Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch eines rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Anwalt auf Ersatz angefallener Kosten wegen unzureichender Beratung.

Kostenschaden auch bei Rechtsschutzversicherung
BGH, Urteil vom 29. September 2022 – IX ZR 204/21

Der IX. Zivilsenat wendet die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Kostenschaden eines rechtschutzversicherten Mandanten an.

Der beklagte Rechtsanwalt erwirkte im Jahr 2009 im Auftrag des Klägers ein Versäumnisurteil über einen Betrag von 30.000 Euro nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber einer Bank als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür beim Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage einzuholen. Nach Erteilung der Deckungszusage erwirkte der Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Nach dessen Zustellung erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zum Schuldner bestehe nicht mehr. Eine vom Beklagten gegen die Bank erhobene Klage auf Auskunft und Zahlung blieb erfolglos.

Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten Ersatz der für die Rechtsverfolgung gegen die Bank angefallenen Kosten. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG kann ein ersatzfähiger Schaden nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger rechtsschutzversichert war und das Vorgehen gegen die Bank von einer Deckungszusage abhängig gemacht hat. Der gegen den Rechtsschutzversicherer gerichtete Anspruch auf Kostenbefreiung dient nicht der Verhinderung eines Schadens, sondern dessen Übernahme durch den Versicherer.

Praxistipp: Soweit der Rechtsschutzversicherer die Kosten bereits gezahlt hat, geht der Ersatzanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf ihn über. Insoweit kann der Mandant den Anspruch gegen seinen Anwalt nur noch dann geltend machen, wenn er ihn sich vom Versicherer abtreten lässt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Anspruch des Veranstalters auf Entschädigung nach Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn

Darlegungs- und Beweislast des Reiseveranstalters für Angemessenheit der Entschädigung
Urteile vom 18. Januar 2022 – X ZR 88/20, X ZR 109/20, X ZR 125/20

Mit den Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 651j BGB aF bzw. § 651h BGB nF sowie diesbezüglichen Auskunftsansprüchen des Reisenden befasst sich der X. Zivilsenat.

In den zugrunde liegenden Fällen waren Reisende von einem Pauschalreisevertrag vor Antritt der Reise zurückgetreten. Der Reiseveranstalter erstattete nur einen geringen Teil des bereits gezahlten Reisepreises und behielt den Rest als pauschale Entschädigung ein. Die Reisenden erhielten insoweit Leistungen aus einer Reiserücktrittskostenversicherung. Der Versicherer bzw. ein von diesem beauftragtes Inkassounternehmen nahmen den Reiseveranstalter auf Zahlung des einbehaltenen Betrags in Anspruch. In zwei der Fälle begehrten sie im Wege der Stufenklage vorab Auskunft und Rechnungslegung über die Höhe der ersparten Aufwendungen und der durch anderweite Verwendung der Reiseleistungen erzielten Erlöse sowie Vorlage der Verträge mit Leistungsträgern.

Die erstinstanzlichen Gerichte wiesen die Klage mangels Aktivlegitimation ab. Die zweitinstanzlichen Gerichte kamen zu drei unterschiedlichen Ergebnissen.

Der BGH weist die Klagen auf Auskunft, Rechnungslegung und Vorlage von Verträgen ab; in diesen Fällen muss das LG nunmehr über die Höhe des Zahlungsanspruchs entscheiden. Im dritten Fall bestätigt der BGH die zweitinstanzliche Verurteilung zur Zahlung des einbehaltenen Betrags.

Hinsichtlich der Frage der Aktivlegitimation schließt sich der X. Zivilsenat einer vor kurzem ergangenen Entscheidung des für Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats an, der einen gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 VVG bejaht hat.

Hinsichtlich der reiserechtlichen Fragen knüpft der BGH an seine Rechtsprechung an, wonach der Reiseveranstalter die Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der geforderten Entschädigung trägt. Bei individueller Berechnung muss der Veranstalter darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Aufwendungen er erspart hat und welche Reiseleistungen er anderweit verwenden konnte. Bei Pauschalierung in AGB muss er darlegen und ggf. unter Beweis stellen, welche Möglichkeiten zur Ersparnis von Aufwendungen oder zur anderweiten Verwendung von Leistungen gewöhnlicherweise bestehen. Soweit sein Vortrag diesen Anforderungen nicht genügt, ist der Veranstalter zur Rückzahlung der einbehaltenen Entschädigung verpflichtet.

Vor diesem Hintergrund verneint der BGH einen einklagbaren Anspruch des Reisenden auf Auskunft und Rechnungslegung. Nach dem bis 30.6.2018 geltenden Recht kann sich ein solcher Anspruch nur aus § 242 BGB ergeben. Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil der Reisende die in Rede stehenden Informationen nicht benötigt, um seinen Erstattungsanspruch zu berechnen oder durchzusetzen. Nach der seit 1.7.2018 geltenden Regelung in § 651h Abs. 2 Satz 3 BGB ist der Reiseveranstalter zwar auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen. Auch diese Regelung betrifft aber nur die Darlegungs- und Beweislast und schafft keinen einklagbaren Auskunftsanspruch.

Praxistipp: Um mögliche Kostennachteile zu vermeiden, sollte der Reisende den Veranstalter schon vor Klageerhebung auffordern, die Höhe der Entschädigung zu begründen.

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Diese Woche geht es um eine wohl des Öfteren auftretende Frage aus dem Bereich der Rechtsschutzversicherung.

Herausgabe zurückgezahlter Gerichtskosten an den Rechtsschutzversicherer
Beschluss vom 10. Juni 2021 – IX ZR 76/20

Mit dem Verhältnis zwischen Anwalt, Mandant und Rechtsschutzversicherer bei Erstattung unverbrauchter Gerichtskosten befasst sich der IX. Zivilsenat.

Die Beklagten, eine Rechtsanwaltssozietät und ein für diese tätiger Anwalt, hatten ein bei der Klägerin rechtsschutzversichertes Ehepaar bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Bank gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klägerin hatte eine Deckungszusage zunächst abgelehnt und später nur für das Klageverfahren in erster Instanz erteilt, nicht aber für die außergerichtliche Vertretung. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. Das Gericht überwies unverbrauchte Gerichtskosten in Höhe von rund 2.800 Euro an die Sozietät. Von der Bank erhielt sie die Hälfte der den Mandanten entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Darin enthalten war eine hälftige Verfahrensgebühr in Höhe von rund 900 Euro. Von dem Gesamtbetrag von rund 3.700 Euro zogen die Beklagten die nach dem Vergleich von den Mandanten zu tragende zweite Hälfte der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Kosten für die Einholung der Deckungszusage – insgesamt rund 2.100 Euro – ab. Insoweit erklärten sie namens der Mandanten die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung dieser Kosten. Die auf Zahlung des Abzugsbetrags gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verurteilte die Beklagten auf die Berufung der Klägerin antragsgemäß.

Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagten waren gemäß § 667 BGB verpflichtet, die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge an die Mandanten herauszugeben. Dieser Anspruch ist gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Pflicht zur Zahlung der Gerichtsgebühren und der Anwaltsvergütung für die gerichtliche Tätigkeit war ein versicherter Schaden, dessen Ausgleich die Leistung der Klägerin diente. Die Mandanten dürfen die von Gericht und Gegner erstatteten Beträge nicht aufgrund eines Quotenvorrechts dafür einsetzen, um die von der Klägerin nicht übernommenen Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Einholung der Deckungszusage abzudecken. Dieser Schaden ist nicht kongruent mit dem versicherten Risiko. Die namens der Mandanten erklärte Aufrechnung ist schon deshalb unwirksam, weil diese nicht Schuldner der geltend gemachten Forderung sind.

Praxistipp: Eine Aufrechnung mit offenen Vergütungsforderungen gegen die Mandanten ist in der in Rede stehenden Konstellation nach Maßgabe von § 406 und § 407 BGB möglich. Im Streitfall schied diese Möglichkeit aus, weil die Mandanten die gesamte Vergütung bereits bezahlt hatten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflicht zur Erhaltung einer Nachbarwand nach Abbrennen eines daran angebauten Gebäudes.

Abbrennen eines an eine Nachbarwand angebauten Gebäudes
Beschluss vom 22. Januar 2021 – V ZB 12/19

Mit den Pflichten aus § 922 Abs. 3 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Parteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke, die durch Teilung entstanden sind. Schon vor der Teilung war auf dem nunmehr dem Beklagten gehörenden Grundstück eine Scheune errichtet worden. An deren Giebelwand wurde später ein nunmehr auf dem Grundstück des Klägers stehendes Wohnhaus angebaut. Im Teilungsvertrag wurde vereinbart, dass die Grundstücksgrenze durch die gemeinsame Giebelmauer verlaufen soll. Im Jahr 2011 wurde die Scheune durch einen Brand, der auch auf das Wohnhaus übergriff, stark beschädigt. Der Kläger erhielt von seiner Gebäudeversicherung 50.000 Euro zur Sanierung der Trennwand. Vom Beklagten verlangt er unter anderem, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Trennwand gegen Witterung, Wärmeverlust und Feuchtigkeitsimmissionen zu schützen. Das LG wies die Klage insoweit ab. Das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision des Beklagten an das OLG zurück – allerdings nur deshalb, weil der Umfang des dem Kläger stehenden Anspruchs näherer Klärung bedarf.

Dem Grunde nach sieht der BGH den Klageanspruch gemäß § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als begründet an. Die Trennwand war zwar weder bei ihrer Errichtung noch beim Bau des Wohnhauses eine gemeinsame Grenzanlage im Sinne von § 921 BGB. Sie erlangte diese Eigenschaft aber mit der einvernehmlichen Aufteilung des Grundstücks. Mangels abweichender Vereinbarung darf die Wand gemäß § 922 Satz 3 BGB nur einvernehmlich beseitigt oder geändert werden. Durch das Abbrennen der Scheune ist eine der Zustimmung bedürfende Änderung eingetreten, weil das Wohnhaus des Klägers nicht mehr in gleicher Weise gegen Witterungseinwirkungen geschützt ist. Hierfür ist der Beklagte als Zustandsstörer verantwortlich, und zwar – anders als hinsichtlich der am Wohnhaus eingetretenen Schäden – unabhängig davon, ob er den Brand zu verantworten hat. Der Kläger kann deshalb analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen, dass die eingetretene Störung beseitigt wird.

Der Anspruch ist nicht gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Gebäudeversicherung des Klägers übergegangen. Der Anspruch aus § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist untrennbar mit dem Eigentum am Grundstück verbunden. Zudem fehlt es an der nach § 86 Abs. 1 VVG erforderlichen Kongruenz. Die Gebäudeversicherung deckt zwar auch Schäden an der Trennwand ab. Der Anspruch aus § 922 Satz 3 und § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ist aber auf Erhalt des Bestandes und der Funktion der Wand als gemeinsame Grenzeinrichtung gerichtet, unabhängig davon, ob eine Substanzverletzung eingetreten ist.

Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist die vom OLG ausgesprochene Verurteilung aber zu weitgehend. Zum einen muss dem Beklagten die Möglichkeit offenbleiben, die vorherige Funktion in der Weise wiederherzustellen, dass er eine neue Scheune an die Wand anbaut. Zum anderen darf der Kläger eine Wärmedämmung nur verlangen, wenn und soweit die Wand durch die abgebrannte Scheune ebenfalls gegen Wärmeverlust geschützt war. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, muss das OLG nach Zurückverweisung aufklären.

Praxistipp: Die Anwendung von § 921 und § 922 BGB setzt voraus, dass die gemeinsame Einrichtung die Grundstücksgrenze überschreitet.