Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit einer Kostenentscheidung nach einem selbständigen Beweisverfahren.

Klageerhebung nach erstinstanzlicher Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren
BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2025 – V ZB 67/24

Der V. Zivilsenat beantwortet eine in Literatur und Instanzrechtsprechung umstrittene Frage.

Die Antragsteller haben gegen die Antragsgegner ein selbständiges Beweisverfahren geführt. Nach dessen Abschluss setzte das Landgericht ihnen eine Frist von vier Wochen zur Klageerhebung. Die Antragsteller reichten am letzten Tag der Frist eine Klageschrift ein, zahlten den angeforderten Kostenvorschuss zunächst aber nicht.

Auf Antrag der Antragsgegner hat das LG den Antragstellern die im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten auferlegt. Die Antragsteller haben hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens wurde die Klage zugestellt. Das OLG hat die erstinstanzliche Kostenentscheidung daraufhin aufgehoben, den Kostenantrag zurückgewiesen und den Antragstellern die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

Der BGH weist die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegner zurück.

Das LG hat den Antragstellern allerdings zu Recht gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO die Kosten des Beweisverfahrens auferlegt, weil die nach § 494a Abs. 1 ZPO gesetzte Frist für die Erhebung der Klage abgelaufen und die Klage im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht erhoben war.

Auch in diesem Zusammenhang ist § 253 Abs. 1 ZPO maßgeblich, wonach eine Klage erst mit Zustellung der Klageschrift erhoben ist. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung gemäß § 167 ZPO kommt im Streitfall nicht in Betracht, weil die Zustellung aufgrund der um mehrere Wochen verzögerten Zahlung des Kostenvorschusses nicht demnächst erfolgt ist.

Dennoch hat das OLG die erstinstanzliche Kostenentscheidung zu Recht aufgehoben, weil die Klageschrift im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugestellt war.

Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Kostenentscheidung nach § 494 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht ergehen darf, wenn die Klage zwar nach Ablauf der Frist, aber vor der Entscheidung über den Kostenantrag erhoben worden ist (BGH, Beschluss vom 28 Juni 2007 – VII ZB 118/06, MDR 2007, 1089).

Der BGH ergänzt dies nunmehr dahin, dass eine bereits ergangene Kostenentscheidung auf eine zulässige sofortige Beschwerde hin aufzuheben ist, wenn die Klage vor der Entscheidung über die Beschwerde zugestellt wird. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass der Entscheidung über eine sofortige Beschwerde die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen ist. § 494a ZPO enthält keine hiervon abweichende Regelung.

Dem Antragsgegner entsteht dadurch kein Kostennachteil. Der Antragsteller hat in der genannten Situation grundsätzlich gemäß § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Praxistipp: Eine Rückwirkung nach § 167 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn die Zustellung der Klage durch schuldhaftes Verhalten des Klägers um mehr als zwei Wochen verzögert wird.

OLG Frankfurt a. M.: Gebührenfreiheit von Streitwertbeschwerden

Das OLG Frankfurt a. M. hat sich in einem Verfahren (Beschl. v. 2.6.2025 – 3W 12/25) mit der Gerichtsgebührenfreiheit einer zwar statthafter, aber im Einzelfall unzulässigen Streitwertbeschwerde befasst. Dem ging eine Entscheidung des LG Frankfurt voraus, mit der ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und gleichzeitig der Streitwert festgesetzt wurde. Der Antragsteller legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und begehrte eine Reduzierung des Streitwertes.

Gemäß § 68 Abs. 1 GKG ist ein Streitwertbeschluss beschwerdefähig. Allerdings muss die Beschwer 200 Euro übersteigen. Die Beschwer wird durch den Unterschied der Gebührenlast zwischen den beiden Alternativen (Vorstellung des Antragstellers und Festsetzung durch das Gericht) ermittelt. Im konkreten Fall ergab sich eine Differenz von unter 200 Euro. Demgemäß wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Frage war nun, ob für diesen Beschluss des OLG Gebühren anfallen. Dies richtet sich nach § 68 Abs. 8 S. 1 GKG. Danach ist das Verfahren grundsätzlich gebührenfrei. Gleichzeitig besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Gebührenfreiheit nur dann eingreift, wenn die Beschwerde statthaft ist. Insoweit ist zu beachten, dass „statthaft“ nicht „zulässig“ bedeutet. Auch eine unzulässige Beschwerde kann statthaft sein, wenn gegen die angefochtene Entscheidung grundsätzlich die Beschwerde zulässig ist. So liegen die Dinge hier: Gegen eine erstinstanzliche Wertfestsetzung ist stets eine Beschwerde möglich (§ 68 Abs. 1 GKG). Hier ist die Beschwerde damit statthaft, da grundsätzlich gegeben, jedoch nicht zulässig, weil es an der erforderlichen Beschwer von 200 Euro fehlt. Damit greift § 68 Abs. 8 S. 1 GKG: Das Beschwerdeverfahren ist kostenfrei. Entsprechend § 68 Abs. 9 S. 2 GKG werden darüber hinaus keine Kosten erstattet.

Fazit: Die Kostenfreiheit für das Beschwerdeverfahren gegen erstinstanzliche Wertfestsetzungen ist auch dann gegeben, wenn die Beschwerde grundsätzlich statthaft, jedoch im konkreten Fall unzulässig ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Relevanz von Hilfsanträgen bei der Berechnung der Beschwer in einem Rechtsmittelverfahren.

Wert der Beschwer bei nicht beschiedenen Hilfsanträgen
BGH, Beschluss vom 20. Februar 2025 – I ZR 119/24

Eine Entscheidung des I. Zivilsenats verdeutlicht, dass das Bestreben, das Kostenrisiko möglichst gering zu halten, mit Nebenwirkungen verbunden sein kann.

Die Klägerin hat die Beklagte im Jahr 2018 mit dem Transport und der anschließenden Lagerung einer Druckmaschine betraut. Bei der Auslieferung der Maschine im Jahr 2022 stellte sich heraus, dass die Maschine starke Rostschäden aufweist und nicht mehr funktionsfähig ist. Die Klägerin beziffert den daraus resultierenden Schaden auf rund 370.000 Euro. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf die in Nr. 24.1.2 ADSp vorgesehene Haftungsobergrenze von 35.000 Euro. Die Klägerin macht geltend, diese Obergrenze sei gemäß Nr. 27.1 ADSp nicht einschlägig, weil die Beklagte grob fahrlässig gehandelt habe.

Die Klägerin begehrt Zahlung von 35.001 Euro. Für den Fall, dass dieser Antrag in vollem Umfang Erfolg hat, verlangt sie ergänzend die Zahlung weiterer 335.000 Euro und die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz aller weiteren Schäden verpflichtet ist. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat der Klägerin einen Ersatzanspruch in Höhe von 35.000 Euro zuerkannt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Der BGH setzt den Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auf 1 Euro fest.

Für die Berechnung der geltend zu machenden Beschwer ist nur die Differenz zwischen dem Hauptantrag und dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag maßgeblich. Diese beträgt 1 Euro.

Die Hilfsanträge der Klägerin wären nur dann maßgeblich, wenn das OLG über sie entschieden hätte. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben.

Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt der aufgezeigte Grundsatz nicht nur für Hilfsanträge, die für den Fall gestellt worden sind, dass der Hauptantrag erfolglos bleibt, sondern auch für solche, die unter der Bedingung stehen, dass der Hauptantrag Erfolg hat.

Praxistipp: Um die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde offenzuhalten, muss der Hauptantrag in solchen Fällen auf Zahlung von mehr als 20.000 Euro gerichtet sein. Im vorliegenden Fall hätte der Kläger mithin mindestens 55.001 Euro einklagen müssen, um eine höchstrichterliche Entscheidung über die Anwendbarkeit der Haftungsobergrenze herbeiführen zu können.

OLG Frankfurt a. M.: Unzulässige Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss

Das OLG Frankfurt/M. (Beschl. v. 2.4.2025 – 30 W 28/25) hat sich mit der Frage des Verhältnisses zwischen einem Rechtsmittel gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss und einer Nachfestsetzung befasst.

Nach der Kostengrundentscheidung des LG hatten die Kläger ¼ und die Beklagte ¾ der Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Die Beklagte meldete Ihre Kosten an. Die Kläger reagierten trotz Aufforderung durch den Rechtspfleger (§ 106 Abs. 2 ZPO) nicht. Daraufhin erging ein Kostenfestsetzungsbeschluss zu Gunsten der Beklagten. Die Kläger legten gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein und rügten, dass ihre Kosten nicht berücksichtigt worden seien.

Das OLG verwarf die sofortige Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig. Der Antragsgrundsatz (§ 308 Abs. 1 ZPO) gilt auch im Kostenfestsetzungsverfahren. Da die Kläger sich nicht geäußert hatten, erschöpfte der erlassene Beschluss den seinerzeitigen Antrag. In derartigen Fällen verursacht eine sofortige Beschwerde die besonderen Kosten eines Rechtsmittels (Anwaltsgebühren nach Nr. 3500 VV RVG), wohingegen die Nachliquidation kostenfrei ist. Zwar wären die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 97 Abs. 2 ZPO ohnehin den Klägern aufzuerlegen gewesen; jedoch ergibt sich daraus wiederum, dass der Weg der Nachfestsetzung für die Kläger der günstigere Weg ist, ihr Ziel zu erreichen. Damit vermeiden die Kläger die Kosten für das Rechtsmittelverfahren. Demzufolge ist die sofortige Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, zumal die Kläger jederzeit aufrechnen könnten.

Fazit: Um derartige Probleme zu vermeiden, empfiehlt es sich regelmäßig, auf eine Aufforderung des Rechtspflegers, die eigenen Kosten zur Festsetzung anzumelden, rechtzeitig zu reagieren. Dann können im Kostenfestsetzungsbeschluss sogleich alle Kosten berücksichtigt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erstattung außergerichtlicher Kosten in Verfahren nach dem FamFG.

Reichweite einer Kostengrundentscheidung
BGH, Beschluss vom 23. April 2025 – IV ZB 18/24

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit dem Unterschied zwischen § 81 und § 84 FamFG.

Der Beteiligte zu 1 beantragte die Einziehung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 2 als Alleinerben ausweist. Das AG hat den Antrag abgewiesen und dem Beteiligten zu 1 unter Bezugnahme auf § 81 FamFG die Kosten des Einziehungsverfahrens auferlegt. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen und unter Bezugnahme auf § 84 FamFG ausgesprochen, dass der Beteiligte zu 1 die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat.

Der Beteiligte zu 2 hat daraufhin die Festsetzung zu erstattender Kosten in Höhe von rund 14.000 Euro beantragt. Das AG hat die Kosten antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 hat hinsichtlich der zweitinstanzlichen Kosten ebenfalls keinen Erfolg. Den Antrag auf Festsetzung der erstinstanzlichen Kosten weist der BGH hingegen zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG ist einer erstinstanzlichen Entscheidung in einem Nachlassverfahren, in der ein Antrag kostenpflichtig zurückgewiesen wird oder dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, regelmäßig nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller außergerichtliche Kosten der anderen Beteiligten zu tragen hat. Dies hat der BGH bereits vor kurzem so entschieden (Beschluss vom 29. Januar 2025 – IV ZB 2/24, MDR 2025, 482 Rn. 12 ff.). Aus den Entscheidungsgründen kann sich zwar im Einzelfall etwas anderes ergeben. Ein bloßer Verweis auf § 81 FamFG reicht hierfür aber nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren kann eine solche Entscheidung nicht nachgeholt werden,

Eine Beschwerdeentscheidung, in der dem Beschwerdeführer unter Verweis auf § 84 FamFG die zweitinstanzlichen Kosten auferlegt werden, verpflichtet hingegen in der Regel auch zur Erstattung notwendiger Aufwendungen weiterer Beteiligter im Sinne von § 80 Satz 1 FamFG. Auch dies hat der BGH vor kurzem bereits entschieden (Beschluss vom 27. November 2024 – IV ZB 12/24,        MDR 2025, 346 Rn. 12).

Hintergrund dieser Unterscheidung ist, dass die Kostenentscheidung in erster Instanz gemäß § 81 FamFG dem Ermessen des Gerichts obliegt, während § 84 FamFG die Auferlegung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz als Regelfall vorsieht.

Praxistipp: Soweit dem erstinstanzlichen Gericht ein Ermessen zusteht, hat das Beschwerdegericht gegebenenfalls eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (so zu § 18 VersAusglG: BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – XII ZB 372/16, MDR 2017, 296 Rn. 10). Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen ein Antrag des Beschwerdegegners, dem Beschwerdeführer auch die außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz aufzuerlegen.

Bericht über die 10. Prozessrechtstagung 2024

Am 30. und 31. August 2024 fand an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn die 10. Prozessrechtstagung statt. Diese Jubiläumstagung wurde von Malcolm Brunzema, Kevin Franzke, Ansgar Kalle und Johannes Richter organisiert. Unter dem Leitthema Verfahrensrecht und Rechtsstaat nahm sie fachsäulenübergreifend zahlreiche Einflüsse des Rechtsstaatsprinzips auf das Verfahrensrecht den Blick.

Den Auftakt bildete das Thema Prozessführung. Bernd Scheiff erläuterte in seinem Festvortrag die Herausforderungen, die sich der Justiz im Umgang mit der Digitalisierung stellen, darunter insbesondere die Potentiale des Einsatzes von KI und Legal Tech. An diese Themen knüpfte Jürgen vom Stein in seinem nachfolgenden Vortrag auf. Er arbeitete heraus, dass der Prozessstoff in jüngerer Vergangenheit erheblich zugenommen habe, was Gerichten erschwere, diesen zu strukturieren. Vom Stein kritisierte, dass sich die Digitalisierung im öffentlichen Sektor häufig darauf beschränke, analoge Prozesse möglichst originalgetreu in den digitalen Raum zu übertragen. Hier bedürfe es größerer Innovation, etwa durch Einführung einer Online-Plattform, auf der die Parteien den Stoff strukturieren können. Die Prozessführung nahm auch Matthäus Uitz in den Blick, der analysierte, inwiefern überlange Dauern von Kindesunterhaltsverfahren Bestimmungen der EMRK verletzen.

Der anschließende Vortragsblock untersuchte prozessuale Grundprinzipien. Anna Groteclaes trug zu dem Spannungsverhältnis vor, das zwischen dem Gebot rechtlichen Gehörs und Präklusionsregelungen besteht. Florian Slogsnat untersuchte im Anschluss am Beispiel der Wiederaufnahmeentscheidung  des BVerfG das Verhältnis zwischen materieller Wahrheit und Rechtsfrieden. Es folgte ein Vortrag von Jennifer Grafe, welcher der Frage nachging, inwiefern der Amtsermittlungsgrundsatz durch prozessökonomische Überlegungen geprägt ist.

Im Anschluss nahm die Tagung das Thema Prozesskosten in den Blick. Leon Marcel Kahl untersuchte, ob es notwendig sei, zum Schutz des Beklagten eine allgemeine Prozesskostensicherheit einzuführen. Alexander Pionteck analysierte demgegenüber die potentielle Unionsrechtswidrigkeit des § 12a I 1 ArbGG, der die Erstattung von Rechtsanwaltskosten im erstinstanzlichen Verfahren ausschließt.

Es folgte ein Vortrag von Jannik Heine zum Umgang mit neuen Gütern in der Zwangsvollstreckung. Danach setzte sich Tobias Kulhanek mit der Frage auseinander, inwiefern Medien Anteil- und Einflussnahme auf den Strafprozess ausüben und welche rechtlichen Grenzen dem gesetzt sind. Philipp Rhein trug im Anschluss zur Positionierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im strafrechtlichen Einziehungsprozess vor. Seinen Abschluss fand der strafverfahrensrechtliche Vortragsblock mit einem Vortrag zu strafprozessualen Offenbarungsverboten. Christian Liefke erläuterte am Beispiel des § 95a VI StPO, welche Herausforderungen diese bergen.

Die Tagung schloss mit einem Vortrag von Stella Dörenbach, der aufzeigte, welche rechtsstaatlichen Vorteile ein verstärkter Gebrauch quantitativen Rechts mit sich bringen könnte.

An die Vorträge schlossen sich jeweils lebhafte und engagierte Diskussionen der Tagungsgäste an. Als Fazit zogen die Verfasser, dass sich auf der Tagung erneut gezeigt habe, dass das Prozessrecht zahlreiche Fragestellungen birgt, die einer näheren Aufarbeitung bedürfen.

Die Vorträge werden in der GVRZ veröffentlicht. Die 11. Prozessrechtstagung findet 2025 in Tübingen statt.

 

BGH: Streitwert bei Klagen auf Deckungsschutz

Schwierigkeiten bereitet mitunter der Streitwert für Klagen auf Deckungsschutz gegen eine Rechtsschutzversicherung, vor allem im Instanzenzug: Denn der Streitwert ist letztlich auch für die Frage maßgeblich, ob der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer über 20.000 Euro liegt. Dann wäre nämlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Sicher ist zunächst, dass es auf die Kosten ankommt, die von dem Versicherer voraussichtlich übernommen werden sollen. Allerdings gilt, da regelmäßig eine Feststellungsklage erhoben wird, zudem ein Feststellungsabschlag von 20 %.

Das entscheidende Problem waren in diesem Fall (BGH, Beschl. v. 4.9.2024 – IV ZR 24/23) allerdings die denkbaren Sachverständigenkosten. Ob diese den Wert erhöhen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Diesbezüglich hat der BGH entschieden, dass sie im Wege der Prognose zu berücksichtigen sind, wenn sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anfallen. Dies entscheidet das Revisionsgericht, und zwar ohne Bindung an einen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts.

Es handelte sich im konkreten Fall um eine „Dieselklage“. Es standen grundsätzlich Sachverständigenkosten von 30.000 Euro im Raum. Allerdings stellen sich die entscheidenden Fragen in zahlreichen Verfahren. Bisher hatte das LG dazu jedoch in keinem Fall ein Gutachten eingeholt. Vielleicht wäre es aber denkbar, dass unter Umständen ein Gutachten zu spezifischen Fragen des betroffenen Fahrzeugs eingeholt werden muss. Von daher kommt der BGH letztlich auf einen angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 10.000 Euro.

Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten liegt der Gesamtstreitwert und damit auch die Beschwer des Klägers unter 20.000 Euro, womit die Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH verworfen wurde.

Es wird daher bei Fahrzeugen, die nicht besonders hochwertig sind, die Frage des Deckungsschutzes ohne eine Zulassung durch das Berufungsgerichts kaum in die Revisionsinstanz gebracht werden können. Die „Dieselklageindustrie“ wird dies sicher bedauern.

VGH Mannheim: Gegenstandswert einer Aussetzungsbeschwerde

Ein Rechtsanwalt hatte nach § 33 RVG die Festsetzung des Gegenstandswertes für seine Tätigkeit im Beschwerdeverfahren im Rahmen einer Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss eines VG beantragt.

Maßgeblich ist nach § 23 Abs. 2 S. 1 RVG in Beschwerdeverfahren, in denen sich – wie hier –  die Gerichtsgebühren nicht nach dem Wert richten, der „Wert unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers“. In derartigen Fällen hat sich die Tendenz entwickelt, regelmäßig von einem Bruchteil des Streitwertes der Hauptsache auszugehen. In Anlehnung an andere Entscheidungen legt der VGH (Beschl. v. 24.4.2024 – 11 S 1203/23) hier einen Bruchteil von 1/5 des Wertes der Hauptsache fest.

Diese Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung und ist auch für den Zivilprozess relevant. Von der Faustregel „Gegenstandswert für die Aussetzungsbeschwerde ist regelmäßig 1/5 des Wertes der Hauptsache“ wird demgemäß hinfort in allen Verfahrensarten ausgegangen werden können.

Interessant ist noch, dass diese Entscheidung durch den Einzelrichter erfolgte (§ 33 Abs. 8 S. 1 RVG)

AG Frankfurt am Main: Zulässigkeit einer Wertfestsetzung

Einige interessante Grundsätze zur Wertfestsetzung hat das AG Frankfurt am Main (Beschl. v. 16.4.2024 – 453 F 2070/22 UE) in Erinnerung gerufen:

Im Rahmen eines Stufenklageverfahrens hatte eine Partei beantragt, den Streitwert festzusetzen. Der Prozess war noch nicht beendet, da noch keine Entscheidung oder Einigung über den Zahlungsantrag vorlag. Es wurde vom AG der Streitwert festgesetzt. Gegen diesen Beschluss legte die andere Partei Beschwerde ein.

Die Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 63 Abs. 1 GKG ist eine Beschwerde gegen eine vorläufige Wertfestsetzung zwar nicht zulässig. Da der Beschluss jedoch nicht als vorläufig ausgewiesen war, ist im Zweifel von einer normalen Wertfestsetzung auszugehen, die gemäß §§ 63 Abs. 2, 68 Abs. 1 GKG beschwerdefähig ist.

Die Beschwerde ist begründet. Eine Wertfestsetzung hätte noch gar nicht erfolgen dürfen. Gemäß § 63 Abs. 2 GKG erfolgt eine solche erst, wenn das Verfahren beendet ist. Dies ist hier nicht der Fall, da die Entscheidung über den Zahlungsantrag noch offen ist. Demgemäß ist der Beschwerde abzuhelfen (§ 63 Abs. 3 S. 1 GKG) und der Beschluss aufzuheben.

Benötigt einer der Rechtsanwälte eine Wertfestsetzung, um z. B. eine Vorschusskostenrechnung zu schreiben, hat er nicht die Möglichkeit, gemäß § 33 RVG einen Antrag auf Wertfestsetzung zu stellen. Ein solcher Antrag ist erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist, mithin  die Angelegenheit beendet ist (§ 8 RVG). Ein Recht auf Vorschusszahlung gegen den Auftraggeber (§ 9 RVG) ist hierfür gerade nicht ausreichend (BFH v. 30.10.2023 – IV S 26/23, BFH/NV 2024, 37). Der Rechtsanwalt darf der Vorschussrechnung vielmehr den von ihm für angemessen gehaltenen Gegenstandswert zu Grunde legen.

OLG Brandenburg: Streitwert einer Facebook-Sperre

Bei Streitigkeiten im Rahmen der neuen Medien stellt sich oft die Frage, wie der Wert der Streitigkeit zutreffend festzusetzen ist.

Das LG Frankfurt (Oder) hatte den Streitwert für einen Prozess, worin es um die vollständige Sperrung eines privaten Facebook-Kontos ging, auf 5.000 Euro festgesetzt. Dabei hat es sich an dem sog.„Hilfsauffangswert“ (§§ 23 Abs. 3 S. 2 RVG, 42 Abs. 3 FamGKG, 36 Abs. 3 GNotGK, 52 Abs. 2 GKG) orientiert. Die gegen diese Wertfestsetzung gerichtete Streitwertbeschwerde weist das OLG Brandenburg (Beschl. v. 9.4.2024 – 7 W 27/24) zurück.

Insoweit führt das OLG aus: Die Nutzung eines Facebook-Kontos ist für Menschen mit besonderem Kommunikations-, Achtungs- und Beachtungsbedürfnis durchaus wichtig. Sie kann jedoch nicht als unverzichtbare Bedingung der Persönlichkeitsentfaltung gesehen werden. Deshalb ist eine solche Streitigkeit mit dem „Hilfsauffangswert“ in Höhe von 5.000 Euro angemessen bewertet.

Klar ist: Wenn es um geschäftliche Interessen oder gar um Wettbewerbsfragen geht, handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. In einem solchen Fall kann es bei dem „Hilfsauffangswert“ nicht bleiben, vielmehr ist der maßgebliche Streitwert dann viel höher festzusetzen. Letztlich sind daher für „normale“ Streitigkeiten in diesem Zusammenhang die Amtsgerichte, für besondere Streitigkeiten, vor allem solche, die im gewerblichen Bereich ihre Ursache haben, die Landgerichte erstinstanzlich zuständig.