Anwaltsblog: Wann ist eine „Rubrumsberichtigung“ auf Beklagtenseite zulässig?

Mit der Abgrenzung zwischen einer – im Gesetz nicht geregelten – „Rubrumsberichtigung“ und einem für den Kläger mit Kosten belasteten Parteiwechsel hatte sich der XII. Zivilsenat des BGH auseinanderzusetzen:
Der Kläger hat mit seiner – laut Bezeichnung in der Klageschrift – gegen die „Autohaus P. A. GmbH & Co KG“ gerichteten Klage diese auf Räumung des Pachtobjekts verklagt. Der als Anlage beigefügte Pachtvertrag weist P. A. – den Geschäftsführer der Komplementärin der KG – als Pächter aus. Nachdem das Landgericht hat auf Antrag des Klägers durch Beschluss eine „Berichtigung“ des Rubrums auf der Beklagtenseite vorgenommen und darin P. A. als Beklagten bezeichnet hatte, hat es diesen durch Urteil zur Räumung verurteilt. Das OLG hat die Berufung des Beklagten verworfen. Er zeige nicht auf, aufgrund welchen Fehlers das Urteil gegen ihn zu Unrecht ergangen sein solle. Es werde zwar beanstandet, dass das Landgericht verfahrensfehlerhaft lediglich das Passivrubrum berichtigt habe, anstatt eine prozessordnungsgemäße Klageänderung mit Rücknahme der Klage gegenüber der ursprünglich beklagten KG in Verbindung mit der Erhebung einer neuen Klage gegenüber dem Beklagten vorzunehmen. Es sei allerdings die Entscheidungserheblichkeit dieses Verfahrensfehlers nicht dargelegt. Die Verwerfung der Berufung wird vom BGH gebilligt. Die von dem Beklagten ausdrücklich beanstandete „Rubrumsberichtigung“ genügt zur Berufungsbegründung nicht. Bei einer „Rubrumsberichtigung“ vor Urteilserlass handelt es sich um einen im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Beschluss, mit dem das Gericht im Bedarfsfall seine Auffassung darüber mitteilt, wen es aufgrund der von ihm vorgenommenen Auslegung der Klageschrift als Partei ansieht. Ein solcher, vor Urteilserlass ergangener „Berichtigungsbeschluss“ ist kein Fall des § 319 Abs. 1 ZPO, weil nach dieser Vorschrift nur solche offenbaren Unrichtigkeiten berichtigungsfähig sind, die in dem Urteil selbst enthalten sind. Vielmehr handelt es sich um eine in Beschlussform gehaltene prozessleitende Verfügung des Gerichts, die keine Bindungswirkung entfaltet und jederzeit abgeändert werden kann. Wer diejenige Person ist, die durch die Parteibezeichnung als „Beklagter“ in der Klageschrift betroffen werden soll, ist vom Gericht durch eine frei vorzunehmende Auslegung der in der Klageschrift zum Ausdruck gekommenen prozessualen Willenserklärung zu klären. Bei der Auslegung dieser Prozesserklärung ist nicht nur die im Rubrum der Klageschrift gewählte äußere Bezeichnung der Partei, sondern auch der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaiger beigefügter Anlagen zu berücksichtigen. Entsprechend dem Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ darf die Klageerhebung gegen die in Wahrheit gemeinte Partei nicht aufgrund einer objektiv unrichtigen oder mehrdeutigen Parteibezeichnung in der Klageschrift scheitern, solange nur aus deren Inhalt und ihren Anlagen sowie den weiter zu berücksichtigenden Umständen deutlich wird, welche Person tatsächlich von der Parteibezeichnung in der Klageschrift betroffen werden soll. Von der fehlerhaften Parteibezeichnung zu unterscheiden ist die irrtümliche Benennung einer am materiell-rechtlichen Rechtsverhältnis nicht beteiligten Person als Partei. Erlässt das Gericht nach einer fehlerhaften Auslegung der Klageschrift ein Sachurteil gegen eine Person, die von der Parteibezeichnung in der Klageschrift tatsächlich nicht betroffen ist und mit der ein Prozessrechtsverhältnis nicht bestanden hat („Scheinbeklagter“), kann sich diese bis zur Feststellung, nicht verklagt worden zu sein, am weiteren Rechtsstreit beteiligen und insbesondere den Rechtsbehelf ergreifen, der zur Beseitigung des gegen sie ergangenen Titels vorgesehen ist. Ein gegen den Scheinbeklagten ergangenes Sachurteil muss durch das Berufungsgericht aufgehoben und die Sache an das vorinstanzliche Gericht zurückverwiesen werden, um dort die bislang unterbliebene Sachentscheidung gegenüber dem in Wahrheit gemeinten Beklagten herbeizuführen.
(BGH, Beschluss vom 5. Juli 2023 – XII ZB 539/22 – MDR 2023, 1202)

Fazit: Für die Zulässigkeit einer Rubrumsberichtigung kommt es darauf an, ob mit ihr die Identität gewahrt bleibt oder es sich in Wirklichkeit um einen Parteiwechsel handelt (Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 319 Rn. 19). Zur Auslegung der Parteibezeichnung ist der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich Anlagen zu berücksichtigen. Wird daraus unzweifelhaft deutlich, welche Partei wirklich gemeint ist, so steht der entsprechenden Auslegung auch nicht entgegen, dass der Kläger irrtümlich die Bezeichnung einer tatsächlich existierenden, am materiellen Rechtsverhältnis nicht beteiligten Person gewählt hat.

Montagsblog: Neues vom BGH

Vermeidbarer Verbotsirrtum bei Verstoß gegen Strafnorm
Urteil vom 16. Mai 2017 – VI ZR 266/16

Mit den subjektiven Voraussetzungen der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger hatte zum Zweck der Kapitalanlage Genussscheine einer später insolvent gewordenen Aktiengesellschaft gezeichnet. Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, die Zahlungen der Anleger entgegennahm und an die AG weiterleitete. Nach dem finanziellen Zusammenbruch der AG wurde der Initiator wegen Betrugs und Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die gegen den Beklagten gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu dem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz blieb vor dem AG erfolglos. Das LG wies die Berufung mit der Begründung zurück, der Beklagte, der sich vor Abschluss des Kooperationsvertrags mit der AG anwaltlich hatte beraten lassen, sei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne von § 17 Satz 1 StGB erlegen.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er tritt dem LG darin bei, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht besteht, wenn das verletzte Schutzgesetz eine Strafnorm ist und der Schädiger einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlag. Er beanstandet aber die Feststellungen, auf die das LG die Annahme eines Verbotsirrtums im Streitfall gestützt hat, als unklar. Ferner macht der BGH deutlich, dass für Personen, die im Geschäftsleben stehen, der Irrtum über das Bestehen eines Schutzgesetzes, das für ihren Arbeitsbereich erlassen wurde, kaum jemals als unvermeidbar angesehen werden kann. So reicht es nicht ohne weiteres aus, anwaltlichen Rat einzuholen und auf dessen Richtigkeit zu vertrauen. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Praxistipp: Die Darlegungs- und Beweislast für einen die Haftung ausschließenden Rechtsirrtum trägt der Anspruchsgegner.

Zustellung an den „falschen“ Adressaten
Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 11/16

Mit den Voraussetzungen für die Heilung eines Zustellungsmangels befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Kläger begehrte Zahlung des Kaufpreises für Baustofflieferungen an ein Einzelunternehmen. In der Klageschrift war der Beklagte bezeichnet als „W.K., Inhaber der Einzelfirma K.“. Das LG übernahm diese Angabe in die Postzustellungsurkunde. Der Schriftsatz wurde W.K. persönlich zugestellt. Dieser machte geltend, Inhaber der Firma sei seit vielen Jahren sein Sohn A.K. Das LG berichtigte die Beklagtenbezeichnung in „Firma W.K, Inhaber A.K.“ und verurteilte diese Partei antragsgemäß. Das OLG ließ die Klageschrift an den Sohn zustellen, hob die erstinstanzliche Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies die Sache an das LG zurück.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Er tritt dem Kläger und den Vorinstanzen zwar darin bei, dass die Klage von Beginn an gegen den Sohn als aktuellen Unternehmensinhaber gerichtet war. Mit dem OLG hält er die erstinstanzliche Zustellung der Klageschrift an den Vater jedoch für unzureichend. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO kommt nicht in Betracht, weil das LG die Klage an den Vater zustellen wollte und es deshalb an dem für eine Heilung erforderlichen Zustellungswillen in Bezug auf den Sohn fehlt. Nach § 189 Fall 2 ZPO kann eine Heilung zwar auch dann eintreten, wenn das Dokument einer Person zugegangen ist, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß hätte gerichtet werden können. Dies setzt aber voraus, dass sich die Zustellungsmöglichkeit aus dem Gesetz selbst ergibt. Letzteres ist etwa bei gesetzlichen Vertretern oder Prozessbevollmächtigten der Fall, nicht aber bei dritten Personen, deren Beteiligung am Rechtsstreit sich nur aus einer Auslegung der Klageschrift ergibt.

Praxistipp: Um Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung auszuschließen, sollte der Kläger bei einem Antrag auf Rubrumsberichtigung zugleich auf eine erneute Zustellung der Klageschrift hinwirken.