA-Infrastruktur wird für jede Nachricht, die gesendet oder empfangen wird, ein Eintrag als sog. Nachrichtenjournal erzeugt. .Die beA-Nachrichten inklusive des zugehörigen Journals werden nach 120 Tagen automatisch gelöscht. Ob Rechtsanwälte darüber hinaus gemäß § 50 BRAO die beA-Nachrichten und damit auch das Nachrichtenjournal vor der Löschung zu exportieren und zu archivieren haben, kann dahinstehen, weil der Zeitraum der automatischen Löschung von 120 Tagen im Zeitpunkt der Anordnung durch den Senat noch nicht verstrichen war. Dabei ist zwar stets zu berücksichtigen, dass auch das beA-Nachrichtenjournal lediglich objektive Umstände nachzuweisen vermag, aber keinen unmittelbaren bzw. zwingenden Rückschluss im Hinblick auf die (subjektive) Willensentscheidung des Empfängers zulässt, das elektronische Dokument als zugestellt entgegenzunehmen. Allerdings muss sich die betroffene Partei gleichwohl substantiiert zu den Umständen erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses – etwa wegen der zeitlichen Diskrepanz – zweifelhaft erscheinen lassen, und es kann ggf. auf einen (konkludenten) Annahmewillen geschlossen werden. Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist der Senat davon überzeugt, dass die Zustellung des Hinweisbeschlusses nach § 173 Abs. 3 ZPO tatsächlich schon so früh – mithin (deutlich) vor dem 29. November 2024 – erfolgt ist, dass die Stellungnahmefrist im Zeitpunkt des Schriftsatzes vom 23. Dezember 2024 und erst recht bei Eingang des Schriftsatzes vom 13. Januar 2025 bereits abgelaufen war. Der Kläger ist weder seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen noch hat er das beA-Nachrichtenjournal seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Vielmehr hat er den Hinweisbeschluss des Senats vom 16. Dezember 2024 ignoriert und die benannten Ungereimtheiten in Bezug auf die zeitlichen Abläufe nicht erklärt. Der Gegenbeweis zu dem in dem elektronischen Empfangsbekenntnis von dem Klägervertreter angegebenen Datum ist damit – trotz der an ihn zu stellenden strengen Anforderungen – geführt; es ist ausgeschlossen, dass die Zustellung (erst) am 16. Dezember 2024 erfolgt ist.

 

Fazit: Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis des Rechtsanwalts angegebenen Zustelldatum erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht. In einem solchen Fall kann die Partei nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.

Anwaltsblog 8/2025: Folgen der beharrlichen Verweigerung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses

Mit einem Rechtsanwalt, der bei einem elektronisch übersandten Urteil das eEB nicht zurückschickte, hatte sich das Kammergericht zu befassen (KG Berlin, Beschluss vom 24. Januar 2025 – 7 U 17/24):

 

Das angefochtene Urteil vom 16. Januar 2024 ist von der Geschäftsstelle des Landgerichts an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin – wie auch an den Beklagtenvertreter – mit eEB-Anforderung am 17. Januar 2024, 13:28 Uhr versandt worden. Unmittelbar darauf, um 13:28:17 Uhr, gingen elektronische Eingangsbestätigungen beider Parteivertreter ein. Nachdem das eB des Klägervertreters vom LG erfolglos moniert worden war, hat das LG das Urteil dem Klägervertreter erneut gegen Postzustellungsurkunde am 6. März 2024 zugestellt. Am 15. März 2024 ging die Berufung des Klägervertreters beim KG als elektronisches Dokument ein. Der Senat hat daraufhin den Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Berufungsfrist bestehen, und ihm aufgegeben zu erklären, wie es dazu kam, dass er trotz zweimaliger Aufforderung kein eB über die Zustellung des ihm am 17. Januar 2024 elektronisch übersandten Urteils zurückgesandt hat. Insbesondere wurde er dazu aufgefordert mitzuteilen, ob er keinen Empfangswillen hatte und, wenn ja, warum nicht. Auf dieses Schreiben hat der Klägervertreter nicht geantwortet. Daraufhin hat der Senat gemäß § 142 Abs. 1 ZPO angeordnet, dass die Kläger bis zum 2. Oktober 2024 das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils am 16. Januar 2024 in ausgedruckter Form vorzulegen haben. Da auf die elektronische Zustellung dieses Beschlusses kein eeB seitens des Klägervertreters zurückgesandt worden ist, hat der Senat mit Beschluss vom 1. November 2024 erneut angeordnet, dass die Kläger binnen zwei Wochen das beA-Nachrichtenjournal vorzulegen haben. Dieser Beschluss ist dem Klägervertreter sowohl elektronisch – wobei wiederum kein eeB vom Klägervertreter zurückgesandt worden ist – als auch gegen PZU am 20. November 2024 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2024 hat der Klägervertreter beantragt, die Frist zur Vorlage des Nachrichtenjournals bis zum 3. Januar 2025 zu verlängern. Der Senat hat daraufhin die Frist bis zum 3. Januar 2025 verlängert. Hierauf erfolgte keine weitere Reaktion seitens der Kläger.

Das Kammergericht verwirft die Berufung, weil die Berufungsfrist nicht gewahrt wurde. Die Berufung ist am 15. März 2024 beim KG eingegangen. Die Berufungsfrist war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen, weil dem Klägervertreter das Landgerichtsurteil schon deutlich früher, jedenfalls vor dem 15. Februar 2024 zugestellt worden war. Denn es ist von einer Zustellung vor dem 15. Februar 2024 jedenfalls gemäß § 189 ZPO auszugehen. Nach § 189 ZPO gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt – wie hier – eine Rücksendung des ihm zu Zwecken der Beurkundung des Zustellungsempfangs übermittelten eB unterlässt, hindert eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO nicht, wenn neben dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks die weiter erforderliche Empfangsbereitschaft des Zustellungsempfängers anderweit festgestellt werden kann.

Der Senat ist nach einer Gesamtwürdigung des Verfahrensstoffes jenseits vernünftiger Zweifel davon überzeugt, dass die Zustellung des Landgerichtsurteils an den Klägervertreter bereits deutlich vor dem 15. Februar 2024 erfolgt ist. Der Klägervertreter hat entgegen der Anordnung des Senats das beA-Nachrichtenjournal nicht vorgelegt. Die Nichtbefolgung dieser Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO ist gemäß §§ 286, 427 Satz 2 ZPO vom Senat frei zu würdigen. Der Senat hatte in dem Beschluss vom 1. November 2024 das beA-Nachrichtenjournal angefordert, das ausweist, wann die Nachricht des Landgerichts eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat. In diesem Journal ist u.a. gespeichert, wann eine empfangene Nachricht durch einen Benutzer erstmals geöffnet wurde („Gelesen von“-Vermerk). Auch wenn das beA-Nachrichtenjournal nicht mehr jederzeit ohne weiteres abrufbar ist, weil beA-Nachrichten inklusive des zugehörigen Journals nach 120 Tagen automatisch gelöscht werden, sind Rechtsanwälte gemäß § 50 BRAO verpflichtet, die beA-Nachrichten (und damit auch das Nachrichtenjournal) vor der Löschung zu exportieren und zu archivieren. Daher kann dahinstehen, ob der Klägervertreter das Nachrichtenjournal trotz Besitzes desselben nicht vorgelegt hat oder ob die Nichtvorlage des Nachrichtenjournals auf mangelnder Archivierung beruht, denn beides wäre gleichermaßen nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zu würdigen. Des Weiteren bestätigt das Nachrichtenprotokoll, dass das am 17. Januar 2024 an den Klägervertreter per beA übersandte Landgerichtsurteil dort am 17. Januar 2024 um 13:28:17 Uhr empfangen wurde. Es ist nicht erkennbar, wieso gleichwohl zwischen dem Empfang, also der Sichtbarkeit der Nachricht in seinem Postfach ab 17. Januar 2024 um 13:28:17 Uhr und der für eine Rechtzeitigkeit der hiesigen Berufung zugrunde zu legenden tatsächlichen Kenntnisnahme frühestens am 15. Februar 2024 mehr als vier Wochen liegen sollen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss. Insgesamt würdigt der Senat diesen Sachverhalt dahingehend, dass der Klägervertreter das Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 mittels seines beA tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Anders vermag sich der Senat das beharrliche Unterlassen des Klägervertreters, die angeforderte Unterlage zu übersenden, nicht zu erklären.

Wie bei einer Zustellung nach § 173 ZPO muss neben den tatsächlichen Zugang noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens hinzukommen, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegenzunehmen. Die erforderliche Empfangsbereitschaft kann nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs iSv. § 189 ZPO ersetzt werden. Auf der anderen Seite lässt die fehlende Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses für sich genommen keinen entscheidend gegen eine fehlende Empfangsbereitschaft sprechenden Willen des Adressaten erkennen. Denn von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen eB nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in die gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen. Gemessen hieran ist von einer Empfangsbereitschaft des Prozessbevollmächtigten in Bezug auf das ihm bereits am 17. Januar 2024 per beA übersandte erstinstanzliche Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 auszugehen. Insoweit ist wiederum zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss. Es ist also nicht davon auszugehen, dass der Klägervertreter unter bewusstem Verstoß gegen für ihn geltende berufsrechtliche Regelungen für die Dauer von vier Wochen ohne weiteres nicht empfangsbereit für Zustellungen war. Ferner hat der Klägervertreter in der Folge – wenn auch erst nach erneuter Zustellung gegen PZU – Berufung eingelegt. Es ist weder vom Klägervertreter dargetan noch sonst ersichtlich, dass und warum er trotz tatsächlicher Kenntnisnahme des am 17. Januar 2024 per beA übermittelten erstinstanzlichen Urteils vier Wochen lang keinen Empfangswillen gehabt haben soll; auf die ausdrücklichen Nachfragen des Senats mit Verfügung vom 28. Juni 2024 hat der Klägervertreter nicht reagiert. Die unterlassene Rücksendung des eB lässt auch deshalb keinerlei Rückschlüsse auf eine fehlende Empfangsbereitschaft zu, weil der Kläger anscheinend auch den Senatsbeschluss vom 17. September 2024 empfangsbereit entgegengenommen hat, obwohl er bis heute kein eB zurückgesandt hat; denn sein Fristverlängerungsantrag vom 4. Dezember 2024 nimmt ausdrücklich Bezug auf diesen Beschluss. Soweit der Klägervertreter grundsätzlich bei gegen Empfangsbekenntnis zuzustellenden Dokumenten nie Empfangswillen haben sollte, wäre dies mit seiner Funktion als Rechtsanwalt nicht vereinbar und wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich.

 

Fazit: Für den Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses eines Rechtsanwalts betreffend die Zustellung eines Landgerichtsurteils kann es, wenn die elektronische Eingangsbestätigung des Systems des Rechtsanwalts und das in dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelldatum zeitlich erheblich auseinanderliegen, entsprechend § 427 ZPO den Ausschlag geben, dass der Rechtsanwalt entgegen einer Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO das beA-Nachrichtenjournal zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils nicht vorlegt. (OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 23 U 8369/21 –, MDR 2024, 1234).

Anwaltsblog 7/2025: Per beA übermittelte Schriftsätze müssen auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden!

Mit den Kontroll- und Überprüfungspflichten eines Rechtsanwalts, der einen fristgebundenen Schriftsatz per beA an das Gericht übermittelt, hatte sich der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2024 – II ZB 5/24):

 

Ein Urteil des Amtsgerichts ist der Klägerin am 14. September 2023 zugestellt worden. Am Montag, den 16. Oktober 2023 ist beim Landgericht nach Dienstschluss eine über das beA durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin persönlich übersandte einfach signierte Nachricht eingegangen, die zwei Anhänge im PDF-Format enthielt, nämlich das erstinstanzliche Urteil als PDF-Dokument und ein weiteres PDF-Dokument mit dem Namen „Schriftsatz.PDF“, das jedoch nur ein leeres Blatt enthielt. Nachdem die Klägerin darauf am Folgetag hingewiesen worden war, hat sie am gleichen Tag die Berufungsschrift übermittelt und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Ihr Prozessbevollmächtigter habe auf die Softwares „MS-Word“ als Textverarbeitungsprogramm und „RA-Micro“ zurückgegriffen. Letztere bilde die Schnittstelle zwischen der Textverarbeitung und dem beA. Ihr Prozessbevollmächtigter habe am 16. Oktober 2023 die Berufungsschrift erstellt und innerhalb der Textverarbeitung mit dem mit der Berufung angegriffenen Urteil verbunden, was ihm auch angezeigt worden sei. Nach Fertigstellung und Speicherung habe er die Dokumente in den Postausgang verschoben, einfach elektronisch signiert und an das Landgericht versandt, wobei er sich davon überzeugt habe, dass der richtige Schriftsatz vorhanden gewesen sei.. Nach Übermittlung habe er sich über das Zustellungsprotokoll über die erfolgreiche Zustellung informiert. Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe schuldhaft gehandelt. Es sei nicht erkennbar, dass er sich über den Inhalt des zu versendenden Schriftstücks nach dessen Erstellung und vor dessen Versendung vergewissert hätte.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, ohne ein – ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares – Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen zu sein. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter vor der elektronischen Signatur der PDF-Datei und der Übersendung an das Gericht diese Datei hinreichend überprüft und kontrolliert hat. Eine aus einem anderen Dateiformat in eine PDF-Datei umgewandelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift ist durch den signierenden Rechtsanwalt vor der Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht per beA darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs entsprechen grundsätzlich denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen. Entscheidend ist, dass das tatsächlich signierte Dokument überprüft wird, was insbesondere auch in den Fällen gilt, in denen eine Datei durch Scan-, Kopier- und Speichervorgänge erneut erstellt wird. Durch diese Vorgänge wird im elektronischen Bereich eine besondere Gefahrenquelle geschaffen, so dass es erforderlich ist, das letztlich zu signierende Dokument zu überprüfen. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter eine entsprechende Überprüfung vorgenommen hat. Dieser hat die Berufungsschrift im Word-Programm erstellt. Diese ist als PDF-Dokument abgespeichert und übersendet worden. Dass vor der Signatur das PDF-Dokument von ihrem Prozessbevollmächtigten auf inhaltliche Richtigkeit überprüft worden ist, legt die Klägerin nicht dar. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass durch die Umwandlung der DOC-Datei des Programms „MS-Word“ in ein PDF-Format technisch leere Seiten erzeugt werden könnten aufgrund eines technischen Versagens, das ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnen sei. Hätte dieser jedoch die PDF-Datei nochmals geöffnet, hätte er sehen müssen, dass diese nur eine leere Seite enthielt. Die mangelnde Überprüfung hat dazu geführt, dass die Berufungsfrist wegen der Übersendung der Datei mit der leeren Seite versäumt wurde.

 

Fazit: Eine aus einem anderen Dateiformat in eine PDF-Datei umgewandelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift ist durch den signierenden Rechtsanwalt vor der Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht per besonderem elektronischen Anwaltspostfach darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht.