Montagsblog: Neues vom BGH

Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren
Beschluss vom 10. August 2017 – III ZA 42/16

Eine grundlegende Frage des Prozesskostenhilferechts behandelt der III. Zivilsenat in einem eher ungewöhnlichen Fall.

Der Antragsteller verlangte vom Antragsgegner nach der Verbüßung einer Freiheitsstrafe Entschädigungsleistungen nach dem Strafentschädigungsgesetz. Die Staatsanwaltschaft lehnte das Begehren ab. Daraufhin begehrte der Antragsteller Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren zur Geltendmachung einer Forderung in Höhe von 400 Millionen Euro. Der Antrag blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren über die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde zurück. Mit der einhelligen Auffassung in der Literatur hält er die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für ein Mahnverfahren – beschränkt auf dieses – für zulässig. Mit den Vorinstanzen ist er indes der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 114 ZPO im Streitfall nicht erfüllt sind. Dabei lässt er offen, ob es schon deshalb an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt, weil der Antragsgegner für den Fall des Erlasses des Mahnbescheids bereits einen Widerspruch angekündigt hatte. Er sieht die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls als mutwillig an, weil es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass eine Forderung in der geltend gemachten Größenordnung bestehen könnte.

Praxistipp: Wenn das Beschwerdegericht in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, steht dem Rechtsbeschwerdeführer unter den Voraussetzungen des § 114 ZPO Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem BGH zu.

Montagsblog: Neues vom BGH

Anforderung von Unterlagen für eine Schriftvergleichung
Urteil vom 16. März 2017 – I ZR 205/15

Mit den Voraussetzungen für die Anforderung von Vergleichsdokumenten zur Beurteilung der Echtheit einer Urkunde mittels Schriftvergleichung befasst sich der I. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte von den Eltern des Klägers ein Grundstück erworben. Nach Vertragsschluss begehrte der Kläger von der Beklagten eine Provision für die Vermittlung des Geschäfts. Er stützte seine Forderung auf eine schriftliche Einverständniserklärung, die nach seiner Behauptung vom Geschäftsführer der Beklagten unterschrieben war. Das LG ordnete die Einholung eines Schriftvergleichsgutachtens an und gab der Beklagten auf, mehrere im Einzelnen bezeichnete Vergleichsdokumente vorzulegen. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nur teilweise nach. Das LG verurteilte die Beklagte nach Einholung des Gutachtens im Wesentlichen antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Zwar war die vom LG erlassene Anordnung, Vergleichsdokumente vorzulegen, weder nach § 441 Abs. 3 ZPO noch nach § 142 ZPO zulässig. Gemäß § 295 ZPO darf die Beklagte der Verwertung der dennoch eingereichten Unterlagen aber nicht mehr entgegentreten, weil sie bereits in erster Instanz mündlich zur Sache verhandelt hatte, ohne den Verfahrensfehler zu rügen. Zulässig blieb die Rüge, das LG habe die teilweise Nichtbefolgung der Anordnung zu Unrecht zu ihren Lasten gewertet, weil der diesbezügliche Verfahrensfehler erst aus dem erstinstanzlichen Urteil hervorging. Diesen Fehler hatte aber bereits das OLG korrigiert, indem es den genannten Aspekt bei der Beweiswürdigung nicht zu Lasten der Beklagten berücksichtigte.

Praxistipp: Die Partei, die die Beweislast trägt, muss die Vergleichsurkunden, deren Vorlegung angeordnet werden soll, detailliert benennen, weil das Gericht nicht befugt ist, die Vorlage weiterer Urkunden von Amts wegen anzuordnen. Der Gegner muss einen diesbezüglichen Verfahrensfehler zur Wahrung seiner Rechtsposition spätestens in der auf die Anordnung folgenden mündlichen Verhandlung rügen.

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Parteivernehmung zum Inhalt eines Beratungsgesprächs
Urteil vom 20. Juli 2017 – III ZR 296/15

Mit den Voraussetzungen für eine Vernehmung der beweisbelasteten Partei zum Inhalt eines Gesprächs mit der gegnerischen Partei befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den Beklagten – seinen Schwiegersohn – aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch. Die Klageansprüche waren im Wesentlichen darauf gestützt, der Beklagte habe in dem Beratungsgespräch eine Vielzahl von Risiken unzutreffend dargestellt oder verschwiegen. Der Beklagte erhob gegen die ursprünglich als Zeugin benannte Ehefrau des Klägers Drittwiderklage. Das Klagebegehren blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hält er eine Parteivernehmung des Klägers zum Inhalt des Gesprächs für geboten. Zwar sind die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln für Vieraugengespräche im Streitfall nicht anwendbar, weil nicht nur der Kläger, sondern auch der Beklagte für den Gesprächsinhalt keinen Zeugen benennen kann. Die nach § 448 ZPO erforderliche Wahrscheinlichkeit für die Wahrheit der unter Beweis gestellten Behauptung hält der BGH aber für gegeben, weil der Kläger sein Vermögen bislang ausschließlich in Sparkonten und vergleichbar sicheren Anlageformen investiert hatte. Ebenfalls für nicht tragfähig hält der BGH die vom OLG ergänzend angestellte Erwägung, die Ansprüche seien verjährt, weil der Kläger grob fahrlässig gehandelt habe, indem er die vom Beklagten vorgelegten Zeichnungsscheine blind unterschrieben und die darin enthaltenen Hinweise auf Risiken der Anlage nicht zur Kenntnis genommen hat.

Praxistipp: Die „Ausschaltung“ eines Zeugen durch Drittwiderklage kann sich als Bumerang erweisen, wenn das Gericht die Voraussetzungen des § 448 ZPO als gegeben ansieht.

Privatgutachten als Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB
Beschluss vom 27. Juli 2017 – III ZR 440/16

Mit der Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen aus § 839a BGB befasst sich ebenfalls der III. Zivilsenat.

Der Kläger hatte in einem früheren Rechtsstreit Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend gemacht. Nach dem erfolglosen Ausgang des Verfahrens nahm er den Beklagten, der im Auftrag des Gerichts ein psychiatrisches Gutachten erstattet hatte, wegen Fehlbegutachtung auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zurück. Er stellt aber klar, dass ein Ersatzanspruch des Klägers nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil er davon abgesehen hat, den Ausführungen des Beklagten im Vorprozess mit Hilfe eines Privatgutachtens entgegenzutreten.

Praxistipp: Insbesondere bei komplexen Fragestellungen kann die Einholung eines Privatgutachtens dennoch ein erfolgversprechender Weg sein, das Gericht zur Einholung eines „Obergutachtens“ zu veranlassen .

Musterfeststellungsklage – BMJV veröffentlicht Diskussionsentwurf – was ändert sich gegenüber dem Referentenentwurf?

Nach dem „geheimen“ Referentenentwurf (RefE) – dazu dieser Blogbeitrag vom Februar 2017  – hat das BMJV nun einen Diskussionsentwurf für eine Musterfeststellungsklage (DiskE) vorgelegt. Er ist seit Kurzem auf der Homepage des BMJV als Gesetzgebungsvorhaben veröffentlicht und wurde bereits an interessierte Verbände zur Stellungnahme versandt. Zwischen den Entwürfen gibt es eine Reihe von sehr entscheidenden Unterschieden.

  1. Einengung des Anwendungsbereichs

Die Musterfeststellungsklage hat ihren relativ weiten Anwendungsbereich zwischen RefE und DiskE verloren. Während der RefE allein an den Begriff des „Rechtsverhältnisses“ anknüpfte, verlangt der DiskE ein „Rechtsverhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmern“. Der DiskE ist also auf Verbraucherangelegenheiten beschränkt und bezieht Gewerbetreibende und sonstige Unternehmen nicht mehr ein. Das ist gerade bei Massenschäden ein entscheidender Nachteil, da nun deliktsrechtliche Ansprüche aus Verschuldens- und Gefährdungshaftung und die durch rechtswidrige Geschäftspraktiken entstandenen Schäden kleinerer und mittlerer Unternehmen nicht mehr Verfahrensgegenstand sein können. Der Anwendungsbereich sollte also wieder erweitert werden.

  1. Reduzierung der klagebefugten Einrichtungen

Klagebefugt sind nur noch die qualifizierten Einrichtungen, die beim Bundesamt der Justiz oder im Verzeichnis der Europäischen Kommission eingetragen sind. Dazu gehören vor allem inländische und ausländische Verbraucherzentralen, -vereine und -verbände. Weder die Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern noch die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen sind klagebefugt. Es kommt damit übrigens zu solchen pikanten Details, dass eine griechische oder slowenische Industrie- und Handelskammer, die nach ihrem nationalen Recht zur Durchsetzung von Verbraucherrechten berechtigt und in die Liste der Kommission eingetragen ist, klagen kann – nicht aber eine deutsche IHK. Da die Verbandsklageaktivität der IHK und Handwerkskammern in Deutschland aber bislang ohnehin nicht spürbar ist, ist ihr Ausschluss aus der Klageberechtigung kein großer Verlust. Anders sieht es freilich bei den rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen aus. Darunter fallen auch die mehr als 5000 Innungen in Deutschland und die große Anzahl der Berufs- und Wettbewerbsverbände. Sie sind regelmäßig klageaktiv, wobei hier die Wettbewerbszentrale mit tausenden von Klagen und Abmahnungen jährlich herausragt. Sie sollte nicht außen vor bleiben, zumal das Wettbewerbsrecht inzwischen ausdrücklich auch dem Schutz der Verbraucher dient.

  1. Erhöhung des Quorums

Der RefE sah noch vor, dass durch die klagebefugte Einrichtung mindestens 10 Fälle anhand konkreter Anhaltspunkte dargelegt werden, die von dem Musterverfahren betroffen sind. Der DiskE erhöht auf 50 Verbraucher und stellt sogar eine Erhöhung auf 100 Betroffene zur Debatte. Außerdem muss die Betroffenenzahl nun glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht werden. Dafür soll „die detaillierte Beschreibung einschließlich der Angaben zu allen zur Begründung des Feststellungsziels dienenden tatsächlichen oder rechtlichen Umstände … konkreter Fälle mit Einwilligung der Betroffenen genügen“. Allein das Einholen der Einwilligungen und die Darlegung dürfte bei 50 oder 100 Fällen einen derartigen Aufwand machen, dass genau das passiert, was wir von der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO bislang schon kennen: Sie findet nicht statt, weil sie nicht organisierbar ist. Es ist also dringend zu raten, das Quorum und die Darlegungslast zu den einzelnen Fällen nicht zu erhöhen.

  1. Einschränkung der Bindungswirkung

Während der RefE nur eine einseitige Bindung zu Gunsten der angemeldeten Verbraucher vorsah, stellt der DiskE auch eine beiderseitige Bindung zur Debatte. Das macht die Klage natürlich für den Beklagten attraktiver, da weitere Individualklagen effektiver ausgeschlossen werden können. Es trägt auch zur abschließenden Erledigung eines Gesamtschadensereignisses bei. Eigene Beteiligungsrechte der Anmelder gibt es im Gegenzug allerdings nicht. Für Verjährungswirkung und Bindungskraft genügt eine Anmeldung zum Verfahren, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Musterverfahren möglich ist, allerdings nicht mehr nach Kenntnis des Musterurteils. Ohne Beteiligungsrechte auch an ein negatives Urteil gebunden zu sein, verstößt allerdings gegen das rechtliche Gehör. Das Gesetz sieht auch keine Wahrnehmung der prozessualen Rechte der Anmelder durch den Kläger oder etwa nachlaufende Beteiligungsrechte der Anmelder vor. Zur Vermeidung eines Grundrechtsverstoßes muss das Gesetz deshalb entweder zu der einseitigen Bindung zurückkehren, oder gewährleisten, dass die Betroffenen ihre Beteiligungsrechte andersgeartet, ggf. über einen Repräsentanten, wahrnehmen.

  1. Keine Leistungstitel, Vergleich

Nicht vorgesehen ist – sowohl im RefE als auch im DiskE – eine Entschädigungsphase nach Abschluss des Musterverfahrens. Die Geschädigten müssen ihre Leistungsansprüche auch zukünftig auf der Grundlage des Musterentscheids in Einzelklagen durchsetzen. Damit werden die hinlänglich bekannten Probleme des behäbigen und umständlichen Verfahrens nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) nicht behoben. Bis die Individualverfahren abgeschlossen sind und individuelle Leistungsansprüche tituliert sind, können Jahre vergehen.

Immerhin sieht der Entwurf einen kollektiven und gerichtlich geprüften Vergleichsschluss vor, den die Angemeldeten aber nicht annehmen müssen. Hierzu können sie sich auch noch bis zur öffentlichen Bekanntmachung der gerichtlichen Genehmigung anmelden. Im Hinblick auf das Bedürfnis nach einer Gesamterledigung komplexer Schadensereignisse ist dies eine realistische Option schneller Anspruchs-durchsetzung. Insbesondere die Möglichkeit eines späten Opt in nach Kenntnis des Vergleichs ist eine gute Idee.

 

OLG Hamm: Doppeltes Einstellen von Artikel bei Amazon wettbewerbswidrig

Die Handelsplattform Amazon ist für Verbraucher unter anderem deswegen sehr beliebt, da – bis auf wenige Ausnahmen – keine Doubletten von Artikeln gefunden werden. Jeder einzigartige Artikel wird nur einmal gelistet. Dies gewährleistet Amazon durch Abfrage des EAN-Codes des jeweiligen Produktes. Im Rahmen der Artikeldarstellung werden dann die unterschiedlichen Händler aufgelistet, bei denen das Produkt zu unterschiedlichen Preisen erhältlich ist, was dem Kunden einen effektiven Preisvergleich ermöglicht.

Die Kehrseite der Medaille für Händler ist, dass die Artikelbeschreibungen inhaltlich nur begrenzt beeinflusst werden können, sich zudem Artikelbeschreibungen auch immer wieder ändern können. Nach der Rechtsprechung des BGH haftet für etwaige Rechtsverletzungen jeder einzelne Marketplace Händler als Störer auf Unterlassung (BGH Urteil vom 3. März 2016 Az.: Az. I ZR 140/14, MDR 2016, 1102), wenn nicht regelmäßig die Angebote auf Rechtsverstöße überwacht werden. Noch wichtiger für die Praxis ist de Umstand, dass bei der Auswahl mehrerer Händler für das identische Produkt der Preis wohl das entscheidendste Kriterium zur Auswahl eines Händlers sein dürfte.

Ein findiger Händler wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Durch Veränderung des EAN-Codes umging er die Doublettensuche von Amazon und konnte so seine eigene Artikelbeschreibung anlegen, für das Produkt als einziger Händler auftauchen.

Ein Wettbewerber nahm den Unternehmer auf Unterlassung in Anspruch, das OLG Hamm gab ihm Recht:

Das Gericht bejaht eine Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG, da das neue Angebot eine unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über das Merkmal der Verfügbarkeit der Ware enthält. Hierbei verweist das OLG Hamm auf die Rechtsprechung des EuGH. Dass der durchschnittliche Verbraucher bei Eingabe der Artikelbezeichnung mindestens zwei Suchergebnisse erhalten hätte und so hätte feststellen können, dass das Produkt doch von mehreren Händlern erworben werden kann, ist unbeachtlich, weil ein Nutzer auch direkt (z.B. über einen von einem anderen Nutzer per E-Mail versandten Link auf die in Rede stehende Artikeldetailseite gelangen konnte und auf diese Weise von vornherein keine Möglichkeit hatte, Informationen über mögliche andere Anbieter zu erhalten.

Besonders pikant: Das OLG Hamm hat dem Kläger einen Auskunftsanspruch zugestanden, womit auch die Verpflichtung zur Leistung von Schadensers zumindest dem Grunde nach feststehen dürfte. Der Kläger könnte hier, zum Beispiel weil er preisgünstigter Anbieter des „legitimen“ Angebotes war, den ihm entgangenen Gewinn von dem Beklagten ersetzt verlangen.

Für die Praxis ist daher unbedingt davon abzuraten, identische Artikel unter Umgehung der „Doublettensperre“ von Amazon einzustellen. Man könnte zur Umgehung der „Doublettensperrung“ an das Einstellen von Produktbundles denken, wobei Amazon hier sehr enge Regelungen vorgibt, wonach beispielsweise der Verkauf von Proteinpulver unter Beifügung eines Shakers schon kein zulässiges Bundle darstellen soll. Es bleibt wohl nur die „zulässige“ Teilnahme am Wettbewerb auf Amazon, indem man sich dem (fairen) Preiskampf stellt und im Übrigen regelmäßig die Angebote auf Rechtsverletzungen überwacht.

 

OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2017 Az.: 4 U 80/16

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Erneute Anordnung des schriftlichen Verfahrens
Urteil vom 4. Juli 2017 – XI ZR 470/15

Der XI. Zivilsenat verfestigt seine Rechtsprechung zu einer nicht unwichtigen Frage im Zusammenhang mit § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO.

Der Kläger begehrte nach dem Widerruf eines Darlehensvertrags von der Beklagten Rückzahlung erbrachter Zinsleistungen. Das Begehren blieb in erster Instanz zum weitaus überwiegenden Teil und in zweiter Instanz vollständig erfolglos. Das OLG traf seine Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Anlässlich der Verlegung des ursprünglich bestimmten Verkündungstermins hatte es erneut die Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren eingeholt und eine neue Schriftsatzfrist bestimmt. Mit seiner Revision rügte der Kläger unter anderem, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren sei gemäß § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht mehr zulässig gewesen, weil zwischen der ersten Zustimmungserklärung der Parteien und der Verkündung des angefochtenen Urteils mehr als drei Monate verstrichen seien.

Der BGH hebt das Urteil des OLG aus materiell-rechtlichen Gründen auf und verurteilt die Beklagte entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag in der Revisionsinstanz. Die Verfahrensrüge des Klägers sieht er hingegen als unbegründet an. § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO hindert das Gericht nicht daran, bei drohendem Ablauf der Dreimonatsfrist mit Zustimmung der Parteien erneut das schriftliche Verfahren anzuordnen. Die Entscheidung muss dann innerhalb von drei Monaten nach Erteilung der letzten Zustimmungserklärung ergehen. Damit bestätigt der BGH eine bereits vor einiger Zeit ergangene Entscheidung zu dieser Frage (BGH, Urt. v. 17.1.2012 – XI ZR 457/10, Rz. 34 – NJW–RR 2012, 622).

Praxistipp: Beide Parteien haben es in der Hand, eine nochmalige Anordnung des schriftlichen Verfahrens durch Verweigerung ihrer Zustimmung zu verhindern.

Ordnungsgeld auch gegen juristische Personen?

Im Rahmen eines Landwirtschaftsverfahrens hatte das AG gegen den Geschäftsführer einer GmbH persönlich ein Ordnungsgeld von sagenhaften 200 € verhängt, da dieser zu einem Termin – entgegen einer gerichtlichen Anordnung – nicht erschienen war. Ersatzweise wurden vier Tage Ordnungshaft festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Geschäftsführers änderte das OLG den Beschluss dahingehend ab, dass die ersatzweise angeordnete Ordnungshaft entfiel. Auf die Rechtsbeschwerde hebt der BGH – Senat für Landwirtschaftssachen – (Beschl. v. 30.3.2017 – Blw 3/16, MDR 2017, 721) den Beschluss des AG insgesamt auf.

Der BGH folgt hier der herrschenden Meinung, wonach ein Ordnungsgeld gemäß § 141 Abs. 3  ZPO nur gegen die juristische Person selbst festgesetzt werden darf, wenn diese Partei des Rechtsstreites ist. Eine Festsetzung gegen die Organe ist nicht statthaft. Zwar muss ein Organ geladen werden, da die Partei als juristische Person nur durch ihre Organe handeln kann. Das Gesetz verpflichtet aber gleichwohl in einem Zivilprozess ausschließlich die Partei. Zwar dürfen sitzungspolizeiliche Maßnahmen auch gegen ein Organ einer Partei ergriffen werden, dabei geht es aber um eine Missachtung des Gerichts. Beim Nichterscheinen geht es um die Aufklärung des Sachverhalts. Erscheint das Organ nicht, kann die juristische Person bei diesem Regress nehmen. Hat die juristische Person kein Vermögen, läuft zwar das Ordnungsgeld leer, dies ist aber bei natürlichen Personen als Parteien auch nicht anders.

Bereits das OLG hatte die ersatzweise angeordnete Ordnungshaft aufgehoben. Dies geschah zu Recht, da das Gesetz die Anordnung von ersatzweiser Ordnungshaft gegen die nicht erschienene Partei schlichtweg nicht vorsieht. Ordnungshaft kann allerdings gegen Zeugen verhängt werden (§ 380 ZPO). Die weiteren Voraussetzungen sowie das Verfahren richten sich nach Art. 5 ff. EGStGB. Danach darf das Ordnungsgeld zwischen 5 und 1.000 € betragen. Im Verhältnis zu vielen juristischen Personen wirken diese Beträge mehr als lächerlich.

Kommentar: Eigentlich ist all dies nicht mehr zeitgemäß. Der Gesetzgeber sollte vielmehr den Gerichten mehr Möglichkeiten geben, das Erscheinen von Organen juristischer Personen vor Gericht mit Sanktionen zu erzwingen, die diesen Namen auch wirklich verdienen. So besteht die Gefahr, dass gerade diejenigen über die Justiz lachen, die sie auch sonst nicht ernst nehmen, weil sie meinen, sich dies schlichtweg leisten bzw. einkaufen zu können. Aber mit derartigen „Trivialitäten“ wird sich der Gesetzgeber sicherlich nicht befassen wollen.

Vertiefungshinweis: Ausführlich zum Ordnungsgeld zuletzt Zapf MDR 2017, 554.

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Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung ist nicht vererblich
Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 261/16

Der VI. Zivilsenat entwickelt seine Rechtsprechung zur Nichtvererblichkeit von Ansprüchen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts fort.

Der ursprüngliche Kläger war wegen vielfacher Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Treblinka angeklagt. Der Beklagte berichtete in den Jahren 2010 und 2011 in einem Internetportal laufend über das anhängige Verfahren unter voller Namensnennung. Mit einer im November 2011 zugestellten Klage nahm ihn der Kläger wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts auf Zahlung einer Geldentschädigung in Anspruch. Im März 2012 verstarb der Kläger. Seine Witwe führte den Rechtsstreit fort. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Witwe zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Ansprüche auf Geldausgleich wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ungeachtet der Aufhebung von § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. nicht vererblich sind, und entscheidet nunmehr, dass dies auch dann gilt, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtshängig ist.

Praxistipp: Vor einer Erledigungserklärung sollte sorgfältig geprüft werden, ob der Anspruch auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder auf einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit beruht. Im zuletzt genannten Fall ist der Anspruch vererblich – unabhängig davon, ob er bereits rechtshängig war.

Unterwerfung des Mieters unter die sofortige Zwangsvollstreckung
Urteil vom 14. Juni 2017 – VIII ZR 76/16

Eine strenge Ausgestaltung eines Mietvertrags billigt der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte eine Wohnung an eine GmbH und deren Geschäftsführer vermietet. Beide Mieter hatten sich entsprechend einer im Mietvertrag vorgesehenen Verpflichtung in notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Miete unterworfen. Nach Beendigung des Mietverhältnisses betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde. Die daraufhin erhobene Vollstreckungsgegenklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die Zwangsvollstreckung hingegen für unzulässig.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her. Er lässt offen, ob es sich um ein Mietverhältnis über Wohnraum handelt, und hält die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung auch für einen solchen Mietvertrag für zulässig. Unerheblich ist auch, ob der Mieter eine Kaution geleistet hat. Die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ist nicht als Sicherheitsleistung im Sinne von § 551 Abs. 1 BGB anzusehen und deshalb bei der Prüfung, ob die danach geltende Höchstgrenze überschritten ist, nicht zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 138 sieht der BGH im Streitfall als nicht gegeben an.

Praxistipp: Um unnötige Streitigkeiten über die Wirksamkeit der notariellen Unterwerfungserklärung zu vermeiden, sollte in diese die Klarstellung aufgenommen werden, dass eine Umkehr der Beweislast nicht eintreten soll.

Mietstreitigkeit mit dem früheren Schwiegersohn als Familiensache
Beschluss vom 12. Juli 2017 – XII ZB 40/17

Dass die Zuständigkeit für sonstige Familiensachen durchaus weit sein kann, zeigt eine Entscheidung des XII. Zivilsenats.

Die Kläger hatten eine Wohnung an ihre Tochter und deren Ehemann vermietet. Im Jahr 2011 trennten sich die Ehegatten, der Ehemann zog aus der Wohnung aus. Die Kläger nahmen den Ehemann später auf Zahlung der Miete für März 2012 bis Januar 2016 in Anspruch. Der Beklagte rügte unter anderem die funktionelle Zuständigkeit der Zivilabteilung. Das AG erklärte den Zivilrechtsweg für zulässig. Die sofortige Beschwerde des Beklagten blieb erfolglos.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das Familiengericht. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach Mietstreitigkeiten zwischen (geschiedenen) Ehegatten als Streitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG anzusehen sein können, und entscheidet nunmehr, dass dies auch für Mietstreitigkeiten zwischen einem Ehegatten und dessen (ehemaligen) Schwiegereltern gilt. Im Streitfall bejaht er den erforderlichen Zusammenhang, weil das Bestehen der Ehe für den Abschluss des Mietvertrags ausschlaggebend gewesen war, der trennungsbedingte Auszug des Beklagten die Ursache für die geltend gemachten Mietforderungen bildet, und die Kläger nicht widerlegt haben, dass die Klage eine Reaktion auf die zerrissene Familiensituation darstellt.

Praxistipp: Wenn Zweifel an der Zuständigkeit bestehen, sollten beide Parteien darauf bedacht sein, eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 1 oder 2 GVG herbeizuführen, damit diese Frage verbindlich geklärt ist. Nach § 17a Abs. 6 GVG ist eine solche Vorabentscheidung nicht nur im Verhältnis zwischen Gerichten unterschiedlicher Rechtswege zulässig, sondern auch im Verhältnis zwischen den Spruchkörpern für Zivilsachen, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

BGH zum absoluten Revisionsgrund der nicht ordnungsgemäßen Vertretung

Die Parteien gingen gegeneinander mit Klage und Widerklage vor. Das OLG verhandelte über den Rechtsstreit am 23.4.2014. Dabei war unbekannt, dass über das Vermögen der Klägerin, eine juristische Person nach dem Recht des Großherzogtums Luxemburg, bereits am 26.8.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war.

Die Beklagte, die teilweise unterlegen gewesen war, möchte nun die Zulassung der vom OLG nicht zugelassenen Revision erreichen und beruft sich auf § 547 Nr. 4 ZPO, den absoluten Revisionsgrund der nicht gesetzlichen Vertretung einer Partei. Dieser Gedanke hat natürlich einiges für sich: Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahren werden die ursprünglichen Organe der Klägerin sicherlich auch nach dem Recht des Großherzogtums Luxemburg ihre Vertretungsbefugnis verloren haben und ein Verwalter wird das Sagen haben.

Obwohl wegen der Unterbrechungswirkung gar nicht hätte verhandelt und entschieden werden dürfen, ist das Urteil nicht nichtig, sondern mit den üblichen Rechtsmitteln anfechtbar. Demgemäß liegt grundsätzlich ein absoluter Revisionsgrund vor. In einem solchen Fall ist regelmäßig auch eine Zulassung der Revision geboten, schon um eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Gestalt einer Nichtigkeitsklage zu verhindern.

All dies gilt aber nur dann, wenn der absolute Revisionsgrund der nicht ordnungsgemäßen Vertretung auch von dem Gegner der betroffenen Partei geltend gemacht werden kann! Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Rahmen der Nichtigkeitsklage wegen nicht ordnungsgemäßer Vertretung hat der BGH bereits entschieden, dass die Klage nur von der Partei erhoben werden darf, die nicht ordnungsgemäß vertreten war (BGHZ 63, 78 = BGH MDR 1975, 44). Für den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO gilt dasselbe. Die Vorschrift bezweckt nur den Schutz des Beteiligten, der nicht ordnungsgemäß vertreten war. Nur dieser kann auch die Prozessführung genehmigen. Ansonsten könnte der nicht ordnungsgemäß Vertretene einem Revisionsverfahren des Gegners jederzeit die Grundlage entziehen, indem er die Prozessführung genehmigt.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Missachtung der Unterbrechungswirkung des § 249 ZPO jede Partei geltend machen kann. Dies folgt aber daraus, dass im Rahmen einer zulässigen Revision dieser Gesichtspunkt ohnehin von Amts wegen zu prüfen ist. Diese Prüfung erfolgt aber erst dann, wenn die Revision statthaft, mithin zugelassen ist. Dies war aber hier nicht der Fall. Damit wird die Revision nicht zugelassen.

BGH, Beschl. v. 22.12.2016 – IX ZR 259/15, MDR 2017, 538

Montagsblog: Neues vom BGH

Kein spektakulärer Anlass, aber dennoch bemerkenswert:
Dies ist Montagsblog Nr. 50!

Alternative ärztliche Behandlungsmethoden
Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 203/16

Mit einer nicht alltäglichen Methode der Zahnbehandlung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Zahnarzt wirbt in seinem Internetauftritt und in Vorträgen für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer. Bei der Klägerin diagnostizierte er ein „mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften … bis in den Unterleib“. Entsprechend seiner Empfehlung ließ sich die Klägerin zunächst vier Zähne (14 bis 17) im rechten Oberkiefer entfernen und den gesamten Kieferknochen „gründlich“ ausfräsen. Nachdem Schwierigkeiten mit der verordneten Prothese aufgetreten waren, brach die Klägerin die Behandlung ab. Ihre Klage auf Rückzahlung des Honorars, Ersatz der Kosten für Folgebehandlungen und Zahlung eines Schmerzensgeldes war in den ersten beiden Instanzen überwiegend erfolgreich.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach die Anwendung von nicht allgemein anerkannten Therapieformen grundsätzlich erlaubt ist. Zugleich betont er, dass sich der Arzt nur dann für eine solche Behandlung entscheiden darf, wenn er die Vor- und Nachteile sorgfältig und gewissenhaft abgewogen hat. Die Beurteilung dieser Frage durch die Vorinstanzen hält der BGH für unzureichend, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht über Erfahrungen mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis verfügte.

Praxistipp: Die Parteien sollten im eigenen Interesse darauf hinwirken, dass das Gericht die ausreichende Qualifikation des Sachverständigen schon vor Erteilung des Gutachtenauftrags umfassend prüft.

Verkehrssicherungspflicht nach vorzeitiger Besitzeinweisung
Urteil vom 13. Juni 2017 – VI ZR 395/16

Mit den Grenzen der Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Das Auto des Klägers wurde durch einen herabfallenden Ast beschädigt. Deshalb nahm er die Beklagte, die damals noch Eigentümerin des ursächlichen Grundstücks war, auf Schadensersatz in Anspruch. Schon geraume Zeit vor dem Unfall war der Beklagten im Rahmen eines fernstraßenrechtlichen Enteignungsverfahrens der Besitz an dem Grundstück durch vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG entzogen worden. Das LG verurteilte die Beklagte dennoch im Wesentlichen antragsgemäß. Das OLG wies die Klage hingegen ab.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Beklagte mit der vorzeitigen Besitzeinweisung die Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück verloren hatte und deshalb im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr die Verkehrssicherungspflicht trug.

Praxistipp: Um die Verjährung von Ansprüchen gegen weitere als Schuldner in Betracht kommende Personen zu verhindern, muss diesen rechtzeitig der Streit verkündet werden.