OLG Frankfurt: Erstattung von Reisekosten eines Anwaltes, der am Sitz der Partei ansässig ist

Die Beklagte beauftragte einen Rechtsanwalt, dessen Kanzlei sich nicht im Gerichtsbezirk, sondern am Sitz der Partei befand (sog. „Distanzanwalt“). Demgemäß musste der Rechtsanwalt zu zwei Terminen zum Prozessgericht anreisen. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren machte die Beklagte entsprechende Reise- und Übernachtungskosten ihres Rechtsanwaltes geltend, worüber das OLG in der erst jetzt näher bekannt gewordenen Entscheidung (Beschl. v. 7.5.2018 – 6 W 37/18) zu befinden hatte.

Das OLG betont zunächst, dass die Beauftragung eines Rechtsanwaltes am Sitz der Partei im Hinblick auf das hier gebotene persönliche Beratungsgespräch zwischen der Partei und ihrem Anwalt auch im Zeitalter der modernen Kommunikationstechniken anzuerkennen ist. Mithin dient die Beauftragung eines Distanzanwalts regelmäßig der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Diese Reisekosten des Rechtsanwaltes sind daher berechtigt und bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen. Zwar war hier dem Prozess ein Eilverfahren vorausgegangen, dies rechtfertigt aber keine andere Bewertung, zumal gerade nach dem Abschluss eines Eilverfahrens eine persönliche Besprechung erforderlich erscheint.

Bei den Übernachtungskosten kommt es darauf an. Gemäß § 758a Abs. 4 ZPO gilt die Zeit zwischen 21.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens als Nachtzeit. Ein Antritt der Reise (z. B. durch das Verlassen der Kanzlei) vor 6.00 Uhr morgens ist daher nicht zumutbar. Darüber hinaus muss bei einer Reise zu einem Gerichtstermin ein Sicherheitspuffer eingebaut werden. Bei einer normalen Reisedauer von knapp vier Stunden ist ein solcher Sicherheitspuffer von 1 ¼ Stunden ausreichend, aber auch notwendig. An Hand der aufgrund dieser Kriterien durchzuführenden Prüfung waren im konkreten Fall die Übernachtungskosten für einen von zwei Terminen erforderlich.

Interessant ist, dass das OLG Frankfurt in dem Beschluss keine einzige Fundstelle zitiert. Die Entscheidung dürfte gleichwohl der herrschenden Auffassung entsprechen (vgl. auch OLG Naumburg, Beschl. v. 8.6.2016 – 12 W 36/16 (KfB), MDR 2016, 1475). Interessant ist noch die Dauer des Sicherheitspuffers. Als Leitlinie wird man vielleicht die These aufstellen dürfen, dass ein Sicherheitspuffer von ungefähr ¼ der Reisezeit angemessen, aber auch ausreichend ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der Kostenerstattung.

Anwaltsbestellung nach Klagerücknahme
Beschluss vom 23. Mai 2019 – V ZB 196/17

Mit der Reichweite des Anspruchs auf Kostenerstattung nach Klagerücknahme befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte mit einer gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten Klage einen Beschluss der Eigentümerversammlung angegriffen. Vier Tage nach Zustellung der Klage an den Verwalter der Anlage bestellte sich ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger gegenüber dem Gericht bereits die Rücknahme der Klage erklärt. Dieser Schriftsatz wurde dem Verwalter erst einen Tag später zugestellt. Der Rechtspfleger beim AG setzte die von den Beklagten geltend gemachten Anwaltskosten antragsgemäß fest. Die Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH stützt sich auf seine Rechtsprechung, wonach ein Rechtsmittelgegner die Kosten eines Anwalts erstattet verlangen kann, den er in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der bereits erfolgten Rücknahme des Rechtsmittels beauftragt hat. Für den Fall einer Klagerücknahme kann nichts anderes gelten. Im Streitfall war den Beklagten die Klagerücknahme nicht bekannt. Es waren auch keine Umstände ersichtlich, die auf eine entsprechende Erklärung des Klägers hindeuteten. Deshalb hat der Kläger die angefallenen Kosten zu erstatten.

Praxistipp: Um unnötige Kosten zu vermeiden, sollte der Anwalt des Klägers in solchen Situationen die Gegenseite auf möglichst schnellem Weg (Telefax, E-Mail, Telefon) direkt von der Klagerücknahme unterrichten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflicht des Gerichts, Vortrag in einem nachgelassenen Schriftsatz zu berücksichtigen.

Schriftliche Ausführungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme
Beschluss vom 21. Mai 2019 – VI ZR 54/18

Mit den Wirkungen eines gewährten Schriftsatzrechts befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung ihres verstorbenen Vaters in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, die Beklagten hätten ihren Vater bereits bei einer kurz nach Beginn der Behandlung durchgeführten Untersuchung am 8. Oktober 2009 auf mögliche Infektion der Beine hinweisen und insoweit weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG vernahm eine Praxisangestellte der Beklagten zu deren Beobachtungen bei den vorgenommenen Untersuchungen. Die Zeugin gab an, sie könne sich an die Daten der einzelnen Untersuchungen und den Zustand des Patienten nicht mehr genau erinnern. Das OLG gab den Parteien nach Abschluss der Beweisaufnahme Gelegenheit, zu deren Ergebnis schriftlich Stellung zu nehmen. In einem fristgerecht eingereichten Schriftsatz wiesen die Kläger auf ein bereits vorgelegtes Gedächtnisprotokoll hin, in dem die Zeugin festgehalten hatte, dass sich bereits am 8. Oktober 2009 Symptome einer Infektion zeigten. Das OLG ging diesem Einwand nicht nach und wies die Berufung der Kläger zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Das OLG war verpflichtet, die fristgerechte Stellungnahme der Kläger zu berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wenn diese entscheidungserheblichen Vortrag enthielt, der Anlass zu weiterer Sachaufklärung gab. Hierbei ist unerheblich, ob das OLG überhaupt verpflichtet gewesen wäre, ein Schriftsatzrecht zu gewähren. Wenn das Gericht ein solches Recht einräumt, muss es fristgerecht eingereichtes Vorbringen berücksichtigen, soweit es vom Gegenstand des eingeräumten Rechts gedeckt ist. Im Streitfall hätte das OLG das Gedächtnisprotokoll in seine Beweiswürdigung einbeziehen müssen. Dies hätte möglicherweise zu einer erneuten Vernehmung der Zeugin unter Vorhalt des Protokolls geführt.

Praxistipp: Um Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu gewinnen, sollten die Parteien in der Regel ein Recht zur schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme beantragen. Wenn dieser Antrag abgelehnt wird, bleiben sie dennoch zu einer nachträglichen Stellungnahme berechtigt, soweit eine sofortige Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung nicht möglich oder nicht zumutbar war.

DSGVO: Rund 200 Millionen Euro Bußgeld für British Airways nach Datenpanne geplant

Die persönlichen (insbesondere auch Zahlungs-) Daten von rund 500.000 Passagieren sind im letzten Jahr bei British Airways in die Hände von kriminellen gelangt. Die – für ihr konsequentes Vorgehen schon bekannte – britische Datenschutzaufsichtsbehörde ICO will daraufhin nunmehr ein Bußgeld gem. Art. 83 DSGVO von rund 183,39 Millionen Britische Pfund, umgerechnet etwa 204 Millionen Euro gegen die Airline verhängen. Das entspricht einem 1,5% des Geschäftsjahresumsatzes. Das dürfte einen neuen Höhepunkt der Diskussion um Bußgelder unter Geltung der EU-Datenschutzgrundverordnung darstellen.

Alex Cruz, Chef der BA International Airlines Group (IAG) gibt sich ob der Höhe der Sanktion überrascht, verweist darauf, dass Daten angeblich nicht missbräuchlich verwerdet wurden. Man prüfe derzeit ein Vorgehen gegen das Bußgeld.

Pikant: Aus meinem Mandantenkreis ist mir ein Fall eines British Airways-Kunden bekannt geworden, der am 30. August 2018 und somit im fraglichen Zeitraum eine Buchung bei British Airways vornahm. Bei genau diesem Passagier kam es im Nachhinein zu mehreren äußerst auffälligen Zahlungsversuche, wie Benachrichtigungen in der Smartphone-App des Kreditkartenunternehmens belegen:

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In der Zeit vor dem Datenleck bei British Airways kam es nicht zu solchen unberechtigten Belastungen. Es dürfte sich folglich nicht um einen Zufall handeln.

Praxistipp:

Zahlungsdaten sind hochsensibel, das auch nicht erst seit der EU-Datenschutzgrundverordnung. Unternehmen dürften bereits nach den (schon früher geltenden) Regelwerken zum Zahlungsverkehr PCI und PCI DSS  ordentlichen  Aufwand treiben, um Zahlungsdaten zu schützen. Regelmäßig nehmen aber externe Dienstleister wie zum Beispiel Paypal diese Aufgabe ab. Wer dennoch mit solchen Daten in Berührung kommt, sollte größere Vorsicht walten lassen.

Pressemitteilung der ICO

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um Ansprüche nach dem Abbruch einer eBay-Auktion.

Schnäppchenjäger oder Abbruchjäger?
Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 182/17

Mit Schadensersatzansprüchen des Bieters nach einer vom Verkäufer abgebrochenen eBay-Auktion befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte im Frühjahr 2012 bei eBay einen Pirelli-Radsatz für einen Audi A6 mit einem Startpreis von 1 Euro zum Verkauf angeboten, die Auktion aber vorzeitig beendet. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Gebot von 201 Euro der Höchstbietende. Der Beklagte lehnte die Lieferung ab. Der Kläger bezifferte den Wert der angebotenen Ware mit 1.701 Euro und verlangte Schadensersatz in Höhe von 1.500 Euro. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Nach den AGB von eBay bleibt ein Gebot gültig, wenn der Verkäufer die Auktion ohne berechtigten Grund abbricht. Im Streitfall hat das Berufungsgericht der Behauptung des Beklagten, die Ware sei gestohlen worden, keinen Glauben geschenkt. Der BGH hält diese tatrichterliche Würdigung für rechtsfehlerfrei. Er tritt dem LG auch darin bei, dass der Klageforderung nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensteht. Eine Betätigung als „Schnäppchenjäger“, d.h. das gezielte Bieten auf Waren zu einem weit unter dem Marktwert liegenden Preis, ist für sich genommen nicht missbilligenswert. Der Verkäufer hat es in der Hand, einen Vertragsschluss zu einem ihm nicht genehmen Preis durch Festsetzung eines entsprechend hohen Startgebots zu vermeiden. Als rechtsmissbräuchlich wäre es allerdings anzusehen, wenn sich der Kläger als „Abbruchjäger“ betätigt, also auf einen Abbruch der Auktion abgezielt hätte, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Die diesbezügliche Behauptung des Beklagten sah das Berufungsgericht indes ebenfalls als nicht bewiesen an. Der BGH sieht auch diese Würdigung als rechtsfehlerfrei an.

Praxistipp: Für die Einordnung eines Bieters als „Abbruchjäger“ kann vor allem der Umstand sprechen, dass er nach erfolgreichen Geboten die Ware nicht abgenommen hat, obwohl der Verkäufer zur Lieferung bereit war.

Neue Gesetzgebungsvorschläge zum Zivilprozessrecht

Das BMJV hat einen Referentenentwurf zur dauerhaften Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen vorgelegt. Ergänzend ist darin unter anderem vorgesehen, den Katalog von Materien, für die jedes LG und jedes OLG eine spezialisierte Kammer bzw. einen spezialisierten Senat einrichten muss, deutlich zu erweitern. An dieser Regelung könnten sich künftig langwierige Kompetenzkonflikte entzünden, die dem angestrebten Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderlaufen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber flankierende Maßnahmen vorsieht, um diese Gefahr zu minimieren.

Seit der ZPO-Reform im Jahr 2002 ist eine Revision in Zivilsachen nur noch statthaft, wenn das Berufungsgericht oder – auf Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei – der Bundesgerichtshof das Rechtsmittel zulässt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer die Grenze von 20.000 Euro übersteigt. Diese Regelung war ursprünglich nur für einen Übergangszeitraum vorgesehen. Ihr Geltungszeitraum wurde aber mehrfach verlängert, zuletzt bis 31.12.2019.

Der Referentenentwurf sieht nunmehr vor, die Wertgrenze dauerhaft in die ZPO zu übernehmen, als neuen Absatz 2 der für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblichen Regelung in § 544 ZPO. Der BGH hat sich immer wieder für diese Lösung eingesetzt, um eine anderenfalls drohende Überlastung zu vermeiden.

Ergänzend sieht der Entwurf flankierende Maßnahmen vor, denen das Ziel gemeinsam ist, die Effizienz im Zivilprozess weiter zu steigern. Dazu gehört eine Erweiterung der in § 72a und § 119a GVG vorgesehenen Kataloge von Rechtsmaterien, für die jedes LG und jedes OLG zwingend eine Spezialkammer bzw. einen Spezialsenat einzurichten hat. Die vier bereits bestehenden Tatbestände (Bank- und Finanzgeschäfte, Bau-, Architekten- und Ingenieurverträge, Heilbehandlungen, Versicherungsverträge) sollen um vier weitere Tatbestände (Kommunikations- und Informationstechnologie, Veröffentlichungen in Presse, Funk, Fernsehen und Internet, Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten) ergänzt werden. Insbesondere der Tatbestand der Kommunikations- und Informationstechnologie dürfte eine ungeahnte Vielzahl von Streitigkeiten erfassen.

Wenn die Regelungen wie geplant in Kraft treten, könnte sich eine Entwicklung verstärken, die schon unter dem bestehenden Recht eingesetzt hat und dem Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderläuft: Angesichts der abstrakten Formulierungen, mit denen die Zuständigkeit der Spezialspruchkörper umschrieben ist, entsteht nicht selten Streit darüber, ob ein Rechtsstreit vor einen Spezialspruchkörper gehört oder ob es bei der Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer bzw. eines allgemeinen Zivilsenats verbleibt. Anders als bei Konflikten über die im Geschäftsverteilungsplan festgelegten Zuständigkeiten sehen viele Obergerichte in solchen Fällen eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zulässig an (vgl. etwa KG, B. v. 14.03.2019 – 2 AR 6/19, MDR 2019, 634). Paradoxerweise können solche gerichtsinternen Konflikte sogar schwieriger zu beurteilen sein als Kompetenzkonflikte zwischen unterschiedlichen Gerichten, denn eine Bindungswirkung, wie sie § 281 ZPO für die Verweisung an ein anderes Gericht oder § 102 GVG für das Verhältnis zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen anordnen, ist in § 72a und § 119a GVG nicht ausdrücklich vorgesehen. Selbst die ergänzenden Regelungen über die Zuständigkeit durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache (§ 39 ZPO) und über die beschränkte Nachprüfung der erstinstanzlichen Zuständigkeit in den höheren Instanzen (§ 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO) sind zumindest ihrem Wortlaut nach in solchen Fällen nicht anwendbar.

Angesichts dessen erscheint es wünschenswert, dass der Gesetzgeber gerichtsinterne Zuständigkeitskonflikte künftig (mindestens) denselben Schranken unterwirft, die für gerichtsübergreifende Konflikte gelten. Ansonsten ist nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft viele Prozesse hauptsächlich um die Frage drehen, welche Kammer bzw. welcher Senat über die Klage zu entscheiden hat.

Viral aber nicht ansteckend: Influencer und Lauterkeitsrecht

Haben Sie auch etwas gegen…?

Tja, gegen was denn eigentlich? So richtig scheint die Influencer-Welt das nicht zu wissen.

Inzwischen sieht auch die Regierung Handlungsbedarf. Dementsprechend hat das BMJV nun entsprechende Änderungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) angekündigt, die allen Beteiligten zu mehr Rechtsklarheit verhelfen soll. Wie genau diese Regelung aussehen soll, ist unklar. Mit nur einer knappen Regelung wie zum Beispiel „Äußerungen mit kommerziellem Charakter ohne jegliche Gegenleistung bedürfen keiner besonderen Kennzeichnung“ dürfte vermutlich die, über mehrere Rechtsgebiete verstreuten, Kennzeichnungspflichten nicht allumfassend modifizieren können.  Bereits in der Vergangenheit haben Bemühungen um Klärungen umstrittener Rechtsfragen (wie zum Beispiel der neu geschaffene § 97a UrhG, um bei typischen File-Sharing-Abmahnungen graue Bereiche einzuebnen) zu neuen Unsicherheiten und Auslegungsherausforderungen der Gerichte geführt. Es bleibt daher fraglich, ob ein Handeln des Gesetzgebers, das zugleich die Dynamik der Weiterentwicklung moderner Medien durch Unschärfen miterfassen muss, hier zielführend ist. Eine solche Regelung würde ein über Jahrzehnte gewachsenes Gleichgewicht, wie es zum Beispiel im Printbereich (Autozeitschrift mit Fahrzeugvorstellung) vollkommen selbstverständlich ist, möglicherweise aus der Balance bringen.

Fest steht, wettbewerbsrechtliche Abmahnungen und gerichtliche Verfahren wegen mangelnder Kennzeichnung kommerzieller Inhalte, überwiegend angestrengt vom Verband Sozialer Wettbewerb VSW, sind ein Ärgernis und verunsichern die Branche. Insbesondere das Landgericht der Influencer-Hauptstadt Berlin stellte bisher an Beiträge in sozialen Netzwerken hohe Anforderungen. Durch weitere Rechtsprechung verstreut über die Republik – dank § 14 Abs. 1 S. 2 UWG kann sich der VSW meistens nicht das Wunschgericht aussuchen – haben sich die Anforderungen aber einerseits zumindest ein wenig konkretisiert, auch sind Wege aufgezeigt worden, wie die derzeitige social-media-Praxis als rechtskonform beurteilt werden kann. Insbesondere das LG München I (Urt. v. 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MDR 2019, 820; siehe auch BöseMDR-Blog v. 1.5.2019) geht einen interessanten, wenn auch nicht kritikfreien Weg.

Hinweis: Eine Zusammenstellung der ergangenen lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung sowie konkrete Gestaltungsvorschläge „ab wann“, „wo“ und „wie“ eine Kennzeichnung von Veröffentlichtungen erforderlich ist, finden Sie in Böse, Influencer-Marketing – Die lauterkeitsrechtlichen Kennzeichnungspflichten von Werbebotschaften, MDR 2019, 769.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Folgen eines erstinstanzlichen Verfahrensfehlers.

Keine Zurückverweisung trotz verfahrensfehlerhafter Entscheidung über Ablehnungsgesuch
Urteil vom 14. Mai 2019 – VI ZR 393/18

Mit der Reichweite von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die klagende Bundesrepublik Deutschland begehrte von den Beklagten Ersatz der Kosten für die Reinigung eines Regenrückhaltebeckens. Zu der Verunreinigung war es infolge eines Verkehrsunfalls gekommen, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben. Der vom LG beauftragte Sachverständige sah die Kosten als nicht notwendig an, weil die Arbeiten ohne Mehrkosten im Rahmen der nächsten turnusgemäßen Reinigung hätten ausgeführt werden können. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen vor der mündlichen Verhandlung wegen Befangenheit ab. Das LG entschied über dieses Gesuch erst in seinem Urteil, mit dem es die Klage abwies. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Der BGH tritt dem OLG allerdings darin bei, dass die Sache nicht an die erste Instanz zurückzuverweisen ist. Die Verfahrensweise des LG war zwar fehlerhaft, weil es über das Ablehnungsgesuch – ebenso wie über ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter – durch gesonderten Beschluss hätte entscheiden müssen und sein Urteil erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses hätte erlassen dürfen. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertretenen Auffassung sind die Folgen eines solchen Verfahrensfehlers aber nach § 538 ZPO zu beurteilen. Eine Zurückverweisung ist danach jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn das Berufungsgericht das Ablehnungsgesuch ebenfalls als unbegründet ansieht. Selbst wenn es die Ablehnung für begründet hält, darf das Berufungsgericht die Sache nur in Ausnahmefällen zurückverweisen, etwa wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig ist, deren Durchführung in der Berufungsinstanz zu noch größeren Nachteilen führen würde als eine Zurückverweisung. Im Streitfall hatte das OLG die Ablehnung des Sachverständigen als unbegründet angesehen. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung gebilligt. Dennoch hat er die Sache an das OLG zurückverwiesen, weil dieses von einer Beweisaufnahme über den durch ein Privatgutachten unterlegten Vortrag der Klägerin abgesehen hat, wonach ein Zuwarten bis zur nächsten turnusmäßigen Reinigung zur Freisetzung wassergefährdender Stoffe geführt hätte.

Praxistipp: Das Gericht ist stets zu einer weiteren Sachaufklärung verpflichtet, wenn zwei Sachverständige zu einander widersprechenden fachlichen Beurteilungen gelangen. Dies gilt auch bei einem Widerspruch zwischen einem gerichtlichen Sachverständigen und einem Privatgutachter.

BGH: Zur Notwendigkeit einer Beweisaufnahme über Sicherheitsvorschriften für Hotelzimmer des Reiseveranstalters im Reiseland

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 25.6.2019 (X ZR 166/18) die Voraussetzungen präzisiert, unter denen der Tatrichter dem Vorbringen einer Partei zum Inhalt von ausländischen Sicherheitsvorschriften für Hotelzimmer im Zielgebiet einer Pauschalreise nachzugehen hat.

Unstreitig sind die örtlichen Verhältnisse und nicht ein unionsrechtlicher oder deutscher Standard als Maßstab für den zu fordernden Sicherheitsstandard von unter Vertrag genommenen Leistungserbringern eines Reiseveranstalters heranzuziehen (BGH, Urt. v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86, BGHZ 103, 298 = MDR 1988, 573; Staudinger, in hrich/Staudinger, 8. Aufl. 2019, § 22 Rn. 36, 40 m. w. Nachw.). Dies ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des Art. 17 Rom II-VO, wonach bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen sind, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsrechtlichen Ereignisses in Kraft sind. Hierbei hat der Tatrichter auch im Zivilprozess kodifizierte Normen, aber auch einen von der Rechtsprechung konkretisierten Sorgfaltsmaßstab zu ermitteln und bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Gleichwohl gilt ein Mindestsicherheitsstandard, der trotz örtlich festgesetzter Grundlagen, nicht unterschritten werden darf. Gelten im Urlaubsland niedrigere Anforderungen, hat der Veranstalter zudem eine Hinweispflicht, um einer Haftung aus einem Reisemangel bzw. einer Verkehrssicherungspflicht zu entgehen.

Hinsichtlich der Verletzungshandlungen des Reiseveranstalters, hat der BGH bereits im Glasschiebetür-Fall entschieden, dass das Vorhandensein einer notwendig zu benutzenden Eingangstüre aus nicht bruchsicherem Glas und ohne sichtbare Kennzeichnung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellt, wenn der Veranstalter die Unterkunft mit „kindgerechter Ausstattung“ beworben wird (BGH, Urt. v. 18.7.2006 – X ZR 44/04, MDR 2007, 200 = NJW 2006, 2918). Aus der Prospektangabe, dass eine Unterkunft mit Kindern gebucht werden kann, ist damit meines Erachtens zu schließen, dass aus Sicht des Kunden, dies sich nicht nur auf zusätzliche kindgerechte Ausstattungen, sondern auch auf die bauliche Beschaffenheit der Unterkunft selbst bezieht. Sollte die Tür diesem örtlichen Standard nicht entsprochen haben, bestand eine besondere Gefährdungslage, in der eine einfache Markierung auf der Scheibe nicht ausreicht. Daher hat ein Veranstalter, der Kinder in seine Unterkünfte einbucht, sich regelmäßig in seinen Vertragshotels von der Einhaltung der örtlichen Sicherheitsvorschriften des Gastgebiets zu überzeugen.

 Zur Darlegungs- und Beweislast sah der BGH entgegen der Auffassung der Vorinstanz den Vortrag des Klägers zu einem Verstoß gegen die örtlichen Bauvorschriften als hinreichend konkret an. Im Streitfall hat der Kläger vorgetragen, eine Glastür für einen Balkon müsse nach den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen so beschaffen sein, dass sie einem Anprall eines siebenjährigen Kindes nach kurzem Anlauf standhalte. Dieser Sachverhalt ist nach Auffassung des BGH hinreichend konkret, um ihn rechtlich zu bewerten. Zwar sei es nicht Aufgabe eines Zivilgerichts, die Ursachen eines Unfalls von Amts wegen aufzuklären. Wenn ein Kläger einen hinreichend konkreten Sachverhalt vorträgt, müsse das Gericht aber den Inhalt der dafür maßgeblichen in- und ausländischen Vorschriften in eigener Zuständigkeit ermitteln (§ 293 ZPO).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bedeutung von Angaben in einem Maklerexposé im Zusammenhang mit der Haftung für Sachmängel.

Beschaffenheitsangaben in Maklerexposé
Urteil vom 25. Januar 2019 – V ZR 38/18

Mit dem Verhältnis zwischen den Sätzen 1 und 3 von § 441 Abs. 1 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin hatte von der Beklagten ein Grundstück mit Wohnhaus gekauft. Im Verkaufsexposé des Maklers war angegeben, auf dem hinteren Teil des Grundstücks dürften zwei bis drei Pferdeboxen errichtet werden. Im notariellen Kaufvertrag schlossen die Parteien die Gewährleistung für Mängel aus. Ferner vereinbarten sie, dass die Zulässigkeit einer weiteren Bebauung oder bestimmten Verwendung nicht zur vereinbarten Beschaffenheit des Grundbesitzes gehört. Nach Übergabe stellte sich heraus, dass die Errichtung von Pferdeboxen auf dem Grundstück baurechtlich weder genehmigt noch genehmigungsfähig war und dass die Beklagte dies bei Vertragsschluss wusste. Das LG gab der auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichteten Klage im Wesentlichen statt. Das OLG wies die Berufung als unbegründet zurück.

Die Revision der Beklagten bleibt ebenfalls erfolglos. Der BGH sieht die Ausführungen in dem Verkaufsexposé als öffentliche Äußerungen in der Werbung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB an. Die Möglichkeit, Pferdeboxen zu errichten, gehört deshalb zu der vertraglich geschuldeten üblichen Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Mit der im Kaufvertrag enthaltenen Klausel, wonach die Zulässigkeit einer weiteren Bebauung oder bestimmten Verwendung nicht zur vereinbarten Beschaffenheit gehört, wurde die unzutreffende Aussage im Exposé nicht korrigiert. Dieser Klausel ist lediglich zu entnehmen, dass die Bebaubarkeit nicht zur vereinbarten Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB gehört. Mangels einer Vereinbarung ist aber die übliche Beschaffenheit maßgeblich. Das Grundstück weist deshalb einen Mangel auf. Der vereinbarte Haftungsausschluss ist gemäß § 444 BGB unwirksam, weil die Beklagte arglistig gehandelt hat.

Praxistipp: Für die Prüfung, ob eine gekauftes Grundstück mangelhaft ist, sollten neben dem Kaufvertrag stets die vor Vertragsschluss erfolgten Äußerungen in Verkaufsexposés, Zeitungsanzeigen und ähnlichem herangezogen werden.