Montagsblog: Neues vom BGH

Mit der rechtlichen Möglichkeit einer dauerhaften Vermietung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Wohnungsmietvertrag mit dauerhaften Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung
Urteil vom 8. Mai 2018 – VIII ZR 200/17

Der VIII Zivilsenat lässt einen dauerhaften Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung eines Wohnungsmietvertrags grundsätzlich zu.

Die Rechtsvorgänger des Klägers hatten an die Beklagten eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus vermietet. In dem Mietvertragsformular hatten die Vertragsparteien eine Klausel angekreuzt, wonach beide Parteien nicht berechtigt sind, das Vertragsverhältnis ordnungsgemäß zu kündigen. Die im Formulartext enthaltene Passage, wonach dies nur für die ersten vier Jahre gilt, hatten sie durchgestrichen. Zwei Jahre später erwarb der Kläger das Anwesen. Er kündigte den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs. Seine Räumungsklage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten zur Räumung.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Dieses hat Vortrag der Beklagten übergangen, aus dem sich ergibt, dass die Vereinbarung über den Ausschluss des Kündigungsrechts individuell vereinbart wurde. Die Entscheidung des LG, das in der Klausel eine unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung gesehen hat, kann deshalb keinen Bestand haben. In einer Individualabrede kann das Recht zur ordentlichen Kündigung eines Wohnungsmietvertrags grundsätzlich dauerhaft ausgeschlossen werden. Eine Grenze bildet lediglich § 138 BGB. Nicht abschließend entschieden hat der BGH die Frage, ob entsprechend § 544 BGB nach Ablauf von dreißig Jahren eine außerordentliche Kündigung zulässig ist.

Praxistipp: Wenn die Wirksamkeit einer Vereinbarung davon abhängt, ob sie als Individualvereinbarung oder als Allgemeine Geschäftsbedingung einzustufen ist, sollte die begünstigte Partei die Umstände, die für eine Individualvereinbarung sprechen, möglichst umfassend vortragen und unter Beweis stellen.

EuGH: Fanseiten-Betreiber auf Facebook für Datenschutz mitverantwortlich

Hat der EuGH heute das Ende (eines nicht unerheblichen Teils) des Internets verkündet?

In einem heute vom EuGH entschiedenen Vorabentscheidungsverfahren ging es um ein Einschreiten der Datenschutzaufsichtsbehörde des Landes Schleswig-Holstein gegen die Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein. Anlass war eine Verfügung, wonach die Facebook-Fanpage der Wirtschaftsakademie zu schließen sein sollte.

Der Seitenbetreiber erhält über das Tool „Facebook Insight“ statistische Daten zu den Seitenbesuchern, die mit einer eindeutigen Benutzerkennung in Cookies erhoben werden.

Die Abschaltung der Facebook-Seite gegen den Betreiber wurde verfügt, da weder die Wirtschaftsakademie noch Facebook die Besucher der Fanpage darauf hinwies, dass Facebook mittels Cookies sie betreffende personenbezogene Daten erhebt und diese Daten danach verarbeitet. Das ist das datenschutzrechtliche Grundproblem vieler Internetriesen: Mangelnde Transparenz.

Der Seitenbetreiber wandte ein, nur Facebook sei für diese Datenverarbeitung verantwortlich, was der EuGH jedoch abweichend beurteilte.

Grund hierfür war die Auswertungsmöglichkeit, die Facebook dem Betreiber im Rahmen von Facebook Insights zur Verfügung stellte, woraus sich Angaben zur Zielgruppe in demografischer Hinsicht ergäben. Diese Daten informieren den Seitenbetreiber darüber, wo Werbeaktionen durchzuführen oder Veranstaltungen zu organisieren sind, um das Angebot Zielgruppengerecht auszugestalten.
Und jetzt?

ULD und der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz haben in aktuellen Pressemitteilungen schon zur Sorgsamkeit im Umgang mit social media Präsenzen geraten. Der Ernst der Lage dürfte die sozialen Netzwerke in kurzer Zeit zu Lösungen bewegen. Im Klartext heißt das, was sich aus den Pressemitteilungen ergibt, in rechtlicher Hinsicht: Vorerst nicht weiter nutzen.

EuGH Urt. v. 5. Juni 2018 Az.: C-210/16

Montagsblog: Neues vom BGH

Um den Widerruf eines Prozessvergleichs geht es in dieser Woche.

Nachträgliche Vereinbarung eines Rechts zum Widerruf eines Prozessvergleichs
Urteil vom 19. April 2018 – IX ZR 222/17

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen für den wirksamen Widerruf eines Prozessvergleichs.

Der klagende Insolvenzverwalter nahm die Beklagte im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung erhaltenen Werklohns in Anspruch. Vor dem LG schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Zahlung der Hälfte des Klagebetrags verpflichtete. Der Kläger erhielt das Recht, den Vergleich innerhalb von zwei Wochen durch Schriftsatz an das Gericht zu widerrufen. Nach dem Verhandlungstermin vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte den Vergleich innerhalb eines Monats widerrufen könne. Die Beklagte erklärte innerhalb dieser Frist den Widerruf. Das LG setzte den Rechtsstreit fort und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der vollen Klagesumme. Das OLG stellte hingegen fest, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist.

Die Revision des Klägers bleibt erfolglos. Mit dem OLG hält der BGH die nachträgliche Vereinbarung eines Widerrufsrechts zugunsten der Beklagten für nicht wirksam. Die Parteien können einen Prozessvergleich zwar auch nach dessen Wirksamwerden ändern. Auf die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs hat eine solche Vereinbarung aber keinen Einfluss. Eine bei Abschluss vereinbarte Widerrufsfrist kann allerdings vor deren Ablauf einvernehmlich und ohne Mitwirkung des Gerichts verlängert werden. Durch nachträgliche Vereinbarung zusätzlicher Wirksamkeitserfordernisse kann die prozessbeendigende Wirkung hingegen nur dann abgewendet werden, wenn der Vergleich noch nicht wirksam geworden ist und wenn die Änderungsvereinbarung den formellen Voraussetzungen für einen Prozessvergleich genügt. Im Streitfall konnten die Parteien ohne Mitwirkung des Gerichts deshalb nur die zugunsten des Klägers vereinbarte Widerrufsfrist verlängern, nicht aber ein zusätzliches Widerrufsrecht für die Beklagte begründen.

Praxistipp: Um die aufgezeigten Probleme zu vermeiden, sollte von der Vereinbarung eines nur einseitigen Widerrufsrechts abgesehen werden, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die betroffene Partei es sich anders überlegen könnte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Abwägung zwischen dem Recht auf Rechtsverfolgung oder -verteidigung in staatlich geregelten Verfahren und dem Persönlichkeitsrecht Betroffener geht es in dieser Woche.

Unterlassungsklage eines Dritten gegen Einreichung von Fotos in gerichtlichen und behördlichen Verfahren
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 86/16

Der VI. Zivilsenat setzt die Rechtsprechung fort, wonach Vorbringen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren nur unter engen Voraussetzungen mit einer gesonderten Klage angegriffen werden darf.

Der im Jahr 2002 geborene Kläger lebte bis zu seinem fünften Lebensjahr bei den Großeltern. Ende 2007 verbrachte ihn das zum Vormund bestellte Stadtjugendamt in ein Heim. Die Großeltern waren damit nicht einverstanden und wendeten sich an einen Verein um Hilfe, dessen stellvertretender Vorsitzender der Beklagte war. Dieser erhob Anfang 2009 gegenüber verschiedenen Institutionen den Vorwurf, der Kläger werde im Heim misshandelt. Zum Beleg übersandte er mehrere Fotos, auf denen der Kläger mit Beulen am Kopf sowie Hämatomen an Bauch und Rücken zu sehen war. Zu den Adressaten dieser Schreiben gehörten der Petitionsausschuss der Europäischen Union, das Europäische Parlament, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, der für die Aufsicht über das Heim zuständige Landschaftsverband, ein Landgericht, bei dem zwei für den Vormund tätige Anwälte den Beklagten wegen unzulässiger Veröffentlichung von Schriftsätzen im Internet in Anspruch nahmen, und ein Amtsgericht, bei dem der Kläger vom Beklagten die Erstattung der Kosten für eine Abmahnung wegen unzulässiger Veröffentlichung anderer Fotos im Internet begehrte. Das LG verbot dem Beklagten die weitere Einreichung solcher Fotos hinsichtlich aller sechs Institutionen. Das OLG wies die Klage hinsichtlich des Landschaftsverbands und der beiden Gerichte ab. Dagegen wandte sich die Revision des Klägers.

Der BGH weist die Revision zurück, soweit es um den Landschaftsverband geht. Hinsichtlich der beiden Gerichte stellt er das erstinstanzliche Urteil wieder her. Zur Begründung knüpft er an seine ständige Rechtsprechung an, wonach für eine zivilrechtliche Klage gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Diese Grundsätze gelten mit gewissen Einschränkungen auch insoweit, als ein Dritter betroffen ist, der an dem anderen Verfahren nicht beteiligt ist. Sie sind entsprechend heranzuziehen, wenn es nicht um schriftlichen oder mündlichen Vortrag, sondern um Vorlage von Fotos oder dergleichen geht. Eine Klage ist danach nur dann zulässig, wenn die Fotos der Intimsphäre des Betroffenen zuzuordnen sind oder wenn ihr Inhalt keinen hinreichenden sachlichen Bezug zu dem Verfahren aufweist. Im Streitfall betrafen die Bilder (noch) nicht die Intimsphäre des Klägers. Ihre Weitergabe führte aber zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Privatsphäre. Deshalb muss ein besonders enger sachlicher Bezug zu dem jeweiligen Verfahren bestehen. Diese Voraussetzung war hinsichtlich des Landschaftsverbands gegeben, weil dieser dem Vorwurf der Kindesmisshandlung in dem von ihm beaufsichtigten Heim nachgehen muss. Hinsichtlich der beiden Gerichte fehlte es hingegen an dem erforderlichen Zusammenhang, weil es in den dort anhängigen Verfahren um andere Fotos bzw. Äußerungen ging und der Beklagte die Fotos nicht als Beweismittel für konkreten Sachvortrag benannt, sondern nur pauschal in Bezug genommen hatte.

Praxistipp: Soweit eine Klage nach den aufgezeigten Grundsätzen unzulässig ist, stehen dem Betroffenen auch nach Abschluss des Verfahrens, in dem die Bilder eingereicht wurden, deswegen keine Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz zu.

Versäumung der Berufungsfrist wegen plötzlicher Erkrankung des Anwalts

Über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist infolge plötzlicher Erkrankung des Anwalts hat der BGH entschieden (Beschl. v. 18.1.2018 – V ZB 114/17, MDR 2018, 548):

Eine Berufungsfrist wurde versäumt und hierzu folgendes vorgetragen: Am Abend des letzten Tages der Frist habe Rechtsanwalt P. geplant, zunächst eine Klageschrift in einer anderen Sache zu verfassen und erst alsdann die Berufungsschrift. Gegen 21.30 Uhr sei er dann aber von einer starken, völlig unvermittelten Übelkeit mit heftigem Erbrechen sowie Durchfall erfasst worden. Einen klaren Gedanken habe er nicht mehr fassen können. Er sei dann mit dem PKW 2,5 km nach Hause gefahren und habe schließlich nach mehreren Erkrankungsschüben in der Nacht am nächsten Morgen einen Arzt gerufen.

Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Es hielt die Angaben des P. zwar grundsätzlich für glaubhaft. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wieso P. zunächst die Klageschrift und nicht zuerst die Berufung bearbeitet habe und wieso er nach Hause gefahren sei. Wäre er in der Lage gewesen, nach Hause zu fahren, hätte er auch ohne weiteres die eigentlich nur aus einem Satz bestehende Berufungsschrift fertigen können. Die Fahrt nach Hause sei deutlich schwieriger und komplexer gewesen als das Verfassen und Faxen der Berufungsschrift.

Zunächst ist dazu anzumerken, dass jede Frist nach ständiger Rechtsprechung bis zum Ende ausgenutzt werden darf. Von daher ist es völlig unerheblich, dass P. zunächst die Klageschrift bearbeitet hatte und sich erst danach der Berufungsschrift widmen wollte.

Im Übrigen gilt: Ein maßgeblicher Verstoß gegen Denkgesetze kann dann vorliegen, wenn ein Gericht von einem Erfahrungssatz des täglichen Lebens ausgeht, den es so nicht gibt. Hier war das LG offenbar von einem Erfahrungssatz ausgegangen, der in etwa lautet: Wer mit dem Auto 2,5 km nach Hause fahren kann, kann auch eine Berufungsschrift fertigen und faxen. Dies ist aber so nicht haltbar. Vielmehr ist es ohne weiteres denkbar, dass P. die Heimfahrt nur deswegen unfallfrei geschafft hat, weil ihm die Wegstrecke gut bekannt war. Weiterhin ist es vorliegend mehr als wahrscheinlich, dass P. nur noch das Ziel hatte, irgendwie nach Hause zu kommen, wofür auch spricht, dass er nicht einmal die Beleuchtung in der Kanzlei ausgeschaltet und auch nicht die Computer heruntergefahren hatte.

Fazit: Man muss also bei einer gerichtlichen Beweiswürdigung immer prüfen, ob ihr nicht ein Erfahrungssatz zu Grunde liegt, der bei näherer Betrachtung gar nicht haltbar ist. Wenn die Entscheidung darauf gestützt worden ist, kann sie der Aufhebung unterliegen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Abgrenzung zwischen Miteigentums- und Mietrecht geht es in dieser Woche.

Überlassung von gemeinschaftlichen Räumen an einen Miteigentümer
Urteil vom 25. April 2018 – VIII ZR 176/17

Der VIII. Zivilsenat befasst sich mit der rechtlichen Einordnung eines Vertrags, mit dem einem Miteigentümer gegen Entgelt die alleinige Nutzung einer Wohnung auf dem gemeinschaftlichen Grundstück gestattet wird.

Die klagenden Eheleute bewohnten auf der Grundlage eines im Jahr 2009 geschlossenen Mietvertrags eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das der Klägerin und einigen ihrer Verwandten gemeinschaftlich gehörte. Zum Abschluss des Vertrags verwendeten die Beteiligten ein Formular für einen Wohnungs-Einheitsmietvertrag. Auf Vermieterseite unterschrieben alle Miteigentümer, auf Mieterseite die beiden Kläger. Nach dem Tod eines Miteigentümers erwarb die Beklagte vom Insolvenzverwalter einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Sie vertrat die Auffassung, der Mietvertrag sei ihr gegenüber nicht bindend. Die Kläger begehrten daraufhin die Feststellung, dass das Mietverhältnis bis auf weiteres fortbesteht und insbesondere nicht durch den Erwerb des Miteigentumsanteils durch die Beklagte beendet worden ist. Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.

Der BGH spricht die begehrte Feststellung aus. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht einem wirksamen Abschluss des Vertrags nicht entgegen, dass die Klägerin diesen sowohl als Mieterin als auch als Vermieterin abgeschlossen hat. Etwas anderes gälte nur dann, wenn auf beiden Seiten vollständige Personenidentität bestände. Der danach wirksam geschlossene Vertrag ist rechtlich nicht als bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 745 BGB zu bewerten, sondern – jedenfalls auch – als Wohnungsmietverhältnis. Eine solche Einordnung liegt regelmäßig nahe, wenn einem einzelnen Miteigentümer eine Wohnung gegen Entgelt zur alleinigen Nutzung überlassen wird. Für diese Auslegung spricht im Streitfall zudem, dass der Umfang der eingeräumten Nutzung weit über den Miteigentumsanteil der Klägerin hinausgeht und dass die ursprünglichen Vertragsparteien ein Formular für einen Mietvertrag verwendet haben. Die Einordnung als Mietvertrag führt dazu, dass die Kläger unter dem Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts stehen und dass ein neuer Miteigentümer, der Anteile an dem Grundstück erwirbt, gemäß § 566 Abs. 1 BGB an den Mietvertrag gebunden ist. Eine bloße Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses im Sinne von § 745 BGB ist für einen neuen Miteigentümer gemäß § 1010 BGB hingegen nur bindend, wenn sie im Grundbuch eingetragen ist. Diese Einschränkung gilt im Falle eines Mietvertrags weder für § 566 Abs. 1 BGB noch für andere Vorschriften des Mietrechts.

Praxistipp: An eine Vertragsdauer von mehr als einem Jahr ist der Erwerber nur dann gebunden, wenn der Mietvertrag den Formerfordernissen des § 550 BGB genügt. Ein nicht wirksam befristeter Wohnraummietvertrag kann allerdings nur nach Maßgabe von § 573 BGB gekündigt werden.

BGH lässt Dashcam-Aufnahmen im Zivilprozess zu

Der BGH hat mit Urteil vom 15.5.2018 – VI ZR 133/17 entschieden, dass Dashcam-Aufnahmen grundsätzlich als Beweismittel im Zivilprozess verwertet werden können. Zwar sei eine permanente anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig. Die Rechtwidrigkeit der Beweiserhebung führe aber im Zivilprozess nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot, erforderlich sei vielmehr eine Abwägung der beteiligten Interessen im Einzelfall. Dies führe zu einem Überwiegen der Interessen des Beweisführers in Verbindung mit den Interessen der Allgemeinheit an einer funktionierenden Zivilrechtspflege.

Die Entscheidung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Sie wird zwar dazu führen, dass sich immer mehr Verkehrsteilnehmer eine solche Dashcam zulegen. Es ist wohl auch für einen Laien nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass eine permanente Aufzeichnung auf der einen Seite unzulässig ist und ggfls. zu einem Bußgeld führen kann, auf der anderen Seite entsprechende Aufnahmen aber in zulässiger Weise als Beweismittel dienen können. Dies ist dem Grundsatz geschuldet, dass im Zivilprozess ein Beweisverwertungsverbot nur bei einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht. Dies ist aber bei der Aufzeichnung eines Verkehrsunfallgeschehens gerade nicht der Fall, weil sich jeder Verkehrsteilnehmer freiwillig der Beobachtung und Wahrnehmung durch andere begibt. Auf der anderen Seite gerät ein Unfallbeteiligter nicht selten in eine erhebliche Beweisnot, wenn der Unfallgegner eine vom wirklichen Sachverhalt abweichende Darstellung behauptet oder sogar Unfallflucht begeht. Eine solche Videoaufzeichnung ist für ihn oft die einzige Möglichkeit, eine der wahren Sachlage entsprechende Entscheidung des Gerichts herbei zu führen. Dazu kommt, dass die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiellen – richtigen – Entscheidung wichtige Belange des Gemeinwohls sind. Bei einem Verwertungsverbot würde man den Erlass von unrichtigen, nämlich auf unzutreffender Tatsachengrundlage beruhenden Entscheidungen billigend in Kauf nehmen, was dem Ansehen der Justiz sicherlich nicht förderlich sein dürfte.

Montagsblog: Neues vom BGH

Eine seit Inkrafttreten des HGB im Jahr 1900 in der Literatur umstrittene Frage ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung.

Handelsgeschäft und unerlaubte Handlung
Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 121/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die von einer Mahnung unabhängige Verzinsung nach § 353 HGB auch für Forderungen aus unerlaubter Handlung gilt.

Die Klägerin zu 1 hatte bei der in Italien ansässigen Beklagten zwei Maschinen zum Mischen von Kunststoff gekauft. Knapp acht Jahre nach dem Erwerb kam es zu einem Störfall, bei dem Salzsäure austrat. Dadurch wurden unter anderem technische Einrichtungen des der Klägerin zu 2 gehörenden Fabrikgebäudes beschädigt. Die Klägerin zu 2 verlangte Ersatz der Kosten für die Schadensbeseitigung, Verzugszinsen für den Zeitraum ab der ersten Mahnung und Zinsen gemäß § 353 HGB (in Höhe von rund 112.000 Euro) für den Zeitraum zwischen Schadensentstehung und Mahnung. Die Zinsforderung blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG verurteilte die Beklagte auch insoweit antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache hinsichtlich des Zinsanspruchs an das OLG zurück. Anders als die Vorinstanz hält er § 353 HGB, der bei beiderseitigen Handelsgeschäften eine Verzinsungspflicht ab Fälligkeit vorsieht, für nicht anwendbar, wenn die Hauptforderung auf einer unerlaubten Handlung beruht. Die Gegenauffassung, die die Vorschrift anwenden will, wenn die unerlaubte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft steht, ermöglicht nach seiner Auffassung keine konsequente Abgrenzung. Zudem hält er eine enge Auslegung der Vorschrift auch deshalb für geboten, weil die ihr zugrunde liegende Erwägung, ein Kaufmann werde ihm zustehendes Geld stets nutzbringend anlegen, unter modernen Verhältnissen ohnehin zweifelhaft sei. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu prüfen haben, ob die geltend gemachten Zinsen als eigenständiger Schadensposten zu ersetzen sind, etwa als Finanzierungskosten.

Praxistipp: Eine von einer Mahnung unabhängige Verzinsungspflicht sieht § 849 BGB für den Fall vor, dass wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache Wertersatz zu leisten ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um die Wahrung des rechtlichen Gehörs bei Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens geht es in dieser Woche.

Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts
Urteil vom 9. Januar 2018 – VI ZR 106/17

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den prozessualen Voraussetzungen für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer entscheidungserheblichen Frage.

Die Klägerin nahm den Beklagten nach dem Einsetzen von Zahnimplantaten und einer Kieferbrücke auf Schadensersatz in Anspruch. Sie machte unter anderem geltend, die eingesetzte Brücke sei von ihrer Konstruktion her nicht geeignet gewesen, einen festsitzenden Zahnersatz herzustellen. Zum Beweis dafür bot sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens ein. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, soweit es um Ersatzansprüche wegen der Zahnbrücke geht. Das OLG hat insoweit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass und aus welchem Grund es selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Zu einem diesbezüglichen Hinweis ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn es aufgrund eigener Sachkunde zu der Einschätzung gelangt, dass die Einholung eines Gutachtens nicht geeignet ist, die entscheidungsrelevante Frage zu klären.

Praxistipp: Wenn das Gericht den gebotenen Hinweis erteilt, und die Partei die Darlegungen zur eigenen Sachkunde für nicht ausreichend hält, muss sie entsprechende Rügen noch in der Berufungsinstanz erheben, um einen Rügeverlust in der Revisionsinstanz zu vermeiden.

BVerfG zur Selbsteinhaltung einer vom Gericht gesetzten Frist

Ein etwas merkwürdiges Geschehen war Gegenstands einer Kammerentscheidung des BVerfG (Beschl. v. 7.2.2018 – 2 BvR 549/17) geworden. Das LG war aufgrund vorgelegter Lichtbilder zu der Überzeugung gelangt, dass die Klage begründet sei. Das OLG beabsichtigte, die von der Beklagten eingelegte Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und setzte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.11. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 7.11. ausführlich Stellung genommen hatte, traf das OLG sogleich die angekündigte Entscheidung. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Hauptsächlich wurde gerügt, das OLG hätte die Frist zum 15.11. abwarten müssen.

Die 2. Kammer des zweiten Senates betont zunächst, dass das OLG hier das rechtliche Gehör der Beklagten tatsächlich verletzt hatte! Das Gericht ist dazu verpflichtet, eine selbst gesetzte Frist dann auch einzuhalten, bevor entschieden wird. Allerdings reicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs alleine nicht dafür aus, um eine Entscheidung aufzuheben. Hinzukommen muss die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hier hatte die Beklagte aber nicht dargelegt, was sie in der Frist, die ihr noch zur Verfügung gestanden hätte, noch vorgetragen hätte und welche Folgen dies für die Entscheidung hätte haben können. So bleibt die Verfassungsbeschwerde letztlich erfolglos!

Man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, das Gericht sei hier in eine bewusst aufgestellte Anwaltsfalle getappt! Dagegen spricht allerdings, dass der Gesichtspunkt der Ursächlichkeit, der eigentlich Allgemeingut ist, später übersehen wurde.

Was unbedingt zum Basiswissen jedes Richters zählen muss: Selbst gesetzte (und natürlich auch gesetzliche!) Fristen müssen vor einer Entscheidung tatsächlich abgelaufen sein, selbst wenn schon Stellung genommen wurde. Besonderer Arbeitseifer in Verbindung mit Erledigungsdruck usw. darf nicht dazu führen, dass zu früh entschieden wird! Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, nach Fristablauf noch weitere zwei bis drei Tage zu warten, damit auch auf anderen Faxgeräten eingehende Faxe und auf anderen Postwegen eingehende Schriftstücke, die nicht unverzüglich vorgelegt werden können, noch berücksichtigt werden. Bei einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör kommt es bekanntlich auf ein Verschulden des Gerichts nicht an. Der rechtzeitige Schriftsatzeingang auf irgendeinem zulässigen Weg bei Gericht ist regelmäßig ausreichend.