Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Zulässigkeit einer Stufenklage
Urteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 143/15

Mit dem für eine Stufenklage erforderlichen Zusammenhang zwischen der begehrten Auskunft und dem Leistungsanspruch befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Ein Mieter, dessen Wohnung veräußert worden war, nahm den Veräußerer wegen Verletzung eines Vorkaufsrechts im Wege der Stufenklage auf Auskunft über den Inhalt des Kaufvertrags und auf Zahlung der Differenz zwischen dem erzielten Kaufpreis und dem Verkehrswert in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich u.a. mit dem Argument, das Begehren könne nicht mittels Stufenklage geltend gemacht werden, weil die begehrten Auskünfte nur Aufschluss über den Kaufpreis, nicht aber über den Verkehrswert gäben und deshalb nicht ausreichten, um den Zahlungsanspruch zu beziffern.

Der BGH lässt dieses Argument nicht gelten. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach eine Stufenklage nur dann zulässig ist, wenn die begehrte Auskunft dazu dient, den Leistungsanspruch zu bestimmen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall indes erfüllt. Der Kläger benötigt Informationen über die Höhe des Kaufpreises, um seinen Ersatzanspruch beziffern zu können. Dass diese Informationen für sich gesehen nicht ausreichen, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

Praxistipp: Wenn es an dem erforderlichen Zusammenhang fehlt, ist die Klage auf Auskunft dennoch zulässig. Den noch nicht bezifferbaren Leistungsanspruch kann der Kläger dann aber nur mit einem Feststellungsantrag geltend machen. Über diese beiden Anträge muss das Gericht – anders als bei einer zulässigen Stufenklage – gemeinsam entscheiden.

Personenverschiedenheit im Mietverhältnis
Urteil vom 27. April 2016 – VIII ZR 323/14

Ebenfalls um die Folgen eines Vorkaufsrechts geht es in einem anderen Urteil des VIII. Zivilsenats.

Das beklagte Ehepaar war Mieter einer Wohnung im Dachgeschoss eines Dreifamilienhauses. Nach dem Mietvertrag durfte es den Garten mitbenutzen. Bei der späteren Aufteilung des Anwesens in Wohnungseigentum wurde zugunsten des Eigentümers der Wohnung im Erdgeschoss ein Sondernutzungsrecht an diesem Garten begründet. Der Kläger, der diese Wohnung erwarb, gestattete die weitere Nutzung des Gartens durch die Beklagten für die Dauer des bestehenden Mietverhältnisses. Später erwarb der beklagte Ehemann die Wohnung im Dachgeschoss. Nunmehr verlangte der Kläger die Herausgabe des Gartens. AG und LG verurteilten beide Beklagten antragsgemäß.

Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Der frühere Mietvertrag über die Dachgeschosswohnung ist im Verhältnis zum Ehemann mit dem Übergang des Eigentums auf diesen durch Konfusion erloschen, weil der Eigentümer einer Sache sich diese nicht selbst als Mieter zum Gebrauch überlassen kann. Im Verhältnis zur Ehefrau ist eine Gebrauchsüberlassung zwar theoretisch möglich. Die Einräumung eines Rechts zur gemeinsamen Nutzung ist aber etwas anderes als die vom früheren Vermieter (gegenüber beiden Ehegatten) geschuldete Überlassung zum alleinigen Gebrauch. Deshalb ist der zuvor bestehende Mietvertrag auch insoweit nicht fortgesetzt worden. Mit diesem Vertrag ist auch das Recht zur Mitnutzung des Gartens entfallen.

Praxistipp: Vor dem Erwerb einer vermieteten Eigentumswohnung durch den Mieter ist sorgfältig zu prüfen, ob sich aus der Miteigentümerstellung dieselben Nutzungsbefugnisse ergeben wie aus dem Mietvertrag.

BVerfG: „Kein Auftrag“ als nichtgebührenrechtlicher Einwand (§ 11 RVG)

Das BVerfG hat durch Beschluss vom 25.04.2016 – Az.: 1 BvR 1255/14 – den Antrag eines Rechtsanwalts auf Festsetzung der Vergütung im vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG abgelehnt.

Nach § 11 Abs. 5 RVG muss die Festsetzung der Vergütung abgelehnt werden, soweit der Mandant Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Das BVerfG hat ausgeführt, dass über die Begründetheit eines solchen Einwandes ist nicht im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu entscheiden sei. Deshalb könne grundsätzlich weder eine nähere Substantiierung des Einwandes verlangt werden, noch habe das Gericht eine materiell-rechtliche Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Etwas anderes gelte ausnahmsweise nur dann, wenn der Einwand offensichtlich unbegründet sei, wenn also seine Haltlosigkeit ohne nähere Sachprüfung auf der Hand liege, substanzlos sei oder erkennbar rechtsmissbräuchlich eingesetzt werde.

Das BVerfG hat es als nichtgebührenrechtlichen Einwand bewertet, wenn eine Mandantin – wie in dem vom BVerfG entschiedenen Fall – die Erteilung eines Auftrags in Abrede gestellt. Zwar blieb unstreitig, dass die Mandantin eine Vollmacht, die ihrem Wortlaut nach auch eine Auftragserteilung enthielt, unterschrieben hatte. Jedoch trug die Mandantin vor, dass sie vor der Einlegung der Verfassungsbeschwerde darum gebeten hatte, von der Erhebung abzusehen. Dieser Vortrag genüge zur Substantiierung eines nichtgebührenrechtlichen Einwandes.

 

Montagsblog: Neues vom BGH

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OK-Vermerk bei Telefax
Beschluss vom 12. April 2016 – VI ZB 7/15

Mit den Sorgfaltspflichten beim Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax befasst sich der VI. Zivilsenat.

Ein Rechtsanwalt hatte versucht, eine aus neun Seiten bestehende Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist per Telefax an das Gericht zu übermitteln. Ein um 23:39 Uhr begonnener Sendevorgang brach nach neun Minuten und Übermittlung von fünf Seiten ab. Nach einem weiteren, um 23:49 Uhr begonnenen Sendevorgang gab das Gerät des Absenders ein Sendeprotokoll aus, das den Abschluss der Übermittlung um 23:58 Uhr bestätigte und einen OK-Vermerk enthielt. Im Protokoll des Empfangsgeräts war hingegen vermerkt, dass die Übermittlung erst um 00:08 Uhr endete und die letzte Seite nur zu einem Drittel übertragen wurde. Entsprechendes ergab sich aus dem Ausdruck der übermittelten Seiten. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung daraufhin als unzulässig.

Der BGH hebt die Entscheidung auf und gewährt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er hält einen rechtzeitigen Eingang der vollständigen Berufungsbegründung allerdings für nicht bewiesen. Der OK-Vermerk des Sendegeräts begründet keinen Anscheinsbeweis für eine ordnungsgemäße Übermittlung. Das Empfangsprotokoll und der Ausdruck der empfangenen Seiten belegen überdies, dass die Übermittlung weder rechtzeitig abgeschlossen wurde noch vollständig war. Abweichend vom Berufungsgericht hält der BGH aber den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für begründet, weil der Anwalt den Sendevorgang rechtzeitig gestartet hat. Aufgrund vorangegangener Erfahrungen durfte der Anwalt damit rechnen, dass die Übermittlung von neun Seiten allenfalls fünf Minuten in Anspruch nehmen werde. Angesichts dessen standen um 23:39 Uhr noch ausreichende Zeitreserven für den – stets einzukalkulierenden – Fall zur Verfügung, dass das Empfangsgerät durch andere Übermittlungsvorgänge belegt sein könnte.

Praxistipp: Wenn der Versand erst kurz vor Fristablauf möglich ist, sollte zumindest darauf geachtet werden, dass ein ausreichender Zeitpuffer für den Fall einer fehlerhaften oder verzögerten Übermittlung verbleibt.

Feststellungsklage bei nur teilweise bezifferbaren Zahlungsansprüchen
Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14

Etablierte Grundsätze zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage ruft der VI. Zivilsenat in Erinnerung.

Der Kläger, ein aufgrund einer rechtswidrigen Entbindung schwerstbehindertes Kind, begehrte Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich aller weiteren Schäden. Das Berufungsgericht sprach die begehrte Feststellung nur hinsichtlich derjenigen Schäden aus, die im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht eingetreten, noch nicht bezifferbar oder noch in Fortentwicklung begriffen waren.

Der BGH spricht die Feststellung auch hinsichtlich aller weiteren Schäden aus. Er verweist auf die etablierte Rechtsprechung, wonach eine Feststellungsklage hinsichtlich des gesamten Schadens auch dann zulässig ist, wenn dieser nur teilweise noch nicht beziffert werden kann. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn sich der Schaden aus mehreren Positionen zusammensetzt und einzelne davon bereits bei Klageerhebung vollständig beziffert werden können.

Praxistipp: Sofern der Kläger auf eine möglichst zeitnahe Zahlung nicht dringend angewiesen ist, bietet ein Absehen von einer teilweisen Bezifferung die Aussicht, eine verhältnismäßig schnelle Entscheidung über die Haftung dem Grunde nach zu erlangen, ohne dass der Erlass eines Grundurteils angeregt werden muss.

BGH zur vorzeitigen Kündbarkeit von Fitnessstudioverträgen

In einer Entscheidung vom 04.05.2016 (Az.: XIII ZR 62/15) hat sich der BGH mit der vorzeitigen Kündbarkeit von Fitnessstudioverträgen befasst. Nach Abschluss eines 24-Monats-Vertrages wurde der Beklagte zum Soldaten auf Zeit ernannt, was mit einigen Wohnortwechseln einherging. Den ersten Wohnortwechsel nahm er zum Anlass, den Vertrages außerordentlich zu kündigen.

Dem BGH zufolge sei eine außerordentliche Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich, bei dem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages bis zum vereinbarten Vertragsende für den Kunden unzumutbar ist.

Das Gericht verneint dies bei berufsbedingen Umzügen. Dies käme aber beispielsweise bei nutzungsverhindernden Erkrankungen oder einer Schwangerschaft in Frage.

Zu Recht lehnt der BGH eine analoge Anwendung von § 46 Abs. 8 TKG ab. Es handelt sich hierbei um eine Ausnahmeregelung, die auch zu dem Zweck geschaffen wurde, um TK-Anbietern einen Anreiz für einen möglichst weitgehenden Netzausbau zu geben.

Ob die Ausführungen des BGH tatsächlich vollständig durchdacht sind, ist fraglich. Lässt sich ein Fitnessstudiobetreiber von Anfang an auf einen Vertragspartner ein, der über ein gesteigertes „Versetzungsrisiko“ verfügt, wie z.B. einen Soldaten auf Zeit, scheint es fraglich, ob der Studiobetreiber wirklich vor – nahezu vorhersehbaren – Wohnortwechseln geschützt werden muss. Auch im Übrigen weisen die meisten Beschäftigungsverhältnisse das Risiko auf, aus Sicht des Arbeitnehmers ungewollt beendet zu werden, wobei anschließend an die Mobilität von Arbeitssuchenden hohe Anforderungen gestellt werden. Ein Unterschied zu einer Erkrankung, die der BGH als möglichen Kündigungsgrund nennt, ist nur schwer zu erkennen. Auch die Ausführungen in der DSL-Entscheidung des BGH, in der es um ein  umzugsbedingtes Kündigungsrecht ging, was der BGH nach damaligem Recht ablehnte, wobei er auf hohe Anfangsinvestitionen durch Technikertermine und die Hardwarebereitstellung abstellt, passen zu den Wertungen in diesem Fall nicht wirklich.

Verbrauchern ist nach dieser Entscheidung zu raten, bei Vertragsschluss eine Regelung mit den Vertrag aufzunehmen, die für den Fall des Wohnsitzwechsels ohne Rücksicht auf die Gründe ein außerordentliches Kündigungsrecht einräumt.

Siehe auch zum Thema Kündigung von Fitnessstudio-Verträgen: Blattner, MDR 2012, 743; Diekmann/Lube, MDR 2016, 69.

Zur Pressemitteilung des BGH

Montagsblog: Neues vom BGH

In Anlehnung an die sog. Montagspost beim BGH berichtet der Montagsblog wöchentlich über ausgewählte aktuelle Entscheidungen.

Prüfungsumfang in der Rechtsmittelinstanz nach erfolgreicher Anhörungsrüge
Urteil vom 14. April 2016 – IX ZR 197/15

Der IX. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob die Entscheidung, ein bereits abgeschlossenes Verfahren auf eine Anhörungsrüge hin fortzusetzen, in der nächsten Instanz überprüft werden darf.

In einem Rechtsstreit um nicht gezahltes Anwaltshonorar hatte das AG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die als Klägerin auftretende GbR habe ihre Existenz nicht beweisen können. Nach einer Anhörungsrüge gegen dieses (wegen Nichterreichens der Wertgrenze nicht mit der Berufung anfechtbare) Urteil hatte es das Verfahren fortgesetzt und die Beklagten nach ergänzender Beweisaufnahme antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten (die statthaft war, weil das AG zugleich eine von der Beklagten erhobene Hilfswiderklage abgewiesen hatte) hob das LG das zweite Urteil des AG auf und wies die Anhörungsrüge gegen das erste Urteil des AG zurück.

Die dagegen eingelegte Revision des Klägers bleibt erfolglos. Der BGH tritt der Auffassung des LG bei, wonach ein Rechtsmittelgericht überprüfen darf und muss, ob eine in der Vorinstanz ergangene Entscheidung, das Verfahren auf eine Anhörungsrüge hin fortzusetzen, rechtmäßig war. Er stützt dies auf den Umstand, dass gemäß § 321a Abs. 4 Satz 4 ZPO lediglich die Zurückweisung einer Anhörungsrüge unanfechtbar ist, eine vergleichbare Bestimmung für eine der Anhörungsrüge stattgebende Entscheidung hingegen fehlt. Ergänzend weist er auf die auch in den Gesetzesmaterialien angesprochene Parallele zwischen einer Anhörungsrüge und einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil hin.

Praxistipp: Eine Partei, zu deren Lasten ein rechtskräftig abgeschlossener Rechtsstreit nach Anhörungsrüge fortgesetzt wird, sollte im Rahmen der dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Vorsorge dafür treffen, dass sie eine ihr ungünstige Entscheidung mit einem Rechtsmittel anfechten kann.

Auslegung einer Besichtigungsklausel
Urteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 261/14

Mit allgemeinen Grundsätzen für die Auslegung einer in Kaufverträgen häufig verwendeten Formulierung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine fabrikneue Werkzeugmaschine gekauft. Bei der vorangegangenen Besichtigung hatte sie Zeichnungen von Werkstücken vorgelegt, die sie mit der Maschine bearbeiten wollte. Nach Auslieferung beanstandete sie, die Maschine sei zu diesem Zweck nicht geeignet. Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises blieb in zwei Instanzen erfolglos. Das OLG sah es als nicht erwiesen an, dass die Parteien auf der Grundlage der vorgelegten Zeichnungen eine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung getroffen hatten. Die Frage, ob die Maschine die übliche Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB insoweit durch die in dem Kaufvertrag enthaltene Klausel „im Zustand wie in unserem Lager vorhanden und von Ihnen am … besichtigt“.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er erinnert daran, dass Freizeichnungsklauseln grundsätzlich eng auszulegen sind, und vermag schon dem Wortlaut der hier in Rede stehenden Vereinbarung keinen umfassenden Gewährleistungsausschluss zu entnehmen. Ferner weist er darauf hin, dass Freizeichnungsklauseln, die an eine Besichtigung anknüpfen, sich in aller Regel nur auf bei der Besichtigung wahrnehmbare, insbesondere sichtbare Mängel der Kaufsache beziehen. Um einen solchen Mangel ging es im Streitfall nicht.

Praxistipp: Ein Verkäufer, der die Gewährleistung auch für solche Mängel ausschließen will, die nur bei näherer Untersuchung erkennbar sind, muss dies im Kaufvertrag hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.

BGH: Verzugsschaden in Gestalt von Anwaltskosten

Der Beklagte hatte ein Darlehen in Höhe von 50.000 € bis spätestens zum 31.12.2012 zurückzuzahlen. Er hatte mehrfach angekündigt, diese Frist einzuhalten. Am 31.12.2012 erteilte er seiner Bank den Zahlungsauftrag. Die Darlehenssumme wurde erst am 4.1.2013 auf dem Konto des Klägers gut geschrieben. Der Kläger hatte am 2.1.2013 einen Rechtsanwalt beauftragt. Die insoweit entstandenen Kosten verlangt er vom Beklagten. Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG ihr stattgegeben. Die zugelassene Revision führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils!

Der BGH (Urt. v. 25.11.2015 – IV ZR 169/14) entscheidet diverse interessante Streitfragen nicht, u. a. die Frage, wann ein Schuldner einer Geldforderung tatsächlich geleistet hat, vor allem wenn es sich – wie hier – um Zahlungen außerhalb des Anwendungsbereichs der ersten Zahlungsverzugsrichtlinie handelt. Der BGH greift völlig zu Recht nur auf die in der Praxis noch wenig bekannten Vorschriften der §§ 675f Abs. 2 S. 1, 675n Abs. 1, S. 2, S. 4 zurück. Da der 31.12.2012 ein Bankfeiertag war, war der Zahlungsauftrag ohnehin erst am 2.1.2013, dem nächsten Arbeitstag, eingegangen und damit die nicht rechtzeitige Zahlung offensichtlich.

Der BGH hatte – im Hinblick auf durch Verzug entstehende Anwaltskosten – erst kürzlich entschieden, dass ein Gläubiger, dessen Schuldner sich in Verzug befindet, grundsätzlich auf Kosten des Schuldners einen Rechtsanwalt beauftragen darf, wobei das Mandat sich nicht auf die Abfassung eines einfachen Schreibens beschränken muss (Urt. v. 17.9.2015 – IX ZR 280/14 Rn. 8 ff; MDR 2015, 1408; siehe auch zur Ersatzpflicht für außergerichtliche Rechtsanwalts- und Inkassokosten, Woitkewitsch, MDR 2012, 500). Diesen Standpunkt bekräftigt der BGH erneut, sieht aber im konkreten Fall besondere Umstände, die eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Nur diejenigen Rechtsverfolgungskosten sind zu ersetzen, „die aus der ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person in der Situation des Geschädigten nach den Umständen des Falles zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen sind“. Eine solche Person hätte die Möglichkeit berücksichtigt, dass der Beklagte die Zahlung jedenfalls bereits veranlasst hat. Der 29.12.2012 war ein Samstag, der 30.12.2012 demnach ein Sonntag und der 31.12.2012 – ein Bankfeiertag – ein Montag. Der sich anschließende Dienstag war als 1.1.2013 ohnehin ein Feiertag. Angesichts der Höhe des Überweisungsbetrages war auch damit zu rechnen, dass eine „manuelle“ Prüfung der Überweisung erfolgen könnte, was erfahrungsgemäß zu zusätzlichen Verzögerungen führt. Letztlich hätte der Kläger damit rechnen müssen, dass aufgrund dieser Umstände selbst ein am 28.12.2012 erteilter Überweisungsauftrag nicht mehr hätte rechtzeitig ausgeführt werden können. Unter diesen konkreten Umständen hätte der Kläger daher noch abwarten müssen, bis er den Anwalt beauftragte, zumal der Beklagte dazu verpflichtet ist, einen eventuellen Zinsschaden zu ersetzen.

Man sieht: Der BGH verschafft einmal mehr der – zweifelhaften – Einzelfallgerechtigkeit Geltung und ist ohne weiteres dazu bereit, dafür zuvor aufgestellte Grundsätze wieder über Bord zu werfen. Es ist kein Wunder, dass die Rechtsanwendung immer komplizierter wird, wenn die Grundsätze in jedem zweiten Fall durch Besonderheiten eines Einzelfalls durchlöchert werden wie ein Schweizer Käse. War es hier nicht die Pflicht des Beklagten, für einen pünktlichen Zahlungseingang zu sorgen?!

Gleichwohl sollte man in der Praxis aus dieser Entscheidung und aus der unsicheren Rechtslage im Hinblick auf die Zahlungsverkehrsrichtlinie vorsichtshalber folgende Konsequenz ziehen: Nach Verzugseintritt lieber noch drei Tage warten, bevor man „loslegt“. Damit kann man eine Menge Schwierigkeiten vermeiden.

 

 

Zweiter Versuch: Kabinett beschließt Gesetzentwurf zur eAkte in Strafsachen

Nun kommt sie also doch noch, die elektronische Akte in Strafsachen. Am 4.5. wurde der Kabinettsentwurf beschlossen, vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/05042016_Elektronische_Akte_.html und http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_elektronische_Akte_in_Strafsachen.pdf

Der Justizminister Maas meint hierzu laut Pressemitteilung: „Mit der Einführung der elektronischen Akte auch im Strafverfahren gehen wir einen wichtigen Schritt zur Modernisierung und Effektivierung der Strafjustiz. Wir müssen das Verfahrensrecht der Realität anpassen, in der die elektronische Arbeitsweise längst Einzug gehalten hat. Wenn die Mehrzahl der in einer Akte enthaltenen Dokumente bereits heute elektronisch erstellt wird, ist die elektronische Aktenführung konsequent und zeitgemäß.“

Nach  dem  Entwurf  soll  es  darüber  hinaus  ab  dem  Jahr  2018  möglich  sein,  alle  Anträge  und  Erklärungen  im  Mahnverfahren,  für  die  maschinell  lesbare  Formulare  eingerichtet
sind,  in  nur  maschinell  lesbarer  Form  zu  übermitteln.  Rechtsanwälte  und  Inkassodienstleister  werden  grundsätzlich  ab  diesem  Zeitpunkt  verpflichtet,  die  Folgeanträge,  für  die
maschinell  lesbare  Formulare  eingerichtet  sind,  in  nur  maschinell  lesbarer  Form  einzureichen.

Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung sollen nach einem Referentenentwurf des Justizministeriums Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen zukünftig erlaubt werden. Zugelassen wird allerdings nur die Übertragung von Urteilsverkündungen von allen obersten Gerichtshöfen des Bundes, also von BGH, BSG, BVerwG, BAG und BFH. Die Urteilsverkündungen des BVerfG dürfen bereits seit 1998 übertragen werden.
Die Frage von Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen wird schon sehr lange kontrovers diskutiert. Bislang verbietet § 169 Satz 2 GVG solche Übertragungen. Erlaubt sind bisher nur Aufnahmen unmittelbar vor und nach einer Verhandlung und in den Sitzungspausen. Eine vorsichtige Öffnung, beschränkt auf Urteilsverkündungen der Obersten Bundesgerichte, erscheint mir durchaus sachgerecht. Eine weitere Öffnung ist aus meiner Sicht allerdings durchaus problematisch. Dies gilt insbesondere für Strafverfahren, in denen das Persönlichkeitsrecht des jeweiligen Angeklagten höher zu bewerten ist als das Interesse der Öffentlichkeit an einer entsprechenden ausführlichen und unmittelbaren Teilnahme an der Verhandlung. Es ist nun mal ein Unterschied, ob 50 Personen im Sitzungssaal oder Millionen Fernsehzuschauer einen Strafprozess verfolgen. Schon heute führt die Berichterstattung in den Medien zum Teil zu unerfreulichen Ergebnissen. Man denke an den Kachelmann-Prozess, durch den der Wettermann trotz des Freispruches infolge der intensiven Berichterstattung persönlich und beruflich erheblich beschädigt worden ist.
Man muss allerdings zugestehen, dass das Ausland in dieser Frage zum Teil erheblich liberaler ist. In Ländern wie den USA oder Südafrika sind Fernsehübertragungen aus dem Gerichtssaal bereits seit langem zulässig, wie die Verfahren gegen O. J. Simpson oder Oskar Pistorius gezeigt haben.
Eine andere Frage ist auch, ob bei einem großen Publikumsinteresse, bei denen sich die Gerichtssäle als zu klein erweisen, Übertragungen in andere Räume desselben Gerichts ermöglicht werden sollen, was ich ohne weiteres für zulässig ansehen würde.

Kommt beA am 29.9. trotz Gegenwind?

Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und mit ihm des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs läuft – wie zu erwarten – nicht ganz störungsfrei. Ursprünglich sah das Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkerkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (ejustice-Gesetz) vor, dass ab 1.1.2016 allen zugelassenen Anwälte durch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) zur Verfügung gestellt wird, § 31a BRAO.

Mit Presseerklärung vom 26.11.2015 teilte die BRAK mit, das beA erfülle „derzeit“ nicht alle Erwartungen an die Qualität in Bezug auf die Nutzerfreundlichkeit. Man verschiebe daher den Starttermin auf unbestimmte Zeit. Mit Presseerklärung vom 14.04.2016 kam jetzt die lang ersehnte Information zu dem neuen Starttermin. Am 29.9.2016 soll es soweit sein: das beA kann genutzt werden. Die Erstregistrierung (also das Anlernen des Zugangsmediums) wird mindestens zwei Wochen vor dem Starttermin möglich sein. Auch die Bundesnotarkammer hat angekündigt, die Produktion und den Versand der Zugangsmedien ab sofort wieder aufzunehmen.

Die Kosten für die Einrichtung und den Betrieb dieses Postfaches legt die BRAK auf die regionalen Rechtsanwaltskammern um. Diese wiederum erheben von ihren Mitgliedern (höhere) Beiträge oder Umlagen. Hiergegen hat sich bereits ein Mitglied gerichtlich gewandt. Der BGH entschied mit Urteil vom 11.1.2016 (AnwZ (Brfg) 33/15), dass eine Umlage zur Finanzierung des beA rechtmäßig ist; insbesondere werfe § 31a BRAO keine verfassungsmäßigen Bedenken auf.

Die Frage, wer die Kostenlast für das beA zu tragen hat, wird mittlerweile überschattet von der Frage, ob das beA auch genutzt werden muss. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass keine Pflicht besteht, das beA aktiv für den Versand zu nutzen. Der Gesetzgeber hat im neuen § 130a ZPO mehrere alternative Zugangswege vorgesehen, um mit den Gerichten zu kommunizieren.

Ziel des Gesetzgebers bei Einführung des ejustice-Gesetz war es allerdings, alle zugelassenen Anwälte für Gerichte und Behörden elektronisch und auf einheitliche Art und Weise erreichbar zu machen. Daher vertritt die BRAK die Auffassung, das beA für alle Anwälte am 29.9. so einzurichten, dass es empfangsbereit ist. Um u.a. Haftungsgefahren zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, ab 29.9. das beA regelmäßig zu kontrollieren oder sich zumindest über E-Mail bei Eingängen benachrichtigen zu lassen.

Diese mittelbare Kontrollpflicht führt zu der häufig genannten passiven Nutzungspflicht. Diese Pflicht ist – wie die Pflicht den Hausbriefkasten zu leeren – naturgemäß gesetzlich nicht geregelt. Hiergegen wenden sich  Anwälte vor dem AGH Berlin in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie begehren, das beA nicht ohne Einwilligung des betroffenen Anwalts empfangsbereit zu schalten. Flankierend wurde nun durch Dehley, NJW 18/2016, 1274, festgestellt, dass § 31a BRAO keine passive Nutzungspflicht erlaube. Die faktische Freischaltung des Empfangs sei verfassungswidrig.

So bleibt mit Spannung zu erwarten, ob es bei dem Starttermin am 29.9. – für alle Anwälte – bleiben wird. Möglicherweise entschließt sich der Gesetzgeber noch zu einer Klarstellung im Gesetz.

 

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Streitgegenstand und einheitlicher Lebenssachverhalt
Beschluss vom 3. März 2016 – IX ZB 33/14

Die nicht immer einfach zu beantwortende Frage, ob mehrere tatsächliche Vorgänge einen einheitlichen Lebenssachverhalt bilden, behandelt der IX. Zivilsenat in einem insolvenzrechtlich eingekleideten Fall.

Auf Antrag eines Sozialhilfeträgers wurde ein Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau des Insolvenzschuldners als Forderung aus unerlaubter Handlung zur Tabelle festgestellt. Der Unterhaltsanspruch war schon geraume Zeit zuvor rechtskräftig tituliert worden. Später war der Insolvenzschuldner in einem Strafverfahren rechtskräftig wegen vorsätzlicher Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilt worden. Auf das Rechtsmittel des Insolvenzschuldners wies das OLG den Antrag der Behörde dennoch ab, soweit er auf die Feststellung gerichtet war, dass die Forderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht. Nach Auffassung des OLG bilden der titulierte Anspruch auf Unterhalt und der Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Verletzung dieser Pflicht zwei unterschiedliche Streitgegenstände. Deshalb hielt es den zuletzt genannten Anspruch für verjährt.

Der BGH tritt dieser Beurteilung bei. Er stützt sich dabei auf seine ständige Rechtsprechung, wonach der Streitgegenstand bestimmt wird durch die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge (den Antrag) und den Lebenssachverhalt, aus dem diese Rechtsfolge hergeleitet wird (den Anspruchsgrund). Im Streitfall sieht er den Sachverhalt, aus dem sich ein Unterhaltsanspruch ergibt (Verwandtschaft oder Ehe, Bedürftigkeit des Schuldners und Leistungsfähigkeit des Gläubigers), und den Sachverhalt, aus dem sich ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB und § 170b Abs. 1 StGB ergibt (Nichterfüllung, Gefährdung des Lebensbedarfs, Vorsatz, Schaden), als unterschiedlich an. Deshalb konnte die gerichtliche Geltendmachung und Titulierung des einen Anspruchs die Verjährung des anderen nicht hemmen.

Praxistipp: Wenn eine vorsätzliche Verletzung der Unterhaltspflicht in Betracht kommt, sollte ein zivilrechtlicher Antrag auf Unterhaltszahlung vorsorglich auch auf § 823 Abs. 2 BGB und § 170b Abs. 1 StGB gestützt werden. Hierzu sind die zur Verwirklichung des Straftatbestands erforderlichen Tatsachen vollständig vorzutragen. Ob sich das Gericht damit befasst, wenn sich die Zahlungspflicht bereits aus dem Unterhaltsrecht ergibt, steht auf einem anderen Blatt.

Anwaltskosten für außergerichtliche Mahnung
Urteil vom 25. Februar 2016 –X ZR 35/15 und X ZR 36/15

Mit einer immer wieder diskutierten Frage befasst sich der X. Zivilsenat in Zusammenhang mit einem Anspruch auf Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung.

Ein vom beklagten Luftverkehrsunternehmen durchgeführter Flug hatte eine Ankunftsverzögerung von mehr als drei Stunden. Nach den Bestimmungen der Fluggastrechteverordnung (VO (EG) Nr. 261/2004) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH stand den Passagieren, zu denen die Klägerin gehörte, deshalb eine pauschale Ausgleichsleistung in Höhe von 250 Euro zu. Diesen Anspruch ließ die Klägerin durch einen Rechtsanwalt außergerichtlich geltend machen. Die Beklagte reagierte nicht. Im nachfolgenden Rechtsstreit erkannte sie die Hauptforderung an, wandte sich aber gegen den Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten für die vorgerichtliche Mahnung. Insoweit blieb das Klagebegehren in zwei Instanzen erfolglos.

Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück. Mit den Vorinstanzen verneint er einen Anspruch aus § 286 BGB, weil der dafür erforderliche Schuldnerverzug erst durch die Mahnung eingetreten ist. Der Argumentation der Klägerin, aus der Fluggastrechteverordnung sei ein sofortiger Verzugseintritt abzuleiten, tritt er nicht bei. Anders als die Vorinstanzen hält der BGH zwar auch einen vom Eintritt der Verzugsvoraussetzungen unabhängigen Schadensersatzanspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Beförderungspflicht für möglich. Im konkreten Fall hält er eine sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe jedoch nicht für erforderlich, weil die in der Fluggastrechteverordnung vorgesehene Informationspflicht gerade dem Zweck dient, dem Passagier die (erstmalige) Geltendmachung seiner Ansprüche zu ermöglichen, und die Beklagte nach den Feststellungen des LG ihrer Informationspflicht nachgekommen war.

Praxistipp: Reisende, die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung geltend machen wollen und ein Informationsblatt ausgehändigt erhalten haben, sollten sich zunächst ohne anwaltliche Hilfe an die Fluggesellschaft wenden. Hierzu genügt ein Formschreiben nach einem der von verschiedener Seite im Internet angebotenen Muster. Erst wenn dieser Versuch erfolglos bleibt, sollte ein Anwalt mit der weiteren Geltendmachung der Ansprüche betraut werden.