Auch wenn die Zeiten der Ampel in Berlin seit Mai dieses Jahres vorbei sind, sorgte zur selben Stunde eine neue „Ampel“ für Unruhe beim bewertungsinteressierten Fachpublikum. Gemeint ist der am 14.5.2025 durch das IDW vorgestellte Entwurf eines Standards zur Beurteilung der Angemessenheit börsenkursbasierter Kompensationen (IDW ES 17), der für diese Aufgabe ein neues „Ampelsystem“ einführen will (Zusammenfassung bei Harnos, AG 2025, R189).
In der Sache erscheint eine solche Neugestaltung dringend geboten. Der BGH hat in den Fällen „WCM“ und „Vodafone/Kabel Deutschland“ (BGH v. 21.2.2024 – II ZB 12/21, BGHZ 236, 180 = AG 2023, 443; BGH v. 31.1.2024 – II ZB 5/22, AG 2024, 665) klar entschieden, dass der Börsenkurs bei der Wertermittlung im Rahmen von Strukturmaßnahmen als alleiniger Angemessenheitsmaßstab herangezogen werden kann. Zugleich hat er dabei sehr deutlich Position gegen die recht eigenwillige Interpretation seiner bisherigen Rechtsprechungslinie durch den Fachausschuss des IDW für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) bezogen (BGH AG 2024, 665 Rz. 26; vgl. zu den Stellungnahmen des FAUB WPg 2023, 765 und auch schon AG 2021, 588). Im Lichte dieser Urteile erschien die Neuausrichtung der Bewertungsstandards unausweichlich und der Schritt zu einem neuen Konzept auch wünschenswert.
Wie diese Neuausrichtung nach dem derzeitigen Entwurf ausgefallen ist, überrascht vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Vorgaben dann aber doch sehr: Schon die zentrale These des FAUB, dass Wirtschaftsprüfer nur dann alleine auf den Börsenkurs zurückgreifen sollen, wenn feststellbar ist, dass der Markt tatsächlich eine vollständige und effektive Informationsverarbeitung wie -bewertung abbildet (IDW ES 17 Rz. 5), lässt sich in dieser Lesart kaum den jeweiligen Urteilsgründen entnehmen. Diese schon sehr restriktive Interpretation setzt sich dann im bereits erwähnten „Ampelsystem“ fort (Rz. 33 ff.): Die Geeignetheit des Börsenkurses muss der Wirtschaftsprüfer im Rahmen einer Gesamtbeurteilung überprüfen, bei der für einen bunten Strauß an Kriterien unterschiedliche „Ampel“-Stufen erreicht werden können. Sobald auch nur eine „gelbe“ oder „rote“ Stufe erreicht wird, ist der Börsenkurs zumindest nicht mehr nur allein oder sogar überhaupt als Maßstab für die Unternehmensbewertung heranzuziehen. In diesen Fällen muss der Wirtschaftsprüfer dann – wenig überraschend – eine Bewertung nach dem hauseigenen IDW S 1 vornehmen.
Diese vom IDW konstruierte Ampel könnte sich aber für alle Verkehrsteilnehmer als großes Ärgernis erweisen, weil sie nur selten Grün anzeigen wird. In dieser verkehrsfreundlichen Farbe soll die Ampel nämlich nur dann leuchten, wenn der Markt eine „atomistische“ Struktur in dem Sinne aufweist, dass es keinen dominierenden Anteilseigner geben darf (Rz. 40). Das wird jedoch gerade bei praktisch allen wichtigen Abfindungsfällen, insbesondere beim Unternehmensvertrag und beim Squeeze-Out, in aller Regel nicht erreicht werden. Zugleich zeigt sich in dieser Restriktion ein relativ deutlich fortdauernder Widerspruch zu den Vorgaben des BGH, weil in beiden entschiedenen Fällen eine solche Struktur nicht gegeben war, ohne dass der II. Zivilsenat sich deshalb an der Heranziehung des Börsenkurses gehindert sah. Auch die Anforderungen an Liquidität (Rz. 41) halten sich kaum an die höchstrichterlichen Vorgaben (hierzu BGH AG 2023, 443 Rz. 32), sondern scheinen – ebenso wie bei der Marktabdeckung (Rz. 42) – ausschließlich darauf ausgerichtet zu sein, die Relevanz des Börsenkurses herunterzuspielen.
Insgesamt bleibt doch Verwunderung zurück, wie sehr das IDW die Vorgaben des BGH augenscheinlich missverstanden hat. Aber vielleicht liegt die Wurzel dieses Missverständnisses in einer sehr menschlichen Regung, die bereits Upton Sinclair in die zeitlosen Worte gefasst hat: „It is difficult to get a man to understand something, when his salary depends upon his not understanding it.“
Man könnte die daraus resultierende Verweigerungshaltung gelassen hinnehmen, wenn man darauf vertrauen dürfte, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung, die schließlich auch in der Gesetzgebung (vgl. § 255 AktG n.F., der im Papier des FAUB mit keinem Wort erwähnt wird) und der ganz klar herrschenden Meinung einen entsprechenden Widerhall findet, gegenüber den Empfehlungen eines Interessenverbands durchsetzt. Gerade diese Gewähr ist aber nicht unbedingt gegeben.
Vielmehr droht der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, die von Rechtsprechung und Gesetzgebung angestoßene Entwicklung eigenmächtig zu unterlaufen. Die Bewertungsstandards haben zwar keinen Normcharakter, seine Wirtschaftsprüfer halten sich jedoch trotzdem fast ausnahmslos an sie, da ansonsten das Damoklesschwert der Berufshaftung über ihnen schwebt. Auch das IDW verpflichtet seine Mitglieder, zu denen 90 % der deutschen Wirtschaftsprüfer gehören, zu deren Einhaltung. Diese – um beim Wording des IDW zu bleiben – nicht gerade atomistischen Strukturen geben den Standards erst ihre quasi-verbindliche Wirkung (dazu etwa Fleischer, AG 2014, 97, 100). Darüber hinaus ist der Berufsstand über die Prüfernormen (§§ 293b-293e AktG [ggf. i.V.m. § 327c Abs. 2 Satz 2-4 AktG]; §§ 9-12 UmwG) in nahezu alle wichtigen Strukturmaßnahmen eingebunden. Es stellt sich deswegen die Frage, ob die Unternehmen über den Hebel des Bewertungsstandards nicht in die langwierige und kostspielige IDW S 1-Prüfung gezwungen werden könnten, wenn sich Wirtschaftsprüfer weigern, bei einer Börsenkursbewertung das Angemessenheitssiegel auszustellen. Da mag es nur als schwacher Trost klingen, dass der BGH im WCM-Beschluss nochmal betont hat, dass die Rechtsprechung nicht an die Standards des IDW gebunden ist (BGH AG 2023, 443 Rz. 19).
Insofern kann man nur hoffen, dass der Berufsstand sich zu der Eigenverantwortung bekennt, zu der das IDW bezeichnenderweise selbst im Entwurf des IDW ES 1 n.F. aufgerufen hat (dort in der Einleitung und Rz. 1). Diese Eigenverantwortung sollte sich, zumindest was die alleinige Berücksichtigung von Börsenkursen angeht, auch über die schlichte Befolgung der Bewertungsstandards des IDW hinaus erstrecken.