Baustellen im SPACs-Regime nach dem Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

Im Blog-Beitrag v. 24.8.2023 hat Niklas Joser die Grundzüge der Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) nach §§ 44 ff. BörsG-E erläutert und zugleich dargestellt, an welchen Stellen der Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes die Regelungsvorschläge aus dem Referentenentwurf nachgebessert hat. Auch wenn der Vorstoß der Bundesregierung, die deutsche AG durch punktuelle Modifikationen des Aktienrechts SPACs-fähig zu machen, generell zu begrüßen ist und die Nachbesserungen im Regierungsentwurf ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben doch einige Baustellen offen, die im Gesetzgebungsverfahren geschlossen werden sollten.

Baustelle 1: Konkretisierung des Vollständigkeitsbegriffs in § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E

Der Gegenstand einer BMAG erstreckt sich gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E auf die Vorbereitung und den Abschluss einer Zieltransaktion. Nach § 44 Abs. 2 BörsG-E umfasst die Zieltransaktion sämtliche Erwerbsvorgänge einschließlich Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz, bei denen die BMAG mindestens drei Viertel der Anteile der Zielgesellschaft erwirbt (share deal) oder das Vermögen der Zielgesellschaft vollständig auf die Gesellschaft übergeht (asset deal). Für den letztgenannten Fall sollte der Gesetzgeber im Regelungswortlaut oder zumindest in den Materialien klarstellen, wann ein vollständiger Übergang des Vermögens der Zielgesellschaft auf die BMAG zu bejahen ist: Ist die Vollständigkeit wörtlich zu verstehen oder ist der Begriff in Anlehnung an die – durchaus umstrittenen – Grundsätze auszulegen, die im Kontext des § 179a Abs. 1 AktG entwickelt wurden (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179a AktG Rz. 8)?

Baustelle 2: Konkretisierung des Durchführungsbegriffs in § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E

Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E ist der Bestand der BMAG von der Durchführung der Zieltransaktion innerhalb der in der Satzung festgelegten Frist abhängig. Der Durchführungsbegriff ist konkretisierungsbedürftig, weil sich aus dem Gesetz nicht ergibt, wann die Zieltransaktion durchgeführt wurde. Vielmehr kann an mehrere Ereignisse angeknüpft werden, etwa den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts (signing), den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion oder den „dinglichen“ Vollzug der Zieltransaktion (closing). Der Gesetzgeber sollte eindeutig im Gesetz regeln oder zumindest in den Materialien Auslegungshinweise darauf geben, was unter der Durchführung i.S.d. § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E zu verstehen ist.

Zudem sollte § 44 Abs. 3 Satz 1 BörsG-E nicht den irreführenden Eindruck erwecken, dass die BMAG nach dem Verstreichen der Durchführungsfrist als Rechtsträger erlischt. Anders als im Gesetzeswortlaut angedeutet, hängt der Bestand der Gesellschaft nicht von der Durchführung der Zieltransaktion ab. Vielmehr ist der erfolglose Fristablauf gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E lediglich ein Auflösungsgrund (hierzu mit gelungenem Formulierungsvorschlag Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 15).

Baustelle 3: terminologische Ungereimtheiten

Wie bereits an einer anderen Stelle moniert, bedient sich das Gesetz einer uneinheitlichen Terminologie (s. Harnos, AG 2023, 348 Rz. 35 Fn. 165): In § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG-E ist vom „Gegenstand der Gesellschaft“, in § 44 Abs. 4 Nr. 1 BörsG-E vom „Geschäftsgegenstand“ die Rede. Vorzugswürdig erscheint es, in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG auch in § 44 BörsG-E einheitlich vom Unternehmensgegenstand zu sprechen.

Baustelle 4: Börsenzulassung der Wertpapiere

Nach § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E gelten die Sonderregelungen in §§ 44 ff. BörsG-E, wenn die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel am regulierten Markt zugelassen sind. Zumindest in den Gesetzesmaterialien sollte klargestellt werden, dass die Wertpapiere der Initiatoren (§ 44 Abs. 6 BörsG-E) – wie in der internationalen Transaktionspraxis üblich – nicht zum Börsenhandel zugelassen werden müssen (vgl. hierzu auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Baustelle 5: Zeitpunkt für den Rechtsformzusatz

Nicht ganz klar geregelt ist der Zeitpunkt, ab dem die Gesellschaft den Rechtsformzusatz „Börsenmantelaktiengesellschaft“ führen muss (zu dieser Vorgabe s. § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E). Da die Wertpapiere der Gesellschaft bei ihrer Gründung nicht automatisch zum Börsenhandel zugelassen sind, ist § 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E nicht erfüllt, so dass § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E im Zeitpunkt der Gründung nicht einschlägig ist. Dies spricht dafür, dass die Gesellschaft zunächst als eine „reguläre“ AG firmieren muss; den besonderen Rechtsformzusatz kann und muss sie erst nach dem Börsengang annehmen. Folgt man dem, muss nach dem Börsengang eine Hauptversammlung einberufen werden, um den Rechtsformzusatz in der Satzung zu ändern. Um diesen umständlichen Weg zu vermeiden, sollte § 44 Abs. 5 Satz 2 BörsG-E der Gesellschaft gestatten, schon in der Gründungsphase und bis zum Börsengang den Rechtsformzusatz „BMAG i. Gr.“ zu führen (dafür DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740). Alternativ könnte der Aufsichtsrat in § 44 Abs. 5 Satz 3 BörsG-E – in Anlehnung an § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG (s. dazu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 179 AktG Rz. 23 ff.) – zu einer Fassungsberichtigung nach dem Börsengang gesetzlich ermächtigt werden.

Baustelle 6: generelle Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen

Es ist zu begrüßen, dass § 47a BörsG-E die Emission selbständiger Optionsscheine (naked warrants) durch die BMAG gestattet. Dabei vermeidet der Regierungsentwurfs eine Formulierung, die noch im Referentenentwurf enthalten war („… abweichend von § 221 des Aktiengesetzes …“) und die nahelegen würde, dass selbständige Aktienoptionen im allgemeinen Aktienrecht unzulässig seien (zur unglücklichen Formulierung des Referentenentwurfs s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 3. und Joser, ZIP 2023, 1006, 1008 f.). Vorzugswürdig wäre es, wenn der Gesetzgeber einen Schritt weiter gehen und die Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen – im Einklang mit der ganz herrschenden Auffassung (s. nur Fest in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 238 ff.; Koch, 17. Aufl. 2023, § 221 AktG Rz. 75) – in §§ 187, 192, 221 AktG bestätigen würde; § 47a Abs. 1 BörsG-E wäre dann zu streichen (dafür und die Anhebung der Höchstgrenze in § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG erwägend DAV-HRA, NZG 2023, 738, 742). Die Ausnahme für Vorstands- und Mitarbeiteroptionen, die in § 47a Abs. 2 BörsG-E vorgesehen ist (keine Frist nach § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG), sollte hingegen im Gesetz verbleiben.

Baustelle 7: Verzinsung beim Andienungsrecht

Erklärt ein Aktionär der BMAG gegen den Hauptversammlungsbeschluss über die Zieltransaktion (s. § 46 BörsG-E) Widerspruch zur Niederschrift, kann er gem. § 47 Abs. 1 BörsG-E ein Andienungsrecht geltend machen. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass der Anspruch des Aktionärs auf Rückzahlung der Bareinlage nebst Aufgeld zu verzinsen ist. Die Verzinsung des Rückzahlungsanspruchs steht systematisch im Einklang mit § 45 Abs. 2 Satz 2 BörsG-E, wonach das Treuhandkonto für Einlagen der BMAG-Aktionäre angemessen zu verzinsen ist.

Baustelle 8: Ungereimtheiten bei Vermeidung unbedeutender Zieltransaktionen

Wird die Zieltransaktion nicht während der statutarischen Frist durchgeführt, so wird die BMAG gem. § 47b Abs. 1 Satz 1 BörsG-E grundsätzlich aufgelöst (s. dazu bereits Baustelle 2). Dies gilt nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E nicht, wenn die Zieltransaktion einschließlich der Bedienung des Andienungsrechts erfolgreich durchgeführt wurde, soweit der Wert der im Zuge der Zieltransaktion durch die BMAG erworbenen Vermögenswerte nicht um mehr als 20 Prozent hinter dem Wert der Einlagen einschließlich Aufgeld zurückbleibt. Mit der Einführung der 20-Prozent-Grenze will der Gesetzgeber vermeiden, dass die BMAG-Initiatoren eine unbedeutende Zieltransaktion durchführen, um einen Ansehensverlust zu vermeiden und ihre Vergütung – die über BMAG-Aktien und selbständige Optionen auf BMAG-Aktien erfolgt – zu realisieren (zum teleologischen Hintergrund des § 47b Abs. 1 Satz 2 BörsG-E s. Joser, Blog-Beitrag v. 24.8.2023 unter 4.; für die Einführung einer solchen Regelung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 740).

Dieses Ziel ist im Ausgangspunkt zu begrüßen. Allerdings erscheint das eingesetzte Instrument problematisch: Wird die 20-Prozent-Grenze überschritten, folgt aus dem Wortlaut des § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E, dass die BMAG aufgelöst wird. Gilt dies auch in Fällen, in denen die Zieltransaktion inklusive ggf. nötiger Registereintragungen durchgeführt wurde, weil die in § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E geregelte Grenzüberschreitung niemandem aufgefallen ist? Wenn man bedenkt, dass die Anwendung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BörsG-E die Bewertung einer nicht börsennotierten Zielgesellschaft erfordert und die Unternehmensbewertung mit Unsicherheiten behaftet ist, erscheint ein solches Szenario – also eine „versehentliche“ Registereintragung einer unbedeutenden Transaktion – nicht völlig ausgeschlossen. Wird in einem solchen Fall die Auflösung nach § 47b Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E wegen der Bestandskraft der Zieltransaktion nach der Registereintragung verdrängt, um die Transaktionssicherheit zu erhöhen? Dieses Problem sollte der Gesetzgeber umschiffen, indem er die Regelung über die Vermeidung unbedeutender Transaktionen von den Auflösungsvorschriften trennt und sie als eine Vorstandsvorgabe formuliert. Als Regelungsstandort bietet sich etwa ein (neuer) § 44 Abs. 3 Satz 2 BörsG-E an.

Baustelle 9: share deal im Zieltransaktionsbericht

Die Zieltransaktion bedarf der Zustimmung der Hauptversammlung der BMAG. Für Umwandlungsmaßnahmen folgt dies aus dem Umwandlungsgesetz, für sonstige Zieltransaktionen aus § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 BörsG-E. Im letztgenannten Fall muss der Vorstand der BMAG gem. § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E einen Zieltransaktionsbericht erstellen und dabei u.a. „die Angemessenheit der der Zielgesellschaft versprochenen Gegenleistung im Verhältnis zum Wert der Zielgesellschaft“ erläutern und begründen. Diese Formulierung ist allein auf den asset deal zugeschnitten. Bei einem share deal erhält nicht die Zielgesellschaft eine Gegenleistung, sondern deren Gesellschafter. Diesen Fall sollte der Gesetzgeber in § 46 Abs. 1 Satz 4 BörsG-E ebenfalls erfassen.

Baustelle 10: Unklarheiten in § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E

Unklar ist der Regelungsgehalt des § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E, wonach sich die Bekanntmachungspflicht nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG auch auf den Zieltransaktionsbericht erstreckt (krit. auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741). Es leuchtet nicht ein, wieso der Zieltransaktionsbericht Gegenstand des Beschlussvorschlags der Verwaltungsorgane sein soll. Wenn sich der Beschlussvorschlag der Verwaltungsorgane auf die Zieltransaktion selbst beziehen soll (was selbstverständlich erscheint und deshalb nicht speziell für die BMAG geregelt werden muss), ist § 46 Abs. 1 Satz 8 BörsG-E entsprechend anzupassen.

Baustelle 11: Anfechtungsrelevanz fehlerhafter Zieltransaktionsberichte

Ein Fehler des Zieltransaktionsberichts kann unter Umständen ein Anfechtungsgrund i.S.d. § 243 Abs. 1, Abs. 4 AktG sein. In einem solchen Fall sind nach § 245 Nr. 1 AktG diejenigen BMAG-Aktionäre anfechtungsbefugt, die gegen den Zustimmungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben. Zugleich können diese Aktionäre nach § 47 Abs. 1 AktG das Andienungsrecht geltend machen. Dieses Nebeneinander ist bedenklich. Es leuchtet nicht unmittelbar ein, wieso die Aktionäre wegen etwaiger Berichtsfehler gegen die gesamte Zieltransaktion vorgehen können, wenn sie sich durch die Ausübung des Andienungsrechts schützen können. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sollte deshalb ein genereller Anfechtungsausschluss erwogen werden (vorsichtig in diese Richtung DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 12: Freigabeverfahren für begleitende Beschlüsse

Hinzu kommt, dass die Aktionäre unter Berufung auf einen Berichtsfehler die Zieltransaktion ausbremsen könnten: Wird aus der BMAG eine „reguläre“ AG mit operativem Geschäftsbetrieb, muss deren Satzung zum einen wegen des Unternehmensgegenstandes, zum anderen wegen des Rechtsformzusatzes geändert werden. Weil der Satzungsänderungsbeschluss kein Gegenstand des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG sein kann, könnte er ein Ziel etwaiger Beschlussmängelklagen sein, die sich auf (womöglich nur behauptete) Fehler des Zieltransaktionsberichts stützen. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber erwägen, das Freigabeverfahren auf registerpflichtige (Satzungsänderungs-)Beschlüsse im Umfeld der Zieltransaktion zu erstrecken (dafür auch DAV-HRA, NZG 2023, 738, 741).

Baustelle 13: kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts

Während die Baustellen 11 und 12 die gesellschaftsrechtlichen Folgen des Zieltransaktionsberichts betreffen, hat die Baustelle 13 die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts zum Gegenstand: Wenn Anleger im Rahmen eines Börsengangs Wertpapiere eines operativ tätigen Unternehmens erwerben, können sie sich anhand des (Börsenzulassungs-)Prospekts u.a. über das Geschäftsmodell, die Finanzzahlen und weitere investitionsrelevante Umstände informieren. Der Prospekt einer BMAG ist weniger aussagekräftig. Er erstreckt sich wegen des Mantelcharakters der BMAG in erster Linie auf die Umschreibung potenzieller Zielgesellschaften (etwa nach Branchenzugehörigkeit oder Region) und der Erwerbsstrategie (dazu etwa Hell, BKR 2021, 26, 29). Detaillierte Informationen über die unternehmerische Ausrichtung der BMAG enthält der Prospekt nicht, weil die BMAG keinen eigenen operativen Geschäftsbetrieb hat. Die Anleger erhalten Informationen zum (künftigen) operativen Geschäftsbetrieb erst mit dem Zieltransaktionsbericht. Insoweit kann der Bericht als eine Verlängerung des Prospekts und damit als eine Kapitalmarktinformation angesehen werden.

Folgt man der Einordnung des Zieltransaktionsberichts als eine besondere Art der Kapitalmarktinformation, könnten diejenigen Aktionäre, die das Andienungsrecht aus § 47 Abs. 1 BörsG-E nicht ausgeübt haben, wegen etwaiger Berichtsfehler analog §§ 9 ff. WpPG Ansprüche geltend machen, die auf Rückabwicklung der Investition in die BMAG gerichtet sind. Für die Praxis hilfreich wäre ein Hinweis des Gesetzgebers darauf, ob ein fehlerhafter Zieltransaktionsbericht solche kapitalmarktrechtlichen Folgen nach sich ziehen kann. Bleibt ein gesetzgeberischer Hinweis aus, dürften Praxis und Wissenschaft die kapitalmarktrechtliche Dimension des Zieltransaktionsberichts dogmatisch vermessen.

Baustelle 14: Vorstandshaftung

Praxis und Wissenschaft werden zudem die Aufgabe meistern müssen, die Grundsätze der Vorstandshaftung wegen einer ungünstigen Zieltransaktion und eines fehlerhaften Zieltransaktionsberichts herauszuarbeiten (erste Ansätze bei Fuhrmann, AG 2022, R91, R92). So bleibt etwa zu klären, inwieweit der Zustimmungsbeschluss gem. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG eine Enthaftungswirkung erzeugt und ob sich die Vorstandsmitglieder trotz etwaiger Interessenkonflikte auf die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) berufen können.

Baustelle 15: Regelungsstandort

Schließlich sollte der Standort des deutschen SPACs-Regimes im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren überdacht werden. Aus systematischen Gründen spricht viel dafür, die BMAG-Großbaustelle vom Börsengesetz ins Aktiengesetz zu verlegen (dafür etwa Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 362/23, 10 f.; Herzog/Gebhard, NZG 2023, 1055, 1056; Kuthe, BB 2023, 1603, 1606 f.; s. auch bereits Harnos, AG 2023, 348 Rz. 40 f.).

Aufsichtsratsvergütung und Umsatzsteuer – jetzt doch nur scheinbar geklärt?

Mit Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19 und V R 62/17) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) unter anderem entschieden, dass Mitglieder des Aufsichtsrats hinsichtlich der Umsatzsteuererstattungen durch die Aktiengesellschaften nicht mehr als Unternehmer anzusehen seien. Die dadurch sich in der Praxis stellenden Fragen, insbesondere zu Übergangsregelungen, hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) Mitte letzten Jahres dann geklärt – siehe BMF-Schreiben vom 8.7.2021 – III C 2 – S 7104/19/10001:003. Tragender Grund für die Versagung der Umsatzsteuer durch BFH wie BMF war das fehlende Unternehmer- bzw. Vergütungsrisiko der Aufsichtsratsmitglieder.

Die Praxis hat sich damit – roma locuta, causa finita – mittlerweile eingerichtet. Doch die schöne neue Weltordnung des V. Senats ist nun mit einem neuen Urteil zur Geschäftsführerhaftung des VI. Senats des BFH (Urteil vom 8.3.2022 – VI R 19/20) überraschend ins Wanken gebracht. Denn für diesen sind Aufwendungen für eine Haftungsinanspruchnahme unzweifelhaft lohn- und einkommensteuerlich Werbungskosten.

Geht man mit dieser (an sich überzeugenden) Einwertung zurück zur Aufsichtsratstätigkeit bzw. Vergütung, zeichnet sich mit Blick auf die latente Organhaftung aus § 116 AktG ein neues Bild. Da die Umsatzsteuerbarkeit von Aufsichtsratsvergütung aber nicht davon abhängen kann, ob man in/für ein Geschäftsjahr in Regress genommen wird, könnte die neue Entscheidung des VI. Sentas unseres Erachtens dafür sprechen, die Überlegungen des V. Senats, dem das aktienrechtliche Haftungsregime damals (noch?) nicht ausreichte, neu zu hinterfragen. Kurzum, die Diskussion ist hiermit eröffnet.

Zu Aufsichtsratsvergütung und Umsatzsteuer vgl. Mutter, AG 2019, R263; Vobbe/Stelzer, AG 2022, 519. Zum Urteil des BFH v. 8.3.2022 – VI R 19/20 vgl. Binnewies/Hischer, AG 2022, 771.

Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig und Prof. Dr. Carsten Schäfer im Interview zu aktuellen Entwicklungen im Vorstandsrecht

Das Vorstandsrecht ist aktuell ordentlich in Bewegung. Berater müssen sich insbesondere mit den neuen Entwicklungen nach dem ARUG II auseinandersetzen. Eine besondere Herausforderung stellt überdies auch in diesem Rechtsbereich die Corona- bzw. Covid-19-Pandemie dar. Ich habe vor diesem Hintergrund mit den Autoren des Standardwerks „Rechte und Pflichten des Vorstands“, RA Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig [1] und Prof. Dr. Carsten Schäfer [2], über die wichtigsten Veränderungen gesprochen.

Peters: In Ihrem Standardwerk konzentrieren Sie sich auf die Rechte und Pflichten des Vorstands. Welche neuen und zusätzlichen sind insoweit nach Inkrafttreten des ARUG II am 1.1.2020 besonders zu erwähnen?

Schäfer: In der Tat haben viele neue Regelwerke auch die Vorstandspflichten zumindest indirekt verändert. Das gilt für das Kapitalmarktrecht nach der MAR ebenso wie für die Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie durch das ARUG II. Erwähnt seien nur die Regelungen zu „Related Party Transactions“ und zur Vergütungsentscheidung der Hauptversammlung („Say on Pay“), aber auch der neue Corporate Governance Kodex 2020.

Traditionsgemäß sind zudem die Themen Vergütung und Haftung, Organisation und Delegation sowie – last not least – Compliance in beständigem Fluss und müssen auf der Pflichtenseite nachgehalten werden.

Peters: Gibt es Fallstricke, auf die Vorstandsmitglieder und deren Berater besonders achten müssen?

Ihrig: Für die neuen Bestimmungen durch das ARUG II hat der Gesetzgeber leider nur in Teilbereichen Übergangsvorschriften vorgesehen. Für die neuen Regelungen zu Transaktionen mit nahestehenden Personen, deren Reichweite deutlich über Konzernsituationen hinausreichen, ist das zum Beispiel nicht der Fall. Diese Bestimmungen sind also unmittelbar in Kraft getreten und zu beachten. Soweit Gesellschaften das insoweit erforderliche Monitoring-System zur Erfassung relevanter Vorgänge noch nicht etabliert haben, ist also höchste Eile geboten. Aber auch dort, wo Übergangsvorschriften gelten, wie etwa im Bereich der Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat und für geänderte Publikationspflichten, wird die Zeit zur Vorbereitung langsam knapp.

Anzeige

Entlastet den Vorstand: 

Die zweite Auflage des umfassenden Handbuchs befasst sich in systematischer Darstellung mit allen Rechten und Pflichten des Vorstands. Dabei stehen das aktuelle Aktienrecht und die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex besonders im Vordergrund. Hier informieren und bestellen!

 

 

Peters: Am 20.3.2020 ist zudem der neue DCGK (2020) im BAnz. veröffentlicht worden. Auch ihn behandeln Sie ausführlich und mithin sehr aktuell in Ihrem Buch. Welche Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen sind besonders beachtenswert und bringen Änderungen gegenüber der vorherigen Fassung des Kodex?

Ihrig: Zu konstatieren ist zunächst, dass der Kodex im systematischen Aufbau völlig neu gestaltet worden ist; das erschwert den Abgleich des Status Quo mit den Kodexvorgaben bei Vorbereitung der nächsten Entsprechenserklärung. Neu ist auch die Einführung sogenannter „Grundsätze“, die an die Stelle der gesetzeswiederholenden Passagen des Kodex treten. Besondere Beachtung verdienen aus Sicht des Vorstands zum Einen die Empfehlung in B.3, dass Erstbestellungen für längstens drei Jahre erfolgen sollen, zum Anderen die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung, namentlich die in G.10, dass langfristig variable Vergütungen überwiegend in Aktien oder aktienbasiert gewährt werden sollen und die Vorstandsverträge Claw-Back-Optionen vorsehen sollen. Wichtig sind natürlich auch die neuen Bestimmungen zum Aufsichtsrat, insbesondere diejenigen, die die Unabhängigkeit seiner Mitglieder konkretisieren.

Peters: Gibt es weitere erwähnenswerte Verschärfungen in der Pflichtensituation für den Vorstand, z.B. aufgrund einschlägiger Rechtsprechung?

Schäfer: Das Haftungsthema ist in der Tat im steten Fluss durch zahlreiche, auch instanzgerichtliche Judikate. Eine klare Tendenz ist nicht leicht erkennbar. Einerseits neigen die Gerichte nicht selten dazu, neue Pflichten zu „erfinden“, vor allem sog. Organisationspflichten, zum anderen gibt es aber auch gewisse mäßigende Tendenzen. Ich erwähne nur das Urteil des BGH zu Schloss Eller – dort hat es der II. Senat jetzt immerhin prinzipiell zugelassen, dass sich der Vorstand bei Übergehen eines Zustimmungsvorbehalts auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, also die hypothetische Zustimmung des Aufsichtsrats beruft. Die Konsequenzen bedürfen freilich noch näherer Untersuchung.

Interessant ist auch, dass die gesamte Compliance-Debatte sich in rechtlicher Hinsicht bislang an einem vereinzelten Landgerichts-Urteil, dessen Aussagen m.E. aber teilweise nicht überzeugen können, teilweise wohl auch missverstanden werden. Hier gilt es unbedingt eher mäßigende Akzente zu setzen –

Peters: Zum Schluss würde mich natürlich noch ein aktueller Blick auf die derzeitige Covid-19-Situation aus Ihrer Sicht interessieren: Welche Fragen sind aktuell die dringendsten aus der Vorstandsetage und was raten Sie den Vorständen?

Schäfer: Die virtuelle Hauptversammlung nach dem Corona-Gesetz ist zur Zeit sicherlich ein großes Thema, zumal die Regeln zwar weitgehende Eingriffe in die Aktionärsrechte zulassen, aber nicht zwingend vorgeben. Hier gilt es also, ein für die konkrete Gesellschaft passendes – und technisch durchführbares – Format zu finden. Diese Entscheidung wird durch zahlreiche Zweifelsfragen, welche die Neuregelung aufgeworfen hat, nicht unbedingt erleichtert. Allerdings ist es hoch anzurechnen, dass die Bundesregierung in einem derartigen Tempo ein Instrument geschaffen hat, das den Aktiengesellschaften ihre unabdingbare Beschlussfähigkeit erhält.

Sehr aktuell sind naturgemäß auch Vorstandspflichten in der Krise, die auch Thema unseres Buches sind. Zwar sind die insolvenzrechtlichen Antragspflichten durch die COVID-Gesetzgebung teilweise vorübergehend suspendiert, doch bleibt es bei strengen Überwachungspflichten in Krisensituation und in Teilbereichen stellen sich komplexe Abgrenzungsfragen, wie etwa bei den Bestimmungen zur sog. „Notgeschäftsführung“ zu den unverändert gebliebenen Tatbestand des Eingehungsbetrugs.. Sanierungsfälle werden wir infolge der Corona-Krise jetzt deutlich häufiger beobachten; es gibt aber auch zahlreiche staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die eventuell in Anspruch genommen werden können. So können sich etwa Vorstände vor die Wahl gestellt sehen, ob sie staatliche Rettungsbeteiligungen in Anspruch nehmen oder lieber ein insolvenzrechtliches Schutzschirmverfahren zur grundsätzlichen Bereinigung der Bilanz auf der Passivseite einleiten wollen. All‘ dies bedarf einer sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Instruments.

Peters: Wird es zu diesen aktuellen Covid-19-Themen ein Update in Ihrem Buch, das auch Bestandteil in der Otto Schmidt-Datenbank und bei juris ist, geben? Denn momentan befinden sich auch viele Berater und Vorstände im Homeoffice und könnten aktuelle Online-Versionen besonders gut nutzen.

Ihrig und Schäfer: Wir hoffen und wünschen uns allen sehr, dass diese Pandemie und die mit ihr einhergehende Sondergesetzgebung ein rasch hinter uns liegendes Thema sein wird. Sofern sich hieraus aber, etwa bei einer grundlegenden Reformierung des Rechts der Hauptversammlung, Änderungen von Dauer einstellen werden, wird dies gewiss ein Thema sein, dem wir uns in der nächsten Auflage unseres Buches zu den Rechten und Pflichten des Vorstands gerne annehmen werden.

Herzlichen Dank für diese wertvollen Hinweise!

 

[1] Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor in Mannheim.

[2] Prof. Dr. Carsten Schäfer ist Universitätsprofessor, Lehr­stuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Universität Mannheim

Das Interview hat Dr. Birgitta Peters, Geschäftsbereichsleiterin Recht im Verlag Dr. Otto Schmidt, geführt.