Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs

Feststellungsinteresse bei mehreren Methoden zur Schadensberechnung
Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20

Mit den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO befasst sich der VI. Zivilsenat in einem sogenannten Dieselfall.

Der Kläger kaufte im Jahr 2011 bei einem Vertragshändler der Beklagten einen neuen VW Touran mit einem Dieselmotor des Typs EA189. Im Jahr 2015 gab das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten auf, die in der Software zur Steuerung des Motors enthaltene Abschalteinrichtung zu entfernen, und drohte anderenfalls den Widerruf der Typgenehmigung an. Der Kläger hat das hierfür erforderliche Softwareupdate bislang nicht vornehmen lassen. Im Jahr 2018 forderte er die Beklagte vergeblich zur Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs auf. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren. Hilfsweise verlangt er unter anderem Zahlung von 34.000 Euro Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Das LG wies die Klage ab. Das OLG sprach die begehrte Feststellung aus.

Der BGH weist die Feststellungsklage als unzulässig ab und verweist den Rechtsstreit (nur) zur Entscheidung über die Hilfsanträge an das OLG zurück.

Der BGH verneint das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil es dem Kläger zumutbar ist, sofort Leistungsklage zu erheben.

Das Interesse des Klägers, sich weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen kleinem und großem Schadensersatz offenzuhalten, also hinsichtlich der Frage, ob er das Fahrzeug behält und lediglich eine Wertdifferenz ersetzt verlangt oder es zurückgibt und den Kaufpreis abzüglich der erlangten Nutzungsvorteile fordert, ist nach Auffassung des BGH nicht schutzwürdig. Dem Kläger ist zuzumuten, diese Entscheidung bereits bei Erhebung der Klage zu treffen.

Dem Kläger ist es ferner möglich, den Schaden zu beziffern. Die Ermittlung der Wertdifferenz und die Ermittlung der Nutzungsvorteile sind zwar mit Unsicherheiten verbunden. Diese kann der Kläger aber jedenfalls dadurch überwinden, dass er die Bemessung dieser Beträge in das Ermessen des Gerichts stellt.

Ein hinreichendes Feststellungsinteresse ergibt sich nach Auffassung des BGH schließlich auch nicht daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Zwar besteht die Möglichkeit, dass weitere Schäden entstehen, etwa in Gestalt von Steuernachforderungen oder Stilllegungskosten. Diese sind aber nur für den großen Schadensersatz relevant. Diesbezügliche Unsicherheiten rühren demnach entscheidend daher, dass sich der Kläger bewusst nicht für eine der beiden Berechnungsarten entschieden hat.

Praxistipp: Zulässig sein dürfte nach dieser Entscheidung jedenfalls die Kombination einer Leistungsklage auf großen Schadensersatz verbunden mit einem Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller weiteren Schäden.

OLG Hamm zur Haftung für Unfall im Baustellenverkehr

Bei einem tragischen Unfall wurde der Kläger, der auf einer Baustelle als „Fernsteuerungskranbediener“ tätig war, von einem rückwärtsfahrenden Lieferwagen angefahren und bedauerlicherweise dabei so schwer verletzt, dass er aus dem Berufsleben ausscheiden musste. Die Klage des Klägers vor den Sozialgerichten, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, wurde durch alle Instanzen abgewiesen, da der Kläger selbständiger Unternehmer gewesen sei und sich nicht freiwillig versichert habe. Im sich anschließenden Zivilprozess gegen die für den Lieferwagen Verantwortlichen, insbesondere die Haftpflichtversicherung, hatte der Kläger Erfolg.

In der sehr lesenswerten Entscheidung des OLG Hamm, Urt. v. 21.5.2019 – I-9 U 56/18 widerlegt das Gericht ausführlich die zahlreichen Einwände der Beklagten gegen ihre Haftung. Die Feststellungsklage des Klägers wird zunächst als zulässig angesehen, obwohl der Kläger teilweise beziffern konnte. Es ist jedoch ausreichend für eine Feststellungsklage, dass noch weitere Schäden drohen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, vor allem § 7 StVG, sind einschlägig, da diese nicht an einen Betrieb im öffentlichen Verkehr anknüpften, sondern auch auf privaten Verkehrsflächen maßgeblich sind. Die Beklagten hatten weiterhin eingewandt, der gesamte Fall sei konstruiert worden, um dem Kläger, der keine Ansprüche gegen die Berufsgenossenschaft durchsetzen konnte, nunmehr Ansprüche gegen eine private Versicherung zu verschaffen. Tatsächlich sei der Kläger von einem Gerüst gefallen, ohne dass der Lieferwagen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Diesen Einwand wiederlegt das OLG mit einer ausführlichen Beweiswürdigung aufgrund von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten. Da danach feststeht, dass der Lieferwagen rückwärtsgefahren ist und dabei den Kläger angefahren hat, spricht der Anscheinsbeweis gegen die Beklagten. Ein Mitverschulden wurde nicht nachgewiesen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers als „Fernsteuerungskranführer“ höchste Konzentration und Präzision erfordert, habe der Kläger nicht auf andere Verkehrsteilnehmer achten müssen. Zwar hatte der Kläger keinen Helm getragen, es steht aber nicht fest, dass dies auf den eingetretenen Schaden überhaupt eine Auswirkung gehabt hat.

Schließlich scheidet auch eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII aus. Die Sozialgerichte haben bindend entschieden, (§ 108 SBG VII), dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegt. Darüber hinaus hat sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte. Hier habe es keine Verbindung zwischen dem Kläger und den Beklagten gegeben, sondern ein beziehungsloses Nebeneinander.

Festzuhalten ist daher: An die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach einem Unfall sind keine hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere steht eine teilweise Bezifferbarkeit der Ansprüche der Klage nicht entgegen. Die Vorschriften des StVG gelten letztlich praktisch überall dort, wo sich das Fahrzeug befindet, vor allem auch auf privaten Verkehrsflächen. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gilt nur, wenn tatsächlich eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt und nicht nur ein beziehungsloses Nebeneinander.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um zwei allgemeine prozessrechtliche Fragen geht es in dieser Woche.

Drittwiderklage gegen den Zedenten
Urteil vom 11. Oktober 2018 – I ZR 114/17

Mit einer nicht alltäglichen Reaktion auf ein verbreitetes prozesstaktisches Mittel befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte auf Vermittlung des beklagten Versicherungsmaklers eine Hausratversicherung für eine von ihm und seiner Ehefrau genutzte Wohnung abgeschlossen. Einige Monate später wurden bei einem Einbruch in die Wohnung Wertsachen und Bargeld aus einem Tresor entwendet. Die Versicherung erstattete dem Kläger aufgrund einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen „Tresorklausel“ insgesamt nur 21.000 Euro. Der Kläger warf dem Beklagten unzureichende Beratung vor und klagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Erstattung des restlichen Schadens, den er mit rund 168.000 Euro bezifferte. Der Beklagte trat der Klage entgegen und beantragte im Wege der Drittwiderklage die Feststellung, dass auch der Ehefrau keine Ansprüche zustehen. Klage und Widerklage hatten in erster Instanz teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rund 114.000 Euro. Die Widerklage wies es als unbegründet ab, weil der Ehefrau aufgrund der wirksamen Abtretung an den Kläger keine Ansprüche mehr zustünden.

Die nur hinsichtlich der Drittwiderklage zugelassene Revision des Beklagten hat Erfolg. Der BGH spricht antragsgemäß die Feststellung aus, dass der Ehefrau über den dem Kläger zugesprochenen Betrag hinaus keine weitergehenden Ansprüche aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt zustehen. Mit dem OLG hält der BGH eine Drittwiderklage gegen den Zedenten einer eingeklagten Forderung für zulässig, weil eine dem Kläger negative Entscheidung nur dann zu Lasten des Zedenten Rechtskraftwirkung entfaltet, wenn die Abtretung wirksam war und nicht wirksam angefochten wird, und der Beklagte in der Regel nicht zuverlässig beurteilen kann, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Abweichend vom OLG ist ein solcher Widerklageantrag in der Regel dahin auszulegen, dass es nur um den Bestand der Forderung im Zeitpunkt der Abtretung geht. Die Entscheidung über die Drittwiderklage hat deshalb inhaltlich der Entscheidung über die Klage zu folgen. Die Drittwiderklage ist nur insoweit abzuweisen, als die Klage Erfolg hat. Soweit die Klage abgewiesen wird, ist hingegen die mit der Drittwiderklage begehrte Feststellung auszusprechen. Die Wirksamkeit der Abtretung ist hierbei grundsätzlich nur dann zu prüfen, wenn diese Frage auch für die Entscheidung über die Klage klärungsbedürftig ist. Letzteres war hier nicht der Fall, weil die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung nicht bestritten hat.

Praxistipp: Mit der vom BGH zugelassenen Drittwiderklage gegen den Zedenten kann der Beklagte den vom Kläger mit einer Abtretung häufig angestrebten Vorteil, nämlich die Möglichkeit, den Zedenten als Zeugen zu benennen, in praktisch allen Konstellationen zunichtemachen.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Beschluss vom 28. Februar 2019 – II ZR 16/18

Der III. Zivilsenat strebt eine Änderung der Rechtsprechung an.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten in Anspruch genommen. Nach Zahlung des Klagebetrags durch die Haftpflichtversicherung hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Der III. Zivilsenat des BGH will die Revision der Beklagten zurückweisen. Er sieht sich daran durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenats gehindert, der vor nicht allzu langer Zeit (Beschluss vom 21. Juni 2017 – XII ZB 231/17, Tz. 11 – MDR 2017, 1441) die gleiche Auffassung vertreten hat wie das LG im Streitfall. Der III. Zivilsenat hält demgegenüber die Auffassung des OLG für zutreffend, weil die Unzuständigkeit des AG im Zeitpunkt der Erledigung durch einen Verweisungsantrag behoben werden konnte und deshalb nicht zur Abweisung der Klage geführt hätte. Deshalb hat er beim XII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung festhält.

Praxistipp: Sollte der XII. Zivilsenat bei seiner Auffassung bleiben, wäre der Große Zivilsenat des BGH zur Entscheidung der Rechtsfrage berufen.

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Um die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage geht es in dieser Woche

Berühmung durch Erwiderung auf ursprünglich unzulässige negative Feststellungsklage
Urteil vom 2. Oktober 2018 – X ZR 62/16

Mit einem eher ungewöhnlichen Prozessverlauf befasst sich der X. Zivilsenat.

Während eines von der Beklagten eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens zur Aufklärung einer mutmaßlichen Patentverletzung erhob die Klägerin Hauptsacheklage mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagten gegen sie keine Ansprüche wegen Verletzung des Schutzrechts zustehen. Nach dem Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens, dessen Ergebnisse der Beklagten eher ungünstig waren, sprach das LG die begehrte Feststellung aus. Das OLG wies die Klage hingegen als unzulässig ab.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er tritt der Vorinstanz zwar darin bei, dass die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens in der Regel kein rechtliches Interesse des Gegners an einer negativen Feststellungsklage begründet. Abweichend von der Auffassung des OLG sieht er aber eine ein Feststellungsinteresse begründende Berühmung darin, dass die Beklagte sich nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens gegenüber der negativen Feststellungsklage hilfsweise mit dem Argument verteidigt hat, ihr stünden ungeachtet der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Ansprüche wegen Patentverletzung mit gleichwertigen Mitteln zu. Die Beklagte hat damit einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen, an dessen Klärung die Klägerin ein berechtigtes Interesse hat.

Praxistipp: Geht es dem Gegner eines für den Antragsteller ungünstig verlaufenen selbständigen Beweisverfahrens nur um Ersatz der angefallenen Kosten, ist das Verfahren nach § 494a ZPO (Frist zur Klageerhebung) in der Regel ausreichend.