OLG Hamm: Willkürliche Verweisung in einem Verkehrsunfallprozess

Der Kläger reichte bei dem Wohnsitzgericht des Beklagten zu 1) eine Klage gegen den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) aufgrund eines Verkehrsunfalls ein. Eine Zuständigkeit für die Beklagte zu 2) war nicht ersichtlich, da der Unfallort in einem anderen Gerichtsbezirk lag. Das Gericht verwies den Rechtsstreit insgesamt an das Gericht des Unfallortes. Das OLG Hamm (Beschl. v. 13.4.2017 – 32 SA 6/17) hielt diesen Verweisungsbeschluss für willkürlich bezüglich der Beklagten zu 1)!

Diese Auffassung greift viel zu kurz. Bereits im Jahre 1993 hatte der Verfasser ausführlich begründet (F. O. Fischer MDR 1993, 198): „Die Verweisung eines Rechtsstreites trotz bereits ausgeübten Wahlrechts ist dann zulässig, wenn dadurch erreicht werden soll, dass gegen Streitgenossen einheitlich in einem Prozess verhandelt werden soll.“ Das (damals noch bestehende, aber später als „Stoiber-Opfer“ schändlicherweise aufgelöste) BayObLG hat später eine derartige Sicht der Dinge ausdrücklich nicht als willkürlich bezeichnet (NJW-RR 2001, 646 f.; hierzu ausführlich F. O. Fischer MDR 2002, 1401 zu VI.). Wenn das OLG Hamm nunmehr von dieser Entscheidung abweicht, hätte es sich ausführlicher mit dieser Fallkonstellation befassen müssen. Natürlich ist die Frage, ob in einer solchen Konstellation verwiesen werden darf, umstritten, wie könnte es anders sein. Dann kann aber natürlich nicht ohne weiteres eine der beiden Auffassungen als willkürlich bezeichnet werden, ohne sich wirklich mit den tatsächlich vorhandenen Gegenargumenten auseinanderzusetzen.

Der Entscheidung des OLG Hamm sollte daher nicht gefolgt werden, vielmehr sollte nach wie vor davon ausgegangen werden, dass eine Verweisung dann ausnahmsweise möglich ist, wenn sie dazu dient, gegen mehrere Gesamtschuldner einheitlich zu verhandeln. Alles andere führt nur zu chaotischen Verfahrensabläufen, die niemandem nutzen.

Im Übrigen stellt sich die hochinteressante Frage, ob das OLG Hamm den Fall nicht gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH hätte vorlegen müssen, da es von einer Entscheidung des BayObLG ersichtlich abgewichen ist. Zwar ist in dieser Vorschrift nur von anderen Oberlandesgerichten die Rede, die Vorlagepflicht dürfte aber erst recht gelten, wenn von einer Entscheidung des BayObLG abgewichen wird, oder etwa nicht?

 

 

Das Recht der Parteien auf Anhörung eines Sachverständigen

Nach einem in den Tatsacheninstanzen verlorenen Arzthaftungsprozess griff die Klägerin das Urteil des OLG mit einer Verfahrensrüge an. Entgegen ihrem Antrag sei der Sachverständige weder vom LG noch vom OLG angehört worden. Der BGH, Beschl. v. 30.5.2017 – VI ZR 439/16, sieht darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes (§§ 397, 402 ZPO; § 402 verweist für den Sachverständigenbeweis subsidiär auf die Vorschriften des Zeugenbeweises, § 397 Abs. 1 ZPO regelt das Fragerecht der Parteien an einen Zeugen) hat die Partei einen Anspruch darauf, den Sachverständigen selbst zu befragen. Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht. Die Partei ist auch nicht dazu verpflichtet, die zu stellenden Fragen vorher mitzuteilen. Dieses Recht besteht unabhängig von einem Verfahren des Gerichts nach § 411 Abs. 3 ZPO. Gibt das erstinstanzliche Gericht dieses Recht nicht, muss das Berufungsgericht diesem Antrag entsprechen. Geschieht dies nicht, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Fazit: Rein vom Wortlaut her ist das Ergebnis zutreffend. Ob eine solche Vorgehensweise in der Praxis immer die richtige Taktik ist, muss sorgfältig erwogen werden. Muss der Sachverständige zur Beantwortung der Fragen möglicherweise noch recherchieren, ist es sinnvoll, die Fragen vorher mitzuteilen, da sonst die Sache im Termin nicht vorankommen wird. Wer das Verfahren verschleppen oder Verwirrung stiften will, wird allerdings von diesem Recht gerne Gebrauch machen! Das Gericht muss dann gute Miene zu bösem Spiel machen.

Hinweis: Zum Recht der Prozesspartei auf mündliche Befragung des Sachverständigen, s.a. BGH Beschl. v. 21.2.2017 – VI ZR 314/15, MDR 2017, 785 und MDR 2017, 933 (Laumen) .

 

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Überprüfung der Adressierung bei fristgebundenen Schriftsätzen
Beschluss vom 29. August 2017 – VI ZB 49/16

Mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit fristgebundenen Schriftsätzen befasst sich der VI. Zivilsenat in zwei kurz hintereinander ergangenen Entscheidungen. Die erste davon betrifft die Überprüfung, ob der Schriftsatz an das zuständige Berufungsgericht adressiert ist.

Die Beklagten wurden vor unterschiedlichen Gerichten auf Schadensersatz wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage in Anspruch genommen. Im Streitfall unterlagen sie vor dem LG und legten fristgerecht Berufung beim OLG ein. An einem Freitagnachmittag beantragte ihr Prozessbevollmächtigter die Verlängerung der am darauffolgenden Montag ablaufenden Frist zur Begründung des Rechtsmittels. Dieser Schriftsatz war versehentlich an das LG adressiert. Er wurde an das OLG weitergeleitet, traf dort aber erst am Dienstag ein. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der BGH knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach ein Anwalt sowohl die Einlegung eines Rechtsmittels als auch einen Antrag auf Fristverlängerung sorgfältig prüfen muss. Dazu gehört die Verpflichtung, einen Fristverlängerungsantrag darauf zu überprüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist. Dieser Pflicht genügt der Anwalt nicht schon dadurch, dass er einer Kanzleikraft konkrete Anweisungen zum Inhalt des anzufertigenden Schriftsatzes erteilt. Sofern es nur um Korrekturen eines bereits erstellten und geprüften Schriftsatzes geht, ist der Anwalt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen von einer erneuten Überprüfung befreit. Bei einer Weisung in Bezug auf einen erst noch zu erstellenden Schriftsatz bleibt er hingegen zu einer vollständigen (erstmaligen) Überprüfung verpflichtet.

Praxistipp: Um Verwechslungen zu vermeiden, sollte das zuständige Gericht in der Handakte an hervorgehobener, möglichst leicht einsehbarer Stelle vermerkt werden.

Überprüfung des Fristenkalenders
Beschluss vom 19. September 2017 – VI ZB 40/16

Ein wenige Wochen später ergangener Beschluss betrifft die Überprüfung des Fristenkalenders.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Ihre Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Am 15. Juni 2016 beantragte ihr Prozessbevollmächtigter, die Frist zur Berufungsbegründung zu verlängern. Auf gerichtlichen Hinweis, dass die Frist bereits am 14. Juni 2016 abgelaufen sei, bat er um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu trug er unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung vor, seine für fristgebundene Schriftsätze zuständige Kanzleikraft habe auf einem dem erstinstanzlichen Urteil vorgehefteten Zettel den 14. Juni als Fristende notiert, im Fristenkalender aber versehentlich den 15. Juni eingetragen. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Auch in diesem Fall blieb die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg. Der BGH knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach ein Anwalt grundsätzlich überprüfen muss, ob eine Frist richtig berechnet und zutreffend im Fristenkalender eingetragen wurde. Von einer Überprüfung des Fristenkalenders darf er allerdings absehen, wenn die Handakte einen Erledigungsvermerk enthält, aus dem hervorgeht, dass die zutreffende Frist eingetragen wurde, und wenn durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt ist, dass solche Vermerke erst erstellt werden, wenn die Eintragung im Kalender erfolgt ist. Im Streitfall ergab sich aus dem Wiedereinsetzungsgesuch weder, dass die Handakte einen Erledigungsvermerk enthielt, noch, dass der Prozessbevollmächtigte die gebotenen organisatorischen Anweisungen erlassen hatte.

Praxistipp: In einschlägigen Fällen muss der Anwalt innerhalb der Widereinsetzungsfrist vortragen und unter Beweis stellen, dass die Akte einen Erledigungsvermerk enthielt und welche organisatorischen Anweisungen er hinsichtlich der Erstellung solcher Vermerke erteilt hat.

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Urheberrechtsverletzung durch volljährige Kinder
Urteil vom 30. März 2017 – I ZR 19/16

Der I. Zivilsenat baut seine Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast des Inhabers eines Internetanschlusses im Falle einer Urheberrechtsverletzung weiter aus.

Über den Internetanschluss der beklagten Eheleute waren elf Musiktitel zum Download angeboten worden, an denen der Klägerin Rechte zustehen. Die Beklagten machten geltend, die Rechtsverletzung sei von einem ihrer drei volljährigen Kinder begangen worden. Dessen Namen wollten sie nicht mitteilen. Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.500 Euro und zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von rund 1.000 Euro. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Er bekräftigt seine Rechtsprechung, wonach eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass eine Urheberrechtsverletzung durch den Inhaber des dafür genutzten Internetanschlusses begangen wurde, und der Anschlussinhaber diese Vermutung nur dadurch entkräften kann, dass er eine konkrete Nutzungsmöglichkeit durch andere Personen aufzeigt. Aufgrund dieser sekundären Darlegungslast hat der Anschlussinhaber nach Auffassung des BGH auch den Namen eines eigenen Kindes anzugeben, von dem er weiß, dass es die Verletzungshandlung begangen hat. Art. 6 Abs. 1 GG stehe dem nicht entgegen. Wenn der Anschlussinhaber seiner Darlegungslast nicht genügt, haftet er selbst für den Verstoß.

Praxistipp: Eine Konsequenz dieser Entscheidung dürfte sein, dass der Anschlussinhaber besser steht, wenn er zwar eine konkrete Nutzungsmöglichkeit durch seine volljährigen Kinder aufzeigen kann, aber nicht weiß, wer der Täter war.

Verjährungshemmung für zusammenhängende Ansprüche
Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 99/16

Die Grenzen des § 213 BGB zeigt der VIII. Zivilsenat auf.

Der Kläger hatte von der Beklagten einen Gebrauchtwagen gekauft. Einen Tag nach Übergabe schlossen die Parteien einen Garantievertrag, der die Beklagte verpflichtete, im Falle eines innerhalb von zwölf Monaten auftretenden Defekts für bestimmte Bauteile nur 60 % der Materialkosten zu berechnen. Die AGB des Garantievertrags sahen eine Verjährungsfrist von sechs Monaten nach Ablauf der Garantiefrist vor. Rund ein halbes Jahr nach Übergabe trat ein Defekt an den Einspritzdüsen auf. Der Kläger begehrte eine kostenlose Reparatur; die Beklagte lehnte dies ab. Nicht ganz ein Jahr nach Übergabe nahm der Kläger den Beklagten gerichtlich auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch. Dieses Begehren stützte er zunächst nur auf gesetzliche Gewährleistungsansprüche. Fast ein Jahr später berief er sich ergänzend auf den Garantievertrag. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung, mit der der Kläger nur noch Ansprüche aus dem Garantievertrag geltend machte, blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Mit dem OLG ist er der Auffassung, dass Ansprüche aus dem Garantievertrag verjährt sind. Die Verjährung wäre nur dann gehemmt worden, wenn diese Ansprüche von Anfang an zum Streitgegenstand gehört hätten oder wenn einer der Ansprüche im Sinne von § 213 BGB wahlweise neben den anderen Anspruch oder an dessen Stelle gegeben wäre. Die erste Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben, weil die Ansprüche auf unterschiedliche Lebenssachverhalte gestützt werden. Ein Verhältnis elektiver oder alternativer Konkurrenz im Sinne von § 213 BGB besteht ebenfalls nicht. Darüber hinaus beruhen die beiden Ansprüche nicht auf demselben Grund. Dieses Merkmal kann zwar auch bei Ansprüchen greifen, die keinen einheitlichen Streitgegenstand bilden. Es setzt aber voraus, dass die Ansprüche zumindest im Kern auf denselben Lebenssachverhalt gestützt werden. Hieran fehlt es im Verhältnis zwischen Ansprüchen aus gesetzlicher Gewährleistung und Ansprüchen aus einem Garantievertrag.

Praxistipp: Um eine Verjährung auszuschließen, sollten alternativ in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen auch dann von vornherein geltend gemacht werden, wenn das Begehren mutmaßlich schon durch die primär geltend gemachte Grundlage gestützt wird.

„Diese Frage ist so Unsinn“, sprach der Sachverständige und wurde als befangen abgelehnt.

Bei einer Sachverständigenanhörung in einem selbständigen Beweisverfahren betreffend ein Gewerbegebäude hatte sich laut Protokoll folgendes ereignet: „Hinsichtlich der Tür, die eine Schwelle aufweist, ist in der Baubeschreibung keine Ausführung vereinbart worden, weder eine schwellenlose noch eine mit Schwelle. Für ein Gebäude, das als Büroverwaltungsgebäude genutzt wird, gibt es keine anerkannte Regel der Technik, die eine Ausführung der Eingangstüren in schwellenloser Ausführung vorschreiben würde. Die Ausführung mit einer Schwelle ist allerdings nicht rollstuhlgerecht. Allerdings ist im Bauvertrag auch nicht angegeben, dass das Gebäude rollstuhlgerecht oder barrierefrei herzustellen ist.“ Der Antragstellervertreter fragt den Sachverständigen, ob nicht unter Berücksichtigung dessen, dass ab einer bestimmten Betriebsgröße ein Arbeitgeber verpflichtet ist, Schwerbehinderte einzustellen, doch eine Ausführung ohne Türschwelle den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Daraufhin entgegnete der Sachverständige: Diese Frage ist so Unsinn. Solche arbeitsrechtlichen Themen interessieren mich nicht. Für mich ist entscheidend, ob im Bauvertrag eine rollstuhlgerechte oder barrierefreie Ausführung vereinbart wurde oder eben nicht.“ Nach kurzer Unterbrechung der Sitzung stellt der Antragstellervertreter den Antrag, den Sachverständigen als befangen abzulehnen und begründet dies damit, dass seine Frage als unsinnig bezeichnet wurde.

Während das LG den Antrag ablehnte, gab das OLG Stuttgart dem Befangenheitsantrag statt! Klar ist, dass unsachliche, unangemessene oder herabsetzende oder gar beleidigende Äußerungen des Richters grundsätzlich dazu geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, zumal von einem Richter gesteigerte Zurückhaltung erwartet wird. Dabei ist das hier von Sachverständigen verwendete Wort „Unsinn“ härter als das Wort „unsinnig“, da letzteres oftmals eher meint: „sinnwidrig“, „inkonsequent“ oder „zweckwidrig“. Dies wurde bereits so entschieden (z. B. LSG Nordrhein-Westphalen, Beschl. v. 16.6.2003 – L 11 AR 49/03 AB, NJW 2003, 2933).

Für den Sachverständigen als „Gehilfen“ des Richters soll nichts anderes gelten als für den Richter. Mit der beanstandeten Äußerung wird der Fragesteller herabgewürdigt und der Sachverständige hat gezeigt, dass er nicht gewillt ist, die Frage sachgerecht zu beantworten. Es sind hier auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Sachverständige provoziert oder heftig angegriffen wurde, was die Äußerung in einem milderen Licht hätte erscheinen lassen können.

Während sich die Parteien und ihre Bevollmächtigte vor Gericht (und auch im Vorfeld!) – auch nach der Rechtsprechung des BVerfG – durchaus „austoben“ dürfen, gilt für die Richter und die Sachverständigen anderes. Von ihnen wird immer erwartet, dass sie sich sehr zurückhalten und nie zu viel Engagement zeigen. Ist dies nicht ein Widerspruch, über den man einmal näher nachdenken müsste?

Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.7.2017 – 13 W 13/17, NJW-RR 2017, 1088

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Kosten des Vergleichs
Beschluss vom 14. Juni 2017 – I ZB 1/17

Mit der Auslegung einer Kostenregelung in einem gerichtlichen Vergleich befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte den Beklagten im Wege der Teilstufenklage auf Zahlung von Maklerhonorar für die Vermittlung von Kaufverträgen in Anspruch genommen. Vor dem LG schlossen die Parteien einen umfassenden Vergleich, in den auch nicht rechtshängige Ansprüche einbezogen wurden. Darin wurde u.a. vereinbart, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits trägt und die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden. Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der Kläger eine Terminsgebühr aus dem vollen Vergleichswert geltend. Die Rechtspflegerin setzte nur eine Gebühr aus dem Wert der eingeklagten Forderungen an. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück. Mit den Vorinstanzen sieht er als „Kosten des Rechtsstreits“ nur diejenigen Kosten an, die durch die Geltendmachung der bereits vor dem Vergleichsabschluss rechtshängigen Ansprüche entstanden sind. „Kosten des Vergleichs“ sind demgegenüber alle Mehrkosten, die durch den Vergleichsabschluss und durch die Einbeziehung weiterer Forderungen in den Vergleich entstanden sind. Hierzu gehört nicht nur die Vergleichsgebühr, sondern auch die Terminsgebühr, soweit sich diese aufgrund der Einbeziehung dieser Forderungen erhöht hat.

Praxistipp: Um Schwierigkeiten bei der Kostenfestsetzung zu vermeiden, sollten die Parteien darauf hinwirken, dass der Wert der eingeklagten und der Wert der zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Ansprüche im Streitwertfestsetzungsbeschluss separat ausgewiesen werden.

Haftung des anwaltlichen Mediators
Urteil vom 21. September 2017 – IX ZR 34/17

Eine grundlegende Entscheidung zur Haftung eines anwaltlichen Mediators trifft der IX. Zivilsenat.

Im Vorfeld eines Scheidungsverfahrens hatten sich die betroffenen Eheleute an eine von der beklagten Rechtsanwältin betriebene Schlichtungsstelle gewandt, um eine einvernehmliche und kostengünstige Scheidung zu ermöglichen. Die Eheleute erteilten ihr unter anderem eine Vollmacht zur Einholung von Auskünften bei den zuständigen Trägern der Rentenversicherung. Im Scheidungstermin trat für die Ehefrau der Kläger als Prozessbevollmächtigter auf. Er war kurz zuvor – ebenso wie die Anwältin des Ehemannes – auf Vermittlung der Beklagten eingeschaltet worden und mit Einzelheiten nicht vertraut. Kurz vor dem Termin teilte die Beklagte der Anwältin der Ehefrau per E-Mail mit, ein Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs solle nicht protokolliert werden, sofern mit der Mandantin nichts anderes besprochen werde. Dem Kläger teilte sie mit, die angestrebte Vereinbarung über die Scheidungsfolgen liege bislang lediglich als Entwurf vor. Im Termin erschien der Kläger erst zur Erörterung des Versorgungsausgleichs. Er ließ sich von der Ehefrau, mit der er zuvor noch nie zusammengetroffen war, mündlich mandatieren und stimmte in deren Namen dem Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu. Später eingeholte Auskünfte der Versorgungsträger ergaben, dass der Ehefrau ein Ausgleichsanspruch in Höhe von mehr als 90.000 Euro zugestanden hätte. In einem Haftungsprozess mit der Ehefrau verpflichtete sich der Kläger vergleichsweise zur Zahlung von rund 64.000 Euro. Zwei Drittel dieses Betrags verlangte er im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs von der Beklagten erstattet. Das LG wies die Klage ab. Das OLG sprach dem Kläger die Hälfte des an die Ehefrau gezahlten Betrags zu.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Er qualifiziert das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und den Eheleuten als Mediationsvertrag in der Form des mehrseitigen Anwaltsdienstvertrags, weil es die Beklagte übernommen hat, rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln und dies eine Rechtsdienstleistung darstellt. Aus diesem Dienstvertrag haftet die Beklagte nach anwaltsrechtlichen Grundsätzen. Eine Pflichtverletzung sieht der BGH darin, dass die Beklagte den Kläger nicht darüber informiert hat, dass noch keine Auskünfte zum Versorgungsausgleich vorliegen. Ob ein entsprechender Hinweis an die Anwältin des Ehemanns ausgereicht hätte, lässt er offen, weil die Beklagte im Streitfall auch insoweit keine hinreichend deutlichen Informationen erteilt hatte. Dass der Kläger ebenfalls seine anwaltlichen Pflichten verletzt hat, führt nicht zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufs, sondern lediglich zu einer gleichmäßigen Verteilung der Haftung im Innenverhältnis.

Praxistipp: Um eine Haftung in solchen Konstellationen zu vermeiden, sollte der Mediator von der Durchführung des Scheidungstermins vor endgültiger Klärung aller für die angestrebte Vereinbarung relevanter Fragen dringend abraten. Wollen die Mandanten diesem Rat nicht folgen, sollten die Prozessbevollmächtigten detailliert und unmissverständlich über den Verfahrensstand informiert werden. Zusätzlich sollten die Mandanten persönlich eingehend über die drohenden Risiken belehrt werden.

BGH: Prüfpflichten zur Unternehmereigenschaft für B2B- Onlineshops – oder – Unmöglichkeit vieler UWG-Testkäufe?

Onlineshops unterliegen vielfältigen Informationspflichten im Rahmen des Angebots- und Bestellprozesses. Dabei bestehen einige gewichtige Unterschiede bei reinen B2B-Onlineshops gegenüber solchen Shops, die (zumindest auch) an Verbraucher gerichtet sind. Dies fängt bei der Verpflichtung an, Preise inklusive Umsatzsteuer auszuweisen, auf etwaige zusätzliche Versandkosten hinzuweisen(§ 1PAngV)  und führt bis zu detaillierten Informations- und Gestaltungsvorgaben des § 312j BGB, zum Beispiel der Buttonlösung in § 312j Abs. 3 BGB. Im reinen B2B-Verkehr sind auch weitgehende Gewährleistungsausschlüsse möglich (§ 475 BGB), ein Widerrufsrecht besteht nicht von Gesetzes wegen (§ 312g BGB). Zuletzt sind viele Regelungen des UWG (direkt) nur auf Sachverhalte mit Verbraucherberührung anwendbar, so zum Beispiel die „schwarze Liste“ im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG.

Sollte der Warenabsatz an Verbraucher vernachlässigbar sein, so stellt sich die Frage, wie wirksam ausgeschlossen werden kann, dass Verbraucherinteressen durch einen Onlineshop betroffen werden können. Klar war bisher: Eher versteckt eingearbeitete Hinweise, womöglich noch in AGB, dass ein Vertrag lediglich mit Unternehmern abgeschlossen wird, sind nicht ausreichend (OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2016 – 12 U 52/16, MDR 2017, 76). Immer wieder sprachen Gerichte von Kontrollpflichten der Shopbetreiber, ohne konkrete Maßnahmen als ausreichend gelten zu lassen.

Durch eine jüngere Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.5.2017 – I ZR 60/16) könnte (!) nun Klarheit in die Vorgaben kommen. In dem dortigen Fall war

  • jede Seite des Shops mit einem Hinweis „Verkauf nur an Unternehmer, Gewerbetreibende, Freiberufler und öffentlicheInstitutionen. Kein Verkauf an Verbraucher i.S.d. §13 BG“ ausgestattet,
  • im Bestellprozess ein Feld „Firma“ vorgesehen und
  • im räumlichen Zusammenhang mit dem Bestellbutton der Text „Hiermit bestätige ich, dass ich die Bestellung als Unternehmer und nicht als Verbraucher i.S.d. §13 BGB tätige und die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis genommen habe.“ aufgenommen.

Der Shopbetreiber hatte zuvor eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, wobei ein vom Unterlassungsgläubiger beauftragter Rechtsanwalt nun eine Testbestellung ausführte, die bestätigt wurde. In das Feld „Firma“ wurde dabei „Privat“ geschrieben. Die auf diesen Vorfall gestützte Geltendmachung einer Vertragsstrafe blieb erfolglos.

Der BGH geht davon aus, dass der den Testkauf durchführende Rechtsanwalt gerade nicht ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abgeschlossen hat, die überwiegend weder seiner gewerblichen noch seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Testkauf erfolgte hier in anwaltlicher Eigenschaft. Es läge damit kein Verkauf an einen Verbraucher vor. Durch die bewusst wahrheitswidrigen Angaben im Kaufprozess sei der Beklagten eine Berufung auf die Grundsätze von Treu und Glauben möglich, was einem Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe entgegenstünde.

An mancher Stelle wird diese Entscheidung als Paukenschlag bezeichnet, andere meinen zumindest in einem Teil der Ausführungen nunmehr klare Vorgaben für Shopbetreiber zu erkennen. Insbesondere die Ausführungen des BGH

„Der Testkauf der Klägerin war damit darauf angelegt, Vorsorgemaßnahmen der Beklagten zur Verhinderung eines Wettbewerbsverstoßeszu umgehen und dadurch einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung zu provozieren. Das ist rechtsmissbräuchlich.“

lassen aber daran zweifeln. Warum hätte sonst noch das Erfordernis der „Verstoßprovokation“ genannt werden müssen? Es scheint vielmehr so, als wolle sich der BGH noch Türen offenhalten, was den Unterlassungsanspruch angeht, zumindest aber der provozierten Testbestellung zur Geltendmachung einer Vertragsstrafe nicht zum Erfolg verhelfen. Führt man diesen Gedanken zu Ende, dürften Testbestellungen im Bereich von verbraucherschützenden Wettbewerbsregelungen in Zukunft zumindest deutlich schwieriger werden. Unterlassungsverpflichtungen würden konsequenterweise massiv an Gewicht verlieren, da Verstöße hiergegen nur noch durch „Zufallsberichte“ von Verbrauchern aufgedeckt werden könnten, handeln doch sowohl Unterlassungsgläubiger, als auch deren Beauftragte in aller Regel nicht als Verbraucher, wenn eine Testbestellung erfolgt.

Praxistipp: Die in der Entscheidung angesprochenen Vorgaben sollten B2B-Shopbetreiber unbedingt einhalten. Ein Restrisiko, ob Shopbetreiber damit in ausreichendem Maße ihren Prüfpflichten nachkommen, ist aber auch durch die jüngste Entscheidung nicht abschließend geklärt. In sonstigen B2C-Sachverhalten sollte die Ausgestaltung von Testbestellungen überdacht werden, die nach dieser Rechtsprechung vor neue Anforderungen gestellt werden dürfte. An die Rechtsprechung verbleibt der Wunsch, die möglicherweise lediglich misslungene Formulierung in der Entscheidung des BGH durch sicher handhabbare Vorgaben an Shopbetreiber zu korrigieren.

Möglichkeit des Rechtswegrüge nach § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG

Mit einer sehr interessanten Möglichkeit zur Verzögerung von Verfahren beschäftigt sich das LG Köln (Urt. v. 9.11.2016 – 13 S 37/16) in einer Entscheidung, die der Begriffsjurisprudenz wieder zu einem unerwarteten Sieg verholfen hat.

Der Beklagte war ins Ausland verzogen. Nachdem er dann wegen eines Geschehens (er hatte ein Auto gemietet), das sich noch zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes hier ereignet hatte, auch hier verklagt wurde, rügte er den von der Klägerin beschrittenen Rechtsweg. § 17a Abs. 3 GVG lautet nun in der Tat wie folgt: „Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt“.

Das AG hatte nicht vorab entschieden, sondern ein Versäumnisurteil erlassen, anschließend dann auch ein zweites Versäumnisurteil. Dieses hob das LG Köln auf die Berufung des Beklagten hin auf und verwies den Rechtsstreit zurück, da das AG gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verstoßen habe. Vom Wortlaut her ist diese Entscheidung natürlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hatte die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Das AG hätte durch Beschluss vorab entscheiden müssen. Dieser Beschluss wäre gemäß § 17a Abs. 4 GVG dann auch noch im Wege der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewesen. Das Verfahren hätte sich – mindestens – um drei Monate verzögert, je nach Belastung der Spruchkörper und Geschäftsstellen sogar noch deutlich länger.

Es besteht aber – wie auch das LG Köln in der Entscheidung selbst ausführt (!) – Einigkeit darüber, dass die Rechtswegrüge im hier zu beurteilenden Fall schlichtweg abwegig ist. Bestenfalls geht es vorliegend um eine Frage der internationalen Zuständigkeit, die aber auch eher trivial ist, weil der Beklagte erst nach dem Entstehen der Streitigkeit und Abschluss des maßgeblichen Lebenssachverhaltens ins Ausland verzogen war und vorher hier gewohnt hatte.

Hier hätte es sich wirklich angeboten, „klassisch“ nach dem Sinn und Zweck des § 17a Abs. 3 GVG zu fragen und die Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nicht anwendbar ist, wenn die Rechtwegrüge ersichtlich abwegig ist. Alles andere ist eine Einladung an die immer zahlreicher werdenden Querulanten, den Justizorganen durch immer neue sinnlose Eingaben und Rechtsmittel ihre Tätigkeit zu erschweren und damit zu verhindern, dass andere Personen zeitnahe zu ihrem Recht kommen können. Solches Vorgehen sollte die obergerichtliche Rechtsprechung nicht durch begriffsjuristische Argumentationen unterstützen.

Unzulässigkeit der Berufung nach § 45 GKG ?

Zu seiner Entscheidung vom 27.07.2017 – III ZB 37/16 – hat der BGH folgenden Leitsatz veröffentlicht: „Der Wert der Beschwer ist nach § 45 Abs. 1 GKG zu bemessen, wenn die von einer beklagten Partei gestellten Hilfsanträge, eine Verurteilung nur Zug-um-Zug gegen bestimmte Leistungen auszusprechen, unzutreffend als Hilfswiderklage angesehen werden und diese abgewiesen wird.“

Bei der Abfassung ist dem BGH wohl ein kleiner Fehler unterlaufen. In der Entscheidung ging es um die Unzulässigkeit der Berufung wegen Nichterreichens der Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 ZPO. Zutreffend hat der BGH den Wert der Beschwer auch nur anhand der Wertvorschriften der ZPO (hier §§ 2, 3, 5) beurteilt. § 45 GKG wird in der Entscheidung gar nicht angesprochen.

Die GKG-Streitwertvorschriften betreffen nämlich nur den Streitwert für die Gebühren.

 

 

 

 

Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO bei Abweichen von Rechtsprechung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts

Der BGH hat entschieden, dass § 36 Abs. 3 ZPO auch für beabsichtigte Abweichungen von der Rechtsauffassung eines anderen Senats desselben OLGs gelte (BGH v. 15.08.2017 – X ARZ 204/17).

Soweit § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO auf die Abweichung von einer Entscheidung „eines anderen“ Oberlandesgerichts abstelle, liege darin nach der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrem Sinn und Zweck keine abschließende Regelung ihres Anwendungsbereichs. Die Zwecksetzung der Regelung gebiete es, die Entscheidung einer in der Rechtsprechung umstrittenen Rechtsfrage durch den BGH in allen Konstellationen zu ermöglichen, in denen dies nach § 36 ZPO a.F. bereits der Fall gewesen sei. Hierzu gehöre auch der Fall, dass eine Rechtsfrage zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts umstritten sei.