Insolvenzanfechtung unberechtigter Dividendenzahlungen nur gegenüber gutgläubigen Aktionären?

Im aktuellen BGH-Urteil vom 30.3.2023 – IX ZR 121/22 hat der IX. Zivilsenat entschieden, dass Dividendenzahlungen, die auf einem nichtigen Jahresabschluss beruhen, wegen Unentgeltlichkeit gemäß § 134 InsO anfechtbar sind. Die Privilegierung in § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG nützt dem gutgläubigen Aktionär gegenüber der Insolvenzanfechtung nichts, weil sie nur für den gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruch gilt. Fälle wie „Wirecard“ lassen insoweit grüßen und die Anleger bangen!

Der IX. Zivilsenat überträgt die mit BGHZ 214, 350 = ZIP 2017, 1233 begründete neue Rechtsprechung zur Unentgeltlichkeitsanfechtung bei rechtsgrundlosen Leistungen auf gesellschaftsrechtlich unzulässige Dividendenzahlungen. Auch hier soll § 134 InsO nur in solchen Fällen eingreifen, in denen der Empfänger keinem zivilrechtlichen – nun gesellschaftsrechtlichen – Rückforderungsanspruch ausgesetzt ist (Rz. 13 ff. der Entscheidungsgründe). Im Ergebnis haftet nur der gutgläubige Aktionär auf Rückgewähr aus § 134 InsO, nicht hingegen der bösgläubige und damit weniger schutzwürdige Aktionär.

I. Vermeintliche oder echte Wertungswidersprüche der jüngeren Rechtsprechung?

Die von mir in KTS 2022, 423 ff. und ZIP 2023, 169 ff. an jener Rechtsprechung geübte Kritik weist der IX. Zivilsenat erstmals ausdrücklich zurück (Rz. 17 f. der Gründe), ohne dass die Begründung für mich nachvollziehbar wäre. Jene Wertungswidersprüche, welche der IX. Zivilsenat vor gut 30 Jahren selbst noch erkannt und zu vermeiden gesucht hatte (BGH v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98, 105 f. [juris-Rn. 21]; dazu Bitter, KTS 2022, 423, 451 f.; ZIP 2023, 169, 171 ff.), werden nun als „angebliche“ bzw. „vermeintliche“ Widersprüche abgetan. Will die heutige Besetzung des IX. Senats damit sagen, dass die früheren Richterkollegen im Jahr 1990 einem Irrtum unterlagen, als sie jenen Wertungswiderspruch aufzeigten, der sich auf der Basis der heutigen Rechtsprechung ergibt? Wird § 134 InsO immer nur dann angewendet, wenn ein Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB an §§ 814, 817 BGB scheitert, laufen das Bereicherungs- und Anfechtungsrecht wertungsmäßig auseinander: Nur ein im Bereicherungsrecht als schutzwürdig erkannter und deshalb nicht der Rückforderung unterworfener Empfänger wird der Unentgeltlichkeitsanfechtung ausgesetzt und umgekehrt.

Die von mir im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des IX. Senats entwickelte Gegenposition, nach der alle rechtsgrundlosen Leistungen gemäß § 134 InsO anfechtbar sind, wird in Rz. 18 des neuen Urteils mit folgenden Worten in Frage gestellt: „Die vermeintlichen Wertungswidersprüche sollen nicht aufgelöst, sondern dadurch überdeckt werden, dass jede rechtgrundlose Leistung zugleich unentgeltlich im Sinne des § 134 InsO ist (Bitter, KTS 2022, 423, 476; ders., ZIP 2023, 169, 175).“ Doch ging es mir nicht um irgendeine „Überdeckung“ von (angeblich nur vermeintlichen) Widersprüchen, sondern allein um die Erkenntnis, dass der Tatbestand der „Unentgeltlichkeit“ i.S.v. § 134 InsO bei rechtsgrundlosen Leistungen völlig unabhängig davon erfüllt ist, ob die erbrachte Leistung zugleich nach § 812 BGB zurückgefordert werden kann oder nicht. Immer noch erläutert der IX. Senat nicht, warum ein Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB bzw. im aktuellen Urteil ein gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch als relevante „Gegenleistung“ für den abgeflossenen Vermögenswert in Betracht kommen soll, obwohl der IX. Senat hierfür ansonsten immer fordert, dass die Parteien selbst eine Verknüpfung zwischen Leistung und „Gegenleistung“ hergestellt haben. Daran fehlt es bei rechtsgrundlosen Leistungen offensichtlich, weil niemand eine rechtsgrundlose Leistung erbringt, um im Gegenzug einen Anspruch aus § 812 BGB zu erlangen (näher Bitter, ZIP 2023, 169, 173 f.). Ebenso erbringt keine Gesellschaft eine gesellschaftsrechtlich unzulässige Dividendenzahlung, um als „Gegenleistung“ einen gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruch (aus § 62 AktG) zu erlangen.

Ebenso erläutert der IX. Zivilsenat auch in seinem neuen Urteil nicht, warum bei einer nichtigen Schenkung der entstehende Bereicherungsanspruch nicht als Kompensation in Betracht kommen soll, wohl aber bei anderen nichtigen Verträgen (dazu schon Bitter, ZIP 2023, 169, 173). Bei einer nichtigen Schenkung stellt der BGH maßgeblich darauf ab, ob „– die Wirksamkeit des Grundgeschäfts unterstellt – dem Schuldner bereits nach dem Grundgeschäft keine ausgleichende Gegenleistung zufließen sollte“ (Rz. 13 der Entscheidungsgründe). Wie aber eine nichtige und damit rechtlich wirkungslose Willenserklärung über die Einordnung des Grundgeschäfts als „unentgeltlich“ i.S.v. § 134 InsO entscheiden kann, erklärt der IX. Zivilsenat auch in seinem neuen Urteil nicht.

Kurzum: Meine Kritik ist in keiner Weise entkräftet, während der BGH schlicht an seiner bisherigen Linie festhält und diese auf (fehlende) gesellschaftsrechtliche Rückgewähransprüche überträgt. Die dadurch hervorgerufenen, früher vom IX. Senat selbst noch erkannten Wertungswidersprüche bestehen nicht nur „angeblich“ oder „vermeintlich“, sondern sie sind real. Langfristig lässt sich so keine konsistente und überzeugende Rechtsprechung begründen.

II. Vorrang der Insolvenzanfechtung vor der gesellschaftsrechtlichen Privilegierung

Überzeugend erscheint es hingegen, wenn der IX. Zivilsenat in seinem ersten Leitsatz festhält, dass der aktienrechtliche Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers eine Insolvenzanfechtung nicht ausschließt (näher Rz. 32 ff. der Entscheidungsgründe; a.A. insbesondere Foerster, WM 2022, 2359 ff. m.w.N. zum Streitstand). Ganz allgemein gibt die Insolvenzanfechtung – wie der BGH mit Recht betont – dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, Leistungen des späteren Insolvenzschuldners auch dann zurückzufordern, wenn dies nach dem zugrunde liegenden Zivilrecht (hier Gesellschaftsrecht) nicht möglich wäre. Besonders deutlich wird dies am Paradefall des § 134 InsO, der echten Schenkung i.S.v. § 516 BGB. Obwohl der Beschenkte das Geschenk nach dem Zivilrecht behalten dürfte, muss er es in der Insolvenz des Schenkers zugunsten der Insolvenzgläubiger herausgeben, weil sein unentgeltlicher Erwerb speziell in der Mangelsituation der Insolvenz gegenüber den vorrangigen Interessen jener Insolvenzgläubiger zurückzutreten hat, die werthaltige Leistungen aus ihrem Vermögen an den späteren Insolvenzschuldner erbracht haben und nun nicht mehr befriedigt werden können (vgl. Bitter, KTS 2022, 423, 469 m.w.N.). Das Insolvenzrecht folgt insoweit eigenen Wertungen und es bedürfte klarer Anhaltspunkte, dass der gesellschaftsrechtliche Gesetzgeber den Schutz des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG auch gegenüber jenem Sonderrecht der Insolvenzanfechtung gewähren wollte.

Gerade weil aber das Insolvenzanfechtungsrecht eigenen Wertungen folgt, es insbesondere in § 134 InsO an das fehlende „Entgelt“, also die fehlende – von den Parteien selbst hergestellte – Verbindung zu einer „Gegenleistung“ anknüpft, sind rechtsgrundlose und/oder gesellschaftsrechtlich nicht berechtigte Leistungen unabhängig davon rückforderbar, ob sie im Einzelfall zugleich einen zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch auslösen oder nicht. Wer schon zivilrechtlich zur Rückgewähr verpflichtet ist, muss jedenfalls erst recht der Unentgeltlichkeitsanfechtung unterliegen (oben I.).

Prof. Dr. Georg Bitter, Universität Mannheim

Inkongruente Gewinnverwendung und inkongruente Ausschüttung

Erfreulicherweise räumt die Finanzrechtsprechung und insbesondere die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs den Gesellschaftern einer GmbH großen Gestaltungsspielraum – mit steuerlicher Wirkung – sowohl bei der Gewinnverwendung als auch bei der Gewinnausschüttung ein. Mit Urteil vom 28.9.2021 (BFH v. 28.9.2021 – VIII R 25/19, GmbHR 2022, 140 m. Anm. Binnewies) hat der BFH erstmals die inkongruente Gewinnverwendung steuerrechtlich anerkannt. Im Rahmen der Gewinnverwendung haben die Gesellschafter einer GmbH damit die Freiheit zu entscheiden, dass nur die Gewinnanteile einzelner Gesellschafter zur Ausschüttung zur Verfügung gestellt werden und Gewinnanteile anderer Gesellschafter in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden. Beispiel: A und B sind zu jeweils 50 % an der C-GmbH beteiligt. Im Rahmen der Gewinnverwendung wird beschlossen, dass 50 % des Gewinns in eine personenbezogene Gewinnrücklage des A eingestellt werden. 50 % des Gewinns werden zur Ausschüttung zur Verfügung gestellt und im Anschluss inkongruent an B ausgeschüttet. Durch diese Gestaltung wird eine Verschiebung von Gewinnen zwischen A und B ausgeschlossen, sodass keine schenkungssteuerlichen Fragen aufgeworfen werden. Eine endgültige Vermögensverschiebung zwischen A und B auf der Gesellschafterebene findet nicht statt. 50 % des Gewinns sind für A in dessen Gewinnrücklage thesauriert. Die anderen 50 % sind an B ausgekehrt. Die Einstellung von 50 % des Gewinns in die personenbezogene Gewinnrücklage für A löst bei A noch keinen Zufluss aus. A erzielt keine Einkünfte aus Kapitalvermögen in Form einer Dividende, solange die personenbezogene Rücklage nicht aufgelöst und ihre Auskehrung an A beschlossen wird. Erst dann entsteht nach § 29 GmbHG ein Anspruch auf Auszahlung.

Von der inkongruenten Gewinnverwendung ist die inkongruente Ausschüttung zu unterscheiden. Nach der Frage, ob der Gewinn ganz oder anteilig thesauriert in die allgemeine oder personenbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, schließt sich bezüglich des Gewinns, der zur Ausschüttung zur Verfügung gestellt wird, die Frage an, ob der zur Ausschüttung bereitgestellte Gewinn kongruent, d.h. entsprechend der Beteiligungen am Nennkapital, oder inkongruent an einzelne Gesellschafter, d.h. abweichend von ihrer Beteiligung am Nennkapital, ausgeschüttet wird. Mit Urteil vom 28.9.2022 (BFH v. 28.9.2022 – VIII R 20/20, GmbHR 2023, 127 m. Anm. Obser) hat der BFH einmal mehr bestätigt, dass auch die inkongruente Gewinnausschüttung steuerrechtlich anzuerkennen ist. Dies hatte der BFH erstmals im Jahr 1998 entschieden und danach mehrfach wiederholt ausgesprochen. Besonderheit dieser Entscheidung ist, dass dies auch im Rahmen von satzungsdurchbrechenden Beschlüssen möglich ist. Grundsätzlich setzen sowohl die inkongruente Gewinnverwendung als auch die inkongruente Gewinnausschüttung eine entsprechende Satzungsklausel in der Satzung einer GmbH voraus. Wird aber mit satzungsändernder Mehrheit ein Beschluss gefasst, der sich in der Wirkung des konkreten Beschlusses erschöpft und keine dauerhafte Abänderung der Satzung herbeiführen soll, geht die ganz herrschende Auffassung im Gesellschaftsrecht davon aus, dass ein solcher Beschluss zivilrechtlich wirksam ist. In dem dem Urteil des BFH zugrunde liegenden Fall war sogar einstimmig beschlossen worden. Diese zivilrechtliche Anerkennung von satzungsdurchbrechenden Beschlüssen zeichnet der BFH nunmehr steuerrechtlich nach. Moderne Satzungen einer GmbH sollten gleichwohl sowohl für die inkongruente Gewinnverwendung als auch für die inkongruente Ausschüttung eine entsprechende Eröffnungsklausel in der Satzung vorsehen. Insgesamt ist diese Entwicklung in der Rechtsprechung des BFH ausgesprochen praxisfreundlich und eröffnet sinnvolle Gestaltungsspielräume.

Gewerbesteuer auf ausländische Dividenden – § 9 Nr. 7 GewStG vor dem Umbruch

§ 9 Nr. 7 GewStG, die Vorschrift zur gewerbesteuerlichen Freistellung von Ausschüttungen, ist erneut in der steuerrechtlichen Diskussion. Durch das EuGH-Urteil vom 20.9.2018 – C-685/16, BStBl. II 2019, S. 111, war „unionsrechtlicher Druck“ auf die Regelung entstanden. Dieser ging aber – ähnlich wie bei der Genese des § 8b Abs. 4 KStG vor einigen Jahren – nur in Richtung „Gleichbehandlung“, nicht zwingend „Besserbehandlung“. Der Gesetzgeber will nun die gewerbesteuerliche Freistellung für ausländische Ausschüttungen der inländischen anpassen – „15% zu Beginn des Erhebungszeitraums“ soll die magische Formel in Zukunft sein.

Ob die Gleichschaltung des § 9 Nr. 2a GewStG und § 9 Nr. 7 GewStG in seinen Varianten für in- und ausländische leistende Körperschaften einen großen Einfluss auf die Steuerbelastung haben wird, ist unklar. Beachtlich sind in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen deutschen ertragsteuerlichen Doppelbesteuerungsabkommen, die sachlich auch auf die Gewerbesteuer anwendbar sind. All diesen Fragen geht mein Beitrag in „GmbHR im Blickpunkt“ in Ausgabe 12/2019 nach.