Terminsverlegung wegen der Corona-Virus-Pandemie

Ein FG kann auch in Abwesenheit der Partei mündlich verhandeln und dann gleichfalls entscheiden. Dies gilt jedoch selbst dann, wenn es zuvor einen Antrag auf Terminsverlegung abgelehnt hat. Anschließend besteht für die betroffene Partei allerdings die Möglichkeit, Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision einzulegen und einen Verfahrensmangel zu rügen. Aus diesen Gründen gibt es relativ viele Entscheidungen des BFH, die sich mit Fragen zur Terminsverlegung befassen.

Im vorliegenden Fall (BFH, Beschl. v. 22.10.2021 – IX B 16/21) hatten die Kläger – erneut – Terminsverlegung unter Hinweis auf die Pandemie beantragt und dies mit dem Alter und den Vorerkrankungen des Klägers begründet sowie mit den Gefahren bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Termin solle auf die Zeit nach der Impfung des Klägers verlegt werden. Diesen Antrag hatte der Senatsvorsitzende abgelehnt und dies mit dem umfassenden gerichtlichen Schutzkonzept begründet (Luftreinigungsgerät, Lüften, Desinfektion, Plexiglasabtrennungen). Bei einer lange andauernden Verhinderung müsste im Übrigen für Vertretung gesorgt werden.

Der BFH hielt dies für vertretbar. Angesichts des Schutzkonzepts bestehe bei der Verhandlung kaum ein Risiko. Bezüglich des öffentlichen Personennahverkehrs könnten die Kläger auf Alternativen (etwas einen eigenen PKW oder ein Taxi) ausweichen. Entsprechend § 53 BRAO müsste auch eine Partei bei einer längerfristigen Verhinderung für eine Vertretung sorgen.

Fazit: Auch bei Vorerkrankungen einer ungeimpften Partei besteht daher nicht grundsätzlich ein Anspruch auf Terminsverlegung. Diese Entscheidung wird auch im Rahmen von Zivilprozessen herangezogen werden können. Ausführlich zu Anträgen auf Terminsverlegung wegen Krankheit, siehe F. O. Fischer, MDR 2011, 467.

Der Streitwert hat im Prozess mehrere Funktionen. Warum auf die Streitwertermittlung gleich am Anfang Wert gelegt werden sollte und warum die Neuauflage des Streitwert-Kommentars dabei helfen kann, klärt das Interview mit dem Herausgeber und Autor VorsRiOLG Ralf Kurpat.

Verlag: Vor Kurzem ist der neue Streitwertkommentar erschienen, bei dem Sie als Mitherausgeber und Autor maßgeblich mitgewirkt haben. Der Streitwert gilt nicht unbedingt als ‚das Steckenpferd‘ vieler Richter und Anwälte.

 Kurpat: Es stimmt, die Bedeutung des Streitwertes wird in der Praxis häufig unterschätzt. Dabei ist oft schon zu Beginn der Auseinandersetzung eine Festlegung notwendig, um die sachliche Zuständigkeit beurteilen zu können. Fehler in diesem Stadium des Verfahrens sind mit einem höheren Bearbeitungsaufwand und meist mit zusätzlichen Kosten verbunden, etwa infolge der Anrufung eines unzuständigen Gerichts. Denken Sie beispielsweise an die Stufenklage und die damit verbundene Frage, ob die Werte der einzelnen Stufenanträge zu addieren sind.

Zudem erlaubt erst die zutreffende Ermittlung des Gebührenstreitwertes eine annähernd sicherere Einschätzung des mit dem Verfahren verbundenen Kostenanfalls. Dieser wird regelmäßig das Ob und Wie der Prozessführung beeinflussen, beispielsweise durch eine taktische Beschränkung des Klagebegehrens oder den Abschluss eines möglicherweise kostensparenden Prozessvergleichs. Für Richter gilt ähnliches. Eine richtige Kostenverteilung, ob nun im Urteil oder in einem Vergleichsvorschlag, setzt eine zutreffende Bestimmung des Gebührenstreitwertes voraus. Niemand möchte, dass eine Einigung in der Sache an der Unsicherheit über den richtigen Streitwert scheitert.

In gleicher Weise bedeutsam ist die Frage, ob eine nachteilige gerichtliche Entscheidung der Anfechtung unterliegt. Kein Anwalt möchte erst durch den Hinweis des Rechtsmittelgerichts erfahren, dass seine Berufung mangels ausreichender Beschwer unzulässig ist. Die Beschwer, etwa bei der Verurteilung zur Auskunftserteilung oder Rechnungslegung, ist jedoch nur unter Auswertung der hierzu ergangenen Rechtsprechung sicher zu bestimmen. Diese Arbeit nimmt einem der Streitwertkommentar ab.

Der Stellenwert einer zutreffenden Wertfestsetzung kann Anwälten gegenüber nicht oft genug betont werden. Richtet sich doch die Vergütung ihrer Tätigkeit nach dem Gebührenstreitwert. Wird dieser fehlerhaft zu niedrig angesetzt, sind empfindliche Gebühreneinbußen die Folge, und das trotz hervorragender anwaltlicher Arbeit. Umgekehrt kann eine überhöhte Bewertung den eigenen Mandanten spätestens in der Kostenfestsetzung mit unberechtigten Gerichts- und Anwaltskosten der Gegenseite belasten.

Verlag: In den meisten Fällen gibt es für den Streitwert ähnlich gelagerte Fälle aus der Rechtsprechung, an denen man sich orientieren könnte. Reicht das nicht aus?

Kurpat: Erfahrene Juristen wissen, dass die Lektüre einzelner Gerichtsentscheidungen nur selten eine sichere Beantwortung juristischer Fragestellungen erlaubt. Es ist die Aufgabe gerade von Kommentaren, einen Überblick über Rechtsprechung und Literatur zu verschaffen, die Relevanz einzelner Entscheidungen zu bewerten und dem Leser die Herausarbeitung der maßgeblichen Aspekte zu erleichtern. Für den Streitwertkommentar gilt nichts anderes. Hier finden Sie nicht nur die einen ähnlichen Fall betreffende Entscheidung, sondern zugleich die übergeordneten Bewertungsansätze und mit ihnen das entscheidende Argument für den eigenen Fall.

Verlag: Hilft in vielen Fällen nicht schon ein ZPO-Kommentar weiter?

 Kurpat: ZPO-Kommentare vermitteln, vor allem zu § 3 ZPO, oft eine gute erste Orientierung, häufig aber nur zum Zuständigkeitsstreitwert. Die für den Gebührenstreitwert maßgeblichen Sonderregelungen des GKG, denken Sie nur an mietrechtliche Streitigkeiten, werden allenfalls kursorisch gestreift. Zudem ist eine umfassende Darstellung von Bewertungsproblemen in diesem Rahmen ohnehin nicht möglich, vielmehr aus platztechnischen Gründen eine Begrenzung auf einzelne Stichwörter unvermeidbar. Diesen Beschränkungen unterliegt der Streitwertkommentar nicht. Die nötige Tiefe der Auseinandersetzung kann nur ein auf dieses Thema spezialisiertes Werk schaffen. Zudem finden Sie hier bei dem jeweiligen Stichwort eine systematische Ordnung für die Zuständigkeitsbestimmung, Gebührenberechnung und Rechtsmittelbeschwer. Das erlaubt jederzeit eine schnelle Orientierung.

Verlag: Tut sich im Streitwertrecht wirklich so viel Neues, dass die Anschaffung einer Neuauflage des Streitwertkommentars gerechtfertigt ist?

Kurpat: Zunächst darf nicht übersehen werden, dass die letzte Auflage bereits vor sechs Jahren erschienen ist. Das ist für das Streitwertrecht ein langer Zeitraum. Es waren daher viele Neuerungen zu berücksichtigen. Allein das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 führt zu neuen Bewertungen, die sich in vielen Berechnungsbeispielen wiederfinden. Hinzu kommen Gesetzesänderungen, die mittelbar Folgen für die Streitwertbestimmung haben, denken Sie etwa an das Wohneigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG). Zugleich gibt es Themen, die aufgrund neuester Entwicklungen aufzunehmen oder aber ganz neu zu bearbeiten waren. Beispielhaft möchte ich die Stichwörter Anlageberatung, Datenschutzrechtliche Ansprüche, Musterfeststellungsklage, Offenlegung nach § 335 HGB, Marken- und Patentrecht, Rechtsanwaltsgebühren bei Einigung und Rechtsmittel nennen. Schließlich war die Auswertung und Einarbeitung der Fülle neuer wichtiger Gerichtsentscheidungen zur Streitwertbestimmung bei dieser Auflage ein enormer Kraftakt.

Verlag: Viele Praktiker arbeiten digital. Wie steht es damit beim Streitwertkommentar?

Kurpat: Sehr gut. Sie finden den Streitwertkommentar einmal über juris. Für die Richterschaft ist der Zugriff über ein Zusatzmodul möglich; für die Bundesländer sicher eine gute Anschaffung. Aber auch in das verlagseigene Modul des Otto Schmidt Verlages „Zivil- und Zivilverfahrensrecht“ wurde das Werk ganz frisch aufgenommen. Ein Vorteil der digitalen Nutzung liegt bestimmt in der inzwischen gewohnten Verlinkung von Entscheidungen. Zudem können die Muster des verfahrensrechtlichen Teils der Kommentierung aus der Online-Ausgabe für die eigene Verfahrensführung schnell übernommen werden. Für die Zukunft beabsichtigen die Autoren, auf besonders bedeutsame Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe zu reagieren. So wird auch zwischen den Auflagen auf wichtige Neuerungen aufmerksam gemacht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Wirkungen eines prozessualen Anerkenntnisses

Berufungserweiterung nach Anerkenntnis
Urteil vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 1173/20

Mit den Voraussetzungen für die Erweiterung einer zunächst auf einen Teil des Streitgegenstands beschränkten Berufung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Das klagende Eisenbahnverkehrsunternehmen begehrt von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 315.000 Euro wegen eines Verkehrsunfalls, bei dem ein Omnibus und ein Zug an einem Bahnübergang kollidiert waren. Das LG wies die Klage ab. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin zunächst nur die Zahlung von rund 20.800 Euro wegen Schäden an einem Doppelstockwagen geltend gemacht. Diesen Anspruch hat die Beklagte nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist anerkannt. Die Klägerin beantragte daraufhin, die Beklagte über den anerkannten Betrag hinaus im vollen Umfang der erstinstanzlichen Anträge zu verurteilen. Das OLG sprach der Klägerin lediglich den anerkannten Betrag zu und lehnte eine Entscheidung über den restlichen Betrag mangels Rechtshängigkeit ab.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt hinsichtlich des nicht anerkannten Teils der Klageforderung zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entgegen der Auffassung des OLG schloss das Anerkenntnis die Geltendmachung weiterer Ansprüche im Berufungsverfahren nicht aus. Ein prozessuales Anerkenntnis führt nicht zur Beendigung des Rechtsstreits. Diese tritt erst mit dem Erlass eines Anerkenntnisurteils ein. Die Klägerin durfte deshalb ungeachtet des Anerkenntnisses ihre Berufungsanträge nach Maßgabe der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen erweitern.

Der Umstand, dass die Klägerin das erstinstanzliche Urteil zunächst nur hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands angefochten hatte, stünde einer Erweiterung der Anträge nur entgegen, wenn darin ein konkludenter Verzicht auf ein weitergehendes Rechtsmittel zu sehen wäre. Diesbezügliche Anhaltspunkte lagen im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil sich die Klägerin eine Erweiterung des Berufungsantrags ausdrücklich vorbehalten hatte.

Eine Erweiterung des Berufungsantrags ist auch nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung zulässig, soweit der erweiterte Antrag durch die fristgerecht eingereichte Begründung gedeckt ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die Angriffe in der Berufungsbegründung der Argumentation des LG hinsichtlich des gesamten Streitgegenstands den Boden entziehen.

Praxistipp: Um Unsicherheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine auf einen Teil des Streitgegenstands beschränkte Berufungsbegründung mit dem ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren Erweiterung zu versehen.

OLG München zum Arrestgrund bei „Wirecard“

Offensichtlich wird die Justiz in München derzeit mit zahlreichen Arrestanträgen gegen den Vorstandsvorsitzenden der Firma Wirecard befasst. Es scheint teilweise widersprechende Entscheidungen zu geben. Nunmehr hat ein Fall das OLG München (Urt. v. 27.9.2021 – 3 U 3242/21) erreicht.

In diesem Fall wurde hauptsächlich um den Arrestgrund gestritten. Das OLG München ging davon aus, dass ein vorsätzliches und strafbares Verhalten des Vorstandsvorsitzenden glaubhaft gemacht war und weitergehend, dass ein solches Verhalten einen Arrestgrund indiziert (ebenso schon: Frank O. Fischer, Straftaten und Vertragsverletzungen als Arrestgrund nach § 917 ZPO, MDR 1995, 988). Diese Indizwirkung entfällt nicht schon deshalb, weil sich der Vorstandsvorsitzende derzeit in Untersuchungshaft befindet. Auch in diesem Rahmen besteht durchaus die Möglichkeit, über beauftragte Personen weitere Vermögensverschiebungen durchzuführen. Weiterhin hatte der Vorstandsvorsitzende noch vorgetragen, sein gesamtes Vermögen sei durch die Staatsanwaltschaft ohnehin bereits arrestiert worden. Dann könnte es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Dem hält das OLG München entgegen: Von den zahlreichen Arrestverfahren hatte der Vorstandsvorsitzende durchaus einige gewonnen! Die Kostenerstattungsansprüche aus diesen Verfahren stellen Vermögen dar, das gepfändet werden könnte.

Man sollte daher hinfort folgende Grundsätze aufstellen: Begehen Schuldner vorsätzlich „konnexe“ Straftaten zum Nachteil des Gläubigers indiziert dies regelmäßig einen Arrestgrund. Konnex meint hier: Es muss ein Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Arrestgrund bestehen, wie z. B. bei Vermögensdelikten. Wegen eines aufgrund einer Körperverletzung entstandenen Schmerzensgeldanspruchs wird regelmäßig kein Arrestgrund in das Vermögen des Schuldners bestehen.

OLG Frankfurt/M. zum rechtzeitigen Erheben der Hauptsacheklage

In einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt/M. (Beschl. v. 17.9.2021 – 6 W 79/21) hatte das Landgericht eine einstweilige Verfügung erlassen. Alsdann wurde dem Antragsteller aufgegeben, innerhalb einer Frist von drei Wochen die Hauptsacheklage zu erheben (§ 926 Abs. 1 ZPO). Diese Klage ging fristgemäß am 21. August beim LG ein, am 30. August wurde der erforderliche Vorschuss angefordert. Dieser wurde nicht gezahlt. Am 8. Oktober bestimmte das Landgericht gleichwohl Termin zur mündlichen Verhandlung. Dieser Termin wurde jedoch wegen eines Zustellungsversehens (es wurde an die Partei anstatt an den bestellten Rechtsanwalt zugestellt) wieder aufgehoben. Alsdann beantragte die Antragsgegnerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach § 926 Abs. 2 ZPO.

Daraufhin erklärte die Antragstellerin das einstweilige Verfügungsverfahren für erledigt. Die Antragsgegnerin widersprach dieser Erledigungserklärung, gleichwohl erließ das Landgericht einen Beschluss nach § 91a ZPO und legte die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens der Antragsgegnerin auf. Gegen diesen Beschluss richtete sich die sofortige Beschwerde, worüber das OLG Frankfurt/M. entscheiden musste.

Das OLG hat – völlig zu Recht – den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgerichts zurückverwiesen. Nachdem hier keine übereinstimmende, sondern eine einseitige Erledigungserklärung vorlag, hätte nicht durch Beschluss, sondern durch Urteil entschieden werden müssen. Insoweit liegt ein Verfahrensfehler vor. Dem OLG ist es auch verwehrt, in einer solchen Konstellation selbst zu entscheiden.

Am interessantesten sind jedoch die Erwägungen, die das OLG dem Landgericht obiter dicta mitgibt: Im Urteilsverfahren wird das Landgericht zu beachten haben, dass die Antragstellerin die Hauptsacheklage nicht rechtzeitig erhoben hat. Auch in dieser Fallgestaltung dürfen zwischen Vorschussanforderung und Zahlung desselben nur höchstens zwei Wochen vergehen. Die Antragstellerin hat damit nicht alles Erforderliche getan, um die rechtzeitige Klageerhebung sicherzustellen (§ 167 ZPO). Da die Zweiwochenfrist zu diesem Zeitpunkt abgelaufen war, vermag auch die Terminsbestimmung des Landgericht an diesem Umstand nichts mehr zu ändern.

Das Verfahren wird daher letztlich zum Nachteil der Antragstellerin ausgehen.

Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? – Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky

Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Bereich des Zivilprozessrechts?

Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. Hervorzuheben ist zunächst die „kleine ZPO-Reform“ aus dem Dezember 2019, die anlässlich des Auslaufens der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH auf den Weg gebracht wurde, aber inhaltlich ganz verschiedene Einzelfragen neu regelt.

In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments – und zwar nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert.

Neben diesen eher allgemeinen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021, das die Gerichtsvollziehertätigkeit betrifft, betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich noch eine ganze Zeit fortsetzen.

Peters: Sie haben darauf hingewiesen, dass es auch viele Rechtsänderungen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Zivilprozess gibt. Können Sie uns relevante Beispiele nennen?

Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 werden sich auch auf den Zivilprozess massiv auswirken. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht, dass diese über ein Kanzleipostfach kommunizieren. Hier sind etwa im Bereich der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts neue Antworten zu geben.

Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG völlig umgestaltet. Ab dem 1.1.2024 wird es eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts geben. Zwar werden dadurch einige Probleme bei der Parteibezeichnung der GbR im Zivilprozess gelöst, es stellen sich aber auch Folgefragen, z.B. hinsichtlich des Gerichtsstandes und im Vollstreckungsrecht.

Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts mit der Schaffung einer vollrechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zahlreiche neue prozessuale Probleme auf.

Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller alle zwei Jahre kurz vor dem Ende des jeweiligen Jahres erscheint. Dieser feste Rhythmus hat dazu geführt, dass die 34. Auflage Ende 2021 und damit nur wenige Monate nach dem Ende der 19. Wahlperiode des Bundestags in den Buchhandel kommt. Online gestellt wurde sie bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich darin einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzesbeschlüssen des Bundestags erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Beispielsweise hat das bereits erwähnte Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs erst am 17.9.2021 den Bundesrat passiert und wurde im Bundesgesetzblatt vom 11.10.2021 verkündet.

Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng mit begleitet haben, oftmals bereits seit den ersten Diskussionsentwürfen. Wir konnten so für unsere endgültigen Kommentierungen bereits auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen.

 Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller ganz konkret um?

Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. § 53 ZPO oder § 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte – natürlich übersichtlich angeordnet – im Werk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist immer besonders hervorgehoben, so dass sich der Leser leicht orientieren kann. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Dem Praktiker soll so eine fundierte Hilfestellung beim Umgang mit den Neuregelungen gegeben werden. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten.

Peters: Neben den vielen Gesetzesänderungen – wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist neben der Auswertung der Fachliteratur ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der Prozesskostenhilfe habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal ganz erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Sie sind bereits seit 2002 im § 128a ZPO geregelt, wurden aber bis zum Beginn der Pandemie nur selten durchgeführt. Die Nachfrage ist dann 2020 sprunghaft gestiegen. Damit sind auch neue Rechtsfragen virulent geworden. Welche Anforderungen sind an die Übertragung zu stellen? Was ist zur Wahrung der Öffentlichkeit erforderlich? Wie ist mit einem fehlenden Einverständnis der Parteien umzugehen? Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden.

Die Pandemie hat auch viele andere Aktualisierungen an unterschiedlichsten Stellen nötig gemacht. Sie hat Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Gerichtsorganisation, z.B. wie die Öffentlichkeit der Verhandlungen mit den AHA-Regeln in Einklang gebracht werden kann.

Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst?

Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Bereits in der letzten Auflage sind daher bei den ABC-Aufzählungen von Stichworten Randnummern eingefügt worden, die die Auffindbarkeit erleichtern. Durch noch einmal verbesserte Gliederungen in den Überschriften haben wir in der 34. Auflage versucht, die Lesbarkeit am Bildschirm weiter zu optimieren. Zudem enthält die elektronische Ausgabe flächendeckend bei allen Kommentierungen Inhaltsübersichten – in der Printauflage müssen wir aus Platzgründen darauf leider verzichten. Wir haben bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten.

Peters: Ich danke Ihnen sehr für diese informativen Ausführungen. Online ist der neue Zöller bereits verfügbar, im Print erscheint er am 1.12.2021. Weitere Informationen und eine Leseprobe mit Beispielen für die herausragende Aktualität finden Sie unter otto-schmidt.de/zpo34.

BGH zum Umfang des Berufungsvorbringens und zum fallengelassenen Vortrag

Zu einer nicht seltenen Fallkonstellation hat der BGH (Beschl. v. 8.9.2021 – VIII ZR 258/20) eine interessante Entscheidung getroffen, die in der Praxis nicht auf große Zustimmung stoßen wird.

Die Beklagte war in den Tatsacheninstanzen verurteilt worden, einen Gebrauchtwagen zurückzunehmen. Bezüglich eines benannten Zeugen hatte das Berufungsgericht von einer Vernehmung abgesehen und dies doppelt begründet: Zum einen habe die Beklagte entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz fallen gelassen, zum anderen sei der Vortrag der Beklagten widersprüchlich. Beides akzeptiert der BGH nicht.

Der BGH betont erneut seine Auffassung, wonach der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff in der Berufungsinstanz anfällt, und zwar ohne Erneuerung und ohne Bezugnahme. Diese Sichtweise ist mit dem Wortlaut des § 529 ZPO kaum zu vereinbaren und bedeutet praktisch: Das Berufungsgericht muss die gesamte Akte lesen und prüfen, ob nicht das erstinstanzliche Gericht etwas übersehen hat. Dies macht es dem Berufungsgericht in umfangreichen Verfahren nicht gerade einfach und entlastet die Parteien in nicht zu rechtfertigender Weise. Grundsätzlich muss sich das Berufungsgericht darauf beschränken können, das erstinstanzliche Urteil sowie die Berufungsbegründung zu lesen, um die Sache beurteilen zu können.

In konsequenter Weiterentwicklung dieser Sichtweise geht der BGH jedoch davon aus, dass ein Vorbringen nur dann als fallen gelassen angesehen werden kann, wenn die Partei dies eindeutig erklärt hat. Dies war im konkreten Fall nicht gegeben. Bezüglich des (angeblich) widersprüchlichen Vorbringens weist der BGH darauf hin, dass eine Partei grundsätzlich ihr Vorbringen jederzeit berichtigen und ändern darf. Auch ein möglicherweise widersprüchlicher Vortrag erlaube dem Gericht nicht, von einer Beweisaufnahme abzusehen. Vielmehr könne ein solcher Vortrag nur nach einer Beweisaufnahme bei der Beweiswürdigung Beachtung finden.

Auch dies geht aus der Sicht der Praxis zu weit. Wenn eine Partei nicht dazu in der Lage ist, klar und präzise vorzutragen und man nicht weiß, was sie will, sollte ein derartiger Vortrag als widersprüchlich außer Betracht bleiben. Der BGH privilegiert einmal mehr unsachlichen Vortrag und Revisionsfallen“ und verhilft damit „Tricksern“ zu ungerechtfertigten (Zwischen)Erfolgen sowie Verfahrensverzögerungen und Pyrrhussiegen. Hier würde man sich von dem BGH wirklich eine praxisgerechtere Herangehensweise wünschen, und zwar in Gestalt von folgenden potentiellen Leitsätzen:

1) Das Berufungsgericht braucht nicht die erstinstanzliche Akte daraufhin durchzuforsten, ob sich möglicherweise an irgendeiner Stelle noch ein vielleicht relevanter Informationsfetzen befindet, der bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Es ist vielmehr die Aufgabe des Berufungsklägers, derartiges in der Berufungsbegründung vorzutragen.

2) Trägt eine Partei widersprüchlich vor, so darf ein solches Vorbringen unberücksichtigt bleiben.

BGH zum ergänzungsbedürftigen Wiedereinsetzungsvortrag

Zwei interessante Entscheidungen des BGH von zwei verschiedenen Senaten (Beschl. v. 11.5.2021 – VIII ZB 65/20, MDR 2021, 1085) und Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) beschäftigen sich mit der Frage, wann ein Wiedereinsetzungsvorbringen ausreichend, aber ergänzungsbedürftig ist oder eben nicht ausreichend und dann auch nicht mehr ergänzungsfähig ist.

In beiden Fällen ging es um den Verlust einer Sendung auf dem Postweg. Insoweit entspricht folgende Sicht der Dinge der ständigen Rechtsprechung des BGH: Die Partei, die wegen Verlusts eines fristgebundenen Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten auf dem Postweg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer Fristversäumung begehrt, muss auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft machen, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist.

In ersten Fall (VIII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages eine Schilderung des Ablaufes vorgenommen worden, jedoch nicht vorgetragen worden, dass der Schriftsatz ausreichend frankiert wurde. Der entsprechende Wiedereinsetzungsantrag wurde vom Berufungsgericht deswegen zurückgewiesen. Der BGH beanstandet dies. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei der Frankierung bei ansonsten vollständiger Darstellung des Sachverhaltes lediglich um eine ergänzungsbedürftige Angabe, die auf gerichtlichen Hinweis hin noch nachgeholt werden kann, und zwar auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz.

Im zweiten Fall (XII. Senat) war im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages nur vorgetragen worden, dass der Schriftsatz an einem bestimmten Tag bei der Post aufgegeben wurde. Die Zurückweisung dieses Wiedereinsetzungsantrages hatte in diesem Fall auch beim BGH Bestand. Nachdem hier nicht nur die Angaben zur Frankierung des Umschlages fehlten, sondern überhaupt alle Angaben zu den Fragen, wann und wie der Schriftsatz fertiggestellt, ausgefertigt und (wo?) abgegeben war, geht der BGH davon aus, dass die Angaben zur Wiedereinsetzung nicht ausreichend waren. Auf eine denkbare Hinweispflicht kam es nicht mehr an, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Damit konnten die fehlenden Angaben auch nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden. Dieser Prozess war verbindlich zu Ende.

Fazit: Die Fälle zeigen, dass man bei Wiedereinsetzungsanträgen, wenn schon zuvor die Frist versäumt wurde, wirklich sorgfältig vorgehen sollte.

OLG Schleswig zu einem „Doppelurteil“

Mit einer nicht alltäglichen Fallkonstellation hatte sich das OLG Schleswig (Beschl. v. 23.6.2021 – 5 U 58/21) zu befassen. Dieser Fall zeigt wieder einmal, was so alles in der Praxis an Merkwürdigkeiten passieren kann, nicht zuletzt aufgrund der teilweise enormen Überlastung der Gerichte bzw. der Richterinnen und Richter.

Nach einer mündlichen Verhandlung kündigte das LG letztlich eine Entscheidung in einem Verkündungstermin am 12.5.2020 an. In der Verfahrensakte befindet sich denn auch ein ordnungsgemäßes Verkündungsprotokoll von diesem Tage sowie ein Urteil mit klageabweisendem Tenor, das auch den Eingangsstempel der Geschäftsstelle trägt. Tatbestand und Entscheidungsgründe für dieses Urteil wurden allerdings nicht mehr angefertigt. Weder das Urteil noch das Protokoll wurden an die Parteien zugestellt oder übermittelt.

Im November 2020 wies das LG dann daraufhin, dass die Akte im richterlichen Bereich „außer Kontrolle“ geraten sei und regte eine Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren an (§ 128 ZPO). Nachdem diese einging, ordnete das LG das schriftliche Verfahren an und erließ später (erneut) ein klageabweisendes Urteil, dieses Mal mit Tatbestand und Entscheidungsgründen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die von dem OLG Schleswig für unbegründet gehalten wird. Für die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien ist und bleibt nämlich das erste Urteil maßgeblich. Danach steht die Unbegründetheit der Klageforderung bereits rechtskräftig fest! Das erste Urteil wurde ordnungsgemäß verkündet. Nach ständiger Rechtsprechung ändert das Fehlen des Tatbestandes sowie der Entscheidungsgründe daran nichts. Die Fünfmonatsfrist (§ 517 Alt. 2 ZPO) beginnt einen Monat nach der Verkündung der Entscheidung unabhängig davon, ob diese den Parteien mitgeteilt wurde. Auch dies ist ständige Rechtsprechung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bestenfalls dann in Betracht, wenn die Parteien nicht mit dem Erlass eines Urteils rechnen mussten. Hier hatte aber das Gericht einen Verkündungstermin bestimmt. Deswegen musste auch mit dem Erlass eines Urteils gerechnet werden. Eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Versäumung der Berufungsfrist gegen das erste Urteil kommt nicht in Betracht, da sich die Klägerin jedenfalls hätte erkundigen müssen, was bei dem Verkündungstermin herausgekommen war. Die fehlerhafte weitere Verfahrensweise des LG vermag daran nichts zu ändern.

Die Klägerin hat damit den Prozess endgültig verloren. Sie könnte allerdings unter Umständen ihren Rechtsanwalt dafür verantwortlich machen, dass er die Sechsmonatsfrist nicht notiert hatte! Hieran sollte jeder Rechtsanwalt denken, und zwar bereits dann, wenn er von dem Termin zurück in die Kanzlei kommt. Denn: Wann das Protokoll bzw. die Entscheidung eingehen wird, weiß man nicht, es kann auch alles verloren gehen oder – wie hier – schlichtweg beim Gericht „untergehen“.

Der Tenor des Urteils des OLG allerdings dürfte jedoch unrichtig sein! Da das erste Urteil rechtskräftig ist, hätte wohl das zweite Urteil vielmehr aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen. In der Sache hätte dies jedoch nichts geändert. Der Anspruch ist rechtskräftig aberkannt.

Dem lässt sich übrigen nicht entgegenhalten, dass ein Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe keine Rechtskraft entfalten könnte. Im Zweifel ist zur Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft des ergangenen Urteils (wie bei Anerkenntnis-, Verzichts-, oder Versäumnisurteilen, die keine Begründung enthalten) das Parteivorbringen heranzuziehen. Da die Gerichtsakten nicht ewig aufgehoben werden, empfiehlt es sich für die betroffene Partei, die Handakte lange zu behalten!

OLG Celle zur Maskenpflicht und Kostenpflicht

Im Rahmen eines umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahrens vor dem LG Hildesheim, das schon 19 Verhandlungstage dauerte, weigerte sich der Verteidiger eines Angeklagten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, obgleich der Vorsitzende eine entsprechende Anordnung getroffen hatte, die von der Kammer bestätigt worden war. Daraufhin wurde das Verfahren gegen diesen Angeklagten nach § 145 Abs. 1 StPO abgetrennt und anschließend ausgesetzt. Zugleich wurde der Verteidiger gemäß § 145 Abs. 4 StPO mit den durch die Aussetzung verursachten Kosten belastet.

Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb bei dem OLG Celle (Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Ws 91/21) ohne Erfolg. Das OLG bezeichnete das Vorgehen der Kammer in einem sehr ausführlichen Beschluss sogar als vorbildlich verantwortungsbewusst im Hinblick auf die Infektionslage, auch im Hinblick auf die Plexiglaswände. Durch sein Verhalten habe der Verteidiger eine Verhandlungsunfähigkeit herbeigeführt, wie sie auch im Rahmen einer Trunkenheit angenommen wird. Natürlich steht der für ganz andere Fälle geschaffene § 176 Abs. 2 GVG, wonach an der Verhandlung teilnehmende Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen, dem nicht entgegen. Der Verteidiger habe – trotz Hinweises – auch kein ärztliches Attest vorgelegt, dass ihm das Tragen einer Maske nicht zuzumuten sei. Ansonsten sei die Maske bestenfalls lästig. Das Landgericht habe sogar transparente Masken beschafft, um den Beteiligten zu ermöglichen, die Mimik der Beteiligten zu beobachten. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Kostenauferlegung als richtig.