Anwaltsblog 51/2024: Haftung des Autowaschanlagenbetreibers für abgerissenen serienmäßigen Heckspoiler

Mit der Haftung des Betreibers einer Autowaschanlage für die Beschädigung eines mit einem serienmäßigen Heckspoiler ausgestatteten Fahrzeugs hatte sich der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24):

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs in Autowaschanlage der Beklagten, einer sog. Portalwaschanlage. In der Waschanlage weist ein Schild darauf hin, dass „die Haftung des Anlagenbetreibers (…) insbesondere dann (entfällt), wenn ein Schaden durch nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder durch nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler, Antenne, Zierleisten o.ä.) sowie dadurch verursachte Lackkratzer verursacht worden ist, außer den Waschanlagenbetreiber oder sein Personal trifft grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz.“ Der Kläger fuhr Ende Juli 2021 mit seinem Pkw der Marke Land Rover, das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattet ist, in die Waschanlage ein, stellte das Fahrzeug ordnungsgemäß ab, verließ die Waschhalle und startete den Waschvorgang. Während des Waschvorgangs wurde der Heckspoiler abgerissen, wodurch Schäden am Heck des Fahrzeugs entstanden. Wegen dieses Vorfalls verlangt der Kläger von der Beklagten u.a. Schadensersatz insgesamt 3.219,31 €.

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass es sich bei dem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs um einen Werkvertrag handelt und sich aus einem solchen Vertrag als Nebenpflicht die Schutzpflicht des Anlagenbetreibers ergibt, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren. Ferner ist davon auszugehen, dass Verkehrssicherungspflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses zugleich Vertragspflichten sind und die auf den Werkvertrag bezogene Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers nicht weiter geht als die werkvertragliche Schutzpflicht des Unternehmers. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten verneint. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage – etwa durch den Betrieb einer Waschanlage – schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Der Betreiber einer Waschanlage hat dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge seiner Kunden nicht beschädigt werden. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht.

Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass der Betreiber einer Waschanlage im Grundsatz nur bei Vorliegen einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung für Fahrzeugschäden während des Waschvorgangs haftet. Eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Beklagte ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – widerleglich – zu vermuten, weil die Schadensursache allein aus ihrem Obhuts- und Gefahrenbereich herrührt. Grundsätzlich trägt der Gläubiger die Beweislast dafür, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung den Schaden verursacht hat. Diese Grundsätze finden auch bei der Verletzung einer Schutzpflicht Anwendung, so dass es – ohne Vorliegen besonderer Umstände – nicht genügt, dass der Gläubiger lediglich nachweist, dass ihm im Zusammenhang mit der Durchführung eines Vertrags ein Schaden entstanden ist. In Abweichung von dieser regelmäßigen Beweislastverteilung hat sich der Schädiger – über den Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus – nicht nur hinsichtlich seines Verschuldens zu entlasten, sondern er muss auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Obhuts- und Gefahrenbereich liegen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts liegt die Ursache für die Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs allein im Obhuts- und Gefahrenbereich der Beklagten. Nach dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen kam es zu der Schädigung, weil die Waschanlage konstruktionsbedingt nicht für das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattete Fahrzeug des Klägers geeignet war. Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug wie dasjenige des Klägers mit einer serienmäßigen Ausstattung wie dem betroffenen Heckspoiler konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Waschanlagenbetreibers. Der Kläger, dem mit seinem marktgängigen, serienmäßig ausgestatteten und in ordnungsgemäßem Zustand befindlichen Fahrzeug von der Beklagten als Betreiberin die Nutzung der Waschanlage eröffnet wurde, konnte berechtigt darauf vertrauen, dass sein Fahrzeug so, wie es ist, also mitsamt den serienmäßig außen angebrachten Teilen, unbeschädigt aus dem Waschvorgang hervorgehen werde. Dieses Vertrauen war insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung gerechtfertigt, weil nur der Anlagenbetreiber Schadensprävention betreiben kann, wohingegen der Kunde regelmäßig sein Fahrzeug der Obhut des Betreibers überantwortet, ohne die weiteren Vorgänge selbst beeinflussen zu können. Anders als der Betreiber, der es in der Hand hat, bestimmte Fahrzeugmodelle, die er für schadensanfällig hält, von der Benutzung seiner Anlage auszuschließen und dadurch das Risiko einer Beschädigung zu verringern, ist es dem Kunden regelmäßig nicht möglich, solche Waschanlagen von vornherein zu identifizieren und zu meiden, die konstruktionsbedingt nicht geeignet sind, sein Fahrzeug ohne ein erhöhtes Schadensrisiko zu reinigen.

 

Fazit: Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug mit einer serienmäßigen Ausstattung konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Waschanlagenbetreibers. Daher hat sich der Schädiger – über den Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus – nicht nur hinsichtlich seines Verschuldens zu entlasten, sondern er muss auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2004 – X ZR 133/03 –, MDR 2005, 617).

BGH: Zur Notwendigkeit einer Beweisaufnahme über Sicherheitsvorschriften für Hotelzimmer des Reiseveranstalters im Reiseland

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 25.6.2019 (X ZR 166/18) die Voraussetzungen präzisiert, unter denen der Tatrichter dem Vorbringen einer Partei zum Inhalt von ausländischen Sicherheitsvorschriften für Hotelzimmer im Zielgebiet einer Pauschalreise nachzugehen hat.

Unstreitig sind die örtlichen Verhältnisse und nicht ein unionsrechtlicher oder deutscher Standard als Maßstab für den zu fordernden Sicherheitsstandard von unter Vertrag genommenen Leistungserbringern eines Reiseveranstalters heranzuziehen (BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86, BGHZ 103, 298 = MDR 1988, 573; Staudinger, in hrich/Staudinger, 8. Aufl. 2019, § 22 Rn. 36, 40 m. w. Nachw.). Dies ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des Art. 17 Rom II-VO, wonach bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen sind, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsrechtlichen Ereignisses in Kraft sind. Hierbei hat der Tatrichter auch im Zivilprozess kodifizierte Normen, aber auch einen von der Rechtsprechung konkretisierten Sorgfaltsmaßstab zu ermitteln und bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Gleichwohl gilt ein Mindestsicherheitsstandard, der trotz örtlich festgesetzter Grundlagen, nicht unterschritten werden darf. Gelten im Urlaubsland niedrigere Anforderungen, hat der Veranstalter zudem eine Hinweispflicht, um einer Haftung aus einem Reisemangel bzw. einer Verkehrssicherungspflicht zu entgehen.

Hinsichtlich der Verletzungshandlungen des Reiseveranstalters, hat der BGH bereits im Glasschiebetür-Fall entschieden, dass das Vorhandensein einer notwendig zu benutzenden Eingangstüre aus nicht bruchsicherem Glas und ohne sichtbare Kennzeichnung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellt, wenn der Veranstalter die Unterkunft mit „kindgerechter Ausstattung“ beworben wird (BGH, Urt. v. 18.7.2006 – X ZR 44/04, MDR 2007, 200 = NJW 2006, 2918). Aus der Prospektangabe, dass eine Unterkunft mit Kindern gebucht werden kann, ist damit meines Erachtens zu schließen, dass aus Sicht des Kunden, dies sich nicht nur auf zusätzliche kindgerechte Ausstattungen, sondern auch auf die bauliche Beschaffenheit der Unterkunft selbst bezieht. Sollte die Tür diesem örtlichen Standard nicht entsprochen haben, bestand eine besondere Gefährdungslage, in der eine einfache Markierung auf der Scheibe nicht ausreicht. Daher hat ein Veranstalter, der Kinder in seine Unterkünfte einbucht, sich regelmäßig in seinen Vertragshotels von der Einhaltung der örtlichen Sicherheitsvorschriften des Gastgebiets zu überzeugen.

 Zur Darlegungs- und Beweislast sah der BGH entgegen der Auffassung der Vorinstanz den Vortrag des Klägers zu einem Verstoß gegen die örtlichen Bauvorschriften als hinreichend konkret an. Im Streitfall hat der Kläger vorgetragen, eine Glastür für einen Balkon müsse nach den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen so beschaffen sein, dass sie einem Anprall eines siebenjährigen Kindes nach kurzem Anlauf standhalte. Dieser Sachverhalt ist nach Auffassung des BGH hinreichend konkret, um ihn rechtlich zu bewerten. Zwar sei es nicht Aufgabe eines Zivilgerichts, die Ursachen eines Unfalls von Amts wegen aufzuklären. Wenn ein Kläger einen hinreichend konkreten Sachverhalt vorträgt, müsse das Gericht aber den Inhalt der dafür maßgeblichen in- und ausländischen Vorschriften in eigener Zuständigkeit ermitteln (§ 293 ZPO).

Montagsblog: Neues vom BGH

Kein spektakulärer Anlass, aber dennoch bemerkenswert:
Dies ist Montagsblog Nr. 50!

Alternative ärztliche Behandlungsmethoden
Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 203/16

Mit einer nicht alltäglichen Methode der Zahnbehandlung befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der beklagte Zahnarzt wirbt in seinem Internetauftritt und in Vorträgen für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer. Bei der Klägerin diagnostizierte er ein „mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften … bis in den Unterleib“. Entsprechend seiner Empfehlung ließ sich die Klägerin zunächst vier Zähne (14 bis 17) im rechten Oberkiefer entfernen und den gesamten Kieferknochen „gründlich“ ausfräsen. Nachdem Schwierigkeiten mit der verordneten Prothese aufgetreten waren, brach die Klägerin die Behandlung ab. Ihre Klage auf Rückzahlung des Honorars, Ersatz der Kosten für Folgebehandlungen und Zahlung eines Schmerzensgeldes war in den ersten beiden Instanzen überwiegend erfolgreich.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach die Anwendung von nicht allgemein anerkannten Therapieformen grundsätzlich erlaubt ist. Zugleich betont er, dass sich der Arzt nur dann für eine solche Behandlung entscheiden darf, wenn er die Vor- und Nachteile sorgfältig und gewissenhaft abgewogen hat. Die Beurteilung dieser Frage durch die Vorinstanzen hält der BGH für unzureichend, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht über Erfahrungen mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis verfügte.

Praxistipp: Die Parteien sollten im eigenen Interesse darauf hinwirken, dass das Gericht die ausreichende Qualifikation des Sachverständigen schon vor Erteilung des Gutachtenauftrags umfassend prüft.

Verkehrssicherungspflicht nach vorzeitiger Besitzeinweisung
Urteil vom 13. Juni 2017 – VI ZR 395/16

Mit den Grenzen der Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers befasst sich ebenfalls der VI. Zivilsenat.

Das Auto des Klägers wurde durch einen herabfallenden Ast beschädigt. Deshalb nahm er die Beklagte, die damals noch Eigentümerin des ursächlichen Grundstücks war, auf Schadensersatz in Anspruch. Schon geraume Zeit vor dem Unfall war der Beklagten im Rahmen eines fernstraßenrechtlichen Enteignungsverfahrens der Besitz an dem Grundstück durch vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG entzogen worden. Das LG verurteilte die Beklagte dennoch im Wesentlichen antragsgemäß. Das OLG wies die Klage hingegen ab.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Er tritt dem OLG darin bei, dass die Beklagte mit der vorzeitigen Besitzeinweisung die Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück verloren hatte und deshalb im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr die Verkehrssicherungspflicht trug.

Praxistipp: Um die Verjährung von Ansprüchen gegen weitere als Schuldner in Betracht kommende Personen zu verhindern, muss diesen rechtzeitig der Streit verkündet werden.