Gesetz zur virtuellen HV – mehr Schein als Sein

Das Gesetz zur dauerhaften Einführung virtueller Hauptversammlungen hat die letzten wichtigen Etappen des Gesetzgebungsverfahrens bewältigt: Expertenanhörung im Rechtsausschuss am 22.6.2022, Änderungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 1.7.2022, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 6.7.2022, zweite und dritte Lesung im Bundestag am 7.7.2022. Wer die Anhörung im Rechtsausschuss verfolgt hat, durfte den Eindruck gewinnen, dass der dort diskutierte Regierungsentwurf nicht nur an punktuellen, sondern an sehr grundsätzlichen, konzeptionellen Mängeln leidet. Deutlich zu spüren war deshalb auch die Sorge der Parlamentarier, mit dem neuen virtuellen Format eine Karteileiche zu schaffen – ähnlich wie früher schon mit den Vorschriften zur Online-Teilnahme, zum Aktionärsforum, zur Geschäftsordnung der HV und einigen anderen mehr. Dessen ungeachtet hat auch der Rechtsausschuss die Eckpfeiler des Gesetzes nicht mehr angetastet (sie dürfen als bekannt gelten, siehe hierzu meine Blog-Beiträge vom 15.2.2022 zum RefE und vom 28.4.2022 zum RegE). Nur kleinere Änderungen haben sich auf den letzten Metern noch ergeben:

Rechtsgrundlage

Es bleibt dabei, dass das virtuelle Format nur für einen Übergangszeitraum bis zum Herbst 2023 unmittelbar kraft Gesetzes genutzt werden darf (entscheidend ist die Einberufung der HV spätestens am 31.8.2023). Danach steht es nur noch zur Verfügung, wenn die Satzung es vorschreibt oder den Vorstand entsprechend ermächtigt – jeweils für eine Dauer von maximal fünf Jahren. Abweichend vom Regierungsentwurf ist aber nicht mehr vorgesehen, dass die Satzung bestimmte Beschlussgegenstände vom virtuellen Format ausnehmen, sprich: sie einer herkömmlichen Präsenzversammlung vorbehalten kann. Der Gesetzgeber kehrt damit zurück zum breiteren Ansatz des Referentenentwurfs. Dieser Schritt soll laut dem Ausschussbericht die Gleichwertigkeit des virtuellen Formats mit der Präsenzversammlung hervorheben. Überdies wurde offenbar erkannt, dass eine Beschränkung der Beschlussgegenstände für virtuelle Versammlungen auf europarechtlich vermintes Gelände geführt hätte – mit Blick auf das Recht der Aktionäre aus Art. 6 der EU-Aktionärsrechte-RL, eine Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen.

Doppeltes Rederecht

Das Rederecht der Aktionäre wird weiterhin doppelt verwirklicht: im Vorfeld der virtuellen HV per Stellungnahme, die vorab übermittelt und veröffentlicht wird, sowie während der HV per Live-Redebeitrag. Neu ist, dass die Stellungnahme im Vorfeld nur noch ordnungsgemäß angemeldeten Aktionären angeboten werden muss. Außerdem, dass die Gesellschaft sie nur ordnungsgemäß angemeldeten Aktionären zugänglich machen muss und dies auch über die Internetseite eines Dritten geschehen darf. Das eröffnet die Möglichkeit, hierfür das zugangsbeschränkte HV-Portal zu nutzen, das sich üblicherweise auf der Internetseite eines Dienstleisters befindet. Schließlich ist auch neu, dass die Gesellschaft sich in der Einberufung vorbehalten darf, einen Live-Redebeitrag während der HV von einem Funktionstest abhängig zu machen. Schlägt dieser Test fehl, darf die Gesellschaft den Redebeitrag zurückweisen. Dies begrenzt dann nicht nur die Rechtsfolgen etwaiger Funktionsstörungen (Stichwort: Anfechtungsausschluss). Die Gesellschaft wird vielmehr in die Lage versetzt, Funktionsstörungen während der virtuellen HV vorzubeugen – auch im Interesse der (anderen) Aktionäre an einem geordneten Versammlungsablauf.

Doppeltes Fragerecht

Auch das Fragerecht bleibt ein doppeltes. So jedenfalls, wenn der Vorstand den Aktionären aufgibt, ihre Fragen schon im Vorfeld der virtuellen HV einzureichen. Diese Option war aus Sicht der Unternehmen ein wesentlicher Vorzug des virtuellen Formats unter Geltung des COVMG. Sie schaffte Raum dafür, Fragen zur weiteren Bearbeitung entweder nach Themenkomplexen oder nach Urhebern zu bündeln, im Zusammenhang zu antworten und sachgerechte Schwerpunkte zu setzen. Das neue virtuelle Format jedoch gewährt diesen Vorzug nur noch um den Preis, dass die Gesellschaft die vorab eingereichten Fragen nicht erst in der HV aufgreift, sondern samt schriftlicher Antworten schon vorher veröffentlicht. Dies mit der Folge, dass der Vorstand in der HV keine mündlichen Auskünfte mehr erteilen muss – einerseits. Andererseits kann diese Vorgabe die Anforderungen an Vollständigkeit, Genauigkeit und Verständlichkeit der Antworten erhöhen, überlässt dem Fragesteller den Erstzugriff auf kritische Themen und degradiert die mündliche Vorstandsrede am Versammlungstag vom Auftakt zum Schlusspunkt des kommunikativen Prozesses.

Nach- bzw. Rückfragen zu den (vorab) erteilten Antworten bleiben in der HV allerdings statthaft. Jeder angemeldete Aktionär kann sie stellen, sowohl zu eigenen als auch zu fremden Ausgangsfragen. Auch bleibt es beim Ansatz des Regierungsentwurfs, dass die Aktionäre während der virtuellen HV erstmalige Fragen noch zu solchen Sachverhalten stellen dürfen, die sich erst kurzfristig ergeben haben und daher vorab nicht berücksichtigt werden konnten.

Wieder entfallen ist hingegen das noch weitergehende Aktionärsrecht, bei ausreichender Restzeit sogar noch längst bekannte Sachverhalte erstmalig in der HV zu thematisieren. Das ist zu begrüßen, wird aber in der Praxis wenig ändern. Denn es bleibt dabei, dass der Gesetzgeber den Begriff der Nach- oder Rückfrage im Zweifel weit verstanden wissen möchte. Die Gesellschaft trägt daher das Risiko, die (ggf. nur lockere) Verbindung zu einer Ausgangsfrage zu übersehen. Das ist umso wahrscheinlicher, je breiter das Spektrum der Ausgangsfragen ausfällt und je allgemeiner diese gefasst sind. Außerdem können findige Aktionäre unschwer argumentieren, ein Altsachverhalt sei erst kürzlich (erneut) in der Presse, in einem Internetforum oder auch im just gehaltenen Redebeitrag eines Mitaktionärs aufgegriffen worden – was ihn in einem neuen Licht erscheinen lasse und daher den Aktionären ein uneingeschränktes Fragerecht in der virtuellen HV eröffne.

Immerhin: Den Vorstandsbericht muss die Gesellschaft nur dann vorab veröffentlichen, wenn sie die Aktionäre mit ihren Fragen im Ausgangspunkt tatsächlich in das Vorfeld der HV verweist.

Doppeltes Antragsrecht

Das doppelte Antragsrecht des Regierungsentwurfs – sowohl vor als auch während der virtuellen HV – bleibt nahezu unberührt. Neu ist nur, dass spontane Anträge und Wahlvorschläge während der HV in jedem Fall mündlich zu stellen sind, nämlich per Videokommunikation. Damit entfällt die Option einer elektronischen Antragstellung per Knopfdruck. Zugleich wird der Antragsteller zeitlich auf die „Aussprache“ verwiesen. Er kann also seine Anträge nicht schon während der Eröffnung oder der Verlesung der Regularien stellen. Ebenso wenig während der Vorstandsrede, des Berichts des Aufsichtsrats, einer Abstimmung oder einer Beschlussfeststellung. Im Ausschussbericht heißt es hierzu, das Antragsrecht werde auf diese Weise dem Mündlichkeitsprinzip der Präsenzversammlung nachgebildet. Dies auch mit der Folge, dass die Einbringung von Anträgen für alle Versammlungsteilnehmer transparent sei. Dem entspricht es, dass das Gesetz an anderer Stelle das Live-Rederecht nicht nur auf etwaige (Nach-)Fragen erstreckt, sondern ausdrücklich auch auf Anträge und Wahlvorschläge.

Zu kurz gesprungen

Gemessen am Regierungsentwurf sind all diese Punkte wichtige Fortschritte. Sie ändern aber nichts an dem Befund, dass das neue virtuelle Format kaum mehr ist als eine (schlechte) Kopie der Präsenzversammlung – mit einigen zusätzlichen Hindernissen und Fallstricken für die Unternehmen als Zugabe.

Insbesondere bleibt es dabei, dass die Aktionäre ein doppeltes Rederecht, ein doppeltes Fragerecht und ein doppeltes Antragsrecht erhalten. Der Aufsichtsrat muss sich, trotz seiner traditionell passiven Rolle in der HV, im Regelfall in voller Besetzung vor Ort einfinden. Das ist schon bei Präsenzversammlungen schwer verständlich, bei virtueller HV aber gänzlich sinnlos. Und es werden zahlreiche neue Detailfragen aufgeworfen, bis zu deren gerichtlicher Klärung viele Jahre vergehen dürften – anders als unter dem COVMG nunmehr mit vollem Anfechtungsrisiko. All das macht das neue virtuelle Format aus Sicht vieler Unternehmen wenig attraktiv. Das gilt umso mehr, als das erklärte weitere Reformziel, die virtuelle HV zu „entzerren“, erkennbar verfehlt worden sein dürfte.

Als Anreiz zur Nutzung des virtuellen Formats bleiben damit in erster Linie die niedrigeren Kosten. Nur dürfte der Gesetzgeber auch insoweit einem (Kalkulations-)Irrtum aufsitzen: Erstens müssen die Anbieter der digitalen Infrastruktur ihre Tools an den neuen, deutlich anspruchsvolleren Rechtsrahmen anpassen. Und zweitens werden nicht wenige (auch große) Gesellschaften künftig wohl wieder in Präsenz tagen; es schrumpft also der Kreis der Abnehmer für digitale Lösungen. Beides bleibt gewiss nicht ohne Auswirkungen auf die Preise, zu denen das Produkt „virtuelle HV“ künftig am Markt zu haben sein wird.

Regierungsentwurf zur virtuellen HV – Cui bono?

„Wir ermöglichen dauerhaft Online-Hauptversammlungen und wahren dabei die Aktionärsrechte uneingeschränkt“ – so heißt es im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP aus dem vergangenen Jahr. Diesen Programmsatz zu verwirklichen, erweist sich indessen als echte Herkules-, wenn nicht sogar als Sisyphusaufgabe. Aktionärsschützer liefen Sturm, als das BMJ im Februar 2022 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften vorlegte und sich dabei eng am COVMG orientierte (zum Referentenentwurf s. den Blog-Beitrag v. 15.2.2022). Ihr Kernanliegen: Das virtuelle Format dürfe nicht dazu dienen, die Aktionärsrechte im Verhältnis zur Präsenzversammlung zu beschneiden oder ihre Ausübung zu erschweren. Am 27.4.2022 hat das Bundeskabinett nun einen überarbeiteten Regierungsentwurf beschlossen. Jedoch schwingt das Pendel damit weit in die andere Richtung – aus Unternehmenssicht wohl: zu weit. Anträge sollen sowohl vor als auch noch in der virtuellen HV gestellt werden können, einfach per Knopfdruck. Vorab eingereichte Fragen soll die Gesellschaft schon vor der HV schriftlich auf ihrer Internetseite beantworten. Und während der laufenden HV sollen nicht nur Rückfragen zulässig sein, sondern auch Erstfragen zu neuen und mitunter sogar zu längst bekannten Sachverhalten. Damit schließt der RegE nicht zur Präsenzversammlung auf; er geht weit über deren Maß hinaus.

Was bleibt?

Der RegE belässt es dabei, dass die Satzung das virtuelle Format entweder selbst anordnen oder den Vorstand entsprechend ermächtigen kann – jeweils befristet auf maximal fünf Jahre. Nach Ablauf der jeweiligen Frist muss die Satzungsklausel erneuert werden. Unmittelbar auf gesetzlicher Basis kann der Vorstand das virtuelle Format nur für die Dauer eines einmaligen Übergangsjahres nutzen. Ebenso bleibt es dabei, dass eine virtuelle HV gewisse Mindeststandards für die Aktionäre einhalten muss, unter anderem:

  • Übertragung der gesamten HV in Bild und Ton
  • elektronische Stimmabgabe
  • ein Antrags- sowie ein „Auskunftsrecht“ (terminologisch richtig wäre: ein Fragerecht), die allerdings beide erheblich aufgewertet werden und auf die noch näher einzugehen sein wird
  • Bereitstellung des Vorstandsberichts oder seines wesentlichen Inhalts spätestens sieben (statt ursprünglich sechs) Tage vor der HV
  • Einreichung von Stellungnahmen, insbesondere Videobotschaften, bis fünf (statt ursprünglich vier) Tage vor der HV
  • Live-Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation
  • Widerspruchsrecht in der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation
  • Aufnahme „elektronisch zugeschalteter“ Aktionäre in das Teilnehmerverzeichnis
  • Anfechtungsbefugnis auch für „elektronisch zugeschaltete“ Aktionäre

Und schließlich erblickt der RegE in der virtuellen HV auch unverändert eine „vollwertige Versammlungsform“, d.h. ausdrücklich keine „Versammlung zweiter Klasse“. Eine virtuelle HV dürfe daher über sämtliche Gegenstände beschließen, die auch Gegenstand einer Präsenzversammlung sein können, insbesondere auch über Kapital-, Struktur- und Umwandlungsmaßnahmen. Neu ist allein, dass die Satzung konkrete Ausnahmen bezeichnen, d.h. bestimmte Beschlussgegenstände einer Präsenzversammlung vorbehalten darf.

Anträge, immer und überall

Gravierende Änderungen finden sich hingegen beim Antragsrecht:

Wie schon der RefE sieht zwar auch der RegE vor, dass Gegenanträge und Wahlvorschläge innerhalb der bekannten 14-Tagesfrist an die Gesellschaft übersandt werden können und damit als gestellt gelten. Es ist also nicht erforderlich, sie in der virtuellen HV noch mündlich zu stellen – ein wesentlicher Unterschied zur Präsenzversammlung.

Damit hat es aber kein Bewenden. Ergänzend möchte der RegE jedem elektronisch zugeschalteten Aktionär spontane Anträge noch während der virtuellen HV erlauben, und zwar im Wege elektronischer Kommunikation. Das gilt ausweislich der Begründung für „[a]lle Anträge und Wahlvorschläge“, einschließlich Geschäftsordnungs- und Sonderprüfungsanträgen. Dafür kann, muss aber nicht unbedingt Videokommunikation genutzt werden. Es soll auch denkbar sein, spontane Anträge über Textfelder des Aktionärsportals oder per E-Mail zu übermitteln. Dahinter steht das erklärte Bestreben, die virtuelle HV der Präsenzversammlung möglichst anzunähern.

Tatsächlich würde dieses Ziel jedoch weit übertroffen. Denn die prozeduralen und psychologischen Hürden zur Stellung von Anträgen, gleich welchen Inhalts oder mit welcher Begründung, würden gemessen an einer Präsenzversammlung erheblich herabgesetzt. Zum einen, weil der Antragsteller sich nicht mehr notwendig zu Wort melden und aufrufen lassen muss; sein Aktionsradius wäre also, anders als in der Präsenzversammlung, nicht mehr auf die Generaldebatte beschränkt. Zum anderen, weil die Anwesenheit anderer Aktionäre und ggf. der Presse sowie auch die Stimmung im Saal oftmals eine disziplinierende Wirkung auf einen Redner haben. Die anderen Aktionäre lassen es einen Redner durchaus spüren, wenn er einen allzu langen, aussichtslosen oder unsinnigen Antrag stellt. Ebenso, wenn er seinen Antrag erkennbar zur Unzeit vorbringt – von wiederholten oder konzertierten Aktionen ganz zu schweigen. Nötigenfalls kann auch der Versammlungsleiter präventiv eingreifen. Diese mäßigenden Faktoren entfallen, wenn der Antragsteller nicht selbst in Erscheinung tritt, sondern aus seinem Wohnzimmer vorbereitete Texte per Knopfdruck einreicht.

Fragen über Fragen

Eine ähnliche Doppelung ergibt sich beim Fragerecht:

Einerseits soll der Aktionär befugt sein, seine Fragen elektronisch vorab einzureichen – ähnlich wie auch heute schon unter der Geltung des COVMG, allerdings nicht mehr mit nur einem Tag, sondern mit immerhin drei Tagen Vorlauf auf die HV. Während der HV soll er anschließend noch Nach- bzw. Rückfragen stellen können. Das gilt nicht nur für eigene, sondern ausdrücklich auch für fremde Ausgangsfragen und die dazu erteilten Antworten.

Andererseits soll der Aktionär aber berechtigt sein, erstmalige Fragen noch während der laufenden HV zu solchen Sachverhalten zu stellen, die sich erst kurzfristig ergeben haben – beispielsweise zu Geschäftszahlen oder Presseartikeln, die unmittelbar vor der HV veröffentlicht worden sind. Und mehr noch: Es sollen sogar (weitere) erstmalige Fragen zu längst bekannten Sachverhalten zulässig sein, die man auch schon im Vorfeld hätte adressieren können. Dies aber nur, sofern deren Beantwortung nach Behandlung vorrangiger Erst- und Rückfragen noch „innerhalb des angemessenen Zeitraums der Versammlung“ möglich ist.

Eine echte Filterfunktion dürfte damit aus praktischer Sicht nicht verbunden sein. Es sollte ein Leichtes für den Fragesteller sein, in der HV oder auch erst später im Beschlussmängelstreit zu behaupten, ein entscheidender Zusammenhang oder ein verstärkendes Adjektiv sei erstmals kurz vor der HV zu lesen gewesen, in der Presse, in einem Internetforum oder auch anderenorts. Denkbar ist auch, dass er sich auf den just gehaltenen Live-Redebeitrag eines Mitaktionärs mit (vermeintlich) neuen Behauptungen bezieht. Die Grenze zwischen neuen und alten Sachverhalten verschwimmt dann. Es ist somit kaum vorstellbar, dass eine auf Rechtssicherheit bedachte Gesellschaft eine Frage als verspätet zurückweist. Dies umso weniger, als selbst verspätete Fragen ja ohnehin zulässig bleiben sollen, solange nur die HV nicht zeitlich aus dem Ruder läuft.

Für all diese Erst- und Rückfragen in der HV kann der Aktionär neben Texteingaben auch seinen Live-Redebeitrag per Videokommunikation nutzen. Der Versammlungsleiter kann ihn umgekehrt auf den Weg der Videokommunikation beschränken.

Kommunikative Lufthoheit

Hinzu kommt, dass die Gesellschaft laut dem RegE vorab eingereichte Fragen auf ihrer Internetseite schriftlich beantworten muss – und zwar spätestens einen Tag vor der virtuellen HV. Davon verspricht das Bundeskabinett sich mehr Transparenz sowie straffere Abläufe am eigentlichen Versammlungstag. Denn der Vorstand soll befugt sein, die Aktionäre in der virtuellen HV auf seine schriftlichen Antworten zu verweisen; er müsste sie also nicht mehr eigens verlesen. Dieses Prozedere fasst der RegE unter die Stichworte „Vorverlagerung von Informations- und Entscheidungsprozessen“ sowie „Entzerrung der HV“.

Besagtes Prozedere hat aber noch ganz andere Konsequenzen:

Erstens verkürzt sich die Bearbeitungsfrist für die Gesellschaft von drei auf zwei Tage. Denn die Antworten müssen ja nicht erst am Versammlungstag bereitstehen, sondern schon einen Tag zuvor. Das ist immer noch mehr Zeit, als aktuell unter dem COVMG zur Verfügung steht. Vom komfortablen Zeithorizont des RefE (vier Tage) entfernt sich der RegE damit aber doch deutlich.

Zweitens ist absehbar, dass eine schriftliche Beantwortung die Gesellschaft auch inhaltlich vor neue Herausforderungen stellen wird. Das geschriebene Wort ist nicht nur leichter zitierbar und hat größere Verbindlichkeit. Es erhöhen sich auch die Anforderungen an Vollständigkeit, Richtigkeit und Verständlichkeit der Antworten. Ebenso daran, dass die Antworten auf verwandte Aktionärsfragen zusammenpassen und ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Und überdies wird stets zu prüfen sein, ob vorab erteilte Antworten am Tag der eigentlichen HV noch aktuell sind – widrigenfalls der Vorstand wohl auch ohne weitere Nachfrage ein Update geben müsste.

Drittens und noch viel wichtiger: Die Gesellschaft büßt mit dem neuen Prozedere in erheblichem Umfang ihre kommunikative Hoheit ein. Es gibt nämlich nicht nur rechtliche, sondern auch handfeste praktische Gründe, aus denen eine HV mit der mündlichen Vorstandsrede beginnt – nicht hingegen mit einer Fragestunde. Das zu Beginn gesprochene Wort, vorgetragen mit der Autorität und Ausstrahlung eines Vorstands, entfaltet enorme Wirkung. Es erlaubt, die Lage der Gesellschaft im Ganzen zu präsentieren, eigene Schwerpunkte zu setzen und Dinge in einen größeren Kontext zu stellen. Dabei ist gut beraten, wer auch und gerade kritische Punkte proaktiv anspricht – und auf diese Weise erwartbaren späteren Fragen und Unmutsäußerungen vorgreift.

Diese frühen, klaren Kernbotschaften sind es denn auch, die erfahrungsgemäß ihren Weg in die Presse finden. Und sie sind es, die den späteren Vortrag eines Kritikers abschwächen, bisweilen sogar im Keim ersticken. Diese Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt, sollten sich schriftliche Fragen und Antworten demnächst schon vor der HV auf der Internetseite finden. Dann nämlich geben die kritische Frage und ein damit etwa verbundener Vorwurf den Ton an; die Antwort muss sie mühsam entkräften. Die Presse wird regelmäßig schon vor der HV auf dieser Basis berichten. Das kann die Gesellschaft auf einem zentralen Forum in die Defensive bringen.

Cui bono?

Es fragt sich, wem mit einer virtuellen HV dieses Zuschnitts noch gedient sein soll. Viele Aktionäre werden weiterhin die physische Bühne und den unmittelbaren Dialog schätzen; für sie ist und bleibt das virtuelle Format die zweite Wahl. Und auch die Unternehmen werden schwerlich Anlass sehen, ein virtuelles Format zu nutzen, das ihnen gemessen an einer Präsenzveranstaltung zusätzliche Klimmzüge abverlangt. Kleinere Nachbesserungen in die eine oder andere Richtung versprechen keine Abhilfe. Dies umso weniger, als der RegE leider insgesamt sehr kleinteilig und unpräzise ausfällt und den Rechtsanwender mit zahlreichen offenen Fragen zurücklässt – Rückwirkungen auf das Recht der Präsenzversammlung nicht ausgeschlossen.

Referentenentwurf zur virtuellen HV

In diesen Tagen erscheint im Otto Schmidt Verlag die Neuauflage des renommierten Handbuchs börsennotierte AG, u.a. mit einem umfassenden Kapitel zur Hauptversammlung aus meiner Feder. Behandelt wird darin selbstverständlich auch die virtuelle HV auf Basis des COVMG, die als Notstandsinstrument die Praxis der letzten beiden Jahre geprägt hat und noch bis Ende August 2022 genutzt werden kann. Unterdessen arbeitet das BMJ daran, die virtuelle HV inhaltlich aufzurüsten und dauerhaft im Aktiengesetz zu implementieren. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften liegt seit dem 9.2.2022 offiziell vor.

Worum geht es?

Zunächst ist bemerkenswert, worum es im RefE überhaupt geht – und auch worum nicht. Der RefE behandelt allein die neue virtuelle HV und deren Mindestanforderungen, außerdem eine punktuelle Absicherung der Gesellschaften gegen Anfechtungsrisiken bei technischen Pannen. Im Übrigen bleibt das Beschlussmängelrecht jedoch unangetastet. Gleiches gilt für das Recht der Präsenzhauptversammlung, die vollständig erhalten bleibt und gegenüber dem neuen virtuellen Format den gesetzlichen und wohl auch den praktischen Regelfall bilden soll.

Wer regelt was?

Die virtuelle HV soll, außer für die Dauer eines einmaligen Übergangsjahres, nicht unmittelbar durch Gesetz ermöglicht werden. Der RefE sieht vielmehr vor, dass die Satzung das virtuelle Format entweder selbst anordnen oder den Vorstand entsprechend ermächtigen kann – wie es bereits von der Briefwahl und der Online-Teilnahme bekannt ist. Hinzu kommt, dass die Satzungsklausel zum virtuellen Format stets eine beschränkte Laufzeit von maximal fünf Jahren haben soll. Das macht es erforderlich, die Hauptversammlung wiederkehrend mit der Frage zu befassen, ähnlich wie beim genehmigten Kapital, bei Anleiheermächtigungen oder beim Erwerb eigener Aktien. Damit verbinden sich beachtliche Hürden. Allen voran: Es bedarf im Regelfall einer Drei-Viertel-Kapitalmehrheit, außerdem der Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister, die durch etwaige Anfechtungsklagen erschwert sein kann. Für Publikumsgesellschaften mit breitem Streubesitz ist beides kein triviales Unterfangen.

Was gehört zum Programm?

Die Eckpunkte der neuen virtuellen HV sehen laut RefE wie folgt aus:

  • Übertragung der gesamten HV in Bild und Ton
  • Stimmabgabe der Aktionäre im Wege elektronischer Kommunikation
  • Geschäftsordnungsanträge während der HV im Wege elektronischer Kommunikation
  • Gegenanträge i.S.v. § 126 AktG nur vorab unter Wahrung der bekannten 14-Tagesfrist, es sei denn, die Einberufung gestattet Gegenanträge auch noch in der HV
  • „Auskunftsrecht nach § 131“ (gemeint ist: Fragerecht) im Wege elektronischer Kommunikation, wobei der Vorstand eine Vorabeinreichung der Fragen bis vier Tage vor der HV anordnen kann – dann allerdings hat der Aktionär in der Versammlung noch ein thematisch beschränktes Nachfragerecht im Wege elektronischer Kommunikation
  • Bereitstellung des Vorstandsberichts (d.h. des Redemanuskripts des CEO) oder seines wesentlichen Inhalts spätestens sechs Tage vor der HV
  • Einreichung von Stellungnahmen (insbesondere Videobotschaften) zur Tagesordnung im Wege elektronischer Kommunikation bis vier Tage vor der HV
  • Live-Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation – mit vorherigem Anmeldeerfordernis und Vergabe der verfügbaren Slots nach dem Prioritätsprinzip
  • Widerspruchsrecht in der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation
  • Aufnahme „elektronisch zugeschalteter“ Aktionäre in das Teilnehmerverzeichnis
  • Anfechtungsbefugnis auch für „elektronisch zugeschaltete“ Aktionäre

Was darf die HV?

Der RefE schränkt die Kompetenzen einer HV im neuen virtuellen Format in keiner Weise ein. Auch das virtuelle Format ist also geeignet, sämtliche Gegenstände zu behandeln, die in die Zuständigkeit der HV als Organ fallen – einschließlich weitreichender Kapital-, Struktur- und Umwandlungsmaßnahmen. Ausdrücklich heißt es in den Materialien, die virtuelle HV sei eine vollwertige Versammlungsform, im Verhältnis zur Präsenzversammlung also keine „Versammlung zweiter Klasse“.

Wie geht es weiter?

Die Verbände haben bis zum 11.3.2022 Gelegenheit, zum RefE Stellung zu nehmen. Dabei dürfte es wenig aussichtsreich sein, auf weiterreichende Reformen, namentlich des Beschlussmängelrechts oder der Präsenzversammlung, zu drängen – denn dafür fehlt neben der Zeit augenscheinlich auch ein konsensfähiger Ansatz. Was aber zu diskutieren ist, sind die Bausteine der virtuellen HV. So fällt beispielsweise auf, dass Videobotschaften (auf freiwilliger Basis) schon bisher vielfach ermöglicht, aktionärsseitig aber kaum genutzt worden sind. Es besteht also offenbar kein nennenswertes Interesse hieran. Es sollte daher überdacht werden, ob dieses Element im Gesetz wirklich verankert sein muss – zumal neben den Live-Redebeiträgen. Auch sind einige dogmatische Fehler zu beheben: So verwechselt der RefE das Auskunftsrecht (d.h. den Anspruch auf eine Antwort) mit dem Fragerecht (d.h. dem Auskunftsverlangen), übersieht die erhebliche Schnittmenge zwischen Geschäftsordnungs- und Gegenanträgen und umschreibt die vorgelagerte Übersendung von Briefwahlstimmen und Weisungen rechtsirrig als „Abstimmung“.

Fokus statt Flickenteppich

Ein weiterer Punkt: Die Entwurfsmaterialien signalisieren, dass die virtuelle HV neuen Zuschnitts kein breites Massenphänomen mehr sein wird (vgl. die zurückhaltenden Schätzungen i.R.d. Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft, Begr. RefE S. 19). Genau das mag vom BMJ politisch auch durchaus gewollt sein. Dann aber fragt sich, warum sich ihre Regelung zersplittert in nahezu jeder zentralen HV-Vorschrift niederschlagen soll. Meine Anregung ist: ein eigener, in sich geschlossener Unterabschnitt zur virtuellen HV, z.B. als neue §§ 132a ff. AktG. Dort wäre dann en bloc zu lesen, dass die HV auf Satzungsgrundlage auch im virtuellen Format stattfinden kann – mit unmittelbar anschließender Regelung aller Besonderheiten gegenüber der klassischen Präsenzversammlung. Die Vorteile liegen auf der Hand: eine schlankere und klarere Regelung, keine systematischen und thematischen Sprünge im bisherigen HV-Recht sowie die Möglichkeit, das virtuelle Format im Gesetz schlicht zu überblättern, falls es denn für die eigene Praxis keine Rolle spielt.

Hinweis des Verlags:

Weitere Informationen zu Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, finden Sie hier.

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Say on Climate

ESG als globaler Trend

Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).

All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?

Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen

Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.

Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen

Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.

A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.

Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage,  inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.