Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Anforderungen an die Sorgfalt beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax

Abgleich der Telefaxnumer
Beschluss vom 30. März 2021 – VIII ZB 37/19

Mit der ordnungsgemäßen Organisation des Kanzleibetriebs bei Telefax-Sendungen an das Gericht befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die klagende Arzneimittelherstellerin streitet mit der Beklagten, einer Abnehmerin, darüber, wer von ihnen gesetzliche Preisreduzierungen im griechischen Gesundheitswesen zu tragen hat. Die Klage war in erster Instanz erfolgreich. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten legte am letzten Tag der Frist per Telefax Berufung ein. Das Schreiben war an das zuständige OLG adressiert, jedoch mit der Telefaxnummer des LG versehen. Dieses leitete den Schriftsatz an das OLG weiter, wo er erst einen Tag später einging. Das OLG versagte die beantragte Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verweist die Sache zur Entscheidung über die Berufung an das OLG zurück.

Nach der Rechtsprechung des BGH genügt ein Anwalt den an ihn zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, wenn er seinem Personal schriftlich die allgemeine organisatorische Anweisung erteilt, die in einem Schriftsatz angegebene Faxnummer des Empfangsgerichts vor dem Versand mit einem zuverlässigen Verzeichnis und nach dem Versand mit der im Sendebericht angegebenen Nummer abzugleichen.

Als zuverlässiges Verzeichnis kann auch eine Kanzleisoftware herangezogen werden, in der die Faxnummern der Gerichte hinterlegt sind und regelmäßig aktualisiert werden. Diese Voraussetzung war im Streitfall nicht erfüllt, weil die Dokumentvorlagen, die eine automatische Übernahme der Faxnummer aus der Datenbank der Kanzleisoftware vorsehen, wenige Tage vor dem Versand geändert worden waren.

Entgegen der Auffassung des OLG ist ein etwaiger Fehler bei der Änderung der Dokumentvorlagen im Streitfall aber nicht relevant. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat durch eidesstattliche Versicherung der mit dem Versand betrauten Mitarbeiterin glaubhaft gemacht, dass die allgemeine schriftliche Anweisung besteht, die von der Software eingefügte Nummer vor dem Versand mit der Nummer abzugleichen, die aus dem letzten vom Gericht stammenden Schriftstück in der jeweiligen Akte hervorgeht, hilfsweise mit der Nummer, die auf der Internet-Seite des betreffenden Gerichts angegeben ist. Diese Anordnung war ausreichend. Wäre sie befolgt worden, wäre es zu dem aufgetretenen Fehler nicht gekommen.

Praxistipp: Die organisatorischen Vorkehrungen, um einen rechtzeitigen Versand beim zuständigen Gericht zu gewährleisten, müssen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht werden.

Zustellung an einen Geschäftsführer „persönlich“

Im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens vor dem AG Hamburg-Altona (Beschl. v. 7.1.2021 – 321 M 414/20) stellte sich eine interessante Zustellungsfrage: Der Gläubiger beantragte, gegen den Geschäftsführer einer GmbH einen Haftbefehl zu erlassen. Die erforderliche Zustellung an den Geschäftsführer erfolgte durch Einlegung in den Briefkasten der GmbH. Grundsätzlich ist eine solche Zustellung an die GmbH nach den §§ 180 S. 1, 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ohne weiteres möglich. Hier bestand das Problem aber darin, dass der Zustellungsempfänger nicht die GmbH war, sondern der Geschäftsführer persönlich. Der Geschäftsraum war hier jedoch der Geschäftsraum der GmbH und nicht der des Geschäftsführers!

In einem solchen Fall ist eine Zustellung an den Geschäftsführer persönlich durch Einlegung in den Briefkasten unter der Anschrift der GmbH somit nicht möglich. Dasselbe gilt, wenn z.B. ein Geschäftsführer einer GmbH persönlich in Anspruch genommen werden soll. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als entweder zu hoffen, dass der Geschäftsführer persönlich anwesend ist, dann kann ihm persönlich zugestellt werden, oder die Privatanschrift des Geschäftsführers zu ermitteln. Dies kann beispielsweise über das Handelsregister oder über das Einwohnermeldeamt festgestellt werden.

Diese Sicht der Dinge widerspricht allerdings einer jüngeren Entscheidung des VGH Mannheim, NJW 2018, 2507 und auch der überwiegenden Kommentarliteratur (z. B. Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. (2020), § 178 m. w. N.). In der Sache selbst erscheint allerdings die Auffassung des AG Hamburg-Altona tatsächlich richtig. Bereits der Wortlaut des Gesetzes legt nahe, dass es sich bei dem Geschäftsraum um den Geschäftsraum des Zustellungsempfängers handeln muss. Und Zustellungsempfänger ist in dem genannten Fall eben nicht die GmbH, sondern der Geschäftsführer persönlich und die Geschäftsräume der GmbH sind nicht die Geschäftsräume des Geschäftsführers, sondern eben die der GmbH. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 14/4554 S. 20) ergibt sich nichts, was eine andere Auffassung stützen könnte. Präzise erkannt haben das Problem Neuhaus/Köther, MDR 2009, 537, 538 zu III. 3. Die Verfasser des Aufsatzes sprechen sich deswegen für eine analoge Anwendung des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aus. Insoweit dürfte es jedoch an der dafür erforderlichen Regelungslücke fehlen, zumal im Zustellungsrecht eine eher formale Betrachtung angezeigt ist. Vielleicht wird die Diskussion durch diese Entscheidung einen neuen Impuls in die richtige Richtung erhalten!

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Hemmung der Verjährung durch eine im EU-Ausland zuzustellende Klage

Demnächst erfolgte EU-Auslandszustellung
Urteil vom 25. Februar 2021 – IX ZR 156/19

Mit den Möglichkeiten der Klagezustellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union und deren Auswirkungen auf die Hemmung der Verjährung befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der klagende Insolvenzverwalter macht gegen die in Frankreich ansässige Beklagte Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend. Er reichte die Klage am 15.12.2015 – gut zwei Wochen vor Ablauf der Verjährungsfrist – in deutscher Sprache ein und bat um Übersendung einer Kostenrechnung für die „notwendige Übersetzung“. Den am 29.12.2015 angeforderten Gerichtskostenvorschuss zahlte er am 31.12.2015. Eine Anfrage des LG, ob die Klageschrift übersetzt werden solle, bejahte er umgehend. Den dafür angeforderten Auslagenvorschuss zahlte er innerhalb einer Woche. Die daraufhin vom LG in Auftrag gegebene Übersetzung ging am 24.10.2016 bei Gericht ein. Sie wurde zusammen mit der Klageschrift am 09.12.2016 zugestellt, also knapp ein Jahr nach Einreichung der Klage. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage wegen Verjährung ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Verjährung gemäß § 167 ZPO mit Einreichung der Klageschrift gehemmt worden, weil die Klage demnächst zugestellt wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH stehen Verzögerungen bei der Zustellung der Klageschrift einer Rückwirkung nach § 167 ZPO nur insoweit entgegen, als sie durch nachlässige Prozessführung des Klägers verursacht worden sind.

Im Streitfall war der Kläger nicht gehalten, eine Zustellung ohne Übersetzung zu beantragen. Eine solche Zustellung wäre nach Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung von Schriftstücken (EuZVO) zwar zulässig gewesen. Sie hätte aber die Gefahr begründet, dass die Beklagte die Annahme gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO mangels Kenntnis der deutschen Sprache verweigert. Dies hätte zu mindestens ebenso großen Verzögerungen führen können wie die vorherige Anfertigung einer Übersetzung.

Der Kläger war auch nicht gehalten, schon vor der Einreichung der Klage selbst eine Übersetzung in Auftrag zu geben. Eine vom Gericht in Auftrag gegebene Übersetzung bot eine höhere Richtigkeitsgewähr. Deshalb war der Kläger auch dann nicht zu weiteren Maßnahmen verpflichtet, als sich abzeichnete, dass sich die Fertigstellung der vom Gericht angeforderten Übersetzung verzögert. Ihn traf insoweit nicht einmal eine Nachfrageobliegenheit.

Praxistipp: Auch wenn grundsätzlich keine Nachfrageobliegenheit besteht, sollte der Klägeranwalt in solchen Fällen regelmäßig überprüfen und in Zweifelsfällen bei Gericht nachfragen, ob von seiner Seite noch etwas zu veranlassen ist.

Kann bald der inländischen Verbraucher seinen deutschen Reiseveranstalter an seinem Firmensitz verklagen?

Das Landgericht Mainz hat am 16. Juli 2020 in der Rechtssache C-317/20, BeckEuRS 2020, 652467 ein Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH eingereicht mit der Frage, ob Artikel 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) dahingehend auszulegen sei, dass die Vorschrift neben der Regelung der internationalen Zuständigkeit auch eine durch das entscheidende Gericht zu beachtende Regelung über die örtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Reisevertragssachen trifft, wenn sowohl der Verbraucher als Reisender als auch sein Vertragspartner, der Reiseveranstalter, ihren Sitz im gleichen Mitgliedsstaat haben, das Reiseziel aber nicht in diesem Mitgliedsstaat, sondern im Ausland liegt (sog. „unechte Inlandsfälle“), mit der Folge, dass der Verbraucher vertragliche Ansprüche gegen den Reiseveranstalter in Ergänzung nationaler Zuständigkeitsvorschriften an seinem Wohnsitzgericht einklagen könne?

Möglicherweise steht den Reiseveranstaltern ein Paradigmenwechsel hinsichtlich des Gerichtsstandes bevor. Der für die Anwendung der Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO notwendige Auslandsbezug könne sich möglicherweise auch aus dem Erfüllungsort einer Pauschalreise im ausländischen Mitgliedsstaat oder Drittstaat ergeben. Wenn also z. B. ein Pauschalreisender aus München bei seinem Reiseveranstalter mit Sitz in Hannover eine Reisepreisminderung einklagen möchte, will das LG Mainz geklärt haben, ob der Verbraucher seine vertraglichen Ansprüche gegen seinen Reiseveranstalter sowohl am Sitz in Hannover als auch an seinem Wohnsitz in München einklagen könne.

Die EU-Kommission schlägt in ihrer Stellungnahme vom 8.12.2020 vor, diese Frage zu bejahen, obwohl die bisher ganz herrschende Meinung in der Rechtsprechung und der reiserechtlichen Literatur einen solchen Verbrauchergerichtsstand am Wohnort des Reisenden abgelehnt hat (vgl. Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015, § 4 Rn. 9, ff. 11 m.w. Nachw. Die Kommission ist der Auffassung, dass sich der Gerichtsstand bei solchen unechten Inlandsfällen „ausschließlich“ nach der Brüssel Ia-VO richte und die nationalen Zuständigkeitsvorschriften der §§ 12 ff. ZPO auch nicht subsidiär gelten, sondern durch das vorrangige EU-Recht verdrängt würden. Werde also ein Pauschalreisevertrag zwischen zwei inländischen Vertragspartnern grenzüberschreitend erfüllt mit z.B. einem Flug nach Mallorca und einem dortigen Hotelaufenthalt oder einer Kreuzfahrt mit verschiedenen ausländischen Hafenanlandungen sei die Brüssel Ia-VO vorrangig heranzuziehen (so bisher Staudinger in Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 4 Rn. 2 m.w.Nachw.).

Ich habe nach wie vor erhebliche Zweifel, ob die Internationalität einer Pauschalreise durch eine ausländische Destination als Zielgebiet ausreicht, den für die Brüssel Ia-VO notwendigen Auslandsbezug zu schaffen, außer das anwendbare Kollisionsrecht beruft selbst das ausländische Recht oder den Gerichtsstand wie z. B. bei der Miete eines Ferienhauses in der EU nach Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. Ein normrelevanter Auslandsbezug ist m. E. abzulehnen, wenn ein Reiseveranstalter Teile seiner Reiseleistungen im Ausland zu erbringen hat. Reisevertraglich werden damit keine Rechtsnormen des Zielgebiets angewendet. Auch eine deliktische Handlung im Zielgebiet ist als mögliche Verkehrsicherungspflichtverletzung nicht im Ausland begangen, da es nicht auf den Erfolgsort der Pflichtverletzung ankommt. Eine mögliche Pflichtverletzung eines deutschen Veranstalters ist dem inländischen Management zuzurechnen. Letztlich hat auch der deutsche Gesetzgeber einen zusätzlichen Verbrauchergerichtsstand nach Art. 18 der Brüssel Ia-VO nicht gewollt. Würde man Art. 18 der VO derartig erweiternd auslegen, würde in unzulässiger Weise in die Kompetenz des nationalen Gesetzgebers in Berlin eingegriffen werden. Die ZPO kennt bis heute keinen allgemeinen Verbrauchergerichtsstand. Eine Ausnahme ist nur Art. 225 VVG mit einem Verbrauchergerichtsstand in Versicherungssachen (Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht, § 30 Rn. 27). Mit einer solchen Auslegung des Art. 18 der Brüssel Ia-VO würden fast alle deutschen Regelungen des Gerichtsstands der §§ 12 ff. ZPO ihres Anwendungsbereichs beraubt (Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015, § 4 Rn. 11 m. w. Nachw.).

Prof. Dr. Ernst Führich

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Diese Woche geht es um die Pflichten des Inhabers einer Internetanschlusses nach einer Urheberrechtsverletzung

Angabe des Täters einer Urheberrechtsverletzung
Urteil vom 17. Dezember 2020 – I ZR 228/19

Mit der Frage einer Auskunftspflicht des Inhabers eines Internetanschlusses befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen des unbefugten Anbietens eines urheberrechtlich geschützten Computerspiels auf Schadensersatz in Anspruch. Das Angebot war über einen Internetanschluss verbreitet worden, dessen Inhaberin der Beklagte ist. Auf die Abmahnung der Klägerin hatte der Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, zugleich aber mitgeteilt, er selbst habe das Spiel nicht öffentlich im Internet zugänglich gemacht. Auf die von der Klägerin erhobene Klage auf Erstattung von Abmahnkosten und Schadensersatz in Höhe von insgesamt rund 1.900 Euro trug der Beklagte vor, die Verletzung sei durch den Sohn einer Arbeitskollegin seiner Lebensgefährtin begangen worden. Die Klägerin beantragte zuletzt nur noch die Feststellung, dass der Beklagte ihr die Kosten des Rechtsstreits zu ersetzen hat. Dieser Antrag blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, weil die Klägerin die zu erstattenden Kosten nicht beziffern und ihren Anspruch wegen der Rücknahme des Hauptantrags nicht im Wege der Kostenfestsetzung geltend machen kann. Er ist aber unbegründet, weil der Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet war, den Täter zu benennen. Eine Nebenpflicht zur Auskunftserteilung aus dem Unterlassungsvertrag scheidet aus, weil der Beklagte beim Abschluss dieses Vertrags bereits darauf hingewiesen hat, dass er nicht der Täter ist. Aus der Verletzung des Urheberrechts ergibt sich eine solche Pflicht nicht, weil der Beklagte für die Verletzung nicht verantwortlich ist. Die Stellung als Inhaber des Anschlusses, über den die Verletzung begangen wurde, begründet auch kein vorvertragliches Schuldverhältnis, das zu einer Auskunftspflicht führen könnte. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden in dieser Konstellation ebenfalls aus. Eine Ersatzpflicht aus § 826 BGB käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Beklagte vorprozessual wissentlich falsche Angaben über den Täter gemacht hätte.

Praxistipp: Im Prozess trifft den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, welchen anderen Personen er den Internetanschluss zur Verfügung gestellt hat. Kommt er dem nicht nach, besteht eine tatsächliche Vermutung für seine Täterschaft.

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Diese Woche geht es um den Mindestinhalt einer Berufungsschrift

Zweifelsfreie Bezeichnung des Berufungsklägers
Beschluss vom 11. November 2022 – V ZB 32/20

Mit den Anforderungen an die Bezeichnung des Berufungsklägers befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Parteien streiten mit Klage, Widerklage und Drittwiderklage um die Freigabe von hinterlegten Beträgen aus Grundstücksgeschäften. Das LG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage sowie der Drittwiderklage im Wesentlichen stattgegeben. Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin und des Drittwiderbeklagten reichte innerhalb der Berufungsfrist einen Schriftsatz mit folgendem Inhalt ein:

„In dem Rechtsstreit [Name und Vorname der Klägerin] u. a. ./. [Name und Vorname des Beklagten], LG Kempten, [Aktenzeichen] legen wir gegen das Urteil des LG Kempten vom 30.08.2019, zugegangen am 04.09.2019, Berufung ein.“

Dem Schriftsatz waren Rubrum und Tenor des angefochtenen Urteils beigefügt.

Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Klägerin und des Widerbeklagten bleibt ohne Erfolg.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Rechtsmittelschrift für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer Rechtsmittelgegner sein soll. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Aus den innerhalb der Berufungsfrist übermittelten Unterlagen geht zwar hervor, dass die Berufung durch den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Widerbeklagten eingelegt wurde und dass diese durch das angefochtene Urteil beschwert sind. Es gibt aber keine Auslegungsregel, die besagt, dass ein Rechtsmittel im Zweifel für alle unterlegenen Streitgenossen eingelegt wird.

Praxistipp: Um die aufgezeigten Schwierigkeiten zu vermeiden, sollte die Rechtsmittelschrift das komplette Rubrum der angefochtenen Entscheidung wiedergeben und die ausdrückliche Erklärung enthalten, für welche Parteien das Rechtsmittel eingelegt wird.

OLG Brandenburg: Besorgnis der Befangenheit bei Untätigkeit?

Das OLG Brandenburg (Beschl. v. 21.9.2020 – 1 W 25/20) hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die bloße Untätigkeit eines Richters eine Besorgnis der Befangenheit begründen könne. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Sachverhalt: Der anwaltlich vertretene Antragsteller beantragte im Juni 2018 bei dem Amtsgericht einen Erbschein. Im November 2018 wies die Richterin darauf hin, dass der Antragsteller nach ihrer Auffassung durch ein Negativtestament als Erbe ausgeschlossen sei. Deswegen käme die beantragte Erteilung des Erbscheins nicht in Betracht. Der Antragsteller hielt an seiner abweichenden Rechtsauffassung fest. Er bat um eine Entscheidung. Diese Bitten wiederholte der Antragsteller im Februar, Mai und Juni 2019 und schließlich im Januar 2020. Im Juni 2020 lehnte der Antragsteller dann die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab und erhob darüber hinaus eine Verzögerungsrüge. In ihrer dienstlichen Erklärung führt die Richterin aus, sie habe die Sache vor sich hergeschoben, um sich zu einem späteren Zeitpunkt die nötige Zeit für die Bearbeitung der Sache zu nehmen. Das AG wies den Antrag zurück, das OLG beschied die sofortige Beschwerde gleichfalls negativ.

Die Entscheidung des Gerichts: Das OLG weist darauf hin, dass die schlichte Untätigkeit eines Richters ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Besorgnis der Befangenheit noch nicht begründen kann. Eine Untätigkeit kann eine Besorgnis der Befangenheit bestenfalls dann rechtfertigen, wenn die mitgeteilten Gründe unhaltbar sind oder wenn Gründe nicht einmal mitgeteilt werden und daraus der Schluss auf eine rechtsschutzfeindliche Gesinnung gegenüber der Partei gerechtfertigt ist. Dabei ist es nicht möglich, eine derartige Gesinnung einfach zu unterstellen. Somit kann hier eine Besorgnis der Befangenheit nicht unterstellt werden.

Fazit: Eine andere Entscheidung ist aus praktischen Erwägungen heraus kaum vorstellbar! Ansonsten hätte – wenigstens theoretisch – jeder Richter die Möglichkeit, sich einer für ihn unangenehmen Sache dadurch zu entledigen, dass er sie einfach nicht bearbeitet. Natürlich ist nicht zu verkennen, dass jahrelange Verzögerungen für die Rechtssuchenden im Einzelfall zu unerträglichen Situationen führen können. Dieser Konflikt ist letztlich kaum oder gar nicht lösbar. Im Zweifelsfall bleibt wahrscheinlich nur übrig, die Justizverwaltung in Gestalt des Justizministeriums mit der Androhung von Amtshaftungsansprüchen unter Druck zu setzen. Dann kann man nur hoffen, dass die Amtshaftungsklage tatsächlich in angemessener Dauer bearbeitet wird und nicht auch mit Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträgen endet.

 

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Diese Woche geht es um die Kostenentscheidung bei Rücknahme einer von Beginn an unbegründeten Klage.

Anlass zur Einreichung der Klage
Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20

Mit den Voraussetzungen des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte die Beklagte wegen Urheberrechtsverletzung abgemahnt, weil über den Internetanschluss der Beklagten an einem bestimmten Tag zwei Folgen einer Fernsehserie öffentlich zum Download angeboten worden waren. Die Beklagte gab ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Angaben zur Nutzung ihres Internetanschlusses eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Die Klägerin klagte daraufhin auf Schadensersatz und Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von insgesamt 1.107,50 Euro. In ihrer Klageerwiderung teilte die Beklagte mit, sie habe ihre Wohnung im betreffenden Zeitraum über Airbnb vermietet und sich andernorts aufgehalten. Die Mieterin habe mitgeteilt, dass vermutlich einer ihrer Brüder die Rechtsverletzung begangen habe. Die Klägerin nahm die Klage zurück und beantragte, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das AG hob die Kosten gegeneinander auf. Die Beschwerde der Beklagten blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten führt zu einer Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen können die Kosten nicht gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ganz oder teilweise der Beklagten auferlegt werden. Es fehlt schon an einem Anlass zur Klage im Sinne dieser Vorschrift. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung reicht es zwar aus, wenn die Klage zumindest vor Rechtshängigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt zulässig und begründet gewesen wäre und der Kläger bei Einreichung der Klage weder wusste noch wissen musste, dass sich eine Änderung ergeben hat. Nicht ausreichend ist aber, wenn der Kläger nur subjektiv davon ausging, dass seine Klage Erfolg haben würde. Darüber hinaus ist eine Kostenentscheidung zugunsten der Klägerin im Streitfall auch deshalb nicht möglich, weil das Ereignis, das den Anlass zur Klage entfallen ließ, erst nach Rechtshängigkeit eingetreten ist. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist nur dann anwendbar, wenn das ändernde Ereignis vor Rechtshängigkeit stattgefunden hat. Eine Umdeutung der Klagerücknahme in eine Erledigungserklärung oder einen Antrag auf Feststellung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht möglich.

Praxistipp: Wegen der fehlenden Möglichkeit der Umdeutung sollte der Kläger in solchen Fällen vor der Rücknahme sorgfältig prüfen, ob nicht eine Erledigungserklärung oder ein Antrag auf Feststellung der materiell-rechtlichen Pflicht zur Kostentragung zweckmäßiger ist.

LG Frankfurt a.M.: Befugnis des Vorsitzenden, das Tragen einer besonderen Maske anzuordnen

In einem Beschluss hatte ein Richter am Amtsgericht für die durchzuführende mündliche Verhandlung u. a. folgendes angeordnet: „Anwesende Personen müssen durchgängig einen geeigneten Mund-Nase-Schutz tragen (OP-Maske oder höhere Schutzklasse, notfalls dichtes Baumwolltuch).“ Dagegen legte der Beklagte eine Beschwerde ein und führte aus: Er wolle sich nicht gegen das Tragen einer Maske an sich, sondern nur dagegen beschweren, eine Maske mit höherer Schutzklasse tragen zu müssen. Diese stelle eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Wahrnehmung rechtlicher Interessen und einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Berufsfreiheit dar.

Das LG (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 5.11.2020 – 2-03 T 4/20) lässt dahinstehen, ob die Beschwerde zulässig ist, sondern hält diese auf jeden Fall für unbegründet. Bei der getroffenen Maßnahme handelt es sich um eine gemäß § 176 GVG zulässig sitzungspolizeiliche Anordnung. Eine solche umfasst auch Maßnahmen des Infektionsschutzes. Wegen der aktuellen Verbreitung des Corona-Virus darf auch das – ohnehin weit verbreitete – Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (vulgo als Maske bezeichnet) angeordnet werden. Der Vorsitzende darf sich dabei an den Empfehlungen des Robert Koch-Institutes orientieren. Dem Beklagten ist es auch mit Maske ohne weiteres zumutbar, mündlich vorzutragen. Auch die weitere Beschreibung bzw. Konkretisierung der Maske ist nicht zu beanstanden, zumal sie den Anforderungen entspricht, die in der einschlägigen Corona-VO gleichfalls gestellt werden. Weitergehend wäre sogar eine Anordnung zum Tragen von Masken nach den Standards FFP2 oder KN95 auch von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt gewesen. Derartige Masken sind für geringe Beträge zu erwerben und stellen einen besseren Schutz dar. Da damit die Gefahr einer Infektion reduziert werden kann, liegt auch kein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit vor.

Es ist daher festzuhalten: Der Vorsitzende ist gemäß § 176 GVG nach seinem Ermessen dazu berechtigt, Anordnungen zum Infektionsschutz zu treffen, insbesondere zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, auch mit einer höheren Schutzklasse.

 

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Diese Woche geht es um das Verhältnis zweier von derselben Partei in derselben Sache eingelegter Rechtsmittel.

Mehrfache Einlegung eines Rechtsmittels
Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19

Der V. Zivilsenat sorgt für Entlastung in einem haftungsträchtigen Bereich.

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen Rodung einer Weide und eines Holunderstrauchs, mit der Begründung, an der betroffenen Grundstücksfläche stehe ihr ein Sondernutzungsrecht zu. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Die Klägerin legte fristgerecht sowohl bei dem allgemein zuständigen LG als auch bei dem für Wohnungseigentumssachen zuständigen LG Berufung ein. Das allgemein zuständige LG verwarf die Berufung als unzulässig, weil es sich um eine Wohnungseigentumssache handle.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin führt zur Abgabe der Sache an das für Wohnungseigentumssachen zuständige LG. Der BGH nimmt Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach mehrere von derselben Partei in derselben Sache eingelegte Rechtsmittel als Einheit zu behandeln sind – auch dann, wenn sie bei unterschiedlichen Gerichten anhängig sind. Das LG, dem die doppelte Berufungseinlegung bekannt war, hätte die bei ihm eingelegte und von ihm zutreffend wegen fehlender Zuständigkeit als unzulässig beurteilte Berufung deshalb nicht verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es die Sache an das zuständige LG abgeben müssen. Diese Entscheidung holte der BGH nunmehr nach. Das für Wohnungseigentumssachen zuständige LG – bei dem die Sache noch anhängig ist – wird nunmehr eine einheitliche Entscheidung über das Rechtsmittel treffen müssen.

Praxistipp: Die aufgezeigten Grundsätze eröffnen einen sicheren und kostengünstigen Weg in Fällen, in denen nicht eindeutig beurteilt werden kann, welches Gericht für die Entscheidung über die Berufung zuständig ist. Gerichts- und Anwaltsgebühren fallen in dieser Situation grundsätzlich nur einmal an (§ 4 GKG, § 15 Abs. 2 RVG).