UmRUG tritt am 1. März 2023 mit Übergangsregelung in Kraft

Das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze („UmRUG“) tritt gem. Art. 25 Abs. 1 UmRUG am Tag nach der Verkündung in Kraft. Die Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 28.2.2023 (BGBl. I 2023, Nr. 51 v. 28.2.2023). Das vom Bundestag in der 80. Sitzung der 20. Legislaturperiode am 20.1.2023 beschlossene UmRUG (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR-Blog v. 20.1.2022) wurde vom Bundespräsidenten am 22.2.2023 ausgefertigt. Der Bundesrat hatte in der 1030. Sitzung am 10.2.2023 mit Mehrheit beschlossen, einen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht zu stellen (Plenarprotokoll 1030, S. 2 i.V.m. Umdruck 1/2023, S. 23* zu I [sog. Grüne Liste]). Das UmRUG ist damit am 10.2.2023 gem. Art. 78 Var. 2 GG zustande gekommen.

Nach der Übergangsregelung des § 355 Abs. 1 UmwG n.F. kann eine Verschmelzung, eine Spaltung oder ein Formwechsel von den beteiligten Rechtsträgern in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Zweiten, Dritten und Fünften Buches in deren jeweils vor dem 1.3.2023 geltenden Fassung durchgeführt werden, wenn (Nr. 1) der Verschmelzungsvertrag oder der Spaltungs- und Übernahmevertrag vor dem 1.3.2023 geschlossen, der Verschmelzungs- oder Spaltungsplan vor dem 1.3.2023 aufgestellt oder der Formwechselbeschluss als Umwandlungsbeschluss vor dem 1.3.2023 gefasst wurde und (Nr. 2) die Umwandlung bis zum 31.12.2023 zur Eintragung angemeldet wurde. Der Stichtag des 31.12.2023 i.S.d. § 355 Abs. 1 Nr. 2 UmwG n.F. wird durch die verzögerte Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie nicht berührt (vgl. dazu Empfehlung und Bericht Rechtsausschuss, BT-Drucks. 20/5237, S. 58; vgl. zur Absetzung des UmRUG von der Tagesordnung der Bundestagssitzung v. 15.12.2022 als Grund für diese Verzögerung Wertenbruch, GmbHR-Blog v. 19.12.2022; Heckschen/Knaier, GmbHR-Blog v. 29.12.2022).

Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 UmwG n.F. sind § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 1 und § 312 UmwG in der ab dem 1.3.2023 geltenden Fassung erstmals auf Umwandlungen anzuwenden, für die der Zustimmungsbeschluss der Anteilsinhaber nach dem 28.2.2023 gefasst worden ist. Gem. § 355 Abs. 2 Satz 2 UmwG n.F. sind § 307 Abs. 2 Nr. 14 und die §§ 314 und 316 Abs. 2 UmwG in der ab dem 1.3.2023 geltenden Fassung erstmals auf grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuwenden, für die der Verschmelzungsplan nach dem 28.2.2023. bekannt gemacht worden ist.

Bundestag verabschiedet Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG)

Der Bundestag hat in der 80. Sitzung der 20. Legislaturperiode am 20.1.2023 das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) im Rahmen des TOP 26 beschlossen (https://www.bundestag.de/mediathek; sowie https://www.bundestag.de/tagesordnung). Die jetzt verabschiedete finale Fassung des UmRUG (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 18.1.2023, BT-Drucksache 20/5237) weicht inhaltlich nur marginal von der am 15.12.2022 vom Bundestag nicht beschlossenen Fassung ab (vgl. dazu BT-Drucksache 20/3822; Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022; Heckschen/Knaier, GmbHR-Blog vom 29.12.2022). Die Änderungen beziehen sich im Wesentlichen auf registergerichtliche Fragen. Nicht gehalten werden konnte allerdings die von der Bundesregierung auch in zeitlicher Hinsicht anvisierte richtlinienkonforme Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie zum 31.1.2023 (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss], BT-Drucksache 20/5237, S. 97). Nach Art. 25 Abs. 1 UmRUG treten die Änderungen des UmwG nunmehr am Tag nach der Verkündung in Kraft. Der Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift des § 355 UmwG n.F. wurde unter Berücksichtigung des Art. 25 Abs. 1 UmRUG in Bezug auf die Termine angepasst (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss] BT-Drucksache 20/5237, S. 58; Begr. S. 90). Falls der Bundesrat in der für den 10.2.2023 anberaumten Sitzung das UmRUG konsentiert und die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten schon in der darauffolgenden Woche vonstattengeht, endet der Umsetzungsverzug des deutschen Gesetzgebers immerhin schon ca. zwei Wochen nach seinem Eintritt. Da in der neuen Zeitrechnung der parlamentarischen UmRUG-Genesis eben noch zwei Variablen enthalten sind, wäre die Festlegung eines fixen Stichtags des Inkrafttretens durch das UmRUG für die Vertragspraxis zwar sicherlich kommoder gewesen, hätte aber wohl das nicht unerhebliche Risiko der Entstehung einer Rückwirkungsproblematik begründet.

Der am 1.2.2023 beginnende Umsetzungsverzug des deutschen Gesetzgebers beruht darauf, dass die Abstimmung über das UmRUG in der Bundestagssitzung vom 15.12.2022 deshalb von der Tagesordnung genommen wurde, weil der Bundesrat dem Fristverkürzungsersuchen der Bundesregierung nicht stattgegeben hatte (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw42-de-umwandlungsrichtlinie-915592; Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022; vgl. zu den Rechtsfolgen der verzögerten Umsetzung Heckschen/Knaier, GmbHR-Blog vom 29.12.2022). Nach den Darlegungen des für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechenden Abgeordneten Stephan Mayer (CSU) beruhte dies auf einer von der Bundesregierung geplanten Änderung des § 3 LobbyRG, die unter der Chiffre UmRUG kurzfristig mitverabschiedet werden sollte (vgl. dazu Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022). Nach diesem legislatorisch jetzt vom UmRUG abgespaltenen Amendment des LobbyRG sollte die Verpflichtung, bei größeren Zuwendungen an Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter die Personalien der Leistenden publik zu machen, temporär suspendiert werden (Wertenbruch, GmbHR-Blog vom 19.12.2022).

Folgenreiche „Blutgrätsche“ für das UmRUG auf der Zielgeraden

In den Tagen vor Weihnachten endete am 18.12.2022 nicht nur die – durchaus umstrittene – Fußball-WM der Herren in Qatar. Wenige Tage zuvor wurde am 15.12.2022 ein wesentlich weniger umstrittenes Vorhaben ebenso unsanft wie unnötig überraschend mittels einer „Blutgrätsche“ gestoppt: Die Rede ist vom Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG, Regierungsentwurf: BT-Drucksache 20/3822).

Die bevorstehende Reform des Umwandlungsrechts beschäftigte seit Jahren und insbesondere 2022 die Wissenschaft in zahlreichen Teilaspekten (s. etwa J. Schmidt, NZG 2022, 579 u. 635; Baschnagel/Hilser, NZG 2022, 1333; Wollin, ZIP 2022, 989; Hommelhoff, NZG 2022, 683; Brandi/M. K. Schmidt, DB 2022, 1880; Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 u. 613; Heckschen/Knaier, ZIP 2022, 2205). Für die Umsetzung der Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (Umwandlungsrichtlinie – RL [EU] 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU Nr. L 321/2019, 1) haben die Mitgliedstaaten bis zum 31.1.2023 Zeit (J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 590; J. Schmidt, ZIP 2021, 112). Seit 2019 hatte eine Expertenkommission das Vorhaben vorbereitet (weitere Informationen abrufbar unter: https://www.bmjv.de/DE/Ministerium/ForschungUndWissenschaft/KommissionUmwandlungsrecht/KommissionUmwandlungsrecht.html). Das Umsetzungsverfahren in Deutschland war bereits weit fortgeschritten und nachdem es Gegenstand der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags gewesen ist und die Vorschläge des Bundesrats und der Sachverständigen im Rechtsausschuss von letzterem teilweise in einer ergänzten und abgeänderten Version des Gesetzesentwurfs zum UmRUG umgesetzt wurden, konnte man davon ausgehen, dass das UmRUG pünktlich zum 31.01.2023 in Kraft treten würde (zum Ganzen ausführlich Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, R376).

In der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 15.12.2022 kam nun jedoch alles anders als erwartet. Nach einer kurzen Debatte wurde das Gesetz nicht verabschiedet, sondern gem. § 82 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundestags einstimmig an den federführenden Rechtsausschuss zurücküberwiesen und die Abstimmung wurde abgesetzt (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-de-umwandlungsrichtlinie-924600). Offiziell hieß es hierzu, dass der zuständige Ausschuss des Bundesrats der Fristverkürzungsbitte des Bundestags nicht zugestimmt hatte und das Gesetz daher nicht vor Februar 2023 im Bundesrat beraten werden kann (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-de-umwandlungsrichtlinie-924600). Teilweise wird vermutet, dass die zahlreichen – thematisch nicht zum UmRUG gehörenden – Änderungen weiterer Gesetze, die dem letzten Entwurf angefügt wurden, zur Ablehnung der Fristverkürzung geführt hatten (dazu Wertenbruch, Bundesrat „vertagt“ UmRUG und stimmt Gesellschaftsregister-VO (GesRV) sowie der Änderung der Handelsregisterverordnung (HRV) zu, GmbHR-Blog v. 19.12.2022). Teilweise wird davon ausgegangen, dass der Bundesrat und die Länder allgemein unzufrieden damit sind, dass der Bundestag allzu oft eine Bitte um Fristverkürzung in den Gesetzgebungsverfahren äußert. Unabhängig davon, was letztlich den Ausschlag gegeben hat, kommt man nicht umhin Bundestag und Bundesrat ein Armutszeugnis dafür auszustellen, dass das wichtige UmRUG nun so kurz vor dem Ziel brutal aufgehalten wird (Der Podcast Parlamentsrevue spricht unter https://parlamentsrevue.de/ von „Trojaner[n] in der Umwandlungsrichtlinie“).

Das UmRUG selbst dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und betrifft im Bereich der grenzüberschreitenden Umwandlungen wichtige und wirtschaftlich weitreichende Vorgänge. Angesichts der Terminplanung des Bundesrats erscheint ein Inkrafttreten des UmRUG vor Ende Februar 2023 völlig aussichtslos. Die Folgen der „Blutgrätsche“ reichen jedoch weiter als eine bloße Verzögerung. Das UmRUG wird nun inhaltlich behandelt werden müssen. Es werden Anpassungen erforderlich, die dem verspäteten Inkrafttreten geschuldet sind. Es könnte angesichts der Verknüpfung mit anderen Gesetzgebungsvorhaben zu weiteren Verzögerungen kommen, die sich auf Wochen oder Monate erstrecken könnten.

Besonders hart trifft der unvorhergesehene Ausfall des UmRUG als Schlüsselspieler des grenzüberschreitenden Umwandlungsrechts nun die Praxis. Verschmerzbar wäre zwar das Zwangsgeld, welches der Bundesrepublik für die verspätete Richtlinienumsetzung droht. Weit schwerer wiegt jedoch, dass die Praxis nun auch ohne das UmRUG grenzüberschreitende Umwandlungen durchführen müssen wird. Mit Ablauf des 31.01.2023 droht hier enorme Rechtsunsicherheit. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist wird zu prüfen sein, inwiefern und welche Regelungen der Umwandlungsrichtlinie unmittelbare Anwendung finden müssen. Ein Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung allein wird zur Durchführung grenzüberschreitender Umwandlungen jedenfalls wohl nicht mehr in Betracht kommen. Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt, „[…] dass sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat“ (EuGH v. 5. 10. 2004 – C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835). Für eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinienvorschrift müssen demnach drei Voraussetzungen vorliegen (ausführlich Herrmann/Michl, JuS 2009, 1065):
1. ein Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung, etwa wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzt hat,
2. hinreichende inhaltliche Bestimmtheit der fraglichen Vorschrift, diese muss also einen hinsichtlich Tatbestand und Rechtsfolge vollständigen Rechtssatz enthalten, der im Einzelfall von einem Gericht angewendet werden kann und
3. inhaltliche Unbedingtheit der Vorschrift; der Eintritt der Rechtsfolge darf also nicht von einer Entscheidung eines Mitgliedstaats abhängen.
Diese Voraussetzungen wären sodann für jede einzelne Richtlinienvorschrift, die in einem konkreten grenzüberschreitenden Umwandlungsverfahren zur Anwendung kommen könnte, zu prüfen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Ergebnis einer dann evtl. gebotenen unmittelbaren Anwendung der Richtlinie nicht unbedingt im Einklang mit der im UmRUG vorgesehen Umsetzung stehen könnte. Weiterhin könnte der missliche Fall auftreten, dass einer der weiteren an einer grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahme beteiligten Staaten die Richtlinie bereits umgesetzt hat und die Abstimmung mit den dortigen Umsetzungsnormen weitere Komplexität für die Umwandlung schafft. Zuletzt entsteht eine besondere Problemsituation, wenn das UmRUG während eines laufenden Umwandlungsverfahrens in Kraft tritt und unklar sein wird, welche Regelungen nun Geltung beanspruchen. Verschärfend wirkt, dass das Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vom Bundestag bereits am 01.12.2022 angenommen wurde (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw41-de-umwandlungsrichtlinie-912976) und daher schon vor dem UmRUG ausgefertigt werden und in Kraft treten könnte.

Es bleibt daher festzuhalten, dass das Finale des Erlasses des UmRUG nur als Akt schlechter, kurzsichtiger und nicht allgemeinwohlorientierter Gesetzgebung betrachtet werden kann. Die Folgen der nicht fristgerechten Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie könnten der Gestaltungs- und Beratungspraxis, ebenso wie den Gerichten zukünftig noch einige schwerwiegende Probleme bereiten.

Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie: Nachgelagerte Verhandlungspflicht zur Durchsetzung nationaler Mitbestimmungsregeln? – Rechtliche Bewertung der Prüfbitte des Bundesrats

Die im Zuge des sog. „Company Law Package“ erlassene Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121) zu grenzüberschreitenden Umwandlungen (Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen) ist bis zum 31.1.2023 in nationales Recht umzusetzen. Hierfür sind in Deutschland zwei Artikelgesetze vorgesehen: Den gesellschaftsrechtlichen Rahmen soll das „Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie“ (UmRUG) regeln, den mitbestimmungsrechtlichen Rahmen das „Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen“. Letzteres sieht dafür insbesondere ein neues „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung“ (MgFSG‑E) sowie Änderungen des „Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung“ (MgVG‑E) vor.

Nachdem das Kabinett am 6.7.2022 entsprechende Regierungsentwürfe beschlossen hat (vgl. zur Unternehmensmitbestimmung Müller-Bonanni/Jenner im Gesellschaftsrechts-Blog und Müller-Bonanni/Jenner, AG 2022, 457), sind am 16.9.2022 nunmehr die entsprechenden Stellungnahmen des Bundesrats ergangen (BR-Drucks. 360/22(B) und BR-Drucks. 371/22(B)). Darin bittet der Bundesrat – einer Empfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration und Sozialpolitik folgend – nebst einigen Änderungen im UmRUG insbesondere um eine Prüfung folgender Frage im weiteren Gesetzgebungsverfahren:

Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs Verhandlungen über die Mitbestimmung für die aus einer Umwandlung hervorgehende Gesellschaft auch dann verpflichtend geregelt werden können, wenn nachträglich ein mitbestimmungsrelevanter Schwellenwert des Wegzugsstaates erreicht wird.

I. Einordnung

Die Prüfbitte des Bundesrats ist von der Sorge getrieben, Unternehmen könnten die „neuen“ (auf Basis der europäischen Grundfreiheiten allerdings bereits bestehenden; vgl. u.a. EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03 („SEVIC“), AG 2006, 80; EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16 („Polbud“), AG 2017, 854) Gestaltungsmöglichkeiten dazu nutzen, sich der Unternehmensmitbestimmung zu entziehen. Der Bundesrat begründet seine Prüfbitte dementsprechend wie folgt:

Allerdings widmet sich der Gesetzentwurf nicht der Problematik des sogenannten Einfrierens der Mitbestimmung. Diese Thematik ist auch bei der „Heraus-Umwandlung“ einschlägig. Etwa bei einem Formwechsel in eine ausländische Limited (Ltd.) kann in einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die kurz vor der Schwelle von 500 Beschäftigten stand und somit einer Drittelbeteiligung entgegensah, das Mitbestimmungsniveau bei Null eingefroren werden. Dies ist insbesondere bei weiterer Wertschöpfung und Sitz in Deutschland ein dem innerstaatlichen Anspruch an den Schutz der Mitbestimmung nicht gerecht werdender Zustand.

In der Tat knüpft das Recht der Unternehmensmitbestimmung an das Gesellschaftsstatut an, im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit also grundsätzlich an das Recht des Mitgliedstaats, in dem eine Gesellschaft ihren Satzungssitz hat. Das muss nicht der Mitgliedstaat sein, in dem sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft befindet. Ausnahmen hiervon bilden die Societas Europaea, für die Art. 7 SE-VO anordnet, dass sich (Satzungs-)Sitz und Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat befinden müssen, und (Rück‑)Versicherungsgesellschaften (vgl. Art. 20 Richtlinie (EG) 2009/138, „Solvency II“).

Wandelt sich beispielsweise – wie in dem vom Bundesrat gebildeten Fall – eine deutsche GmbH formwechselnd in eine irische Ltd. um, beanspruchen die deutschen Mitbestimmungsgesetze (DrittelbG, MitbestG etc.) deshalb fortan für die Gesellschaft keine Geltung mehr, obwohl möglicherweise die Hauptverwaltung der Gesellschaft und der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland verbleibt. Lag die Zahl der im Inland tätigen Arbeitnehmer der Gesellschaft vor dem Formwechsel noch unter dem Schwellenwert des DrittelbG von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, kann diese Zahl im Anschluss an den Formwechsel anwachsen, ohne dass das DrittelbG oder, wenn der Schwellenwert von in der Regel mehr als 2.000 im Inland tätigen Arbeitnehmern erreicht ist, das MitbestG greift. Bereits im Koalitionsvertrag 2021-2025 haben die Regierungsparteien sich vorgenommen, diesen sog. „Einfriereffekt“ zu beseitigen (S. 56 des Koalitionsvertrags; s. dazu Harnos/Holle, AG 2021, R359, 361 f.).

II. Bewertung

1. Unvereinbarkeit mit dem Vorher-/Nachher-Prinzip

Allerdings kann der „Einfriereffekt“ nicht beseitigt werden, ohne zuvor das europäische Recht zu ändern. Das scheint auch den Regierungsparteien klar gewesen zu sein, als sie im Koalitionsvertrag eher zurückhaltend formuliert haben, sie wollten sich für eine Beseitigung des Einfriereffekts „einsetzen“. Der Einfriereffekt ist das Ergebnis eines mühevoll in einem vier Jahrzehnte dauernden Verhandlungsprozess zwischen insbesondere der Bundesrepublik Deutschland und der Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die keine Unternehmensmitbestimmung kennen, errungenen Kompromisses zur Societas Europaea (vgl. Jacobs in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, vor § 1 SEBG Rz. 2 ff.). Der Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgeht, wird nach dem Kompromiss im Verhandlungswege zwischen einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und der oder den Unternehmensleitung(en) festgelegt, die eine grenzüberschreitende Maßnahme plant bzw. planen. Scheitern die Verhandlungen, erhalten gesetzliche Auffangregelungen das im Zeitpunkt der Maßnahme bestehende Mitbestimmungsniveau aufrecht – nicht weniger, aber auch nicht mehr (sog. „Vorher-/Nachher-Prinzip“).

In der Umwandlungsrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber das Vorher-/Nachher-Prinzip durch die Anordnung einer entsprechenden Geltung des SE-Rechts noch einmal ausdrücklich bestätigt. Weitergehende Forderungen nach einer Dynamisierung der Auffangregeln haben sich nicht durchsetzen können (hierzu auch Teichmann, NZG 2019, 241, 246 f.). Stattdessen sieht die Umwandlungsrichtlinie verschiedene, das Vorher‑/Nachher-Prinzip ergänzende Schutzmechanismen für die Unternehmensmitbestimmung vor. Dazu zählt insbesondere die neue sog. 4/5-Regelung, die bereits dann zur Bildung und Aufnahme von Verhandlungen mit einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer verpflichtet, wenn in einem an der grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Unternehmen 4/5 der Zahl der Arbeitnehmer beschäftigt wird, die in dem Mitgliedstaat die Mitbestimmung auslöst. Darüber hinaus werden die Registergerichte zu einer erweiterten Missbrauchskontrolle ermächtigt, die sich auch auf die Unternehmensmitbestimmung bezieht (Art. 86m Abs. 8, Art. 127 Abs. 8 und Art. 160m Abs. 8 Umwandlungsrichtlinie). Nicht zuletzt werden mit der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie neue Bußgeldtatbestände für die Verletzung von Informationsrechten der Arbeitnehmervertretungen eingeführt.

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn nach der Eintragung der grenzüberschreitenden Umwandlung im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert erreicht wird, widerspricht dem Vorher-/Nachher-Prinzip. Sie läuft letztlich auf eine Dynamisierung der Unternehmensmitbestimmung in grenzüberschreitenden Gesellschaften hinaus (man könnte auch von einem Mitbestimmungsexport sprechen), wie sie in Jahrzehnten von Verhandlungen zur SE und nunmehr erneut in den Verhandlungen über die Umwandlungsrichtlinie nicht durchgesetzt werden konnte. Für ein Redaktionsversehen in der Richtlinie (so Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446) gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Richtlinie lassen keinen Zweifel daran, dass der Richtliniengeber die Geltung des Vorher-/Nachher-Prinzips unmodifiziert zur Anwendung bringen will, so dass eine Regelung, die erneute Mitbestimmungsverhandlungen erfordern würde, wenn die Gesellschaft die relevanten Schwellenwerte innerhalb einer bestimmten Frist nach der Umwandlung erreicht, richtlinienwidrig wäre (vgl. in diese Richtung Uffmann, AG 2022, 427, 432).

2. Fehlende Regelungskompetenz

Die vom Bundesrat in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Aufnahme von Mitbestimmungsverhandlungen im Falle einer nachträglichen Überschreitung mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte im Wegzugsstaat scheitert auch an der fehlenden Regelungskompetenz der Wegzugsstaaten. Die Unternehmensmitbestimmung und das Verhandlungsverfahren zur Bestimmung des Mitbestimmungsstatus richten sich nämlich kraft ausdrücklicher Anordnung des Richtliniengebers umfassend nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat bzw. haben wird, also nach dem Recht des Zuzugsstaats (Art. 86l Abs. 3, 133 Abs. 3 und 160l Abs. 3 der durch die Umwandlungsrichtlinie geänderten Richtlinie (EU) 2017/1132 i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2001/86/EG, „SE-Richtlinie“). Eine Pflicht zur Aufnahme erneuter Mitbestimmungsverhandlungen, wenn im Wegzugsstaat ein mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwert überschritten wird, müsste deshalb ebenfalls durch den Zuzugsstaat geregelt werden, in dem eingangs gebildeten Beispiel also durch Irland. Dem deutschen Gesetzgeber wäre dies europarechtlich versagt.

Auch der jeweilige Zuzugsstaat könnte die vom Bundesrat erwogene Regelung übrigens letztlich nicht schaffen, weil er mit der nachträglichen Verhandlungspflicht (in Abhängigkeit von der Zahl der im Ausland tätigen Arbeitnehmer) ein Sondermitbestimmungsregime für zuziehende Gesellschaften etablieren würde. Dies stünde dem Ziel der Umwandlungsrichtlinie entgegen, einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen zu etablieren und liefe letztlich sowohl auf eine unzulässige Diskriminierung solcher Gesellschaften wie auch auf eine Beschränkung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit hinaus.

Die Regelungen der Gesellschaftsrechtsrichtlinie zur Unternehmensmitbestimmung sind abschließend. Für nationale Sonderwege ist hierneben kein Raum.

Update vom 12.10.2022: Die Bundesregierung hat in einer Gegenäußerung zur Prüfbitte des Bundesrates (BT-Drucks. 20/3817, S. 65 f.) im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung mitgeteilt, dass sie die angeregte Regelung auf nationaler Ebene für rechtlich unzulässig hält. Die Problematik des „Einfrierens der Mitbestimmung“ habe der EU-Gesetzgeber durch eine Ausweitung der Verhandlungspflicht vor Erreichen der Schwellenwerte des Wegzugsstaats erkannt, aber nicht hinreichend gelöst. Das MgFSG sehe im Einklang mit der Richtlinie den Verhandlungsmechanismus auch in solchen Konstellationen vor, in denen wenigstens vier Fünftel des Schwellenwerts im Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaates erreicht werden. Verhandlungen bei nachträglichem Überschreiten der nationalen Schwellenwerte des Wegzugsstaates seien nach den Vorgaben der Umwandlungsrichtlinie dagegen nicht vorgesehen. Im Ergebnis könne die vom Bundesrat beschriebene Problematik des „Einfriereffekts“ daher rechtssicher nur durch einen europäischen Rechtsakt gelöst werden.

Brexit: Implikationen des EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts

Die EU und das UK haben am 30.12.2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK Trade and Cooperation Agreement – EU-UK TCA) unterzeichnet, das zum 1.1.2021 vorläufig in Kraft trat.

Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften

Infolge des Austritts des UK aus der EU gilt im Verhältnis zwischen UK und EU-/EWR-Mitgliedstaaten keine Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV bzw. Art. 31 Abs. 1, 34 Abs. 1 EWRV) mehr. Folglich verpflichtet die Niederlassungsfreiheit Deutschland im Verhältnis zum UK auch nicht mehr zur Anwendung der Gründungstheorie (grundlegend insoweit die EuGH-Urteile Centros, Überseering und Inspire Art).

Im Verhältnis zu Drittstaaten – wie es das UK nun ist – gilt nach st. Rspr. des BGH grundsätzlich die Sitztheorie, sofern nicht aufgrund einer internationalen Übereinkunft eine Pflicht zur Anwendung der Gründungstheorie besteht.

Im EU-UK TCA finden sich zwar keine speziellen Vorschriften zum Gesellschaftsrecht und auch keine den Art. 49, 54 AEUV direkt vergleichbaren Regelungen. Das EU-UK TCA enthält jedoch äußerst umfassende Regelungen zur Liberalisierung von Investitionen (Art. SERVIN.2.1-SERVIN.2.7), die weitgehend denjenigen in Kapitel 8 CETA nachgebildet sind. Insbesondere gelten zugunsten von Investoren der anderen Vertragspartei und erfassten Unternehmen in Bezug auf establishment and operation die Prinzipien der Inländerbehandlung (national treatment – NT) und der Meistbegünstigung (most favoured nation treatment – MFN) (Art. SERVIN.2.3 Abs. 1, Art. SERVIN.2.4 Abs. 1, 2 EU-UK TCA). Jedes erfasste Unternehmen und jeder Investor einer Vertragspartei darf also im Hinblick auf establishment and operation – d.h. sowohl im Hinblick auf die Errichtung einer Niederlassung als auch auf deren Betrieb – im Gebiet der anderen Vertragspartei nicht weniger günstig behandelt werden als inländische Investoren (NT) und Investoren aus Drittstaaten (MFN) in vergleichbaren Situationen. Dies setzt aber notwendig voraus, dass ein Investor einer Vertragspartei und ein erfasstes Unternehmen von der anderen Vertragspartei als rechtsfähig anerkannt werden müssen – und zwar als juristische Person nach dem Recht der Vertragspartei, nach dem sie gegründet wurden.

Eine Ausnahme wäre aufgrund der Definition des Begriffs legal person of a Party (Art. SERVIN.1.2(k) EU-UK TCA) allenfalls zulässig für Gesellschaften, die auf dem Gebiet des UK keine substantive business operations ausüben. Dies würde aber nur sehr wenige Fälle ausschließen und zudem Praxis und Gerichte mit erheblichen Abgrenzungsproblemen belasten. Insgesamt sprechen daher die besseren Argumente dafür, im Verhältnis zum UK (weiterhin) generell die Gründungstheorie anzuwenden.

Wegfall der Bindung des UK an das EU-Gesellschaftsrecht

Eine weitere wichtige Konsequenz des Brexit ist, dass das UK mangels EU-Mitgliedschaft nicht mehr an das EU-Gesellschaftsrecht gebunden ist. Das UK hat jedoch weite Teile des EU-Gesellschaftsrechts in sein innerstaatliches Recht inkorporiert.

Gleichwohl gibt es seit dem 1.1.2021 einige wichtige Neurungen, u.a.:

  • Das UK ist nicht mehr am BRIS beteiligt.
  • Grenzüberschreitende Verschmelzungen zwischen UK-Kapitalgesellschaften und EU-/EWR-Kapitalgesellschaften auf der Basis der nationalen Umsetzungsvorschriften zur GesRRL (in Deutschland: §§ 122a ff. UmwG) sind nicht mehr möglich. Die Vertrauensschutzregelung des § 122m UmwG geht ins Leere.
  • Grenzüberschreitende Spaltungen und grenzüberschreitende Formwechsel auf der Basis der Art. 49, 54 AEUV bzw. der GesRRL sind ebenfalls nicht mehr möglich.
  • Es können keine SE, SCE und EWIV mit Sitz im UK mehr gegründet werden. SE, SCE und EWIV aus EU-/EWR-Mitgliedstaaten können ihren Sitz nicht mehr ins UK verlegen. Im UK noch existierende SE und EWIV wurden zum 1.1.2021 ipso iure in UK Societas bzw. UKEIG umgewandelt.

Ausführlich zum Ganzen demnächst J. Schmidt GmbHR 5/2021.