BGH: Unpfändbarkeit des Pflegegeldes

In einem Verfahren vor dem BGH (Beschl. v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22, MDR 2023, 187) ging es um die Einkommensberechnung einer Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Sohn der Schuldnerin ist pflegebedürftig. Die Schuldnerin selbst übernimmt die Pflege. Das Pflegegeld, das dem Sohn zusteht, wird von diesem an die Schuldnerin weitergeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Geld bei der Schuldnerin als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehört sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht gepfändet werden darf, nicht zur Insolvenzmasse. Damit wird über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch § 850e ZPO anwendbar, insbesondere die Nrn. 2. und 2a (Arbeitseinkommen wird mit Sozialleistungen zusammengerechnet soweit diese der Pfändbarkeit unterworfen sind).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Unpfändbarkeit von Geldleistungen, die Körperschaden ausgleichen) nicht einschlägig ist, denn die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig (vgl. auch § 14 SGB XI). Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung an den Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld bleibt bei Unterhaltsansprüchen und -verpflichtungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt. Daraus folgt, dass es im Übrigen an sich den allgemeinen Vorschriften der ZPO unterfällt.

Allerdings bejaht der BGH sodann die Voraussetzungen des § 851 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 399 BGB. Das Pflegegeld unterfällt § 399 Abs. 1 BGB. Die Leistung kann nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen, da hier die Leistung mit der Person so verknüpft ist, dass sie, würde sie ein anderer erbringen, als eine andere Leistung erscheinen wird. Eine andere Sicht der Dinge würde zudem auch den Zielen der Pflege, eine Betreuung in der häuslichen Atmosphäre zu ermöglichen, entgegenlaufen. Hinzu kommt, dass der Pflegebedürftige in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei ist.

Die zuvor streitige Frage ist daher nunmehr für die Praxis abschließend geklärt. Pflegegeld, das von dem Pflegebedürftigen an einen Pflegenden weitergeleitet wird, die die Pflege erbringt, ist bei diesem Pflegenden unpfändbar. Es ist bei der Einkommensberechnung daher nicht mit anderem Einkommen des Pflegenden zusammenzurechnen.

Blog powered by Zöller: § 68 FamFG – Niederschrift bei Geschäftsstelle? Nicht für Rechtsanwälte!

Entscheiden sich Rechtsanwälte, schriftlich Beschwerde gemäß § 68 FamFG einzulegen, muss die Übermittlung ans Gericht per beA erfolgen. Die Möglichkeit der Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle entbindet Rechtsanwälte davon nicht.

Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs führt neben den allgemeinen (zu diesen z.B. der Beitrag im „Blog powered by Zöller“ von Prof. Dr. Reinhard Greger vom 30.1.2023) zu speziellen Anwendungsproblemen und Haftungsrisiken im Bereich des FamFG. Dieses enthält in § 14b FamFG eine § 130d ZPO vergleichbare Regelung. Danach sind insbesondere von Rechtsanwälten „bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen“ als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Welche Erklärungen von dem Begriff „schriftlich einzureichende“ erfasst sind, ist im Verfahren des FamFG nicht unproblematisch, da die Beteiligten in den vielen FamFG-Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, gemäß § 25 Abs. 1 FamFG Anträge und Erklärungen auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgeben können. Besondere Bedeutung erlangt dies für die Einlegung der Beschwerde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann diese – außer in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) sowie in Scheidungsfolgesachen, auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 3/16, FamRZ 2017, 1151 [Anm. Fischer] = FamRB 2017, 290 [Anm. Stockmann]) – auch durch entsprechende Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden.

Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass auch ein Rechtsanwalt von der Form des § 14b FamFG freigestellt ist und z.B. eine Beschwerde schriftlich oder per Telefax einlegen darf, wenn das Verfahren keinem Anwaltszwang unterliegt. Das hat der BGH mit einer aktuellen Entscheidung klargestellt, in der in einem (nicht dem Anwaltszwang unterliegenden) Sorgerechtsverfahren durch einen Rechtsanwalt die Beschwerdeschrift per Post eingereicht wurde (BGH, Beschl. v. 7.12.2022 – XII ZB 200/22; ohne nähere Begründung auch schon BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22, MDR 2022, 1426 [Anm. Vossler] in einer Betreuungssache). Der BGH hat die die Beschwerde verwerfende Entscheidung des OLG bestätigt. Denn die Möglichkeit einer Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle solle anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten einen erleichterten Zugang zur Beschwerdeinstanz verschaffen. Werde die Beschwerde aber schriftlich eingelegt, muss sie den entsprechenden Formerfordernissen genügen, wozu auch die Einreichung als elektronisches Dokument gemäß § 14b FamFG durch die von der Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs erfassten Personen gehört.

Nutzungspflichtig in diesem Sinn sind im Übrigen gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Behörden. Dazu gehören insbesondere auch die „Staatskasse“, z.B. bei Einlegung einer sofortigen Beschwerde im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe (OLG Bamberg v. 4.11.2022 – 2 WF 167/22, FamRZ 2023, 210), die Deutsche Rentenversicherung in Versorgungsausgleichssachen (OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22, FamRZ 2022, 1049 = MDR 2022, 789) und das Jugendamt (OLG Frankfurt v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22, FamRZ 2022, 802 [Anm. Müther], dazu auch Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 14b FamFG Rz. 15 ).

Mehr dazu und topaktuell im Zöller: § 14b FamFG Rn. 2

 

 

 

BGH: Erneute Anhörung eines Sachverständigen

Im Rahmen eines komplexen Schadensersatzprozesses war das OLG von einer sachverständigen Einschätzung des LG bezüglich der angemessenen Höhe eines Geschäftsführergehaltes abgewichen. Dies wurde damit begründet, dass ohnehin eine Schätzung nach § 287 ZPO geboten sei und die Mitglieder des Senats aus ihren früheren Tätigkeiten als Vorsitzende Richter eine Kammer für Handelssachen (Vorsitzende) sowie aus zahlreichen Unterhaltsprozessen (Beisitzer) selbst in der Sache erfahren seien.

Obwohl sich diese Begründung an sich gut las, lässt sie der BGH (Urt. v. 19.10.2022 – XII ZR 97/21) nicht gelten. Genauso wie bei der Würdigung von Zeugenaussagen geht der BGH auch bei Sachverständigen davon aus, dass diese erneut anzuhören sind, wenn die zweite Instanz von der ersten abweichen möchte. Das OLG hätte sich mithin über die Ausführungen des Sachverständigen nicht hinwegsetzen dürfen, ohne diesen erneut anzuhören. Das Argument des OLG, es verfüge über eine ausreichende eigene Sachkunde, lässt der BGH nicht gelten. Die von dem OLG in Anspruch genommene Sachkunde sei der Kenntnis des Sachverständigen nicht überlegen.

Diese Entscheidung sollte jeder Richter, der revisionssichere Urteile verfassen möchte, kennen. Freilich macht die Entscheidung es der Praxis nicht einfacher: Oftmals ergeben sich derartige Fragestellungen erst im Rahmen der Abfassung der Urteilsbegründung. Es kann nicht alles in Einzelheiten vorberaten werden, außerdem ergibt sich in einer Verhandlung doch oftmals etwas Neues. Dann wäre eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung notwendig. Dies kann jedoch unter Umständen zur Folge haben, dass noch weiterer Verfahrensstoff vorgetragen wird, der wiederum zu derartigen Schwierigkeiten führt. Letztlich führt diese Sicht der Dinge daher dazu, dass umfangreiche Prozesse kaum abgeschlossen werden können, schon gar nicht in angemessener Zeit.

Blog powered by Zöller: § 130d ZPO – Wohltat oder Fallgrube?

Dass es beim elektronischen Rechtsverkehr technische Probleme geben kann und dass diese bei fristgebundenen Schriftsätzen zu fatalen Folgen führen können, hat der Gesetzgeber bedacht. Deshalb hat er in § 130d ZPO zugelassen, dass ein Schriftsatz in einem solchen Fall auf herkömmlichem Wege (z.B. schriftlich oder per Telefax) übermittelt wird. Doch diese im Kleide der Wohltäterin daherkommende Vorschrift ist tückisch. Sie bewirkt nämlich, dass der von der Technik im Stich gelassene Anwalt sich nicht mit dem Gedanken an eine Wiedereinsetzung beruhigen oder seinen von der Elektronik verweigerten Schriftsatz einfach aufs Faxgerät legen darf. Eine Wiedereinsetzung scheidet vielmehr aus, wenn er die Frist noch mittels einer solchen Ersatzeinreichung wahren könnte – und wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, darf er nicht versäumen, die technische Störung gleichzeitig mit dieser glaubhaft zu machen. Dies folgt aus Satz 3 der Vorschrift, wonach die Störung „bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach“ glaubhaft zu machen ist.

Zwar klingt das so, als stünde es ihm frei, ob er die Glaubhaftmachung sogleich beifügt oder – ohne schuldhafte Verzögerung – nachreicht. So ist es aber nicht zu verstehen, hat der BGH vor kurzem entschieden (Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22). Die Möglichkeit der unverzüglichen Nachreichung wollte der Gesetzgeber nämlich, wie sich aus den Materialien ergibt, nur für den Fall einräumen, dass die Glaubhaftmachung zum Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes noch nicht möglich war. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall war die Störung aber schon lange vor Fristablauf bekannt, sodass der Anwalt dem Schriftsatz einen Beleg hierfür, etwa durch eidesstattliche Versicherung, hätte beifügen können. Die nachgereichte Glaubhaftmachung konnte das Rechtsmittel nicht mehr retten. So kann die Wohltat des § 130d ZPO zur Fallgrube werden.

Pluspunkt im Online-Auftritt des Zöller: Diesen Hinweis finden Sie jetzt schon bei § 130d ZPO Rn. 2. – ebenso wie andere Hinweise zu aktueller Rechtsprechung an vielen anderen einschlägigen Zöller-Stellen.

BGH: Verpflichtung zur Terminsvertretung

Die beklagte Rechtsanwaltskammer nahm die Zulassung des klagenden Rechtsanwalts zurück. Dagegen ging dieser vor. Da in der Sache wohl wenig zu erreichen war, hatten der Rechtsanwalt und sein Prozessbevollmächtigter offensichtlich versucht, durch das Geltendmachen von Terminsverlegungsgründen, vor allem (Vor)Erkrankungen etc., den Anwaltsgerichtshof zu Verfahrensfehlern zu zwingen, um diese anschließend in der Berufungsinstanz vor dem BGH geltend machen zu können.

In der Berufungsinstanz vor dem BGH wurden dann diese angeblichen Verfahrensfehler auch gerügt. Der BGH ging dem Kläger jedoch nicht „auf den Leim“, sondern ließ die Berufung nicht zu. In diesem Zusammenhang hat der BGH (Beschl. v. 12.9.2022 – AnwZ (Brfg) 10/22) einige wichtige Grundsätze aufgestellt, die für die Behandlung derartiger Sachverhalte wichtig sind.

Im Einzelnen: Selbst eine schwere Vorerkrankung gebietet – auch im Rahmen der Corona-Virus-Pandemie – nicht ohne weiteres die Verlegung eines Termins, sondern stellt lediglich einen Umstand dar, der bei der Abwägung, ob ein erheblicher Grund (§ 227 ZPO) vorliegt, zu berücksichtigen ist. Gegen eine Verlegung sprechen zum Beispiel Maßnahmen, die das Gericht ergriffen hat, um die Verfahrensbeteiligten zu schützen. Genauso wie bei einer längeren Erkrankung muss ein Prozessbevollmächtigter, der davon ausgeht, Termine wegen eines Erkrankungsrisikos nicht wahrnehmen zu können, im Übrigen notfalls einen Unterbevollmächtigten,z.B. einen Kanzleikollegen, bestellen, vor allem dann, wenn die Sache nicht sehr komplex ist und eine Vertretung ohne weiteres möglich ist. Die Ablehnung der Durchführung einer Videoverhandlung ist nicht anfechtbar und kann demgemäß auch nicht in der nächsten Instanz gerügt werden. Zwar hätte der entsprechende Antrag von dem Gericht und nicht von der Vorsitzenden alleine beschieden werden müssen (§ 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies ist jedoch im Endeffekt unschädlich, da lediglich eine willkürliche Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften relevant ist und die Vorsitzende die einschlägige Regelung schlichtweg versehentlich übersehen hatte.

Natürlich wurde – nach der Ablehnung der Terminsverlegung – gleichfalls noch ein Befangenheitsantrag gestellt. Auch die Bestätigung der Zurückweisung desselben durch den BGH ist durchaus lesenswert.

Wer also häufiger mit Menschen zu hat, die einen Zivilprozess durch Terminsverlegungsanträge und Befangenheitsanträge verzögern wollen, sollte diese (recht lange!) Entscheidung einmal in Ruhe lesen.

Blog powered by Zöller: Augen auf beim beA-Versand

Es kommt immer wieder vor, dass ein fristgebundener Schriftsatz versehentlich an ein anderes als das zuständige Gericht gesandt wird, z.B. an das Ausgangs- statt an das Rechtsmittelgericht. Wenn das nicht noch rechtzeitig bemerkt und korrigiert wird, ist die Frist versäumt – in der Regel unrettbar, denn eine Wiedereinsetzung scheitert oft am Vorwurf mangelhafter Ausgangskontrolle. Einen Rettungsring hat die Rechtsprechung aber geschaffen: Wenn der Schriftsatz so frühzeitig bei dem unzuständigen Gericht einging, dass mit seiner Weiterleitung an das zuständige im üblichen Geschäftsgang gerechnet werden konnte, verneinte sie die Kausalität des Verschuldens und gewährte die Wiedereinsetzung (s. Zöller/Greger, § 233 ZPO Rn. 21).

Da Anwälte ihre Schriftsätze jetzt auf elektronischem Weg, in der Regel übers beA, übermitteln müssen, stellt sich die Frage nach Rettungsring oder Ertrinkungstod in neuem Gewand. Unverändert bleibt es zwar dabei, dass der Schriftsatz nur bei dem Gericht eingeht, an dessen elektronisches Postfach er gesandt wurde. Da hilft es auch nichts, so hat der BGH gerade entschieden, dass die Postfächer vom selben Dienstleister betrieben werden, denn es ist durch separate Posteingangsschnittstellen sichergestellt, dass die Elektronik jedes Gerichts nur auf die an dieses adressierten Nachrichten zugreifen kann (BGH, Beschl. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22; Kurzbeitrag ZIP 2022, R4).

Aber wie sieht es jetzt mit der Weiterleitung ans zuständige Gericht aus? Einen „üblichen Geschäftsgang“ gibt es derzeit nicht. Bei einem voll auf E-Akte umgestellten Gericht mag man an eine rasche Weiterleitung auf elektronischem Weg denken können, jedenfalls bei Dokumenten mit qualifizierter Signatur. Wo die elektronischen Schriftsätze erst noch ausgedruckt werden müssen, geht dagegen nicht nur Zeit verloren, sondern es ist auch fraglich, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder als Fax oder dann doch wieder als PDF ans zuständige, möglicherweise voll elektronische Gericht weiterzuleiten ist. Bacher hält die Papierform für möglich, bezweifelt aber selbst, ob die Rechtsprechung dem folgen wird (Bacher, MDR 2022, 1441, 1443); das OLG Bamberg hat schon anders entschieden (MDR 2022, 1048).  Der BGH brauchte sich dazu im vorgenannten Beschluss nicht zu äußern, denn der Schriftsatz war erst einen Tag vor Fristablauf eingereicht worden – und das erschien ihm selbst im elektronischen Zeitalter zu kurz.

Nun bietet der elektronische Rechtsverkehr allerdings noch eine Chance, versehentliche Falschadressierungen unschädlich zu machen. Nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhält der Einsender nämlich eine automatische Eingangsbestätigung. Aus dieser ist auch zu ersehen, welches Gericht den Eingang bestätigt. Daraus hat der BGH im besagten Beschluss abgeleitet, dass der versendende Rechtsanwalt überprüfen (lassen) muss, ob der Schriftsatz bei dem Gericht eingegangen ist, bei dem er eingehen sollte (sonst kann er ihn nochmals richtig versenden).

Möglicherweise hat sich die aus den Urzeiten der Papierkommunikation stammende Weiterleitungsrechtsprechung damit ohnehin erledigt. Beim Versand übers beA hilft dann nur noch eins: Augen auf!

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion von Vorbringen nach einer gemäß § 264 ZPO privilegierten Antragsänderung im Berufungsverfahren.

Präklusion von Vorbringen nach privilegierter Antragsänderung
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21

Der I. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 264, § 533 und § 531 Abs. 2 ZPO.

Die ursprüngliche Klägerin nahm das beklagte Logistikunternehmen wegen Beschädigung von zwei nach Russland versandten Maschinen auf Schadensersatz in Höhe von rund 149.000 Euro in Anspruch. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich.

Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Rechtsstreit auf und beantragte, die Beklagte zur Zahlung an den Haftpflichtversicherer zu verurteilen. Er machte geltend, der Versicherer habe den Schaden nach Klageerhebung schon in erster Instanz reguliert, weshalb der Klageanspruch gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf diesen übergegangen sei. Zudem habe die Klägerin die Forderung im Rahmen der Regulierung an den Versicherer abgetreten. Die Beklagte bestritt den Vortrag zu Regulierung und Abtretung.

Das OLG wies die Klage ab.

Die dagegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters bleibt ohne Erfolg.

Der BGH legt ausführlich dar, dass der Insolvenzverwalter zur Klage befugt ist. Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Klägervortrag blieb die ursprüngliche Klägerin gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Geltendmachung des Anspruchs befugt, weil dieser erst nach Rechtshängigkeit auf den Haftpflichtversicherer übergegangen ist. Der Insolvenzverwalter darf den Prozess um diese Forderung jedenfalls deshalb aufnehmen, weil die Versicherungsnehmerin gemäß § 86 Abs. 2 VVG bei der Durchsetzung einer auf den Versicherer übergegangenen Forderung soweit erforderlich mitwirken muss und die Verletzung dieser Pflicht zu einer Belastung der Masse mit Schadensersatzforderungen führen kann.

Der Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig, weil es sich um eine Anpassung an spätere Veränderungen im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO handelt.

Das OLG hat die Klage aber zu Recht als unbegründet angesehen, weil der der behauptete und bestrittene Anspruchsübergang auf den Haftpflichtversicherer kraft Gesetzes oder Abtretung nicht bewiesen ist und die diesbezüglichen Beweisanträge des Klägers gemäß § 531 Abs. 2 ZPO der Präklusion unterliegen. Diese Vorschrift gilt auch für Angriffsmittel, die der Begründung eines nach § 264 ZPO in zulässiger Weise geänderten Antrags dienen.

Praxistipp: Bestreitet der Beklagte den vom Kläger behaupteten Anspruchsübergang auf einen Dritten, sollte der Kläger zumindest hilfsweise auf Zahlung an sich selbst klagen.

OLG Frankfurt a. M.: Verzögerungsgebühr wegen Nichttragens einer Maske

Das OLG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 27.9.2022 – 7 WF 116/22) hatte über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 32 FamGKG bei Zuwiderhandlung und Terminsvertagung zu entscheiden.

Im Rahmen einer Sitzung des Familiengerichts ordnete der Richter am Amtsgericht an, dass die Beteiligten eine Maske zu tragen haben. Eine Rechtsanwältin war dazu nicht bereit. Der Richter bestimmte daher einen neuen Termin. Das Gericht legte der Partei gemäß § 32 S. 1 FamGKG eine Verzögerungsgebühr auf. Dagegen richtet sich die unbefristete Beschwerde der Partei nach § 60 FamGKG, die allerdings erfolglos bleibt.

Gemäß § 176 Abs. 1 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Eine Maskenanordnung fällt darunter, da eine Infektion der Beteiligten mit dem Corona-Virus verhindert werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auch gegenüber den Prozessvertretern möglich. Die erfolgte Anordnung ist von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt. Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG liegt darin nicht. Die Befugnis des § 176 Abs. 1 GVG ist von dem Hausrecht unabhängig. Der Umstand, dass andere Richter abweichende oder gar keine Anordnung treffen, macht die vorliegende Anordnung der Richterin weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass eine Maske dazu geeignet ist, die weitere Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Selbst wenn der Rechtsanwältin die Verzögerung vorzuwerfen ist, so ist die Gebühr gleichwohl gegen die Partei festzusetzen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 FamGKG ergibt. Die Rechtsanwältin wird diese Gebühr jedoch der Partei erstatten müssen, da sie diese Rechtsprechung kennen musste und gehalten ist, die Festsetzung derartiger Gebühren gegen die Partei von vornherein zu verhindern, um unnötige finanzielle Belastung der Mandantschaft zu vermeiden. Als Anspruchsgrundlage dürfte § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mandatsvertrag  heranzuziehen sein.

Blog powered by Zöller: Fußangeln beim beA

Sieht man von gelegentlichen technischen Pannen ab, hat sich die Übermittlung von Anwaltsschriftsätzen an die Gerichte über das besondere elektronische Anwaltspostfach gut eingespielt. Der Nutzer muss aber auch umsichtig mitspielen, so z.B. beim Signieren des Schriftstücks.

Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO genügt bei der Nutzung des beA die einfache Signatur, d.h. die Namensangabe der verantwortenden Person. Diese ist aber auch erforderlich. Es genügt nicht, den Schriftsatz – wie zu früheren Zeiten – mit der Angabe „Rechtsanwalt“ und einer unleserlichen (eingescannten) Unterschrift zu versehen. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf Rückschlüsse auf den Unterzeichner ziehen lassen (z.B. weil dort nur ein Rechtsanwalt oder nur eine Rechtsanwältin aufgeführt ist), liegt keine wirksame Einreichung des Schriftsatzes vor (so BGH v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22, MDR 2022, 1362). Das BAG hat zwar kurz zuvor entschieden, dass bei einem Rechtsanwalt, der im Briefkopf als Einzelanwalt ausgewiesen wird, regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ für die einfache Signierung ausreicht (BAG v. 25.8.2022 – 2 AZN 234/22, NJW 2022, 3028). Ob sich diese Auffassung durchsetzt, ist aber ungewiss. Man sollte nicht darauf vertrauen und vorsichtshalber den Namen angeben oder eine Unterschrift einscannen. Aber auch dabei ist Vorsicht geboten: Die Unterschrift muss leserlich sein, d.h. auch ohne Sonderwissen den Namen des Urhebers erkennen lassen (BSG v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21 B, NJW 2022, 1334).

Vorsicht ist ferner am Platze, wenn man sich des für eine Berufsausübungsgesellschaft eingerichteten beA bedient (was seit August dieses Jahres möglich ist; s. Zöller § 130a ZPO Rn. 11a). Die BRAK hat mitgeteilt, dass es aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz derzeit nicht möglich ist, die Identität der Person zu übermitteln, die im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am Gesellschafts-beA angemeldet war. Das Gericht kann daher nicht feststellen, ob die den Schriftsatz verantwortende Person mit der ihn versendenden Person identisch ist.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen BRAK und Deutscher Anwaltverein, Schriftsätze, die aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft eingereicht werden sollen, qualifiziert elektronisch zu signieren oder zumindest darauf zu achten, dass der verantwortende Rechtsanwalt sich selbst am Kanzlei-beA anmeldet und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lasse sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

 


Der Zöller ist das Standardwerk zur ZPO und ein Muss für jeden Prozessualisten. Die Autoren des Zöller informieren im „Blog powered by Zöller“ regelmäßig über einschlägige Gesetzesentwicklungen und aktuelle Rechtsprechung.


 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Möglichkeit einer Erledigungserklärung nach Erfüllung der Forderung im Mahnverfahren.

Erledigungserklärung nach Zahlung im Mahnverfahren
BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 93/22

Der VII. Zivilsenat befasst sich mit den Möglichkeiten des Gläubigers, eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erlangen, nachdem der Schuldner die geltend gemachte Forderung nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt hat.

Die Klägerin hat für die beiden Beklagten Entwässerungsarbeiten durchgeführt. Die nach Anrechnung von Abschlagszahlungen in Rechnung gestellte restliche Vergütung von rund 2.000 Euro haben die Beklagten trotz mehrfacher Mahnungen nicht bezahlt. Gegen ihr zugestellte Mahnbescheide legten die Beklagten zunächst Widerspruch ein. Zwei Tage später zahlten sie den geltend gemachten Betrag. Eine Woche später gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnbescheid bezeichnete Prozessgericht ab. Dieses verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an ein anderes AG. Dort beantragte die Klägerin die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, und hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagten die Kosten der Rechtsverfolgung als Gesamtschuldner zu erstatten haben. Die Anträge blieben in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Die Erledigungserklärung der Klägerin ist zulässig, weil die Beklagten die geltend gemachte Forderung nach Rechtshängigkeit erfüllt haben. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, weil sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Zahlung der Beklagten ist nach dem danach maßgeblichen Datum erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bedarf § 696 Abs. 3 ZPO in diesem Zusammenhang keiner einschränkenden Auslegung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in § 696 Abs. 3 ZPO vorgesehene Rückwirkungsfiktion dazu führt, dass das Prozessgericht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch dann zuständig bleibt, wenn der Streitwert nach Zustellung des Mahnbescheids und vor Abgabe des Verfahrens unter die maßgebliche Schwelle absinkt. Selbst wenn § 696 Abs. 3 ZPO insoweit einschränkend auszulegen wäre, steht dies der Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen.

Praxistipp: Damit die Rückwirkungsfiktion greifen kann, muss der Gläubiger die Gebühr für die Abgabe an das Streitgericht spätestens zwei Wochen nach Anforderung bezahlen. Alternativ dazu kann er in solchen Fällen den Mahnantrag bezüglich der Hauptforderung zurücknehmen und vor dem Prozessgericht eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO beantragen.