Montagsblog: Neues vom BGH

Divergenz innerhalb eines Oberlandesgerichts
Beschluss vom 15. August 2017 – X ARZ 204/17

Eine Detailfrage zur Vorlagepflicht im Verfahren zur Gerichtstandbestimmung nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheidet der X. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten auf der Grundlage des Anfechtungsgesetzes auf Duldung der Zwangsvollstreckung in zwei Grundstücke in Anspruch. Das zuerst angerufene LG am Sitz der Beklagten erklärte sich für unzuständig, weil es den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand des § 24 ZPO für einschlägig hielt, und verwies die Sache auf Antrag der Kläger an das nach dieser Vorschrift zuständige LG. Dieses hielt § 24 ZPO für nicht einschlägig und ersuchte das OLG Hamm um Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Das OLG hielt § 24 ZPO ebenfalls für nicht einschlägig und die abweichende Auffassung des zuerst angerufenen LG mangels detaillierter Begründung für willkürlich, sah sich aber an einer Zuständigkeitsbestimmung gehindert, weil ein anderer Zivilsenat desselben OLG in einer früheren Entscheidung § 24 ZPO in einer vergleichbaren Konstellation für einschlägig erachtet hatte.

Der BGH entscheidet, dass weiterhin das LG zuständig ist, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde. Er hält die Vorlage der Sache durch das OLG für zulässig, obwohl der Wortlaut des § 36 Abs. 3 ZPO hierfür eine Abweichung von der Entscheidung eines anderen OLG vorsieht. Der Sinn und Zweck der Vorschrift erfordert eine Vorlage auch bei drohender Divergenz innerhalb eines OLG. Die vom zuerst angerufenen LG ausgesprochene Verweisung beurteilt der BGH als inhaltlich unzutreffend, weil eine auf das Anfechtungsgesetz gestützte Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung keine Klage ist, durch die das Eigentum oder eine dingliche Belastung geltend gemacht wird. Dennoch hält der BGH die Verweisung für wirksam. Das verweisende LG hat seine Auffassung zwar nur kurz begründet, aber erkennen lassen, dass es der damals veröffentlichten OLG-Rechtsprechung folgen wollte; dies kann nicht als willkürlich angesehen werden.

Praxistipp: Wenn der BGH das im Rechtszug zunächst höhere Gericht im Sinne von § 36 Abs. 1 ZPO ist, hat an dessen Stelle nach § 36 Abs. 2 ZPO das OLG zu entscheiden, zu dessen Bezirk das mit der Sache zuerst befasste Gericht gehört. Der BGH kann in solchen Sachen nur aufgrund einer Divergenzvorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheiden. Diese Regelung gilt seit 01.04.1998, wird in der Praxis dennoch mitunter übersehen.

Möglichkeit des Rechtswegrüge nach § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG

Mit einer sehr interessanten Möglichkeit zur Verzögerung von Verfahren beschäftigt sich das LG Köln (Urt. v. 9.11.2016 – 13 S 37/16) in einer Entscheidung, die der Begriffsjurisprudenz wieder zu einem unerwarteten Sieg verholfen hat.

Der Beklagte war ins Ausland verzogen. Nachdem er dann wegen eines Geschehens (er hatte ein Auto gemietet), das sich noch zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes hier ereignet hatte, auch hier verklagt wurde, rügte er den von der Klägerin beschrittenen Rechtsweg. § 17a Abs. 3 GVG lautet nun in der Tat wie folgt: „Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt“.

Das AG hatte nicht vorab entschieden, sondern ein Versäumnisurteil erlassen, anschließend dann auch ein zweites Versäumnisurteil. Dieses hob das LG Köln auf die Berufung des Beklagten hin auf und verwies den Rechtsstreit zurück, da das AG gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verstoßen habe. Vom Wortlaut her ist diese Entscheidung natürlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hatte die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Das AG hätte durch Beschluss vorab entscheiden müssen. Dieser Beschluss wäre gemäß § 17a Abs. 4 GVG dann auch noch im Wege der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewesen. Das Verfahren hätte sich – mindestens – um drei Monate verzögert, je nach Belastung der Spruchkörper und Geschäftsstellen sogar noch deutlich länger.

Es besteht aber – wie auch das LG Köln in der Entscheidung selbst ausführt (!) – Einigkeit darüber, dass die Rechtswegrüge im hier zu beurteilenden Fall schlichtweg abwegig ist. Bestenfalls geht es vorliegend um eine Frage der internationalen Zuständigkeit, die aber auch eher trivial ist, weil der Beklagte erst nach dem Entstehen der Streitigkeit und Abschluss des maßgeblichen Lebenssachverhaltens ins Ausland verzogen war und vorher hier gewohnt hatte.

Hier hätte es sich wirklich angeboten, „klassisch“ nach dem Sinn und Zweck des § 17a Abs. 3 GVG zu fragen und die Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nicht anwendbar ist, wenn die Rechtwegrüge ersichtlich abwegig ist. Alles andere ist eine Einladung an die immer zahlreicher werdenden Querulanten, den Justizorganen durch immer neue sinnlose Eingaben und Rechtsmittel ihre Tätigkeit zu erschweren und damit zu verhindern, dass andere Personen zeitnahe zu ihrem Recht kommen können. Solches Vorgehen sollte die obergerichtliche Rechtsprechung nicht durch begriffsjuristische Argumentationen unterstützen.

Der Staat zahlt jetzt auch für Schmerzen

In einer Grundsatzentscheidung (Urt. v. 7.9.2017 – III ZR 71/17) hat der BGH festgestellt, dass der Anspruch auf Entschädigung für rechtmäßige hoheitliche Eingriffe in Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (Aufopferungsanspruch) auch ein Schmerzensgeld umfasst.

Die Vorinstanzen waren noch anderer Ansicht und hatten sich dazu auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1956 (BGHZ 20, 61) berufen. Der Kläger wollte das so nicht hinnehmen: Bei der Jagd nach einem flüchtigen Verdächtigen, der einen Schuss aus einen fahrenden Pkw abgegeben hatte, hatten Polizeibeamte ihn für den Täter gehalten. Sie hatten ihn im Rahmen der Feststellung der Identität zur Eigensicherung zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert. Der Kläger war dabei an der Schulter verletzt worden. Für die erlittenen Schmerzen sprach der BGH ihm ein Schmerzensgeld zu. Die polizeilichen Maßnahmen seinen zwar rechtmäßig gewesen, Vermögensschäden wären deshalb nach dem allgemeinen Aufopferungsanspruch auszugleichen; aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers, die durch die Streichung des § 847 BGB a. F. und durch die Neufassung des § 253 BGB im 2. Gesetz zur Änderung schadenersatzrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 2002 ihren Ausdruck gefunden hat, müsste aber nun auch der allgemeine Aufopferungsanspruch auf Nicht-Vermögensschäden erweitert werden.

Diese Entscheidung des BGH ist konsequent. § 253 Abs. 2 BGB sieht nun generell vor, dass bei einer Körperverletzung auch für Nicht-Vermögensschäden Ersatz zu leisten ist. Auch § 11 S. 2 StVG sieht für Verkehrsunfälle eine parallele Regelung vor.

Dem kann sich auch der allgemeine Aufopferungsanspruch nicht entziehen. Dieser Anspruch stellt einen der Säulen staatlicher Ersatzleistungen dar und greift speziell bei Eingriffen in nicht-vermögenswerte Rechte – also Leben, Gesundheit, Freiheit – durch staatliche Instanzen. Der Aufopferungsanspruch fand ursprünglich im Preußischen Allgemeinen Landrecht (§§ 74, 75 Einl. ALR) seinen Ausdruck, gilt aber als Gewohnheitsrecht – und zwar im Rang von Verfassungsrecht- weiter. Der einfache Gesetzgeber kann ihn zwar damit nicht beseitigen, wohl aber näher ausgestalten (siehe dazu Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Auflage, 2011, § 28 Rn. 1).  Hätte der Bundesgesetzgeber den Aufopferungsanspruch als geschriebenes Recht geregelt, hätte er ihm wohl auch auf den Ausgleich für erlittene Schmerzen erstreckt.

Eine solche (mittelbare) Form der Ausgestaltung und Modernisierung des gewohnheitsrechtlich geregelten Anspruchs erblickt der BGH deshalb zu Recht in der grundsätzlichen – und gesetzesübergreifenden – Entscheidung des Gesetzgebers, dem immateriellen Schaden bei Körperverletzungen entschädigungswerten Stellenwert zukommen zu lassen. Das ist auch Ausdruck einer grundsätzlichen Tendenz, Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit oder persönlicher Rechtsgüter vermögenswerten Stellenwert zukommen zu lassen.

BGH: Bei Wetlease haftet Vertragspartner auf Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung

Der Zeitpunkt der Entscheidung könnte besser nicht passen: Nachdem im aktuellen Trubel um Air Berlin gestern und heute eine Vielzahl von Flügen gestrichen wurden, befanden sich auch viele Fluggäste unter den Betroffenen, die ihren Flug eigentlich bei Eurowings gebucht haben. Deren Flüge sollte zu großen Teilen im sogenannten Wetlease-Verfahren von Air Berlin durchgeführt werden.

Nach der Europäischen Fluggastrechteverordnung 261/2004 ist Schuldner der dortigen Leistungen, insbesondere der in vielen Fällen zu zahlenden Entschädigung, die ausführende Airline. Wie ist dies nun beim Wetleaseverfahren, bei dem Crew und Fluggerät von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden?

Der BGH geht davon aus, dass sämtliche Pflichten hier nicht das Luftfahrtunternehmen, dessen Flugzeug und Besatzung aufgrund der „Wet-Lease-Vereinbarung“ eingesetzt wurden treffen, sondern das in dem Fall beklagte Luftfahrtunternehmen treffen.

Bei einem – vermutlich seit gestern laufenden- wilden Streik liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor (beispielsweise AG Erding, 20.03.2017 – 13 C 3778/16), sodass Eurowings auch für „operated by Air Berlin“-Flüge, die derzeit annuliert werden, auf Entschädigungsleistungen haften dürfte, sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind.

BGH Urteile vom 12. September 2017 Az.: X ZR 102/16 und X ZR 106/16 Link zur Pressemitteilung

Unzulässigkeit der Berufung nach § 45 GKG ?

Zu seiner Entscheidung vom 27.07.2017 – III ZB 37/16 – hat der BGH folgenden Leitsatz veröffentlicht: „Der Wert der Beschwer ist nach § 45 Abs. 1 GKG zu bemessen, wenn die von einer beklagten Partei gestellten Hilfsanträge, eine Verurteilung nur Zug-um-Zug gegen bestimmte Leistungen auszusprechen, unzutreffend als Hilfswiderklage angesehen werden und diese abgewiesen wird.“

Bei der Abfassung ist dem BGH wohl ein kleiner Fehler unterlaufen. In der Entscheidung ging es um die Unzulässigkeit der Berufung wegen Nichterreichens der Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 ZPO. Zutreffend hat der BGH den Wert der Beschwer auch nur anhand der Wertvorschriften der ZPO (hier §§ 2, 3, 5) beurteilt. § 45 GKG wird in der Entscheidung gar nicht angesprochen.

Die GKG-Streitwertvorschriften betreffen nämlich nur den Streitwert für die Gebühren.

 

 

 

 

Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO bei Abweichen von Rechtsprechung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts

Der BGH hat entschieden, dass § 36 Abs. 3 ZPO auch für beabsichtigte Abweichungen von der Rechtsauffassung eines anderen Senats desselben OLGs gelte (BGH v. 15.08.2017 – X ARZ 204/17).

Soweit § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO auf die Abweichung von einer Entscheidung „eines anderen“ Oberlandesgerichts abstelle, liege darin nach der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrem Sinn und Zweck keine abschließende Regelung ihres Anwendungsbereichs. Die Zwecksetzung der Regelung gebiete es, die Entscheidung einer in der Rechtsprechung umstrittenen Rechtsfrage durch den BGH in allen Konstellationen zu ermöglichen, in denen dies nach § 36 ZPO a.F. bereits der Fall gewesen sei. Hierzu gehöre auch der Fall, dass eine Rechtsfrage zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts umstritten sei.

Montagsblog: Neues vom BGH

Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren
Beschluss vom 10. August 2017 – III ZA 42/16

Eine grundlegende Frage des Prozesskostenhilferechts behandelt der III. Zivilsenat in einem eher ungewöhnlichen Fall.

Der Antragsteller verlangte vom Antragsgegner nach der Verbüßung einer Freiheitsstrafe Entschädigungsleistungen nach dem Strafentschädigungsgesetz. Die Staatsanwaltschaft lehnte das Begehren ab. Daraufhin begehrte der Antragsteller Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren zur Geltendmachung einer Forderung in Höhe von 400 Millionen Euro. Der Antrag blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH weist den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren über die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde zurück. Mit der einhelligen Auffassung in der Literatur hält er die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für ein Mahnverfahren – beschränkt auf dieses – für zulässig. Mit den Vorinstanzen ist er indes der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 114 ZPO im Streitfall nicht erfüllt sind. Dabei lässt er offen, ob es schon deshalb an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt, weil der Antragsgegner für den Fall des Erlasses des Mahnbescheids bereits einen Widerspruch angekündigt hatte. Er sieht die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls als mutwillig an, weil es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass eine Forderung in der geltend gemachten Größenordnung bestehen könnte.

Praxistipp: Wenn das Beschwerdegericht in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, steht dem Rechtsbeschwerdeführer unter den Voraussetzungen des § 114 ZPO Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem BGH zu.

OLG Frankfurt: Youtube muss E-Mail Adresse von Nutzern nach Urheberrechtsverletzung herausgegeben

Wurden Abmahnungen per E-Mail bisher in der Regel als unecht abgestempelt, insbesondere wenn der Empfänger nicht namentlich benannt wird, könnte sich das nun ändern:

Das OLG Frankfurt a. M. hat Youtube zur Herausgabe der E-Mail-Adresse eines Nutzers verurteilt, der urherberechtsverletzende Inhalte auf Youtube einstellt. Gestützt wurde die Klage auf § 101 Abs. 2 Nr. 3 UrhG aufgrund der gewerbsmäßigen Bereitstellung der Youtube-Plattform. Die Herausgabe von IP-Adresse und Telefonnummer seien jedoch nicht beauskunften, da beide Angaben nicht unter den Begriff der Adresse in § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG fallen.

Die Abmahnung, die dann per E-Mail versendet wird, dürfte dann nicht „unecht“ sein. In der Praxis dürfte diese Entscheidung aber trotzdem einen äußert geringen Wert haben: Alleine mit dem Erhalt der E-Mail-Adresse dürfte es schwierig werden, den Verletzer ausfindig zu machen, da insbesondere kein Auskunftsanspruch gegen den Betreiber des E-Mail-Dienstes, wie z.B. GMX bestehen dürfte. Zudem bieten immer mehr Dienstleister anonyme Wegwerf-Adressen an, die eine Rechtsverfolgung weiter erschweren. Ausnahmen dürften Adressen wie Vorname.Nachname@arbeitgeber.de sein. Wenn auch eine per E-Mail versandte Abmahnung grundsätzlich wirksam ist, dürften keine weiteren Schritten, insbesondere keine einstweilige Verfügung oder Klage folgen.

OLG Frankfurt a.M. Urteil vom 22. August 2017, Az. 11 U 71/16, Link zur Pressemitteilung

LG Berlin: (Bregrenzte) Haftung des Tor-Exit-Node Betreibers für Urheberrechtsverletzungen

Das TOR-Netzwerk ermöglicht es den Nutzern, weitgehend anonym im Internet zu surfen. Der gesamte Datenverkehr wird dabei über einige sogenannte Exit-Nodes abgewickelt, Personen die ihren Internetanschluss hierfür unentgeltlich bereitstellen (weiter zum technischen Hintergrund). Für Dritte sieht es so aus, als habe dieser Anschlussinhaber gehandelt.

Über einen solchen TOR- Exit-Node wurde nun eine Urheberrechtsverletzung begangen, für die der Anschlussinhaber auf Unterlassung und Erstattung der Kosten der anwaltlichen Vertretung in Anspruch genommen wurde. Das Landgericht Berlin geht davon aus, dass eine Haftung als Störer in Frage kommt, wobei die Störerhaftung hier erst dadurch begründet wurde, dass mehrere Urheberrechtsverletzung durch Abmahnungen dem Anschlussinhaber bekannt wurden, dieser aber nicht handelte (z.B.  bestimmte Datenpakete sperrte).

Die Rechtsprechung ist gut nachvollziehbar und auch durchaus zu begrüßen: Exit-Node-Betreiber geraten erst dann in Probleme, wenn ihnen bekannt wird (werden muss), dass rechtswidrige Dinge über ihren Anschluss ablaufen. Exit-Nodes zu betreiben ist daher zunächst einmal unproblematisch, wenn im Falle von bekannt gewordenen Rechtsverletzungen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, Rechtsverletzungen einzudämmen, z. B. durch eine Exit Policy (ein Beispiel hierfür findet sich hier)

Exkurs

Wie sich diese Rechtsprechung mit der teilweise extrem urheberfreundlichen Rechtsprechung zur Haftung von Wlan-Betreibern in Übereinstimmung bringen lässt, ist nicht zu erklären. Jüngst hat das LG München I basierend auf einer Entscheidung des EuGH angenommen, dass ein Passwortschutz in einem Wlan vorhanden sein müsse, wobei das Passwort erst nach Identifikation des Nutzers herausgegeben werden dürfe. Das Gericht führt hierzu aus:

„Dabei hat der EuGH festgestellt, dass die Verpflichtung zur Passwortsicherung hinreichend wirksam ist, wenn die Nutzer des WLAN-Anschlusses gleichzeitig ihre Identität offenbaren müssen, wenn sie das Passwort zu erhalten wollen (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 96 – McFadden/Sony Music). Denn es reicht aus, dass die getroffenen Maßnahmen bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände zumindest erschwert werden (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 95 – McFadden/Sony Music). Passwortsicherung mit Identitätsfeststellung ist auch verhältnismäßig (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 91 – McFadden/Sony Music).“
(LG München I Endurteil v. 20.4.2017 – 7 O 14719/12)

Wie ein Passwortschutz mit vorheriger Identifikationspflicht Rechtsverletzungen erschweren soll, dafür hat der EuGH keine Antwort.  Gerade bei einem öffentlichen Wlan ist es naheliegend, dass viele Nutzer gleichzeitig unter einer öffentlichen (= ermittelbaren) IP-Adresse im Internet surfen. Was bringt es Rechteinhabern, im Falle einer festgestellten Urheberrechtsverletzung eine Liste von beispielsweise 20 oder 30 zu dem Zeitpunkt im Wlan verweilenden Gästen zu erhalten? Es stellt sich hier schon die Frage, ob eine Übermittlung der Nutzerdaten überhaupt rechtskonform wäre. Diese Hürde dürfte das Eigentum der Urheber nur äußerst begrenzt schützen, schränkt aber Wlan-willige Bürger massiv ein.

LG Berlin, Urt. v. 13.6.201716 O 270/16

OLG Oldenburg: Unsachgemäßer Reifentransport, bedenkenloses Öffnen des Kofferraums und ein Schaden an der Garage

Über einen etwas kuriosen Fall hatte neulich das OLG Oldenburg (Urt. v. 31.5.2017 – 9 U 21/17) zu befinden: Der Kläger hatte bei der Beklagten seine Autoreifen wechseln lassen. Die aufzuziehenden Reifen hatte der Kläger waagrecht in sein Auto gelegt. Der Monteur der Beklagten klappte nach dem Reifenwechsel die rückwärtige Sitzbank um, stellte die abgenommenen Reifen jedoch aufrecht (!) hinten in den Wagen. Der Kläger fuhr dann zu Hause rückwärts in seine abschüssige Garageneinfahrt. Als er vor dem Garagentor stand, öffnete er vom Fahrersitz aus die Heckklappe. Daraufhin rollten die Reifen aus dem Auto heraus verursachten an dem Garagentor einen Schaden in Höhe von 6.000 €.

Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, der Monteur der Beklagten habe durch eine solche Verladung der Reifen einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, die die Beklagte zum Schadensersatz verpflichte. Wegen der verdunkelten Scheiben seines Autos habe er nicht sehen können, dass die Reifen aufrecht gestanden hätten. Das OLG Oldenburg vermochte dieser Sicht der Dinge allerdings nicht zu folgen. Es hielt dem Kläger jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden vor. Er sei alleine für den Schaden verantwortlich, da er die Heckklappe ohne jegliche Prüfung geöffnet habe.

Hier gilt wie bei so vielen Alltagsfällen, die man oftmals mit einem gewissen Schmunzeln zur Kenntnis nimmt: So viele Juristen damit befasst sind, so viele Lösungen werden aufgeworfen werden. Die erfolgte Verladung der Reifen stellte mit Sicherheit eine Pflichtverletzung aus dem Werkvertrag dar. Eine derartige Verladung ist ungewöhnlich und ersichtlich gefährlich, da sich die Reifen stehend viel leichter bewegen können als liegend und damit zu eine Gefahr werden können. Die Tatsache, dass der Kläger – auch noch auf einer abschüssigen Strecke – und ohne besondere Kontrolle die Heckklappe geöffnet hat, ist als Mitverschulden berücksichtigungsfähig. Dieser Sichtweise würden sicher die meisten Juristen (und auch Nichtjuristen) zustimmen.

Hinweis: Aber überwiegt hier der Haftungsanteil des Klägers so stark, dass die Pflichtverletzung der Beklagten wirklich unberücksichtigt bleiben darf? Schon vor einigen Jahren hatte das AG München zwar entschieden, dass derjenige, der eine Heckklappe ohne Prüfung öffnet, regelmäßig alleine haftet (Urt. v. 9.11.2011 – 262 C 20120/11). Allerdings gilt ansonsten der Grundsatz, dass der Schaden zu teilen ist, wenn beide Parteien (grob) fahrlässig gehandelt haben. Aber vielleicht ist die Entscheidung des OLG Oldenburg doch ein erster Schritt in die Richtung „Mehr Eigenverantwortung bei beiderseitigen Pflichtverletzungen“. Nicht immer ist es tatsächlich angemessen, eine andere Person für einen eingetretenen Schaden verantwortlich zu machen, den man selbst ohne weiteres durch ein wenig Achtsamkeit hätte verhindern können.