Vor wenigen Tagen ist im Verlag Dr. Otto Schmidt das Handbuch börsennotierte AG in brandaktueller 6. Auflage erschienen. Über die Datenbanken des Verlags und von juris ist das Handbuch elektronisch bereits verfügbar. In der kommenden Woche soll es dann auch als gedrucktes Werk ausgeliefert werden. Ich freue mich, dass ich dazu abermals das Kapitel zur Hauptversammlung beisteuern konnte – einschließlich zweier gänzlich neuer Abschnitte speziell zur virtuellen HV (§ 38 und § 39). Aber auch in unzähligen anderen Punkten hat das eingespielte Team aus Verlag, Herausgebern und Autoren das renommierte Werk auf den aktuellen Stand gebracht. Wichtige Stichworte sind etwa die Börsenmantel-AG, die Wiedereinführung der Mehrstimmrechte, die Reform des Kapitalerhöhungsrechts, der EU Listing Act, die CSRD und die CSDDD.
Dabei könnte das Timing kaum besser sein – denn die HV-Saison 2025 hat just in diesen Tagen begonnen. Mit Siemens, TUI und thyssenkrupp haben erste Schwergewichte (mit abweichendem Geschäftsjahr) ihre ordentlichen Hauptversammlungen 2025 bereits hinter sich gebracht. Der Höhepunkt der Saison liegt wie immer im Mai. Dann hält bekanntlich der Großteil der DAX-, MDAX- und SDAX-Gesellschaften (mit regulärem Geschäftsjahr) seine Aktionärstreffen ab. Die rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.
Was erwartet uns nun in der HV-Saison 2025?
Präsenz oder virtuell?
Die Frage des HV-Formats spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle:
Erstens geht es darum, welches Format die Unternehmen in der soeben eingeläuteten HV-Saison 2025 nutzen. Das ist noch nicht in jedem Fall absehbar. Der Rückblick auf die Jahre 2023 und 2024 zeigt, dass im DAX mit einem Verhältnis von 3:1 das virtuelle Format dominierte. Im MDAX hingegen hielten sich physische und virtuelle Veranstaltungen in beiden Jahren die Waage. Und im SDAX sowie außerhalb der wesentlichen DAX-Indizes überwog sehr klar: das Präsenzformat. Daraus lässt sich ableiten, dass in erster Linie sehr große deutsche Börsenunternehmen das virtuelle Format schätzen und nutzen – namentlich aufgrund der Kostenvorteile, der besseren Planbarkeit und der potenziell größeren Reichweite. Mittelgroße und kleinere Aktiengesellschaften, mit oder auch ohne Listing, stellen hingegen oftmals andere Erwägungen in den Vordergrund. Diese Interessenlage und damit auch das empirische Gesamtbild dürften sich in der Saison 2025 nicht grundlegend verschieben. Einige Unternehmen werden zwar das Versammlungsformat wechseln: So möchten etwa SAP und BASF nach zwei Jahren der Präsenz erstmals das neue virtuelle Format testen. Umgekehrt plant beispielsweise die Deutsche Börse erstmals seit der Pandemie wieder ein physisches Aktionärstreffen. Solche Wechsel in beide Richtungen gab es aber auch schon im Vorjahr. Auf das Gesamtbild hatten sie keine spürbaren Auswirkungen.
Zweitens steht, ähnlich wie in den Vorjahren, auch das „Wie“ beider Formate in Rede. Im Präsenzformat geht es dabei um freiwillige digitale Zusatzangebote für die Aktionäre. Zu denken ist etwa an eine Übertragung der Veranstaltung im Internet oder in einem zugangsgeschützten HV-Portal. Ferner an eine elektronische Briefwahl bis in die HV hinein – ähnlich wie im virtuellen Format. SAP hat hier in den vergangenen beiden Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen. Andere könnten sich in diesem Jahr daran orientieren. Für das virtuelle Format gibt es hingegen nur wenige echte Stellschrauben. Im Kern dreht sich hier alles um die Modalitäten des Fragerechts. Viele Aktionäre erwarten einen Live-Austausch mit dem Management. Das gilt auch für ihre Fragen und deren Beantwortung. Die allermeisten Unternehmen haben sich hierauf schon in den Vorjahren eingestellt. Das Gegenmodell, also das Einsammeln aller Fragen im Vorfeld der HV, nutzten hingegen nur wenige Gesellschaften. Dies im Übrigen mit stetig abschmelzender Tendenz. Die Deutsche Bank hat jüngst angekündigt, für ihre virtuelle HV 2025 nunmehr ebenfalls auf Live-Fragen umzustellen. Damit dürfte das „Fragenvorfeld“ sich für die aktienrechtliche Praxis erledigt haben. Es war stets aktionärsfreundlich gemeint. Bei Aktionärsschützern und in der Presse kam es aber leider niemals gut an.
Schließlich und drittens: Nahezu alle börsennotierten Gesellschaften müssen die Aktionäre in der Saison 2025 um eine neue Ermächtigung ersuchen, ihre HV bei Bedarf auch künftig rein digital abzuhalten. Hintergrund ist, dass die Notstandsgesetze der Coronazeit im Jahr 2022 ausgelaufen sind und der Gesetzgeber mit dem VHVG 2022 für das virtuelle Format einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Seither steht das virtuelle Format nicht mehr kraft Gesetzes zur Verfügung. Vielmehr muss die jeweilige Satzung eine HV im Internet, ohne physische Anwesenheit der Aktionäre, selbst vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen. Beides geht nur befristet auf maximal fünf Jahre – ähnlich wie beim genehmigten Kapital. Abweichend davon wurden die Ermächtigungen im Jahr 2023 aber zumeist nur für zwei Jahre vorgeschlagen und beschlossen – denn so forderten es mächtige Stimmrechtsberater, Investoren und Aktionärsschützer.
Deren Anforderungen haben sich seither eher noch verschärft. Es bleibt darum dabei, dass bei breitem Streubesitz eine Laufzeit der Ermächtigung von mehr als zwei Jahren kaum durchsetzbar sein wird – und entsprechend moderat fallen auch die diesjährigen Beschlussvorschläge aus. Schwer könnte sich auch tun, wer seit dem Ende der Coronapandemie ausnahmslos das virtuelle Format genutzt hat und daran in absehbarer Zukunft auch nichts ändern möchte. Dann kann sich im Aktionärskreis erheblicher Widerstand formieren. Erste Beispiele aus diesem Jahr belegen dies eindrucksvoll: So haben bei Siemens und TUI die Beschlussvorschläge für eine neue Ermächtigung die erforderliche (allerdings jeweils auch qualifizierte) Mehrheit verfehlt. Beide Unternehmen müssen demnach im kommenden Jahr in Präsenz tagen. Anders hingegen bei thyssenkrupp: Eine Präsenzversammlung im vergangenen Jahr sicherte hier die notwendige Unterstützung der Stimmrechtsberater und Investoren. Ähnlich dürfte es sich bei Infineon verhalten. Dort hat das Management für das kommende Jahr 2026 eine Präsenzversammlung in Aussicht gestellt. Auf diese Weise ließ sich ein positives Votum des einflussreichen Stimmrechtsberaters ISS erreichen. Die eigentliche HV steht bei Infineon allerdings noch bevor.
Say on Pay
Viele Unternehmen müssen im Jahr 2025 überdies den Say on Pay einholen. Gemeint sind damit die Beschlüsse der HV sowohl über das Vorstandsvergütungssystem als auch über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder. Denn hierfür sieht das Gesetz eine Vorlage wenigstens im vierjährigen Turnus vor. Zuvor ist es erforderlich, das bestehende System sorgsam auf Überarbeitungsbedarf zu überprüfen. Zwar hat sich der gesetzliche Rahmen in den vergangenen Jahren kaum verändert. Gleiches gilt für die flankierenden Empfehlungen im Corporate Governance Kodex. Die Erwartungen der Investoren und Stimmrechtsberater sind jedoch erheblich gestiegen. Von besonderer Bedeutung ist es, das Vergütungssystem für den Vorstand überzeugend auf die Strategie des Unternehmens abzustimmen – und mit der Strategie wiederum muss, je nach Aktionärskreis, der Spagat zwischen unterschiedlichen und teilweise sogar gegensätzlichen Investorenerwartungen gelingen. Das gilt vor allem in puncto ESG. Aus europäischer Sicht ist der Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten weiterhin, wenn nicht sogar mehr denn je eine wichtige Richtschnur. Demgegenüber gerät er in den USA als strategisches Ziel zunehmend unter Druck. Der jüngst vermeldete Ausstieg zahlreicher US-Unternehmen, US-Banken und US-Investoren aus Klimaallianzen macht dieses Dilemma besonders sichtbar.
Say on Climate
Aus demselben Grund dürfte der sogenannte Say on Climate in der HV-Saison 2025 allenfalls eine Nebenrolle spielen. Es besteht keine gesetzliche Pflicht, die Aktionäre über die Klima- und Umweltpolitik des Unternehmens abstimmen zu lassen. Folgerichtig können die Aktionäre einen solchen Beschlusspunkt auch nicht rechtsverbindlich verlangen. Zwei deutsche Börsenunternehmen, die Alzchem Group und die GEA Group, haben in den Jahren 2023 bzw. 2024 auf freiwilliger Basis ein Aktionärsvotum hierzu eingeholt – und dies auch mit großem Erfolg. Andere Unternehmen zeigen sich in diesem Punkt allerdings zurückhaltend. Das galt schon vor den US-Wahlen im November 2024. Jedoch wird die Zurückhaltung durch deren Ergebnis sowie den dadurch massiv beschleunigten „ESG-Backlash“ noch verstärkt. Die gute Nachricht ist aber: Auch auf Investorenseite spürt man aktuell offenbar kein echtes Bedürfnis nach einem Say on Climate. Der Beschlusspunkt wird also kaum einmal offensiv eingefordert, schon wegen der hohen Komplexität des Themas sowie auch deshalb, weil das bloße Prozedere einer Aktionärskonsultation für sich genommen keinerlei klima- oder umweltschützende Wirkung versprechen dürfte.
Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers
Die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht ist überfällig. Eigentlich hätte sie bis Mitte des Jahres 2024 stattfinden müssen. Gleichwohl haben mehrere Unternehmen schon im vergangenen Jahr – sei es auch nur vorsorglich – ihre HV einen Prüfer für den erwarteten Nachhaltigkeitsbericht 2024 wählen lassen. Zu nennen sind aus dem DAX40 namentlich Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Post, E.ON, Fresenius, MTU Aero Engines, Münchener Rück, SAP und Symrise. Demgegenüber setzte die Mehrheit der Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Hoffnung noch in eine gesetzgeberische Übergangslösung. Diese ist aber nunmehr – ebenso wie die Umsetzung der CSRD insgesamt – auf unabsehbare Zeit vertagt. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission kürzlich unter dem Stichwort „Omnibus“ eine Konsolidierung und Komprimierung der CSRD, der CSDDD, der Taxonomie-VO sowie weiterer „grüner“ Regelwerke in Aussicht gestellt hat. Gleichwohl dürfte die Wahl eines Nachhaltigkeitsprüfers auch in der Saison 2025 auf zahlreichen Tagesordnungsordnungen stehen – vermutlich sogar noch öfter als im Jahr 2024. Infineon jedenfalls verfährt so, ebenso wie zuvor schon Siemens, TUI, thyssenkrupp und thyssenkrupp nucera. So lassen sich die Weichen für den Nachhaltigkeitsbericht 2025 zumindest in diesem Punkt frühzeitig stellen.
Nachhaltigkeitsbericht 2024
Davon unabhängig stellt sich die Frage, wie die Unternehmen für ihr jüngst abgelaufenes Geschäftsjahr 2024 über Nachhaltigkeit berichten werden, nachdem die Umsetzung der CSRD weiter auf sich warten lässt. Die CSRD als solche hat als europäische Richtlinie keine unmittelbare Wirkung für oder gegen die Unternehmen. Fakt ist aber, dass börsennotierte Unternehmen bereits seit vielen Monaten, wenn nicht sogar deutlich länger, ihren Nachhaltigkeitsbericht 2024 in mühevoller Detailarbeit vorbereitet haben. Die Texte sind auf dem Papier und wollen verwendet werden. Eine denkbare Lösung ist es, den vorbereiteten Nachhaltigkeitsbericht (auch) als nicht-finanziellen Bericht im Sinne der CSR-Richtlinie 2014 und des CSR-RL-UmsG 2017 zu etikettieren und zu veröffentlichen – mit den neuen ESRS als Referenzrahmenwerk. Zahlreiche Unternehmen entscheiden sich für diesen Weg, auch um hierauf im kommenden Jahr wieder aufsetzen zu können. Demgegenüber erwägen andere, es für 2024 bei einem „klassischen“ nicht-finanziellen Bericht schlankeren Zuschnitts bewenden zu lassen. Beide Wege sind rechtlich und unternehmenspolitisch vertretbar. Eine einheitliche Praxis wird erst das CSRD-UmsG herbeiführen – wenn und sobald es denn kommt.