Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftung eines Rechtsanwalts für den Abschluss eines nicht eindeutig formulierten gerichtlichen Vergleichs

Anwaltshaftung für gerichtlichen Vergleich
Urteil vom 16. Dezember 2021 – IX ZR 223/20

Mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Formulierung eines gerichtlichen Vergleichs befasst sich der IX. Zivilsenat.

Ein Versicherungsnehmer des klagenden Krankenversicherungs-Unternehmens hatte eine Orthopädin wegen eines Aufklärungsfehlers gerichtlich auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Höhe von rund 660.000 Euro sowie auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftiger Schäden Anspruch genommen. Mit der Prozessführung war ein bei der Sozietät der Beklagten angestellter Rechtsanwalt betraut. Das Gericht stellte die durch Grund- und Teilurteil die Ersatzpflicht der Ärztin dem Grunde nach fest und sprach dem Versicherungsnehmer 200.000 Euro zu. Nach Rechtskraft dieses Urteils schlossen die Prozessparteien einen Vergleich, in dem sich die Ärztin zur Zahlung weiterer 580.000 Euro verpflichtete und der Versicherungsnehmer auf alle Ansprüche aus dem Behandlungsverhältnis verzichtete, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz von Versicherungsleistungen, die sie nach Abschluss des Vergleichs erbracht hat. Nach ihrer Auffassung ist sie aufgrund der Abgeltungsklausel daran gehindert, diese Leistungen von der Ärztin ersetzt zu verlangen.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Beklagten antragsgemäß.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt eine Pflichtverletzung begangen hat. Der Anwalt war verpflichtet, Ersatzansprüche, die gemäß § 86 VVG auf die Klägerin übergehen, auch insoweit von der Abgeltungsklausel auszunehmen, als der Übergang erst nach Abschluss des Vergleichs stattfindet. Dies umfasste die Pflicht, den Vergleich so zu formulieren, dass Zweifel über den Umfang der Abgeltungsklausel insoweit möglichst ausgeschlossen sind. Diesen Anforderungen wird die verwendete Formulierung – unabhängig davon, wie sie im Ergebnis auszulegen ist – nicht gerecht.

Es fehlt aber an einem Schaden, weil der Vergleich trotz der verwendeten Formulierung dahin auszulegen ist, dass auch Ansprüche, die erst nach Vergleichsschluss auf die Klägerin übergehen, von der Abgeltungsklausel ausgenommen sind. Ausschlaggebend dafür ist insbesondere der Umstand, dass der Versicherte mit der Schadensersatzklage ausschließlich Schadensposten geltend gemacht hatte, die nicht von der Krankenversicherung gedeckt sind, und Ansprüche, die auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind, ausdrücklich vom Streitgegenstand ausgenommen hatte.

Praxistipp: Wenn nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass eine private Kranken- oder Unfallversicherung besteht, sollten stets auch künftig übergehende Ansprüche von einer Abgeltungsklausel ausgenommen werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Information.

Beweislast bei unzureichender Information über die Behandlungskosten
Urteil vom 28. Januar 2020 – VI ZR 92/19

Mit den Folgen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Ehefrau des Klägers hatte beim beklagten Arzt eine Behandlung ihrer Krampfadern durchführen lassen. Vor der Behandlung unterschrieb sie ein Formblatt, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die Behandlungsmethode nicht von allen Krankenversicherern anerkannt wird. Im Anschluss an die Behandlung lehnte die private Krankenversicherung der Ehefrau die Erstattung der Behandlungskosten von rund 3.500 Euro ab. Eine Klage gegen die Versicherung blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten aus abgetretenem Recht die vollständige Rückzahlung der Behandlungskosten. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

Ebenso wie die Vorinstanzen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur wirtschaftlichen Information aus § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB verletzt hat. Ausweislich des von ihm verwendeten Formblatts hatte der Beklagte Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlungskosten von der Versicherung nicht ersetzt werden. Deshalb war er verpflichtet, die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten mitzuteilen. Diese Information ging aus dem Formblatt nicht hervor.

Abweichend von den Vorinstanzen sieht der BGH die Beweislast dafür, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Information von der Behandlung abgesehen hätte, nicht beim Arzt, sondern beim Patienten. Für die in anderen Bereichen geltende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist im Zusammenhang mit § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kein Raum. Die geschuldete Information ist nicht auf ein bestimmtes Verhalten gerichtet. Sie soll dem Patienten leidglich die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung verdeutlichen.

Praxistipp: Die nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB geschuldete Information muss in Textform erteilt werden. Eine mündliche Mitteilung reicht also nicht aus.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um eine prozessuale und eine materiell-rechtliche Frage geht es im Weihnachts-Blog.

Berufungsbegründung bei zwei selbständig tragenden Erwägungen
Beschluss vom 29. November 2018 – III ZB 19/18

Mit den formellen Anforderungen an eine Berufungsbegründung befasst sich der III. Zivilsenat.

Die klagende Krankenkasse nahm die Beklagte, die ein Pflegeheim betreibt, aus übergegangenem Recht eines gesetzlich versicherten Heimbewohners auf Ersatz der Kosten für einen Krankenhausaufenthalt in Anspruch. Das LG wies die Klage ab, weil es nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass die beim Patienten festgestellten Druckgeschwüre durch pflegerische Versäumnisse verursacht wurden und dass die Druckgeschwüre für die Einweisung in das Krankenhaus mitursächlich waren. Das OLG verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig, weil sich die Berufungsbegründung nahezu ausschließlich mit dem ersten Aspekt befasse und hinsichtlich des zweiten Aspekts lediglich eine pauschale Rüge enthalte.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er stellt klar, dass sich auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf den verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz berufen kann. Diesen Anspruch hat das OLG verletzt, weil es zu strenge Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung gestellt hat. Die Klägerin hatte geltend gemacht, die vom LG angeführten Gründe – eine größere Anzahl von Vorerkrankungen und eine auf „akute Bronchitis“ lautende Diagnose im Vorfeld der Einweisung – reichten nicht aus, um Zweifel an der Mitursächlichkeit der Druckgeschwüre zu begründen. Diese Rügen lassen einen hinreichenden Bezug zum Streitfall und zur angefochtenen Entscheidung erkennen und genügen deshalb den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO.

Praxistipp: Bei der Anfertigung einer Berufungsbegründung ist stets sorgfältig darauf zu achten, dass alle Hilfs- und Nebenbegründungen, die geeignet sind, das erstinstanzliche Urteil selbständig zu tragen, in der nach § 520 Abs. 3 ZPO erforderlichen Weise angegriffen werden.

Instandhaltung einer Telefonleitung in einer Mietwohnung
Urteil vom 5. Dezember 2018 – VIII ZR 17/18

Mit der Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung der Mietsache befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin wohnt seit 2011 in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Im Jahr 2015 trat eine Störung am Telefonanschluss auf. Ursache war ein Defekt an einer Leitung, die vom Telefonanschluss im Untergeschoss des Gebäudes durch einen Kriechkeller bis zur Wohnung der Klägerin verläuft. Die beklagte Vermieterin kam dem Verlangen der Klägerin, die Leitung instand setzen zu lassen, nicht nach. Das AG verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Instandsetzung der Leitung. Das LG verurteilte die Beklagte lediglich zur Duldung der Instandsetzung und wies die weitergehende Klage ab.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH lässt offen, ob ein funktionierender Telefonanschluss in einer Mietwohnung zu dem nach der Verkehrsanschauung geschuldeten Mindeststandard gehört. Jedenfalls dann, wenn eine sichtbare Telefonanschlussdose in der Wohnung vorhanden ist, darf der Mieter mangels abweichender Vereinbarung erwarten, dass er diese ohne zusätzliche Verkabelungsarbeiten nutzen kann. Aus dieser Überlassungspflicht ergibt sich mangels abweichender Vereinbarung zugleich eine Erhaltungspflicht des Vermieters. Dieser muss erforderlichenfalls auch für die Reparatur von Anlagenteilen sorgen, die außerhalb der Wohnung liegen.

Praxistipp: Bei der Geltendmachung entsprechender Ansprüche ist zu prüfen, ob der Mietvertrag abweichende Regelungen enthält und ob dieser einer AGB-Kontrolle standhalten.