Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Verhältnis zweier Vorkaufsrechte an einer vermieteten Wohnung.

Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts eines Familienangehörigen
BGH, Beschluss vom 27. April 2023 – V ZB 68/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Verhältnis zwischen § 577 Abs. 1 und § 1094 BGB – und gibt zugleich einen Auffrischungskurs im Grundbuchrecht.

Zugunsten der Beschwerdeführerin (nachfolgend: Berechtigte) wurde im Jahr 2016 ein dingliches Vorkaufsrecht an einer Eigentumswohnung eingetragen. Eigentümer der Wohnung war ihr damaliger Ehemann (nachfolgend: Voreigentümer). Die Wohnung war bei Begründung des Wohnungseigentums vermietet.

Im Jahr 2019 verkaufte der Voreigentümer die Wohnung an Dritte. Daraufhin erklärten die Berechtigte und der Mieter jeweils die Ausübung des ihnen zustehenden Vorkaufsrechts. Der Voreigentümer ließ die Wohnung mit Zustimmung des Drittkäufers an den Mieter auf. Die Berechtigte klagte daraufhin gegen den Voreigentümer auf Auflassung der Wohnung. Das LG wies die Klage ab. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

Nach dem Urteil des LG löschte das Grundbuchamt auf Antrag des Mieters das zugunsten der Berechtigten eingetragene Vorkaufsrecht. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb beim Grundbuchamt und beim OLG erfolglos.

Der BGH weist das Grundbuchamt an, gegen die Löschung der Vormerkung einen Widerspruch einzutragen.

Zu Recht ist das (gemäß § 72 GBO für die Entscheidung über die Beschwerde zuständige) OLG davon ausgegangen, dass eine Beschwerde mit dem Ziel der Wiedereintragung des Vorkaufsrechts unzulässig ist. Nach § 71 Abs. 2 GBO darf mit einer Beschwerde nur die Eintragung eines Amtswiderspruchs oder die Löschung einer ihrem Inhalt nach unzulässigen Eintragung verlangt werden. Die von der Berechtigten angefochtene Löschung des Vorkaufsrechts ist ihrem Inhalt nach zulässig. Die Berechtigte darf ihre Beschwerde mithin nur auf die Eintragung eines Widerspruchs nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO richten.

Entgegen der Auffassung des OLG ist die auf Eintragung eines Widerspruchs gerichtete Beschwerde begründet.

Das Vorkaufsrecht ist schon deshalb unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften gelöscht worden, weil das Grundbuchamt die Berechtigte nicht angehört hat.

Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für eine Löschung – Bewilligung (§ 19 GBO) oder Nachweis der Unrichtigkeit (§ 22 GBO) durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden (§ 29 Abs. 1 Satz 1 GBO) – nicht vor. Der beurkundete Veräußerungsvertrag zwischen dem Voreigentümer und dem Mieter vermag das Erlöschen des Vorkaufsrechts nicht zu beweisen, weil die Berechtigte daran nicht beteiligt war. Das Urteil des LG ist zum Nachweis schon deshalb nicht geeignet, weil es nicht rechtskräftig ist. Darüber hinaus wäre ein rechtskräftiges Urteil nur hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Übereignung bindend, nicht aber hinsichtlich der Vorfrage, ob das Vorkaufsrecht noch besteht.

Entgegen der Auffassung des OLG hat die Berechtigte glaubhaft gemacht, dass das Grundbuch durch die Löschung unrichtig geworden ist, weil die Berechtigte ihr dingliches Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und diesem im Streitfall der Vorrang gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters zukommt.

Dem Mieter der Wohnung stand nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenfalls ein Vorkaufsrecht an der Wohnung zu. In welchem Verhältnis dieses gesetzliche Vorkaufsrecht zu einem dinglichen Vorkaufsrecht im Sinne von § 1094 BGB steht, ist umstritten. Der BGH entscheidet nunmehr, dass ein dingliches Vorkaufsrecht jedenfalls dann Vorrang hat, wenn es zugunsten eines Familien- oder Haushaltsangehörigen im Sinne von § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht. Wenn der Vermieter die Wohnung an einen Erwerber aus diesem Personenkreis verkauft, ist ein Vorkaufsrecht des Mieters gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift schützt das Interesse des Vermieters, die Wohnung an eine bestimmte ihm nahestehende Person verkaufen zu können. Dieser Gesetzeszweck greift auch dann, wenn der Vermieter die Wohnung an einen Dritten verkauft und ein Angehöriger ein dingliches Vorkaufsrecht wirksam ausübt.

Ob die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts rechtsmissbräuchlich war, weil sie der Vereitelung des Vorkaufsrechts aus § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB diente, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil ein eventueller Missbrauch nicht in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist.

Praxistipp: Der Begriff des Familienangehörigen im Sinne von § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht demjenigen der Regelung über die Eigenbedarfskündigung in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

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Diese Woche geht es um die bindende Feststellung der Erbwürdigkeit.

Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Versäumnisurteils
BGH, Beschluss vom 26. April 2023 – IV ZB 11/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Bindungswirkung gemäß § 2342 und § 2344 BGB.

Die beiden Beteiligten sind das einzige Kind und die Ehefrau des im November 2018 verstorbenen Erblassers.

Ein von der Ehefrau handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament enthält eine wechselseitige Einsetzung der beiden Ehegatten als Alleinerben. Im Juli 2020 erhob die Tochter gegen die Ehefrau Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Ehefrau das Testament nach dem Erbfall auf einem vom Erblasser unterzeichneten Blankobogen erstellt habe. Das LG erklärte die Ehefrau im Januar 2021 mit Versäumnisurteil für erbunwürdig. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Die Ehefrau hat hierzu vorgetragen, wegen des plötzlichen Unfalltodes sei sie stark traumatisiert gewesen und habe sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen bis Mitte 2021 nicht auseinandersetzen können. Deshalb habe sie die Gerichtspost erst im Juni 2021 geöffnet.

Das AG hat der Tochter auf deren Antrag einen Erbschein als Alleinerbin ausgestellt. Die Beschwerde dagegen ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass ein Urteil, mit dem eine Partei auf eine Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 BGB für erbunwürdig erklärt wird, Rechtskraftwirkung für und gegen jedermann entfaltet. Dies ergibt sich aus § 2342 Abs. 2 BGB, wonach die Wirkung der Anfechtung erst mit der Rechtskraft des Urteils eintritt, und aus § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall der Erbschaft als nicht erfolgt gilt, wenn der betreffende Erbe für erbunwürdig erklärt worden ist.

Ebenfalls zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass diese Bindungswirkung auch einem Versäumnisurteil zukommt. Wie schon in früheren Entscheidungen lässt der BGH weiterhin offen, ob im Prozess über eine Anfechtungsklage nach § 2342 Abs. 1 BGB der Verhandlungs- oder der Untersuchungsgrundsatz gilt. Er lässt auch dahingestellt, ob in einem solchen Verfahren ein Versäumnisurteil ergehen darf. Ein ergangenes und rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil ist jedenfalls wirksam und grundsätzlich in gleicher Weise bindend wie ein streitiges Urteil.

Für eine Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB reicht es nicht aus, dass das Versäumnisurteil inhaltlich unzutreffend ist und der Kläger dies wusste. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände sind im Streitfall auch dann nicht ersichtlich, wenn unterstellt wird, dass die Tochter bei Klageerhebung wusste, dass das Testament echt ist.

Praxistipp: Eine Erbunwürdigkeitsklage darf gemäß § 2341 BGB von jedem erhoben werden, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten kommt. Dies sind nicht nur die Personen, die anstelle des Erbunwürdigen als Erben berufen sind, sondern auch alle diejenigen, die beim Wegfall einer solchen Person Erbe wären.

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Diese Woche geht es um die Reichweite der objektiven Rechtskraft.

Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags und Löschung einer Vormerkung
BGH, Urteil vom 17. Februar 2023 – V ZR 22/22

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Rechtskraftwirkung in einer besonderen Verfahrenslage.

Die Parteien schlossen im Februar 2014 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein dem Kläger gehörendes Grundstück zum Kaufpreis von 200.000 Euro. Zugunsten des Beklagten wurde eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Eine vom Kläger im Jahr 2016 erhobene Klage auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung wurde rechtskräftig abgewiesen. In einem weiteren Rechtsstreit wurde der Kläger rechtskräftig verurteilt, eine Anzahlung in Höhe von 50.000 Euro an den Beklagten zurückzuzahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr, die Nichtigkeit des Kaufvertrags festzustellen. Er macht geltend, die Parteien hätten sich formlos auf einen Kaufpreis von 350.000 Euro verständigt. Ergänzend begehrt er erneut die Bewilligung der Löschung der Vormerkung.

Das LG hat die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Die Berufungen beider Parteien blieben erfolglos.

Der BGH bestätigt, dass der Kaufvertrag nichtig ist, und verurteilt den Beklagten ergänzend dazu, die Löschung der Vormerkung zu bewilligen.

Über die Nichtigkeit des Kaufvertrags ist bislang nicht rechtskräftig entschieden worden. In beiden vorangegangenen Prozesse war dies zwar eine entscheidungserhebliche Vorfrage. Die Rechtskraft der dort ergangenen Entscheidungen bezieht sich aber nur auf die dort geltend gemachten Ansprüche auf Abgabe einer Löschungsbewilligung und Rückzahlung von 50.000 Euro. Diese Entscheidungen führen auch nicht dazu, dass der Kläger mit seinem Nichtigkeitseinwand präkludiert ist.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der beurkundete Kaufvertrag den tatsächlich vereinbarten Kaufpreis nicht wiedergibt, und seine daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass der Vertrag gemäß § 117 Abs. 2, § 311b Abs. 1 Satz 1 und § 125 Satz 1 BGB nichtig ist, sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Aufgrund der nunmehr festgestellten Nichtigkeit des Kaufvertrags steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung zu. Dieser Anspruch ist zwar im ersten Vorprozess rechtskräftig aberkannt worden. Aufgrund der Akzessorietät zwischen der Vormerkung und dem gesicherten Anspruch muss es dem Kläger aber möglich sein, den Löschungsanspruch erneut geltend zu machen, wenn rechtskräftig feststeht, dass der Kaufvertrag nichtig ist. Die Feststellung der Nichtigkeit steht einer nachträglichen Änderung der für den Löschungsanspruch maßgeblichen Tatsachen gleich.

Aus Gründen der Prozessökonomie darf der Kläger das erneute Löschungsbegehren zusammen mit dem Feststellungsantrag geltend machen – allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Bewilligung der Löschung nur für den Fall verlangt wird, dass der Feststellungsantrag Erfolg hat. Diese Bedingung kann auch noch in der Revisionsinstanz hinzugefügt werden.

Praxistipp: Eine weitergehende Rechtskraftwirkung kann mittels einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO herbeigeführt werden.

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Diese Woche geht es um die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderweit anhängigen Rechtsstreits.

Vorgreiflichkeit bei Streit um vormerkungsgesicherten Anspruch
BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – V ZB 22/21

Der V. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO und der Reichweite der Rechtskraft.

Die Klägerin hat im Jahr 2018 ein Grundstück erworben. Noch vor ihrer Eintragung als Eigentümerin wurde zugunsten der beiden Beklagten aufgrund einer einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Einräumung eines Nießbrauchs am Grundstück eingetragen. Die Klägerin klagt vor dem AG auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Sie macht geltend, sie habe das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben; zudem bestehe der gesicherte Anspruch nicht.

In einem parallel geführten Rechtstreit vor dem LG klagen die hiesigen Beklagten gegen den früheren Eigentümer des Grundstücks auf Zustimmung zur Eintragung des Nießbrauchs. Das AG hat das Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits ausgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das AG zurück.

Die Voraussetzungen des § 148 Abs- 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem LG für das vorliegende Verfahren nicht vorgreiflich ist. Die vom LG zu entscheidende Frage, ob der gegen den früheren Eigentümer gerichtete Anspruch auf Einräumung eines Nießbrauchs besteht, ist im vorliegenden Rechtsstreit zwar entscheidungserheblich. Eine Entscheidung des LG über diese Frage ist aber nur für die Parteien jenes Prozesses bindend, also für die hiesigen Beklagten und den früheren Eigentümer des Grundstücks, nicht aber für die hiesige Klägerin.

Eine Aussetzung allein aus Gründen der Prozessökonomie ist nach § 148 Abs. 1 ZPO nicht zulässig.

Praxistipp: Für den Erwerber könnte es sich in solchen Situationen empfehlen, dem früheren Eigentümer dem Streit zu verkünden, um zumindest die Regressmöglichkeit für den Fall abzusichern, dass die Vormerkung gelöscht, der Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs aber bejaht wird.

OLG Schleswig zu einem „Doppelurteil“

Mit einer nicht alltäglichen Fallkonstellation hatte sich das OLG Schleswig (Beschl. v. 23.6.2021 – 5 U 58/21) zu befassen. Dieser Fall zeigt wieder einmal, was so alles in der Praxis an Merkwürdigkeiten passieren kann, nicht zuletzt aufgrund der teilweise enormen Überlastung der Gerichte bzw. der Richterinnen und Richter.

Nach einer mündlichen Verhandlung kündigte das LG letztlich eine Entscheidung in einem Verkündungstermin am 12.5.2020 an. In der Verfahrensakte befindet sich denn auch ein ordnungsgemäßes Verkündungsprotokoll von diesem Tage sowie ein Urteil mit klageabweisendem Tenor, das auch den Eingangsstempel der Geschäftsstelle trägt. Tatbestand und Entscheidungsgründe für dieses Urteil wurden allerdings nicht mehr angefertigt. Weder das Urteil noch das Protokoll wurden an die Parteien zugestellt oder übermittelt.

Im November 2020 wies das LG dann daraufhin, dass die Akte im richterlichen Bereich „außer Kontrolle“ geraten sei und regte eine Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren an (§ 128 ZPO). Nachdem diese einging, ordnete das LG das schriftliche Verfahren an und erließ später (erneut) ein klageabweisendes Urteil, dieses Mal mit Tatbestand und Entscheidungsgründen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die von dem OLG Schleswig für unbegründet gehalten wird. Für die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien ist und bleibt nämlich das erste Urteil maßgeblich. Danach steht die Unbegründetheit der Klageforderung bereits rechtskräftig fest! Das erste Urteil wurde ordnungsgemäß verkündet. Nach ständiger Rechtsprechung ändert das Fehlen des Tatbestandes sowie der Entscheidungsgründe daran nichts. Die Fünfmonatsfrist (§ 517 Alt. 2 ZPO) beginnt einen Monat nach der Verkündung der Entscheidung unabhängig davon, ob diese den Parteien mitgeteilt wurde. Auch dies ist ständige Rechtsprechung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bestenfalls dann in Betracht, wenn die Parteien nicht mit dem Erlass eines Urteils rechnen mussten. Hier hatte aber das Gericht einen Verkündungstermin bestimmt. Deswegen musste auch mit dem Erlass eines Urteils gerechnet werden. Eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Versäumung der Berufungsfrist gegen das erste Urteil kommt nicht in Betracht, da sich die Klägerin jedenfalls hätte erkundigen müssen, was bei dem Verkündungstermin herausgekommen war. Die fehlerhafte weitere Verfahrensweise des LG vermag daran nichts zu ändern.

Die Klägerin hat damit den Prozess endgültig verloren. Sie könnte allerdings unter Umständen ihren Rechtsanwalt dafür verantwortlich machen, dass er die Sechsmonatsfrist nicht notiert hatte! Hieran sollte jeder Rechtsanwalt denken, und zwar bereits dann, wenn er von dem Termin zurück in die Kanzlei kommt. Denn: Wann das Protokoll bzw. die Entscheidung eingehen wird, weiß man nicht, es kann auch alles verloren gehen oder – wie hier – schlichtweg beim Gericht „untergehen“.

Der Tenor des Urteils des OLG allerdings dürfte jedoch unrichtig sein! Da das erste Urteil rechtskräftig ist, hätte wohl das zweite Urteil vielmehr aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen. In der Sache hätte dies jedoch nichts geändert. Der Anspruch ist rechtskräftig aberkannt.

Dem lässt sich übrigen nicht entgegenhalten, dass ein Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe keine Rechtskraft entfalten könnte. Im Zweifel ist zur Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft des ergangenen Urteils (wie bei Anerkenntnis-, Verzichts-, oder Versäumnisurteilen, die keine Begründung enthalten) das Parteivorbringen heranzuziehen. Da die Gerichtsakten nicht ewig aufgehoben werden, empfiehlt es sich für die betroffene Partei, die Handakte lange zu behalten!

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Um zwei allgemeine prozessrechtliche Fragen geht es in dieser Woche.

Drittwiderklage gegen den Zedenten
Urteil vom 11. Oktober 2018 – I ZR 114/17

Mit einer nicht alltäglichen Reaktion auf ein verbreitetes prozesstaktisches Mittel befasst sich der I. Zivilsenat.

Der Kläger hatte auf Vermittlung des beklagten Versicherungsmaklers eine Hausratversicherung für eine von ihm und seiner Ehefrau genutzte Wohnung abgeschlossen. Einige Monate später wurden bei einem Einbruch in die Wohnung Wertsachen und Bargeld aus einem Tresor entwendet. Die Versicherung erstattete dem Kläger aufgrund einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen „Tresorklausel“ insgesamt nur 21.000 Euro. Der Kläger warf dem Beklagten unzureichende Beratung vor und klagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Erstattung des restlichen Schadens, den er mit rund 168.000 Euro bezifferte. Der Beklagte trat der Klage entgegen und beantragte im Wege der Drittwiderklage die Feststellung, dass auch der Ehefrau keine Ansprüche zustehen. Klage und Widerklage hatten in erster Instanz teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rund 114.000 Euro. Die Widerklage wies es als unbegründet ab, weil der Ehefrau aufgrund der wirksamen Abtretung an den Kläger keine Ansprüche mehr zustünden.

Die nur hinsichtlich der Drittwiderklage zugelassene Revision des Beklagten hat Erfolg. Der BGH spricht antragsgemäß die Feststellung aus, dass der Ehefrau über den dem Kläger zugesprochenen Betrag hinaus keine weitergehenden Ansprüche aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt zustehen. Mit dem OLG hält der BGH eine Drittwiderklage gegen den Zedenten einer eingeklagten Forderung für zulässig, weil eine dem Kläger negative Entscheidung nur dann zu Lasten des Zedenten Rechtskraftwirkung entfaltet, wenn die Abtretung wirksam war und nicht wirksam angefochten wird, und der Beklagte in der Regel nicht zuverlässig beurteilen kann, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Abweichend vom OLG ist ein solcher Widerklageantrag in der Regel dahin auszulegen, dass es nur um den Bestand der Forderung im Zeitpunkt der Abtretung geht. Die Entscheidung über die Drittwiderklage hat deshalb inhaltlich der Entscheidung über die Klage zu folgen. Die Drittwiderklage ist nur insoweit abzuweisen, als die Klage Erfolg hat. Soweit die Klage abgewiesen wird, ist hingegen die mit der Drittwiderklage begehrte Feststellung auszusprechen. Die Wirksamkeit der Abtretung ist hierbei grundsätzlich nur dann zu prüfen, wenn diese Frage auch für die Entscheidung über die Klage klärungsbedürftig ist. Letzteres war hier nicht der Fall, weil die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung nicht bestritten hat.

Praxistipp: Mit der vom BGH zugelassenen Drittwiderklage gegen den Zedenten kann der Beklagte den vom Kläger mit einer Abtretung häufig angestrebten Vorteil, nämlich die Möglichkeit, den Zedenten als Zeugen zu benennen, in praktisch allen Konstellationen zunichtemachen.

Erledigung nach Klage beim unzuständigen Gericht
Beschluss vom 28. Februar 2019 – II ZR 16/18

Der III. Zivilsenat strebt eine Änderung der Rechtsprechung an.

Die Klägerin hatte die beklagte Stadt vor dem AG auf Schadensersatz in Höhe von rund 1.100 Euro wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei Mäharbeiten in Anspruch genommen. Nach Zahlung des Klagebetrags durch die Haftpflichtversicherung hatte sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das AG verwies den Rechtsstreit an das LG, weil dieses für Amtshaftungsansprüche ausschließlich zuständig ist. Das LG wies den einseitigen Erledigungsantrag als unbegründet ab, weil die Klage im Zeitpunkt der Erledigung mangels Zuständigkeit des AG unzulässig gewesen sei. Das OLG stellte hingegen antragsgemäß die Erledigung des Rechtsstreits fest.

Der III. Zivilsenat des BGH will die Revision der Beklagten zurückweisen. Er sieht sich daran durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenats gehindert, der vor nicht allzu langer Zeit (Beschluss vom 21. Juni 2017 – XII ZB 231/17, Tz. 11 – MDR 2017, 1441) die gleiche Auffassung vertreten hat wie das LG im Streitfall. Der III. Zivilsenat hält demgegenüber die Auffassung des OLG für zutreffend, weil die Unzuständigkeit des AG im Zeitpunkt der Erledigung durch einen Verweisungsantrag behoben werden konnte und deshalb nicht zur Abweisung der Klage geführt hätte. Deshalb hat er beim XII. Zivilsenat angefragt, ob dieser an seiner Auffassung festhält.

Praxistipp: Sollte der XII. Zivilsenat bei seiner Auffassung bleiben, wäre der Große Zivilsenat des BGH zur Entscheidung der Rechtsfrage berufen.

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Um zwei äußerst unterschiedliche, aber wohl gleichermaßen praxisrelevante Fragen geht es in dieser Woche.

Rechtskraftwirkung zwischen Gesamtschuldnern
Urteil vom 20. November 2018 – VI ZR 394/17

Mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der damals 13 Jahre alte Beklagte befand sich im Jahr 2006 wegen Verhaltensauffälligkeiten in stationärer Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten. In einem ersten Rechtsstreit wurden der Beklagte und die Betreiberin der Klinik antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 Euro an den Geschädigten verurteilt. Der Haftpflichtversicherer der Klinikbetreiberin zahlte das Schmerzensgeld und nahm den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs auf vollständigen Regress in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfaltet das Urteil aus dem ersten Rechtsstreit im Verhältnis zwischen den damaligen Beklagten keine Rechtskraftwirkung. Wenn ein Kläger mehrere Personen gemeinsam verklagt und diese – wie insbesondere im Falle der Inanspruchnahme als Gesamtschuldner – nur einfache Streitgenossen sind, kann Rechtskraftwirkung nur innerhalb der einzelnen Prozessverhältnisse entstehen, also nur zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Beklagten, nicht aber im Verhältnis der beiden Beklagten untereinander. Das LG muss nach Zurückverweisung deshalb klären, ob der Beklagte entsprechend seinem nunmehrigen Vorbringen im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.

Praxistipp: Jeder Gesamtschuldner kann eine weitergehende Bindungswirkung herbeiführen, indem er im ersten Rechtsstreit den jeweils anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet.

Keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Urteil vom 6. Dezember 2018 – VII ZR 285/17

Eine seit langem diskutierte Frage entscheidet der VII. Zivilsenat.

Der Kläger, der ein Beton- und Natursteinwerk betreibt, hatte einen betrieblich genutzten Lkw in der Werkstatt des Beklagten reparieren lassen. Wegen mangelhafter Durchführung der Reparatur entstand ein Motorschaden, der einen weiteren Werkstattaufenthalt erforderlich machte. Der Kläger konnte das Fahrzeug über einen Zeitraum von vierzehn Monaten (!) hinweg nicht nutzen. Ungefähr für die Hälfte der Zeit stand ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung. Die auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von rund 10.000 Euro für die gesamten vierzehn Monate gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers, mit der er seinen Anspruch nur noch für die sieben Monate ohne Ersatzfahrzeug weiterverfolgte, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs kann zwar einen Schaden darstellen, wenn der Ausfall mit einer fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung einhergeht. Dem Geschädigten steht aber nur dann ein Ersatzanspruch in Geld zu, wenn er ein Ersatzfahrzeug anmietet, wenn er den Verlust durch Rückgriff auf ein Reservefahrzeug auffängt oder wenn der Verlust zu einer sonstigen Vermögensminderung geführt hat. Anders als bei privat genutzten Fahrzeugen darf der Schaden hingegen nicht abstrakt anhand einer pauschalierten Nutzungsausfallentschädigung berechnet werden.

Praxistipp: Wenn weder ein Ersatzfahrzeug angemietet noch ein Reservefahrzeug eingesetzt wird, ist es empfehlenswert, alle aufgrund des Ausfalls entstandenen Mehraufwendungen, etwa für die Beauftragung Dritter oder für den Einsatz anderer Geräte oder Arbeitskräfte, zeitnah zu dokumentieren.

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Grenzen der Rechtskraft
Urteil vom 30. Juni 2017 – V ZR 134/16

Mit grundlegenden Fragen zur Rechtskraft und zum Verhältnis zwischen Rücktritt und Schadensersatz bei Mängeln der Kaufsache befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte vom Kläger ein Wohnhaus gekauft. Später hatte er den Rücktritt vom Vertrag erklärt, weil für die Terrasse keine Baugenehmigung vorlag, und den Kläger in einem vorangegangenen Rechtsstreit erfolgreich auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz eines Teils seiner Aufwendungen in Anspruch genommen. Nunmehr verlangte der Kläger Nutzungsersatz für die gesamte Dauer des Besitzes. Das LG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Das OLG wies die Klage ab, soweit es um die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess geht.

Der BGH verweist die Sache auf die Revision des Klägers an das OLG zurück. Entgegen der Vorinstanz kommt er zu dem Ergebnis, dass die Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess der Klageforderung nicht entgegensteht. Der Kläger wäre zwar an der Geltendmachung von Ansprüchen auf Nutzungsersatz gehindert, wenn diese im Vorprozess im Wege der Saldierung oder der Vorteilsausgleichung auf die dort eingeklagten Ansprüche hätten angerechnet werden müssen. Eine Saldierung findet aber nur bei der Rückabwicklung eines Vertrags nach Bereicherungsrecht statt, nicht bei der Rückabwicklung nach erklärtem Rücktritt. Eine Anrechnung im Wege der Vorteilsausgleichung war nach dem bis Ende 2001 geltenden Kaufrecht geboten, wenn der Käufer den so genannten großen Schadensersatz begehrte, den er nach altem Recht nur anstelle des Rücktritts geltend machen konnte. Nach dem neuen Schuldrecht kann der Käufer Rücktritt und Schadensersatz nebeneinander geltend machen. Daraus zieht der BGH nunmehr die Schlussfolgerung, dass sich der Käufer die von ihm erlangten Nutzungsvorteile nicht automatisch auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Hinsichtlich der Ansprüche des Verkäufers auf Nutzungsersatz hätte es im Vorprozess deshalb nur dann zur Rechtskraft kommen können, wenn diese Ansprüche im Wege der Widerklage oder Aufrechnung geltend gemacht worden wären und das Gericht über sie inhaltlich entschieden hätte.

Praxistipp: Um mögliche Verjährungsprobleme zu vermeiden, kann es sich dennoch anbieten, Ansprüche auf Nutzungsersatz bereits im ersten Prozess geltend zu machen.

Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung beim Werkvertrag
Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17

Mit der beiderseits interessengerechten Auslegung eines Werkvertrags befasst sich der VII. Zivilsenat.

Der Beklagte erwog, in der Produktionshalle einer Großbäckerei Malerarbeiten vornehmen zu lassen. Hierzu ließ er die Klägerin eine Probefläche mit der Farbe „schneeweiß“ streichen. Nach Besichtigung dieser Fläche beauftragte er die Klägerin mit dem Anstrich der Halle. Schon vor Fertigstellung der Arbeiten, die aufgrund von Differenzen für einige Monate unterbrochen wurden, beanstandete der Beklagte, die bereits bearbeiteten Flächen seien vergilbt und wiesen Flecken auf. Das LG wies die auf Zahlung des vereinbarten Werklohns gerichtete Klage als derzeit unbegründet ab. Das OLG erklärte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Abweichend von der Vorinstanz sieht er das Werk nicht schon deshalb als vertragsgerecht an, weil die eingesetzte Farbe für den Einsatz in einer Großbäckerei geeignet und eine dauerhafte Farbstabilität bei weißen Farbtönen in dieser Umgebung generell nicht realisierbar ist. Nach dem Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung ist der Werkvertrag zwischen den Parteien dahin auszulegen, dass der Beklagte mangels eines abweichenden Hinweises davon ausgehen durfte, die eingesetzte Farbe werde über längere Zeit hinweg farbstabil bleiben. Nach Zurückverweisung wird das OLG zu klären haben, ob und in welcher Weise die Klägerin vor oder bei Vertragsschluss auf das Risiko des Vergilbens hingewiesen hat.

Praxistipp: Sofern die Möglichkeit besteht, sollte ein Mandant darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Erteilung und der Inhalt eines vor Vertragsschluss erteilten Hinweises möglichst deutlich dokumentiert werden sollte – am besten durch ausdrückliche Aufnahme in das schriftliche Vertragsangebot.

Nebenpflicht des Werkunternehmers zum Hinweis auf mögliche Folgekosten
Urteil vom 14. September 2017 – VII ZR 307/16

Einen weiteren Aspekt der Pflichten eines Werkunternehmers behandelt der VII. Zivilsenat in einer zwei Wochen später ergangenen Entscheidung.

Der Kläger suchte wegen atypischer Motorgeräusche an seinem Auto die Werkstatt der Beklagten auf. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt sechseinhalb Jahre alt und hatte eine Laufleistung von über 200.000 km. Die Beklagte stellte einen Defekt an den Einspritzdüsen fest. Der Kläger ließ diese für rund 1.700 Euro auswechseln. Dies führte nicht zur Beseitigung der atypischen Geräusche. In einem selbständigen Beweisverfahren stellte sich heraus, dass bereits bei Erteilung des Auftrags auch die Pleuellager des Motors beschädigt waren. Der Aufwand für deren Austausch überstieg den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Die auf Rückzahlung der gezahlten Reparaturkosten gerichtete Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Mit den Vorinstanzen ist er der Auffassung, dass die Beklagte vor der Reparatur darauf hätte hinweisen müssen, dass weitere Motordefekte vorliegen können. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn die in Betracht kommenden anderen Ursachen zwar nicht häufig auftreten, aber auch nicht als völlig entfernte und deshalb vernachlässigenswerte Möglichkeit anzusehen sind. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hätte der Kläger den Reparaturauftrag im Falle eines pflichtgemäßen Hinweises nicht erteilt. Deshalb muss die Beklagte die Reparaturkosten zurückzahlen.

Praxistipp: Auch diese Entscheidung belegt, dass eine hinreichende Dokumentation bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Ausgang des Rechtsstreits von zentraler Bedeutung sein kann.

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Gesonderte Entscheidung über Wiedereinsetzungsgesuch
Beschluss vom 1. März 2017  – XII ZB 448/16

Eine haftungsträchtige prozessuale Situation behandelt der XII. Zivilsenat.

In einem familiengerichtlichen Verfahren über Trennungs- und Kindesunterhalt hatte das AG das Begehren der Antragstellerin teilweise zurückgewiesen. Die Antragstellerin beantragte Verfahrenskostenhilfe für ein Beschwerdeverfahren. Am letzten Tag der Rechtsmittelfrist legte sie zusätzlich Beschwerde ein, allerdings nicht, wie in § 64 Abs. 1 S. 1 FamFG vorgeschrieben, beim AG, sondern beim OLG. Das OLG wies die Anträge auf Verfahrenskostenhilfe und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück. Einige Wochen später verwarf es die Beschwerde als unzulässig.

Der BGH verwirft die (gemäß § 117 Abs. 1 S. 4 FamFG und § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO ohne Zulassung statthafte) Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, weil die Entscheidung des OLG keine grundsätzlichen Fragen aufwirft und inhaltlich nicht zu beanstanden ist. Das OLG hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des AG zu Recht als unzulässig angesehen, weil das Rechtsmittel nicht rechtzeitig eingelegt und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen wurde. Einwendungen gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags sind der Antragstellerin versagt, weil sie diesen Beschluss nicht rechtzeitig angefochten hat. Gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG und § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO wäre zwar auch dieser Beschluss mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde anfechtbar gewesen. Die Antragstellerin hat diese Möglichkeit aber nicht genutzt. Deshalb ist der Zurückweisungsbeschluss bindend geworden und die Antragstellerin kann sich auf den darin beschiedenen Wiedereinsetzungsgrund nicht mehr berufen.

Praxistipp: Trotz rechtskräftiger Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsgesuchs kann die betroffene Partei weitere Wiedereinsetzungsgründe geltend machen, wenn die hierfür in § 234 ZPO vorgesehene Frist noch nicht abgelaufen ist.

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Verjährungshemmung bei Wiederaufnahme von eingeschlafenen Verhandlungen
Urteil vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 58/16

Mit zahlreichen Detailfragen zur Auswirkung von Verhandlungen auf den Lauf der Verjährungsfrist befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der Kläger war in einem vorangegangenen Rechtsstreit wegen fehlerhafter Architektenleistungen in Anspruch genommen worden. Auf Empfehlung seiner Haftpflichtversicherung hatte er den Beklagten als Prozessbevollmächtigten bestellt. Der Prozess ging für den Kläger verloren. Noch im Laufe des Rechtsstreits hatte die Versicherung dem Kläger den Haftpflichtschutz entzogen, weil der Beklagte sie nicht über den Verlauf des Prozesses informiert hatte. Der Kläger nahm den Beklagten wegen des Verlusts des Versicherungsschutzes auf Schadensersatz in Anspruch. LG und OLG sahen die Ersatzansprüche als verjährt an.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Revision des Klägers zurück. Mit dem Berufungsgericht ist er der Auffassung, dass die Verjährung durch Verhandlungen der Parteien in den Jahren 2010, 2012 und 2014 insgesamt nur für wenige Monate gehemmt wurde und der Ersatzanspruch deshalb bei Klageerhebung bereits verjährt war. Die Verhandlungen waren in allen drei Fällen nach kurzer Zeit wieder eingeschlafen. Die Verjährung begann deshalb jeweils wieder in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem spätestens mit einer Fortsetzung der Verhandlungen zu rechnen war. Mit der erneuten Aufnahme der Verhandlungen wurde die Verjährung zwar jeweils von neuem gehemmt. Diese Rechtsfolge trat aber nicht rückwirkend ein, sondern nur mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Verhandlungsaufnahme.

Praxistipp: Bei Verhandlungen mit dem Schuldner sollte durch kurze Wiedervorlagefristen laufend überwacht werden, ob der Schuldner noch zeitnah reagiert. Wenn keine Reaktion mehr erfolgt, muss die Verjährung erforderlichenfalls umgehend durch gerichtliche Geltendmachung gehemmt werden.

Objektiver Umfang der Rechtskraftswirkung
Beschluss vom 22. September 2016 – V ZR 4/16

Mit dem objektiven Umfang der Rechtskraftwirkung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Kläger verkauften den Beklagten unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung eine gebrauchte Eigentumswohnung. Die Beklagten rügten nach dem Einzug eine Schimmelbelastung und fochten den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an. In einem vorangegangenen Rechtsstreit hatten die Kläger die erste Kaufpreisrate eingeklagt und die Beklagten im Wege der Widerklage Ersatz von Gutachter-, Notar- und Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Dieser Rechtsstreit ging zugunsten der Kläger aus. Nunmehr verlangten die Kläger Ersatz von Verzugsschäden und die Beklagten im Wege der Widerklage Schadensersatz wegen der Unbewohnbarkeit der Wohnung. Klage und Widerklage blieben in der ersten Instanz erfolglos. Das OLG wies die (nur von den Beklagten eingelegte) Berufung zurück.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung des OLG steht die Rechtskraft des ersten Urteils der erneuten Widerklage nicht entgegen. Beide Widerklagen sind zwar auf die Behauptung gestützt, die Kläger hätten den behaupteten Schimmelbefall arglistig verschwiegen. Die Rechtskraft des Urteils aus dem früheren Rechtsstreit ergreift aber nur die Entscheidung über die dort geltend gemachten Schadensersatzansprüche, nicht hingegen die Entscheidung über die dafür relevante Vorfrage, ob die Kläger eine arglistige Täuschung begangen haben. Die Beklagten sind deshalb nicht gehindert, anderweitige Schadensersatzansprüche geltend zu machen, auch wenn deren Bestand von derselben Vorfrage abhängt.

Praxistipp: Der (Wider-)Beklagte kann die Geltendmachung von weiteren Ansprüchen aufgrund desselben Sachverhalts verhindern, indem er widerklagend die Feststellung beantragt, dass dem (Wider-)Kläger aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts auch keine weitergehenden Ansprüche zustehen.