Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um den Widerruf eines prozessualen Anerkenntnisses.

Widerruf eines prozessualen Anerkenntnisses wegen Änderung relevanter Umstände
BGH, Beschluss vom 20. September 2023 – XII ZB 177/22

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit den Voraussetzungen von § 323 Abs. 1 ZPO in einem Verfahren wegen Kindesunterhalt.

Die im Jahr 2011 geborene Antragstellerin, die bei ihrer vom Antragsgegner geschiedenen Mutter lebt, verlangt von ihrem Vater Kindesunterhalt in Höhe von rund 3.000 Euro pro Monat. In erster Instanz ist der Antragsgegner dem Begehren zunächst nur insoweit entgegengetreten, als es über einen Betrag hinausgeht, der 272 % des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle entspricht. Später hat er geltend gemacht, nur 200 % des Mindestunterhalts zu schulden, und mit einem Widerantrag die Erstattung überzahlter Beträge gefordert.

Das AG hat der Antragstellerin monatlichen Unterhalt in Höhe von rund 2.200 Euro zugesprochen. Das OLG hat diesen Betrag auf rund 1.800 Euro reduziert.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück, weil dieses mehrere Unterhaltsposten rechtsfehlerhaft beurteilt hat – überwiegend zu Lasten der Antragstellerin, hinsichtlich eines Punkts zu Lasten des Antragsgegners.

Der BGH tritt dem OLG jedoch darin bei, dass der Antragsgegner an sein Teilanerkenntnis hinsichtlich eines Betrags von 272 % des Mindestunterhalts (rund 1.300 Euro) gebunden ist. Ein Anerkenntnis im Sinne von § 307 ZPO darf zwar widerrufen werden, wenn nachträglich Änderungen eintreten, die nach § 323 Abs. 1 ZPO zur Änderung des Unterhaltstitels führen. Der vom Antragsgegner geltend gemachte Umstand, die Düsseldorfer Tabelle sei nach einer Änderung der BGH-Rechtsprechung (BGH, B. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, BGHZ 227, 41= MDR 2020, 1447) entgegen seiner Erwartung nicht bis auf eine Stufe von 272 % des Mindestsatzes erweitert worden, sondern nur bis 200 %, reicht hierfür aber nicht aus.

Änderungen der Düsseldorfer Tabelle sind kein Abänderungsgrund im Sinne von § 323 Abs. 1 ZPO. Sie bilden zwar Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse ab, stellen aber selbst keine solche Veränderung dar. Die Erwartung des Antragsgegners, die Düsseldorfer Tabelle werde bis auf einen Satz von 272 % ergänzt, ist in diesem Zusammenhang erst recht nicht relevant.

Praxistipp: Um Unklarheiten zu vermeiden, sollten Bezugnahmen auf die Düsseldorfer Tabelle in Unterhaltsvereinbarungen dynamisch ausgestaltet, also auf die jeweils gültige Fassung der Tabelle gerichtet werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bezugsberechtigung aus einer gekündigten, aber beim Versterben des Versicherten noch nicht beendeten Lebensversicherung.

Kündigung einer Lebensversicherung und Widerruf der Bezugsberechtigung
BGH, Urteil vom 22. März 2023 – IV ZR 95/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob es Erfahrungssätze für die Auslegung einer Erklärung gibt, mit der eine Lebensversicherung gekündigt wird.

Die Mutter der Beklagten (nachfolgend: Erblasserin) hatte bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung von 20.000 Euro abgeschlossen, aus der sie ab September 2012 eine vierteljährliche Rente von rund 180 Euro erhielt. Bei Abschluss der Versicherung bestimmte die Erblasserin ihren Lebensgefährten widerruflich zum Bezugsberechtigten im Todesfall. Im Februar 2019 erklärte die Erblasserin die Kündigung der Versicherung zum 1. April. Im Kündigungsschreiben bat sie um Überweisung des Restbetrags auf ihr Konto. Die Klägerin zahlte bereits im März rund 16.000 Euro an die Erblasserin aus. Einen Tag nach Gutschrift dieses Betrags verstarb die Erblasserin. Ihre Alleinerbin ist die Beklagte. Von dieser verlangt die Klägerin die Rückzahlung des ausgezahlten Betrags.

Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage bis auf einen Restbetrag von rund 950 Euro ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Wie die Vorinstanzen qualifiziert der BGH den Versicherungsvertrag als Lebensversicherung, weil er eine Auszahlung für den Todesfall vorsieht. Da die Erblasserin vor Beendigung des Vertrags verstorben ist, steht der im Todesfall zu zahlende Betrag dem Bezugsberechtigten zu. Dies war ursprünglich nicht die Erblasserin, sondern deren Lebensgefährte. Entgegen der Auffassung des OLG hat die Erblasserin dieses Bezugsrecht nicht konkludent widerrufen.

Das OLG hatte angenommen, eine Kündigungserklärung sei im Regelfall dahin auszulegen, dass der Versicherungsnehmer konkludent auch ein zu Gunsten eines Dritten bestehendes Bezugsrecht widerrufe. Dies entspreche der regelmäßigen Interessenlage. Ähnlich hat mehrfach der IX. Zivilsenat des BGH für den Fall entschieden, dass ein Insolvenzverwalter die weitere Erfüllung eines Lebensversicherungsvertrags ablehnt.

Der IV. Zivilsenat tritt dieser Auffassung für die Konstellation des Streitfalls nicht bei.

Sofern aus dem Kündigungsschreiben nicht hervorgeht, aus welchen Gründen die Kündigung erfolgt, ist für den Versicherer nicht erkennbar, welche Dispositionen der Versicherungsnehmer für den Fall seines Todes treffen möchte. Ein konkludenter Widerruf der Bezugsberechtigung kann bei dieser Ausgangslage nur dann angenommen werden, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben selbst oder aus sonstigen für den Versicherer erkennbaren Umständen konkrete Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Willen ergeben. Solche Anhaltspunkte gab es – anders als bei der Erfüllungsverweigerung durch einen Insolvenzverwalter – im Streitfall nicht. Deshalb steht die für den Todesfall vorgesehene Zahlung dem früheren Lebensgefährten der Erblasserin zu.

Praxistipp: Für den Widerruf eines Bezugsrechts sehen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Regel eine besondere Form vor. Im hier entschiedenen Fall war Schriftform vorgeschrieben. Nach neueren Verträgen reicht oft Textform.

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Diese Woche geht es um die Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot.

Bindung an ein per E-Mail übersandtes Vergleichsangebot
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21

Der VII. Zivilsenat wendet den Allgemeinen Teil des BGB auf ein elektronisch übermitteltes Angebot an.

Die Klägerin hatte für die Beklagte Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten durchgeführt. Die Beklagte nahm Kürzungen an der Schlussrechnung vor und überwies den von ihr als noch offen ermittelten Betrag. Die Klägerin widersprach den Kürzungen und forderte die Beklagte schriftlich zur Zahlung eines weiteren Betrags von 14.347,23 Euro nebst Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro auf.

Rund zwei Wochen später bot die Beklagte eine Zahlung in der genannten Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Drei Tage danach teilte der Anwalt der Klägerin um 9:19 Uhr per E-Mail mit, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich noch auf 14.347,23 Euro. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner seien die geltend gemachten Anwaltskosten zahlbar und fällig. Rund eine halbe Stunde später teilte er in einer weiteren E-Mail mit, die Prüfung der Forderungshöhe sei noch nicht abgeschlossen; die vorangegangene E-Mail müsse daher unberücksichtigt bleiben.

Drei Tage darauf übersandte die Klägerin eine neue Schlussrechnung, die eine Restforderung von rund 22.000 Euro auswies. Die Beklagte überwies weitere vier Tage später – also eine Woche nach Erhalt der E-Mail – den zuvor mitgeteilten Betrag von 14.347,23 Euro.

Die Klage auf Zahlung der Differenz zu dem Restbetrag aus der neuen Schlussrechnung blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Zahlungen, weil durch ihre erste E-Mail und die Zahlung der Beklagten ein wirksamer Vergleich zustande gekommen ist.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die erste E-Mail ein Angebot zum Abschluss eines Vergleichs enthält. Diese Willenserklärung ist gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, als die Nachricht im elektronischen Postfach der Beklagten einging, weil die Beklagte hierdurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte und der Zeitpunkt des Eingangs innerhalb der üblichen Geschäftszeiten lag. Von diesem Zeitpunkt an war das Angebot gemäß § 145 BGB bindend – unabhängig davon, ob die Beklagte es bereits gelesen hatte. Der eine halbe Stunde später erklärte Widerruf war damit wirkungslos.

Die Beklagte durfte das nicht befristete Angebot gemäß § 147 Abs. 2 BGB bis zu dem Zeitpunkt annehmen, zu dem die Klägerin den Eingang einer Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten durfte. Dieser Zeitraum war im Zeitpunkt der Zahlung – eine Woche nach Eingang des Angebots – noch nicht verstrichen.

Praxistipp: Wer einen per E-Mail übermittelten Vorschlag zur gütlichen Einigung nicht als verbindliches Vergleichsangebot gewertet wissen will, muss unmissverständlich klarstellen, dass die Nachricht keine rechtsverbindliche Erklärung enthält.

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Eine eher singuläre prozessuale Situation und eine allgemeine Frage des Bereicherungsrechts behandeln die beiden Entscheidungen aus dieser Woche.

Eine zu Unrecht zugelassene, aber dennoch erfolgreiche Rechtsbeschwerde
Urteil vom 7. Februar 2018 – VII ZB 28/17

Das Spannungsverhältnis zwischen der dem BGH zugewiesenen Aufgabe und dem Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit verdeutlicht eine Entscheidung des VII. Zivilsenats.

Die Klägerin hatte Vergütung für die Schaltung einer Werbeanzeige im Internet begehrt. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung legte das AG die Kosten gemäß § 91a ZPO der Klägerin auf. Die Beschwerde dagegen blieb erfolglos.

Der BGH hebt die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander auf. Er stellt zunächst klar, dass das LG die Rechtsbeschwerde nicht hätte zulassen dürfen, weil ein Verfahren nach § 91a ZPO nicht dazu dient, grundsätzliche Fragen des materiellen Rechts zu klären. Da die Zulassung für den BGH bindend ist, hatte er die angefochtene Kostenentscheidung dennoch zu überprüfen. Dies führte zur Kostenaufhebung, weil die Entscheidung des Rechtsstreits von einer Rechtsfrage abhing, die nicht einfach zu beantworten war und deshalb im Verfahren nach § 91a ZPO nicht zu beantworten ist.

Praxistipp: Anders als in der dem Streitfall zugrunde liegenden Konstellation ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht bindend, wenn dieses Rechtsmittel gegen die angefochtene Entscheidung von vornherein nicht in Betracht kommt.

Bereicherungsausgleich nach Direktzahlung eines Jobcenters an einen Vermieter
Urteil vom 31. Januar 2018 – VIII ZR 39/17

Mit einem Fall des Bereicherungsausgleichs in Dreiecksverhältnissen befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Beklagten hatten ein Einfamilienhaus vermietet. Das klagende Jobcenter hatte die Miete für den leistungsberechtigten Mieter direkt an die Beklagten überwiesen. Im Juli 2014 reichten die Mieter beim Kläger einen Mietvertrag über eine andere Wohnung ein. Einen Tag später überwies der Kläger die Miete für August an die Beklagten. Diese verweigerten die Rückzahlung unter Berufung auf Gegenforderungen gegen den Mieter. Das AG wies die Klage ab. Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß.

Der BGH weist die Revision der Beklagten zurück. Er beginnt seine Erwägungen mit dem klassischen Satz, dass sich beim Bereicherungsausgleich in Dreiecksverhältnissen jede schematische Betrachtung verbietet, wendet dann aber die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze an. Danach ist die Zahlung als Leistung des Mieters an die Beklagten anzusehen, weil nur der Miter in einer Leistungsbeziehung zu diesen stand. Dem Kläger steht dennoch ein Bereicherungsanspruch unmittelbar gegen die Beklagten zu, weil der Mieter seine Anweisung, die Leistungen direkt an die Beklagten zu zahlen, durch Vorlage des neuen Mietvertrags konkludent widerrufen hat und weil den Beklagten bekannt war, dass ihnen für August kein Anspruch auf Miete mehr zustand.

Praxistipp: Der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass eine andere Beurteilung geboten sein kann, wenn der alte Mietvertrag fortbesteht und der Vermieter auch sonst keine Anhaltspunkte dafür hat, dass es sich um eine Zuvielzahlung handelt.

BGH: Wertersatz bei Widerruf von Dienstleistungsverträgen muss nicht zeitanteilig berechnet werden

Auch Verträge, die die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand haben, sind (zum Beispiel im Fernsabsatz) widerruflich. § 357 Abs. 8 BGB gibt vor, wie dann vorzugehen ist:

Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch aus Satz 1 besteht nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ordnungsgemäß informiert hat. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht der Anspruch nach Satz 1 nur dann, wenn der Verbraucher sein Verlangen nach Satz 1 auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist der vereinbarte Gesamtpreis zu Grunde zu legen. Ist der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen.

Im Falle einer Online-Partnervermittlung berechnete diese den Wertersatz, indem Sie prüfte, wieviele Kontakte dem Kunden vermittelt wurden, dies mit der Anzahl der versprochenen Kontakte verglich und hiervon einen 25%igen Abzug vornahm. Beispiel:Im Rahmen einer sechsmonatigen Mitgliedschaft zum Preis von 269,40 Euro garantierte der Anbieter dem Kunden fünf Kontakte. Da dem Kunden zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits 13 Kontakte vermittelt wurden, sollte nach Ansicht des Anbieters ein Wertersatz in Höhe der 269,40 EUR abzgl. 25% erfolgen.

Gegen dieses Vorgehen wandte sich die Verbraucherzentrale Hamburg, deren Revision gegen die erfolglose Berufung vor dem OLG Hamburg ebenfalls fruchtlos blieb. Das OLG Hamburg hatte die Zulässigkeit dieses Vorgehens damit begründet, dass der Anlaufaufwand bei Dienstleistungen wie hier durch die Erstellung eines Nutzerprofils unverhältnismäßig höher ist, als der Aufwand während der weiteren Laufzeit. Der BGH erkläre:

Die Vorschriften des Artikel 14 Absatz 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher und des § 358 Abs. 8 BGB ergeben keinen Anhaltspunkt, dass die von der Klägerin verlangte ausschließlich zeitanteilige Abrechnung vorgegeben ist. Vernünftige Zweifel an der Würdigung durch das Berufungsgericht bestehen nicht.

Für Unternehmer ergibt sich hieraus der Praxistipp, in gleicher Weise vorzugehen, wie diese Online-Partnervermittlung: Niedrigschwellige (Mindest-)Leistungsversprechen, die möglichst sehr schnell erfüllt werden, erhöhen den erzielbaren Wertersatzanspruch.

BGH, Beschl. v. 30.11.2017, I ZR 47/17

 

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Darlegung der Einkommensverhältnisse bei Pkh-Antrag
Beschluss vom 16. November 2017 – IX ZA 21/17

Mit den Anforderungen an die Darlegung der Einkommensverhältnisse durch einen nach eigenen Angaben einkommens- und vermögenslosen Antragsteller befasst sich IX. Zivilsenat.

Der Kläger, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren anhängig ist, wandte sich gegen die Feststellung von Forderungen der Beklagten zur Insolvenztabelle. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos. Beim BGH beantragte der Kläger – erstmals im Verlauf des Verfahrens – Prozesskostenhilfe, mit dem Ziel, die Berufungsentscheidung mit einer Nichtzulassungsbeschwerde anzufechten.

Der BGH lehnt den Antrag ab, weil der Kläger seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachvollziehbar dargelegt hat. Im amtlich vorgeschriebenen Formular hat der Kläger angegeben, er verfüge nicht über Einkommen oder Vermögen und nehme keine öffentlichen Hilfen in Anspruch; für seine Wohnung müsse er weder Miete noch Heizkosten zahlen. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger konkret darlegen müssen, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet, weshalb er keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, die ihm im Falle einer Freigabe durch den Insolvenzverwalter (§ 35 Abs. 2 InsO) ermöglichen würde, nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegendes Vermögen zu bilden, weshalb er eine Wohnung nutzen kann, ohne Miete und Heizkosten zu zahlen, und wie er die Prozesskosten für die beiden ersten Instanzen aufbringen konnte.

Praxistipp: Dient der Antrag auf Prozesskostenhilfe der Einlegung oder Begründung eines fristgebundenen Rechtsmittels, müssen die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb der dafür maßgeblichen Fristen eingereicht werden.

Kein Widerruf des Darlehenswiderrufs
Urteil vom 7. November 2017 – XI ZR 369/16

Eine Frage der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre behandelt der XI. Zivilsenat in einer Segelanweisung.

Der Kläger nahm die Beklagte nach Widerruf eines Darlehensvertrags unter anderem auf Rückzahlung von nicht geschuldeten Zinsleistungen in Anspruch. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Widerruf des Darlehens nicht schon deshalb rechtmissbräuchlich, weil er nicht durch den Schutzzweck des Widerrufsrechts – Schutz vor Übereilung – motiviert war, sondern durch das Absinken des allgemeinen Zinsniveaus. Das OLG wird deshalb nach Zurückverweisung der Sache anhand der in der neueren Rechtsprechung entwickelten Kriterien (BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211, 1213 Rz. 31 ff.) zu prüfen haben, ob das Widerrufsrecht verwirkt war oder ob dessen Geltendmachung als unzulässige Rechtsausübung anzusehen ist. Für das weitere Verfahren weist der BGH ergänzend darauf hin, dass ein nach Zugang des Widerrufs übersandtes Schreiben, in dem der Kläger von dieser Erklärung Abstand nahm, für die Entscheidung nicht erheblich ist, weil der Widerruf als Gestaltungsrecht nach Zugang der Widerrufserklärung nicht zurückgenommen oder widerrufen werden kann.

Praxistipp: Der Zugang der Widerrufserklärung sollte sorgfältig dokumentiert werden, etwa durch eine Versendung als Einwurf-Einschreiben.

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Darlehenswiderruf per Telefax durch Stellvertreter
Urteil vom 10. Oktober 2017 – XI ZR 457/16

Eine allgemeine Frage zur Wirksamkeit einseitiger Rechtsgeschäfte beantwortet der XI. Zivilsenat.

Die Kläger hatten bei der Beklagten zwei Darlehen zur Finanzierung einer Immobilie aufgenommen. Sieben Jahre später erklärte ein für die Verbraucherzentrale tätiger Rechtsanwalt per Telefax den Widerruf der Verträge. Zusammen mit diesem Schreiben übermittelte er eine Einverständniserklärung, die in der für den Telefax-Versand verwendeten Originalvorlage von einem der beiden Kläger unterschrieben war. Sechs Tage später wies die Beklagte den Widerruf gemäß § 174 Abs. 1 BGB zurück, weil der Erklärung keine Originalvollmacht beigelegen habe. Einige Wochen später erklärte der Prozessbevollmächtigte erneut den Widerruf der Darlehensverträge, diesmal unter Vorlage einer Originalvollmacht. Die auf Feststellung des wirksamen Widerrufs gerichtete Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG stellte fest, dass die Darlehensverträge durch die zweite Widerrufserklärung in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden seien.

Der BGH verweist die Sache auf die (nur) von der Beklagten eingelegte Revision an das OLG zurück. Im Anschluss an seine neuere Rechtsprechung hält er das Feststellungsbegehren für unzulässig, weil es den Klägern möglich und zumutbar war, die ihnen aufgrund des Widerrufs zustehenden Ansprüche im Wege der Zahlungsklage geltend zu machen. Ergänzend führt er aus, dass bereits die erste Widerrufserklärung wirksam war, weil die Beklagte diese Erklärung nicht unverzüglich zurückgewiesen hat. In einer Parenthese bringt der BGH schließlich zum Ausdruck, dass der Beklagten ein Recht zum unverzüglichen Widerruf gemäß § 174 Abs. 1 BGB zugestanden hatte, weil die Übermittlung einer Vollmacht per Telefax nicht als Vorlage einer Vollmachtsurkunde im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Letzteres ist auch Gegenstand des (einzigen) Leitzsatzes der Entscheidung.

Praxistipp: Eine im Namen des Mandanten abgegebene einseitige Willenserklärung, die an sich nicht formbedürftig ist, sollte wegen § 174 Abs. 1 BGB stets auf dem Postwege (unter Beifügung einer Originalvollmacht) übermittelt werden.

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Ersatz von Anwaltskosten für Geltendmachung des Kaskoschadens
Urteil vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17

Der VI. Zivilsenat zeigt die Grenzen der Ersatzpflicht nach einem Verkehrsunfall auf.

Nach einem Verkehrsunfall betraute der Kläger seinen Anwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners und gegenüber seiner eigenen Kaskoversicherung. In der Folgezeit ersetzten die Haftpflicht- und die Kaskoversicherung den entstandenen Schaden jeweils zur Hälfte. Der Anwalt berechnete seine Vergütung für die Tätigkeit gegenüber der Kaskoversicherung auf der Grundlage des von dieser gezahlten Betrags. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Erstattung der gezahlten Vergütung. Die Klage blieb erfolglos.

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück. Abweichend von der Vorinstanz verneint er einen Ersatzanspruch nicht schon deshalb, weil der Kläger seinen Anwalt zu früh beauftragt hat. Zwar wäre die Einschaltung eines Anwalts für den ersten Kontakt mit der Kaskoversicherung nicht erforderlich gewesen. Damit ist ein Ersatzanspruch wegen einer später erforderlich gewordenen Beauftragung aber nicht ausgeschlossen. Die Rahmengebühr für das Betreiben des Geschäfts entsteht mit jeder Handlung von neuem. Sie kann zwar nach § 15 RVG insgesamt nur einmal bis zur Höchstgrenze von 2,5 geltend gemacht werden. Bis zu dieser Grenze kann sie aber mit zunehmendem Tätigkeitsumfang anwachsen. Dennoch verbleibt es bei der Abweisung der Klage, weil der geltend gemachte Schaden schon dem Grunde nach nicht ersatzfähig ist. Der Kläger hat die Kaskoversicherung nur wegen desjenigen Teils des Schadens in Anspruch genommen, für den der Unfallgegner nicht einzustehen hat. Die dafür angefallene Vergütung gehört ebenfalls nicht zu dem vom Beklagten zu ersetzenden Schaden.

Praxistipp: Wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, dass die Vergütung für den ersten Kontakt mit dem Kaskoversicherer nicht erstattungsfähig ist.

Widerrechtliche Drohung
Beschluss vom 19. Juli 2017 – XII ZB 141/16

Mit einem Grundbegriff aus dem Allgemeinen Teil des BGB befasst sich der XII. Zivilsenat in einer Betreuungssache.

Die 1929 geborene Betroffene hatte im Jahr 2009 zugunsten ihrer drei Kinder eine General- und Vorsorgevollmacht errichtet. Die beiden Töchter erhielten umgehend eine Ausfertigung. Die Ausfertigung für den Sohn – der von der Vollmacht nichts wusste – behielt eine der Töchter in Verwahrung. In der Folgezeit teilten die Töchter nahezu den gesamten Immobilienbesitz ihrer Mutter unter sich auf. Nachdem der Sohn hiervon erfahren hatte, ließ er die Mutter anwaltlich auffordern, die Vollmacht für die Töchter zu widerrufen, weil diese ansonsten auch das restliche Vermögen an sich reißen würden. Die Mutter kam der Aufforderung nach. Der Sohn beantragte daraufhin, eine Betreuung für sie einzurichten. Der als Betreuungsrichter zuständige Notar und das LG lehnten den Antrag ab, unter anderem mit der Begründung, die Mutter habe den Widerruf der Vollmachten wirksam wegen widerrechtlicher Drohung angefochten.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Er verneint eine widerrechtliche Drohung im Sinne von § 123 BGB schon deshalb, weil der Eintritt des in Aussicht gestellten Übels – die Übertragung weiterer Vermögensgegenstände – nach der Ankündigung des Sohnes nicht von seinem Willen abhing, sondern vom Willen der Töchter. Darüber hinaus hält der BGH auch die Begründung, mit der das LG die Töchter trotz deren eigennützigen Verhaltens weiterhin als zur Vertretung ihrer Mutter geeignet angesehen hat, für nicht tragfähig.

Praxistipp: Wenn zweifelhaft ist, ob der Vollmachtswiderruf wirksam angefochten wurde, empfiehlt sich – sofern möglich – eine erneute Erteilung der Vollmacht. Für die Frage, ob der Bevollmächtigte als geeignet angesehen werden kann, ist damit allerdings wenig gewonnen.

BGH: Widerruf muss nicht als solcher bezeichnet werden

Alter Wein in neuen Schläuchen. Eine neue Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.1.2017 Az.: I ZR 198/15) zu „falsa demonstratio non nocet„.

In einem Fall zum alten Widerrufsrecht im Fernabsatz („ewiges Widerrufsrecht“) erklärte ein Verbraucher vor Gericht, er würde den geschlossenen Maklervertrag anfechten. Das Gericht wertet dies auch als die Erklärung eines Widerrufs:

Mit Erfolg macht die Revision geltend, der Beklagte zu 2 habe dadurch den Widerruf des Maklervertrags erklärt, dass er in der Klageerwiderung vom 8.11.2013 die Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung angefochten habe. Er habe damit deutlich gemacht, er wolle einen etwaigen Vertragsschluss von Anfang an nicht gelten lassen.

Diese Anfechtungserklärung bezieht sich zwar auf eine nach Behauptung der Klägerin von dem Beklagten zu 2 unterzeichnete schriftliche Bestätigung, nach der sich dieser verpflichtet haben soll, ihr eine Käuferprovision bei Abschluss eines Kaufvertrags über das Objekt zu zahlen.(2) Diese Erklärung ist jedoch dahingehend auszulegen, der Beklagte zu 2 wolle einen etwa mit der Klägerin geschlossenen Maklervertrag widerrufen. Wird eine auf einen bestimmten Vertrag gerichtete Erklärung durch die Vertragspartei wegen arglistiger Täuschung angefochten, wird damit hinreichend deutlich gemacht, dass der Anfechtende einen etwaigen Vertrag nicht gegen sich gelten lassen will (BGH, Urt. v. 2.5.2007 – XII ZR 109/04, MDR 2007, 1004, NJW 2007, 2110 Rn. 28; insoweit zutreffend OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 1438, 1439). Da zwischen den Parteien nur ein einziges Vertragsverhältnis in Streit steht, muss die Anfechtungserklärung des Beklagten dahin verstanden werden, dass er an einem etwa mit der Klägerin zustande gekommenen Maklervertrag nicht festgehalten werden will.

Auf den ersten Blick eine sehr verbraucherfreundliche Entscheidung, die den Eindruck erweckt, eine einseitige Parteiergreifung des Gerichtes sei zulässig.

Andererseits ist es durchaus begrüßenswert, dass das Gericht den wahren Willen des Erklärenden ermittelt (keine Bindung von Anfang an) und die rechtlichen Schlüsse daraus zieht (wo wir heute schon dabei sind: iura novit curia). Dass die Erklärung hier von einem Rechtsanwalt stammte, der BGH dennoch großzügig auslegt, verwundert im Lichte einer früheren Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648) in der ein hoher Maßstab an Rechtsanwälte angelegt wird:

„Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt; dazu darf es der Rechtsanwalt regelmäßig gar nicht kommen lassen.“

Hinweis: Für die Praxis dürfte es in Zukunft ratsamer sein, möglichst weite Formulierungen zu finden, wenn es um die Beseitigung der Rechtswirkungen von Verträgen geht, sollte nicht ein ganz bestimmter Rechtsbehelf aufgrund seiner Rechtsfolgen gewünscht sein. Fraglich bleibt auch, welche Gestaltungserklärung ein Gericht durchgreifen lässt, wenn mehrere Gestaltungserklärungen einen teilweise identischen Erfolg, aber darüber hinaus noch unterschiedliche Rechtsfolgen hervorbringen (z.B. Wertersatz bei einem Widerruf oder Schadensersatz bei einer Anfechtung).