Das Update zum „Update Frauenquote“ – das FüPoG II

Im Anschluss an das vor knapp einem Jahr veröffentlichte „Update Frauenquote“ zum FüPoG II (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) ist über den mittlerweile vorliegenden Regierungsentwurf zu berichten (abrufbar https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aenderung-fuepog-data.pdf). Wie damals prognostiziert, findet sich ein Kern der Initiative in der Ausweitung der Quotenregelungen. Für bestimmte börsennotierte und mitbestimmte Aktiengesellschaften sowie solche mit qualifizierter Beteiligung des Bundes muss fortan der Vorstand, falls er aus mehr als drei Mitgliedern bestehen sollte, mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein. Überraschend angesichts der ausufernden Staatshilfen in der COVID-19-Pandemie ist, dass man Gesellschaften, die durch Bund „gerettet“ wurden, nicht ebenfalls den verschärften Anforderungen unterwirft.

Rechtspolitisch fällt auf, dass der Regierungsentwurf mit der Regulierung jeweils nur eines Sitzes im Vorstand deutlich hinter den laufenden europäischen Überlegungen (dazu letzthin Mutter, AG 2020, 830) zurückbleibt, die auf einen Mindestanteil von 40 % Frauen und Männern in Vorstand und Aufsichtsrat zielen. Der Regierungsentwurf verdient daher insoweit wohl eher das Prädikat einer „kleinen Einstiegsregulierung“ anstatt besonderes Lob für einen mutigen Schritt. Auch hat man sich in Berlin noch keine Gedanken dazu gemacht, ob Übererfüllungen in einen der beiden Verwaltungsorgane zu „Anrechnungen“ im anderen führen könnten, wie das auf europäischer Ebene im Richtlinienentwurf schon lange angedacht ist.  Nur für Rechtsdogmatiker interessant ist hingegen wohl, dass man mit dem Regierungsentwurf durch die neuen Quoten zugunsten zweier Geschlechter anscheinend auf eine verfassungsrechtliche Absicherung der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Mutter in FS E. Vetter, 2019, S. 489, 494) verzichtet.

Alles Weitere bewegt sich mehr oder minder im Kreis der Erwartungen: Wie bereits im ersten Update (s. Mutter, „‘Update Frauenquote‘ – das FüPoG II“, Blog Gesellschaftsrecht v. 28.2.2020) berichtet, soll nach neuem Recht die Festlegung der Zielgröße „Null“ für den Vorstand, die beiden obersten Führungsebenen unterhalb des Vorstands und den Aufsichtsrat begründet werden. Im Handelsbilanzrecht werden nach Vorstellung der Bundesregierung jeweils flankierende Berichtspflichten und Sanktionen eingeführt.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 4/2021.

Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes

Lesenswert für alle Mandatsträger und Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutsche Corporate Governance Kodex

Die Bundesregierung hat am 16.9.2020 die Neufassung der Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes 2020 beschlossen. Diese lösen mit Bekanntmachung durch das Bundesministerium der Finanzen vom selben Tag (VIIII B 1 – FB 0203/20/100002:003) die Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes vom 1. Juli 2009 (GMBl. 2011, 409 ff.) ab.

War der „alte“ Public Corporate Governance Kodex des Jahres 2009 nur ein schwacher Aufguss des damaligen Deutschen Corporate Governance haben sich nun 2020 die Vorzeichen verkehrt. Während sich die Regierungskommission bei ihrem „großen“ Neuaufschlag 2018/20 vorrangig in kleinteiligen Versuchen verzettelte, Corporate Germany eine bestimmte Vorstellung der Vorstandsvergütung aufzuzwingen und damit lediglich breitflächige Proteste auf Seiten vieler Unternehmen auslöste (unverändert nachlesbar https://www.dcgk.de/de/konsultationen/archiv/konsultation-2018/19.html), schreitet die Bundesregierung richtungsweisend nach vorn.

Während die Europäische Union noch de lege ferenda fragt, ob die Unternehmensleitung  bei ihren Entscheidungen neben den finanziellen Interessen der Gesellschafter auch Faktoren wie Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung oder den Klimawandel berücksichtigen sollte (https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/2020-sustainable-finance-strategy-consultation-document_en.pdf, question 46) und Studien über „directors duties and sustainable corporate governance“ in Auftrag gibt bzw. „Sustainablitiy, duty of care and due diligence“ auf die Agenda der ICLEG setzt (vgl. Jessica Schmidt, BB 2020, 1794, 1799), formuliert die Bundesregierung bereits eine klare Antwort und setzt erste Standards:

Der gesamte Abschnitt 5.5 des Public Corporate Governance Kodex 2020 handelt nämlich von nichts anderem als „nachhaltiger Unternehmensführung“. Das bemerkenswerte daran ist, dass es die Bundesregierung nicht bei einer Auflistung plakativer Schlagworte belässt, sondern weit über ein Dutzend Einzelempfehlungen ausspricht und konkrete Verpflichtungen für die Geschäftsführung formuliert.

Sie im Einzelnen nachzuzeichnen würde hier den Rahmen dieses Blogs sprengen; die Überlegungen der Bundesregierung sind aber (nicht nur insoweit) gewiss lesenswert für alle Mandatsträger in Vorstand und Aufsichtsrat, aber auch eine Einladung zur Selbstreflektion an die Adresse der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.

Die Grundsätze guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes sind im Einzelnen nachlesbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik/Beteiligungspolitik/grundsaetze-guter-unternehmens-und-aktiver-beteiligungsfuehrung.html.

Update: Pandemie und Business Continuity

Das mittlerweile auch Deutschland angreifende Corona-Virus gibt Anlass zu einem kurzen update meines gleich betitelten Beitrags im AG-Report (Mutter, AG 2009, R212). Heute verfügen die Unternehmen in Deutschland durchgängig über Krisenmanagementsysteme. Diese schließen oft, aber bei weitem nicht stets Abschätzungen möglicher Pandemiefolgen für das eigene Unternehmen und konkrete Maßnahmen zur Pandemievorsorge oder Planungen für den Fall eines höheren Mitarbeiterausfalls ein. Jedenfalls in Zeiten konkreterer Bedrohung wie derzeit durch das Corona-Virus gehört eine Notfallplanung zu den Sorgfaltspflichten des Vorstands aus §§ 93, 76 AktG. Typischerweise hat eine solche Notfallplanung kritische Funktionen im Unternehmen zu identifizieren und die für den geschäftlichen Ablauf notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Dies kann bis zu einer Bevorratung antiviraler Medikamente zur Prophylaxe und Therapie von Mitarbeitern in Schlüsselfunktionen reichen. Im Übrigen sehen Notfallplanungen – best practice – kaskadierte Maßnahmen vor. Standardmaßnahmen sind Reisebegrenzungen, insbesondere in besonders gefährdete Gebiete, schnelle Separierung Erkrankter und Überweisung in ärztliche Behandlung. Auch Aufklärung über Ansteckungsrisiken und Vorsorge gehören zu den gängigen Maßnahmen. Ferner können Möglichkeiten von Heimarbeit zu prüfen sein. In höheren Eskalationsstufen empfehlen sich schließlich Redundanzkonzepte, etwa für den Ausfall von Schlüsselmitarbeitern. Entsprechende Pläne in der Schublade zu haben ist nicht Hysterie, sondern verantwortungsvolle Unternehmensführung.

„Update Frauenquote“ – das FüPoG II

Das Familien- und das Justizministerium arbeiten am Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, kurz genannt „FüPoG II“. Der aktuell zirkulierende Gesetzentwurf ist punktuell spektakulär:

  • Vorstände börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen müssen künftig mit wenigstens einer Frau besetzt werden, sofern dieser mehr als drei Mitglieder hat.
  • Die bewährten Regelungen zur fixen Aufsichtsratsquote sollen einen breiteren Anwendungsbereich erhalten und auf alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen ausgeweitet werden, also etwa auch auf entsprechende Familienunternehmen.
  • Die bisherige „Geschlechterquote“ wird durch eine Fokussierung auf eine „Frauenquote“ abgelöst.

Angesichts der vielerorts in den Unternehmen gewählten Zielgröße „null“ zu erwarten war hingegen die nun geplante Einführung einer Begründungspflicht sowie die Nachschärfung des Sanktionsmechanismus bei Verletzung von Berichtspflichten im Zusammenhang mit der „flexiblen Quote“. Bei der Kritik an der „null“ wird mitunter übersehen, dass in der Erstanwendung des FüPoG I die Unternehmen auch damit umgehen mussten, dass obere Führungsebenen angefangen vom Aufsichtsrat in der damaligen Realität vielfach männlich dominiert waren. Insoweit lag es nahe und war vielleicht auch ein Gebot der Ehrlichkeit, dass man dort, wo beispielsweise männlich besetzte Vorstände langlaufende Verträge hatten, nicht reine Luftschlösser mit „sexy“ Quoten baute, sondern die Realitäten geltender Anstellungsverträge abbildete.

Auch die Ablösung der Geschlechterquote durch eine Frauenquote ist weniger gewichtig als es vermeintlich klingt. Sie war mit der Entscheidung des BVerfG zum dritten Geschlecht (BVerfG v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16, BVErfGE 147, 1–30) aufgrund des Diskriminierungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 GG vorgezeichnet. Denn als reine „Frauenquoten“ hat man mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG eine feste Rechtsgrundlage (vgl. Mutter in FS Vetter, 2019, S. 489, 494).

Demgemäß dürfte der Schwerpunkt der Beratungen im Gesetzgebungsverfahren auf der Ausweitung der Quotenregelungen und der neuen Vorstandsquote liegen.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt im AG-Report 6/2020.

Änderungen im ARUG II auf der Zielgeraden

Horaz schrieb vor etwas mehr als 2000 Jahren „Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen“ (Ars poetica). Daran fühlte sich bislang erinnert, wer die Beratungen des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) verfolgte, die trotz zweijähriger Umsetzungsfrist in Berlin nicht fristgerecht zum 10.6.2019 abgeschlossen werden konnten. Ein Schelm, wer angesichts des Zeitverzugs an das Menetekel BER denkt.

Dem Rechtsausschuss gebührt freilich das Verdienst mit seinen Beschlussempfehlungen vom 13.11.2019, denen man im Bundestag in zweiter und dritter Lesung am 14.11.2019 folgte, nochmals Fachwelt und Unternehmen in Aufregung zu versetzen (exemplarisch Michael H. Kramarsch, www.handelsblatt.com; 15.11.2019, 10:23 Uhr).

Damit sind natürlich nicht die kleineren redaktionellen Verbesserungen angesprochen, die ohnehin vielfach durch den Bundesrat angeregt und mithin nicht neu waren, sondern drei wesentliche Änderungen:

  1. Neuer (Pflicht)Bestandteil des vom Aufsichtsrat zu beschließenden Vergütungssystem ist nach § 87a Abs. 1 Nr. 1 AktG n.F. die Festlegung einer Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder. Diese Maximalvergütung kann die Hauptversammlung – auf Antrag nach § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG (sic!) – herabsetzen.

    Zwar kann man die Gesetzesbegründung wohl nur so deuten, dass durch den Beschluss als solchen zwar „nur“ das Vergütungssystem bindend geändert wird, nicht aber mit Vorständen abgeschlossene Verträge. Wer jetzt aufatmet, übersieht aber, dass § 87 Abs. 2 AktG bereits lange Zeit de lege lata eine Eingriffsbefugnis des Aufsichtsrats in abgeschlossene Verträge enthält. Die Folgefrage, ob ein Aufsichtsrat einem Herabsetzungsbeschluss der Hauptversammlung nachfolgend diese Voraussetzungen prüfen sollte, beantwortet das Gesetz nicht. Es liegt auf der Hand, dass der befragte Anwalt sie unterschiedlich beantworten wird, je nachdem auf welcher Seite des Tisches man sitzt. Ein Indiz findet sich möglicherweise etwas versteckt an anderer Stelle im Gesetz; § 162 Abs. 1 Nr. 7 AktG n.F. sieht für den Vergütungsbericht vor „… eine Erläuterung, wie die festgelegte Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder eingehalten wurde.

    Interessant ist auch, dass es der Politik mit dem Herabsetzungsbeschluss sichtlich nicht um eine Feinadjustierung der Rechte von Aufsichtsrat und Hauptversammlung bzw. Aktionären ging, denn ansonsten müsste die Hauptversammlung auch das Recht haben, die Maximalvergütung anzuheben. Dass dafür aus Sicht internationaler Investoren, die jedenfalls im DAX schon länger die Mehrheiten stellen, mitunter Bedarf bestünde, blendet man in Berlin anscheinend geflissentlich aus.

    Im Zuge der Neuregelungen zum Vergütungssystem wurde im Übrigen (in § 87a Abs. 1 Nr. 2 AktG) auch feinjustiert, dass das System den Beitrag zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft aufzeigen soll.
     

  2. Vermeintlich nur redaktionell wurde am Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG geändert; tatsächlich will der Bundestag hiermit aber, Zitat, „deutlich machen, dass der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Vergütung, insbesondere der Wahl der Vergütungsanreize auch soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen hat.“

    Der Zyniker könnte angesichts dessen versucht sein zu vermuten, dass die Großkoalitionäre schon einmal für die Mitarbeit in einer Bundesregierung üben, die ein grüner Kanzler führt. Jedenfalls führt das Zusammendenken dieses Fingerzeigs mit dem Drängen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex auf eine Aufwertung aktienbasierter Vergütung im Zweifel geradewegs in eine aktienbasierte Vergütung, die sich dem Zeitgeist folgend am CO2 – Ausstoß festmacht („green share“).
     

  3. Schließlich wurde nach mehr als zweijähriger Beratung in den beiden letzten Tagen des Gesetzgebungsverfahrens die Wertschwelle des § 111b AktG für Zustimmungsvorbehaltes des Aufsichtsrats bei Geschäften mit nahestehenden Personen (vulgo „related parties transactions“) um glatte vierzig (40) Prozent abgesenkt. Das wird absehbar jene Unternehmen eiskalt erwischen, die sich sorgfältig auf das ARUG II vorbereitet hatten, aber auf eine Nichtbetroffenheit in Folge der tradierten Wertgrenze vertraut hatten. Dass man es hier trotzdem dabei belassen hat, dass es für die Anwendung der neuen Bestimmungen keine Übergangsregelung gibt, ist eigentlich ein kleiner Skandal. Denn Art. 2 sieht für die Anwendung des ARUG II im EG AktG umfangreiche Übergangsregelungen und -fristen vor, nicht aber für den Überraschungscoup des Rechtsausschusses vom 13.11.2019, dem sich der Bundestag anschloss – und das obwohl die Gesetzesbegründung ganz offen ausspricht, dass man damit die Anwendung des neuen Regimes auf weitere Unternehmen ausweiten will.

Abseitsfalle des OLG München: Wo tagt der Aufsichtsrat?

In vielen Aktiengesellschaften ist es bewährte Praxis, dass der Aufsichtsrat nicht nur im Elfenbeinturm der Konzernzentrale tagt, sondern auch in Betriebsstätten oder bei Tochtergesellschaften. Anlass können nicht nur Unternehmenszusammenschlüsse oder größere Zukäufe sein, wo es in besonderem Maße im Unternehmensinteresse liegen kann, die Integration durch ein entsprechendes Symbol der Wertschätzung zu fördern. Ebenso können eine lokale Krisenlage, eine im Raum stehende Werksschließung oder ein Personalabbau einen anderen Sitzungsort tragen. Aber auch ein Rückzug in ein (ländliches) Hotel für eine in den Folgen weitreichende, mehrtätige Strategiesitzung mit dem Vorstand oder auch nur zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit eines neu zusammengesetzten Aufsichtsrats, dessen Mitglieder sich kennen und schätzen lernen sollen, sind gelebte Praxis und richtigerweise nicht zu beanstanden.

Bei alldem ist aber neuerdings Vorsicht geboten. Denn das OLG München (Beschluss v. 28.8.2018 – 31 Wx 61/17, abrufbar http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-20541?hl=true hat sich zum rechtlich zulässigen Sitzungsort des Aufsichtsrats mit einer m.E. nicht gebotenen Parallelwertung zum Recht der Hauptversammlung auf Kante gestellt und entschieden:

„Zwar enthält das AktG keine ausdrückliche Regelung darüber, an welchem Ort der Aufsichtsrat einer AG seine Sitzungen abzuhalten hat. Jedoch folgt daraus, (…) nicht, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nach eigenem Gutdünken einen Versammlungsort bestimmen kann. Vielmehr ist, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht, der ordnungsgemäße Versammlungsort grundsätzlich entsprechend § 121 Abs. 5 AktG der Sitz der Gesellschaft, wobei die Räumlichkeiten der Gesellschaft im Fall ihrer Eignung als Versammlungslokal der Wahl angesehen werden. Die Regelung hat den Zweck, auch Aufsichtsratsmitglieder vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechts zu schützen. (…) Nur wenn alle Aufsichtsratsmitglieder einverstanden sind, könnte ausnahmsweise auch ein anderer Ort zur Abhaltung der Sitzungen des Aufsichtsrats gewählt werden.“

Gerade bei streitigen Beschlussgegenständen auf der Tagesordnung ist angesichts dieser Wendung der Rechtsprechung fortan bei der Wahl des Versammlungsortes besondere Vorsicht geboten. Gleiches gilt natürlich, wenn einzelne Aufsichtsratsmitglieder verhindert sind.

Abhilfe könnte m.E. hier eine Satzungsänderung bei nächster Gelegenheit bieten, die dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Wahl unter verschiedenen alternativen Tagungsorten bei der Einberufung der Aufsichtsratssitzung ausdrücklich zuweist; auch das OLG München hat den Satzungsvorbehalt ausdrücklich erwähnt.

Fahrfehler beim „Feuern“ von Vorständen und Geschäftsführern

Geht es um die Trennung von der Führungsebene, wird man in der Praxis gerne diskret und begeht damit einen in den Augen der Rechtsprechung tödlichen Fahrfehler. Statt Ross und Reiter in der Einberufung der Sitzung des Aufsichtsrates (bei der Trennung von Vorständen) bzw. der Gesellschafterversammlung (bei der Trennung von Geschäftsführern) zu benennen, wird der beabsichtigte Widerruf der Bestellung und die Kündigung des Anstellungsvertrages gerne unter Tagesordnungspunkten wie „Vorstandsangelegenheiten“ oder „Verschiedenes“ verborgen. Jedoch kann nur bei ordnungsgemäßer Einberufung wirksam über eine Abberufung bzw. Kündigung beschlossen werden (sofern auf die Beachtung der Formalien nicht wirksam verzichtet wurde). Das hier unverändert bis heute Fehler begangen werden, überrascht, hat der Bundesgerichtshof sich doch hier zunächst für GmbH-Geschäftsführer mit Urteil vom 30.11.1961 – II ZR 136/60 = NJW 1962, 393 f.) und dann für Vorstände (Urteil vom 29.05.2000 – II ZR 47/99 = MDR 2000, 1141) klar positioniert. Gerade die letztgenannte Entscheidung zeigt, dass Aufsichtsräte bzw. Gesellschafter und deren Berater hier allen Anlass zur Sorgfalt haben. Denn in jener Entscheidung war es just der abberufene Vorstand, der den Mangel erfolgreich rügte.

Nicht erforderlich ist hingegen, dass mit der Tagesordnung auch bereits der wichtige Grund genannt wird, der Abberufung bzw. Widerruf bzw. Kündigung tragen soll. Dies wurde jüngst nochmals durch das OLG Wien mit Urteil vom 30. Januar 2017 – 5 R 190/16x = GES 2017/4, 202 mit Anmerkung von Lukas Fantur, S. 205 ff.) ausdrücklich bestätigt. Aber auch der Bundesgerichtshof hatte dies in der vorgenannten Entscheidung bereits in einem Halbsatz klargestellt.

Erste Überlegungen zu Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Intersexualität auf das Aktien- und GmbH-Recht

Die Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 hat bei Verkündung in den Medien ein breites Echo gefunden. Unmittelbar betrifft die Entscheidung das Personenstandsrecht, welches der Gesetzgeber nun zu ändern hat. Es stellt sich freilich die Frage, ob es darüber hinaus auch Ausstrahlungen in das Aktien- und GmbH-Recht geben könnte.

Worum geht es? Medizinisch wurde erwiesen, dass es neben Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, auch Intersexuelle gibt, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“ Das BVerfG referiert in Rz. 10 eine Häufung von 1:500 in der Bevölkerung. Andere Stimmen nennen geringere Quoten zwischen 1:2000 und 1:5000.

Für diese Personen leitet das BVerfG aus dem Grundgesetz einen doppelten Schutz ab. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze (auch) deren geschlechtliche Identität. Weitergehend schütze aber Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (auch) Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.

Sowohl das Aktien- wie auch das GmbH-Recht kennen ihrerseits Personenverzeichnisse, die an den neuen Maßstäben des BVerfG zu messen sind. Anzuführen sind beispielsweise für die AG das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG) und das Aktienregister (§ 67 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie für die GmbH die Liste der Gesellschafter (§ 40 GmbHG). Alle diese Regelungen unterscheiden sich von § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG allerdings gerade dadurch, dass dort keine Angabe des Geschlechts verlangt wird. Insoweit stellt sich also lediglich die Frage, ob das Ausleben der geschlechtlichen Identität verfassungsrechtlich eine Erweiterung gebietet. Das ist jedoch auf Grundlage der Überlegungen des BVerfG unter Rz. 47 der Entscheidung klar zu verneinen. Dort legt das Gericht nämlich sichtlich Spur für eine diskriminierungsfreie Gestaltung des Personenstandsrechts durch Verzicht auf Geschlechtsangaben.

Damit rücken jene Bestimmungen des Gesellschaftsrechts in den Fokus, die ausdrücklich „nur“ das männliche und das weibliche Geschlecht ansprechen, wie etwa § 96 Abs. 2 AktG, der für die Besetzung von Aufsichtsräten „nur“ Mindestanteile von Frauen und Männern vorschreibt, nicht aber Mindestanteile an Intersexuellen. Ähnliche Regelungen enthalten §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG oder § 52 Abs. 2 GmbHG. Hier stellt sich vermeintlich offensichtlich die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses von Intersexuellen vom Quotenschutz mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Tatsächlich bedarf es jedoch keiner Änderung dieser Bestimmungen. Dafür streitet m.E. nämlich, dass sie auf einer spezielle(re)n Regelung des GG beruhen, nämlich Art. 3 Abs. 2 GG. Diese Vorschrift des GG stellt anders als Art. 3 Abs. 3 GG schon nach dem Wortlaut gerade nicht auf das Geschlecht ab, sondern auf Mann und Frau. Diesen Unterschied arbeitete auch das BVerfG in einer systematischen Verfassungsauslegung klar heraus (Rz. 60). Wörtlich führt es aus: „Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.

Die genannten Bestimmungen des Aktien- bzw. GmbH-Rechts sind daher ungeachtet der Nichtnennung Intersexueller dem Auftrag des GG aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“) entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierungen. Die Entscheidung, das weitergehende Gleichberechtigungsgebot auf Mann und Frau zu beschränken, hat die Verfassung selbst getroffen. Das ist auf der Ebene nachgeordneten (Aktien- und GmbH-) Rechts nicht zu revidieren.