Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

OLG Dresden: Verschiedene Mittel der Glaubhaftmachung

Im Rahmen einer Entscheidung über den Bericht über Äußerungen eines AfD-Politikers aus einem Gespräch mit einem Geistlichen hat das OLG Dresden (Beschl. v. 28.5.2024 – 4 U 676/24) einige interessante Ausführungen zu Mitteln der Glaubhaftmachung, z. B. im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, vorgelegt.

In der Sache ging es um einen Landtagsabgeordneten, der im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahren verbieten lassen wollte, in einem Medienhaus bestimmte Behauptungen zu verbreiten. In diesem Rahmen kommt es bekanntlich auf die Glaubhaftmachung an (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO). In einem solchen Verfahren gelten nicht die förmlichen Beweisverfahren der ZPO, sondern der Freibeweis. Allerdings können auch präsente Zeugen vernommen werden (§ 294 Abs. 2 ZPO). Es kann jedoch auch die Gegenpartei benannt werden, ohne dass die Voraussetzungen des § 445 ZPO vorliegen müssen. Weiterhin ist die Vorlage unbeglaubigter Kopien von Schriftstücken sowie von Privatgutachten möglich. Darüber hinaus können ebenso anwaltliche Versicherungen eingebracht werden, schriftliche Zeugenaussagen und sogar einfache Parteierklärungen. Das OLG hält auch Zeugen vom Hörensagen für geeignet, eine Grundlage für eine Glaubhaftmachung zu legen. Dabei ist zu beachten, dass der Beweiswert derartiger Aussagen häufig geringer sein wird als derjenige von Zeugen, die von unmittelbar Erlebtem berichten. Es kommt dann immer auf die Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen im Einzelfall an.

Auch der BGH (Beschl. v. 6.10.2016 – VII ZR 185/13 Rn. 26) hat bereits entschieden, dass ein Zeuge vom Hörensagen ein zu vernehmender Zeuge ist und daher als Beweismittel nicht ohne weiteres als ungeeignet angesehen werden kann. Im konkreten Fall war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht erfolgreich, da das OLG – dem LG folgend – einer Zeugin vom Hörensagen letztlich mehr Glauben schenkte als den Angaben des Antragstellers selbst.

Man sieht also: Bei der Glaubhaftmachung hat man zahlreiche Möglichkeiten, ans Ziel zu kommen.

BGH: Streitwert bei Klagen auf Deckungsschutz

Schwierigkeiten bereitet mitunter der Streitwert für Klagen auf Deckungsschutz gegen eine Rechtsschutzversicherung, vor allem im Instanzenzug: Denn der Streitwert ist letztlich auch für die Frage maßgeblich, ob der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer über 20.000 Euro liegt. Dann wäre nämlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Sicher ist zunächst, dass es auf die Kosten ankommt, die von dem Versicherer voraussichtlich übernommen werden sollen. Allerdings gilt, da regelmäßig eine Feststellungsklage erhoben wird, zudem ein Feststellungsabschlag von 20 %.

Das entscheidende Problem waren in diesem Fall (BGH, Beschl. v. 4.9.2024 – IV ZR 24/23) allerdings die denkbaren Sachverständigenkosten. Ob diese den Wert erhöhen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Diesbezüglich hat der BGH entschieden, dass sie im Wege der Prognose zu berücksichtigen sind, wenn sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anfallen. Dies entscheidet das Revisionsgericht, und zwar ohne Bindung an einen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts.

Es handelte sich im konkreten Fall um eine „Dieselklage“. Es standen grundsätzlich Sachverständigenkosten von 30.000 Euro im Raum. Allerdings stellen sich die entscheidenden Fragen in zahlreichen Verfahren. Bisher hatte das LG dazu jedoch in keinem Fall ein Gutachten eingeholt. Vielleicht wäre es aber denkbar, dass unter Umständen ein Gutachten zu spezifischen Fragen des betroffenen Fahrzeugs eingeholt werden muss. Von daher kommt der BGH letztlich auf einen angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 10.000 Euro.

Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten liegt der Gesamtstreitwert und damit auch die Beschwer des Klägers unter 20.000 Euro, womit die Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH verworfen wurde.

Es wird daher bei Fahrzeugen, die nicht besonders hochwertig sind, die Frage des Deckungsschutzes ohne eine Zulassung durch das Berufungsgerichts kaum in die Revisionsinstanz gebracht werden können. Die „Dieselklageindustrie“ wird dies sicher bedauern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die Adoption eines durch private Samenspende gezeugten Kindes durch die Ehefrau der Mutter.

Zustimmung des privaten Samenspenders zur Adoption
BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 147/24

Der XII. Zivilsenat bestätigt und ergänzt seine Rechtsprechung zu § 1747 BGB.

Die Beteiligte zu 1 und die Beteiligte zu 2 sind seit Dezember 2017 miteinander verheiratet. Im Juli 2020 gebar die Beteiligte zu 2 ein Kind, das durch private Samenspende gezeugt worden war. Anfang 2020 beantragte die Beteiligte zu 1 mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 die Annahme des Kindes. Namen und Adresse des Samenspenders haben sie nicht mitgeteilt. Nach ihrem Vorbringen hat der Spender anlässlich des gerichtlichen Verfahrens in einem Telefongespräch erklärt, auf keinen Fall namentlich benannt werden zu wollen. Deshalb bestehe die Befürchtung, dass er sich bei Preisgabe seines Namens gegen seinen Willen zurückziehe und zu einem späteren Kontakt mit dem Kind nicht mehr bereit sei. Zum Beweis ihres Vortrags haben sie Screenshots einer WhatsApp-Kommunikation vorgelegt.

Das AG hat den Adoptionsantrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Nach § 1747 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Adoption die Einwilligung beider Eltern erforderlich. Wenn es keinen rechtlichen Vater im Sinne von § 1592 BGB gibt, gilt gemäß § 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB als Vater, wer die Voraussetzungen des § 1600d Abs. 2 Satz 1 (Geschlechtsverkehr während der Empfängniszeit) glaubhaft macht. Im Zusammenhang mit § 1747 Abs. 1 BGB steht hierbei eine private Samenspende dem Geschlechtsverkehr gleich.

Die Sonderregelung in § 1600d Abs. 4 BGB, wonach ein Samenspender nicht als Vater festgestellt werden kann (und deshalb auch dessen Zustimmung zur Adoption nicht erforderlich ist), wenn die künstliche Befruchtung mit ärztlicher Unterstützung erfolgt ist und der Samen in einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Samenspenderregistergesetzes gespendet wurde, gilt für eine private Samenspende nicht.

Nach § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Einwilligung eines Elternteils entbehrlich, wenn dieser zur Abgabe einer Erklärung dauernd außerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Dieser Ausnahmetatbestand ist nicht erfüllt, wenn die Verfahrensbeteiligten Name und Kontaktdaten des Samenspenders kennen, diese Informationen dem Gericht aber nicht zur Verfügung stellen.

Bei einer privaten Samenspende ist die Zustimmung des Spenders ferner nicht erforderlich, wenn der Spender dem Adoptionsverfahren nicht beitritt. Dies gilt jedoch nur, wenn das Gericht den Spender gemäß § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens benachrichtigt hat. Hierzu müssen die Beteiligten dem Gericht Name und Kontaktdaten des Spenders mitteilen, sofern sie über diese Informationen verfügen. Die bloße Mitteilung, der Spender sei an einem Beitritt nicht interessiert, genügt nicht. Die Vorlage von schriftlicher Kommunikation zwischen den Beteiligten und dem Spender genügt ebenfalls nicht, wenn daraus die Identität des Spenders nicht hervorgeht.

Im vorliegenden Fall darf die Adoption danach nicht ausgesprochen werden, weil die Beteiligten Namen und Kontaktdaten des Spenders kennen, aber nicht mitgeteilt haben. Besondere Umstände, die die Mitteilung dieser Informationen als unzumutbar erscheinen lassen können, sind nicht ersichtlich.

Praxistipp: Die Einwilligung in eine Adoption bedarf gemäß § 1750 Abs. 1 Satz 2 BGB der notariellen Beurkundung.

Blog powered by Zöller: Mehrfachverfolgung nach VDuG und UWG – Ein altes Problem wird zum modernen Wiedergänger

Das BayObLG hat mit Beschluss vom 19.7.2024 – 102 VKI 1/24e, MDR 2024, 1264 entschieden, dass eine Abhilfeklage nach dem VDuG nicht mit Blick auf eine frühere Unterlassungsklage nach dem UWG ausgesetzt werden kann, auch wenn beide Verfahren dieselbe geschäftliche Handlung desselben Beklagten (hier die einseitige, die Kunden benachteiligende Änderung der Bedingungen für einen Videostreamingdienst) betreffen.

Worum geht es?

Amazon Germany hat seine Bedingungen für Videostreamingdienstleistungen geändert, indem Nutzer vor die Wahl gestellt wurden, entweder ein höheres Entgelt zu entrichten oder eine Verschlechterung der Dienstleistung (insbesondere durch Einspielen von Werbung) hinzunehmen.

Am 14.3.2024 reichte die Verbraucherzentrale Bundesverband eV deswegen vor dem sachlich und örtlich zuständigen LG München I eine Unterlassungsklage nach § 8 Abs. 1 UWG ein. Wenige Tage später, am 4.4.2024, ging beim BayObLG die Klage der Verbraucherzentrale Sachsen eV ein, mit der Abhilfe wegen derselben geschäftlichen Handlung begehrt wird. Soweit Verbraucher der Entgelterhöhung zustimmten, wird Schadensersatz nach § 9 Abs. 2 UWG verlangt, soweit sie nicht zustimmten, Schadensersatz wegen des Mangels des bezogenen digitalen Produkts (§ 327i Nr. 3 Alt. 2, § 327m Abs. 3 Satz 1, § 327e BGB). Die Beklagte beantragt, das spätere VDuG-Abhilfeverfahren mit Blick auf das frühere UWG-Verfahren auszusetzen.

Entscheidung des BayObLG

Das Gericht folgt dem Antrag nicht, weil kein Fall eines gesetzlichen Aussetzungstatbestandes gegeben sei. Für § 148 Abs. 1 ZPO fehlt es schon an der Identität der Parteien beider Prozesse (unterschiedliche Kläger), zudem ist fraglich, ob der UWG-Unterlassungsanspruch im Abhilfeprozess i.S.v. § 322 Abs. 1 ZPO vorgreiflich ist. Eine „Gesamtanalogie“ zu bestehenden Aussetzungsbestimmungen verbiete sich, weil keine planwidrige Regelungslücke bestehe; der Gesetzgeber habe vielmehr davon abgesehen, das Verhältnis von Abhilfe- und Unterlassungsklagen zu regeln.

Mehrfachverfolgung reloaded

Das Auftreten paralleler Verbandsprozesse mit dem Inkrafttreten des VDuG war (leider) abzusehen. Dabei hatten die bayerischen Gerichte sogar noch Glück, dass nicht auch noch eine dritte klageberechtigte Einrichtung wegen der Änderung beim Streamingdienst eine Unterlassungsklage nach dem UKlaG (§ 2 Abs. 1 UKlaG) vor dem dafür in Bayern ausschließlich zuständigen OLG Bamberg (§ 6 Abs. 1 UKlaG; § 13a Abs. 1 GVG; § 6 GZVJu) erhoben hat (Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024 (Online-Version), § 3 VDuG Rn. 1).

Das Problem ist nicht neu: Die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes durch verschiedene klagebefugte Einrichtungen gab es schon immer. Neu ist aber die Schärfe, die es gewonnen hat: Die zur Verfügung stehenden Klagearten haben sich vermehrt (neben dem Unterlassungsanspruch gibt es auch die Abhilfeklage), hierfür sind jetzt erstmals unterschiedliche Gerichte ausschließlich sachlich zuständig (§ 13 Abs. 1 UWG: LG; § 3 Abs. 1 VDuG und § 6 Abs. 1 UKlaG: OLG, bzw. BayObLG und OLG) und gelten jeweils eigene Rechtszüge. Das BayObLG versteht den Gesetzgeber so, dass er diese parallele Prozessführung auf verschiedenen Ebenen bewusst in Kauf genommen hat. Wollte man dem noch ein Argument hinzufügen, wird man in der Begründung zum KapMuG 2024 schnell fündig: KapMuG und VDuG sind wegen derselben kapitalmarktrechtlichen Haftung ausdrücklich nebeneinander anzuwenden (§ 1 Abs. 3 KapMuG; § 1 Abs. 3 VDuG). Die damit verbundene doppelte Prozessführung wird ausdrücklich hingenommen, notfalls muss der Große Senat beim BGH eine auftretende Divergenz auflösen (siehe BT-Drucksache 20/10942, S. 30; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 1 VDuG Online-Aktualisierung vom 29.8.2024).

Der moderne Gesetzgeber verfolgt bei seinen Vorhaben ausweislich der Gesetzesbegründungen ausdrücklich „Nachhaltigkeitsaspekte“ (siehe BT-Drucksache 20/6520, S. 64 zum VDuG) – aus Sicht der betroffenen Zivilgerichte gilt hier: difficile est, satiram non scribere.


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Blog powered by Zöller: Videoverhandlung – jetzt auch grenzüberschreitend

Die in § 128a ZPO gebotene Möglichkeit, an einer Verhandlung im Zivilprozess per Videoübertragung teilzunehmen, bietet dann besondere Vorteile, wenn sich eine Prozesspartei im Ausland aufhält und eine Anreise zum Gerichtstermin daher mit einem besonders großen Zeit- und Reiseaufwand verbunden wäre. Doch gerade diese Einsatzmöglichkeit begegnete bisher rechtlichen Bedenken, denn nach verbreiteter Ansicht würde damit die Gerichtshoheit unter Verstoß gegen internationales Recht auf ein fremdes Staatsgebiet erstreckt.

Dank der EU-Verordnung zur Digitalisierung der justiziellen Zusammenarbeit (VO (EU) 2023/2844) sind diese Bedenken jetzt zumindest innerhalb der Union hinfällig, denn sie lässt in Art. 5 der Verordnung die Zuschaltung von Parteien und Parteivertretern zu zivilgerichtlichen Verhandlungen oder Anhörungen ohne Genehmigung des Aufenthaltsstaates zu. Die Verordnung tritt am 1. Mai 2025 in Kraft. Das Bundesjustizministerium hat jedoch gem. Art. 17 Abs. 2 der Verordnung erklärt, dass sie bereits ab 1. Oktober 2024 wirksam ist.

Alles Nähere hierzu sowie ausführliche Kommentierung des kürzlich geänderten § 128a ZPO in der aktuellen Online-Version des ZÖLLER.

LAG Berlin-Brandenburg: Rücknahme eines Rechtsmittels aufgrund eines Vergleiches

Die Parteien des Rechtsstreites schlossen in einem anderen Verfahren einen Vergleich, der keine Kostenregelung enthielt. Aufgrund dieses Vergleiches nahm die Klägerin die im hiesigen Verfahren eingelegte Berufung zurück. Alsdann stritten die Parteien darüber, ob der Klägerin gemäß § 516 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen oder ob die Kosten nach § 98 ZPO gegeneinander aufzuheben wären. Das LAG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 26.6.2024 – 12 Sa 1069/23) entscheidet im Sinne des § 98 ZPO.

Grundsätzlich hat derjenige, der eine eingelegte Berufung wieder zurücknimmt, gemäß § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese – allgemeine – Vorschrift gilt jedoch nur dann, wenn es keine gesetzlichen Sonderregelungen gibt. Vorliegend ist als eine solche gesetzliche Sonderregelung § 98 ZPO einschlägig. Danach sind die Kosten eines Vergleiches als gegeneinander aufgehoben anzusehen, falls die Parteien keine abweichende Regelung treffen. Dies gilt auch für einen außergerichtlichen Vergleich. Eine solche abweichende Regelung haben die Parteien hier in dem Vergleich nicht getroffen. Die Parteien wollten vielmehr mit dem Vergleich bereits das Verfahren endgültig beenden.

Eine Rückausnahme zur Anwendung des § 98 ZPO greift dann, wenn das zuvor ergangene Urteil zwischen den Parteien als endgültig angesehen werden soll. Da hier in dem Vergleich weitere Vereinbarungen zwischen den Parteien getroffen wurden, die über das Urteil hinausgingen, liegt diese Rückausnahme nicht vor. Auch aus einer Auslegung des Vergleiches ergibt sich schließlich nichts anderes.

Das LAG hat sich mit dieser Sicht der Dinge an der Entscheidung des BGH v. 15.3.2006 – XII ZR 209/05, MDR 2006, 1125 orientiert und diese zu Recht auf den hier zu beurteilenden Fall angewendet.

BGH: Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz

Gegen die Beklagten waren zunächst Vollstreckungsbescheide ergangen. Nach Einsprüchen erschienen die Beklagten im Termin vor dem LG nicht. Deswegen erging ein zweites Versäumnisurteil. Dagegen legten die Beklagten Berufung ein und beantragten, die Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden nach den §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO einzustellen. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Das OLG wies außerdem darauf hin, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren wolle. Alsdann wurde die Berufung durch einen entsprechenden Beschluss zurückgewiesen. Nach dem Tenor des Berufungsurteils hatten die Beklagten die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Beklagten legten beim BGH eine Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragten die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO.

719 Abs. 2 ZPO ist auch auf die vorliegende Fallkonstellation anzuwenden (§ 522 Abs. 3 ZPO). Notwendig für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO ist ein unersetzlicher Nachteil im Sinne dieser Vorschrift. Ein Nachteil, den der Schuldner vermeiden kann, ist nicht unersetzlich. Deshalb kann sich ein Schuldner auf § 719 Abs. 2 ZPO nicht mehr beziehen, wenn er zuvor keinen Antrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, ist eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur möglich, wenn dem Schuldner die Antragstellung nach § 712 nicht möglich oder nicht zumutbar war. Grundsätzlich ist der Antrag nach § 712 allerdings ein Sachantrag, der nach § 297 ZPO in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss. Eine solche fand hier gar nicht statt. Nachdem das OLG jedoch angekündigt hatte, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, war klar, dass eine mündliche Verhandlung nicht mehr stattfinden wird. In einem solchen Fall kann der Antrag auch schriftsätzlich wirksam gestellt werden. Warum die Beklagten einen solchen Antrag gleichwohl nicht gestellt haben, ist unerfindlich.

Der BGH (Beschl. v. 14.8.2024 – IX ZR 52/24) weist damit den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden sowie dem Urteil des OLG folglich zurück. Der Kläger kann somit die Zwangsvollstreckung betreiben, ohne Sicherheit leisten zu müssen.

Die Vorschrift des § 712 ZPO darf in der Berufungsinstanz nicht übersehen werden! Unabhängig davon ist jedoch davon auszugehen, dass es vorliegend nur um die Verzögerung der Zwangsvollstreckung mit allen erdenklichen Mitteln ging.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Versagung des Zuschlags in einer Zwangsversteigerung.

Unzulässige Einwirkung auf Teilungsversteigerung
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2024 – V ZB 43/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Versagungstatbestand des § 83 Nr. 6 ZVG.

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 Euro festgesetzt. Bei der Feststellung des geringsten Gebots wurden bestehenbleibende Rechte in Höhe von 370.000 Euro und ein Bargebot von 10.211,47 Euro berücksichtigt.

Im Versteigerungstermin teilte der Beteiligte zu 1 den übrigen Bietinteressenten mit, er habe einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO gestellt. Im Temin legte er Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über einzelne Räume des Hauses und erklärte, die Räume seien an Ausländer vermietet und würden für gewerbliche Zwecke genutzt. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte mit, wegen der Zerstrittenheit der Eigentümer seien Probleme bei der Ermittlung der Bankverbindung des Grundschuldgläubigers zu erwarten. Dadurch könnten zusätzliche Grundschuldzinsen bis zu 200.000 Euro anfallen, für die der Erwerber dinglich hafte.

Der Beteiligte zu 1 gab in dem Termin ein Bargebot in Höhe von 10.212 Euro ab – also 53 Cent über dem geringsten Gebot. Weitere Gebote erfolgten nicht. Das zuschlagfähige Meistgebot für vergleichbare Objekte lag im maßgeblichen Zeitraum meist bei 150 % des Schätzwerts.

Das AG hat dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt. Dessen Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der Zuschlag gemäß § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen ist, weil die gemäß Art. 14 Abs. 1 GG zu beachtenden rechtsstaatlichen Anforderungen an eine faire Verfahrensführung nicht eingehalten sind.

Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten im Versteigerungstermin andere Interessenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben.

Im Streitfall reichen die Anträge und Äußerungen des Beteiligten zu 1 jeweils für sich genommen nicht aus, um eine Manipulation in diesem Sinne zu bejahen. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht angenommen, dass das Verhalten des Beteiligten zu 1 bei einer Gesamtwürdigung die maßgebliche Grenze überschreitet. Die tatrichterliche Würdigung, dass die anderen Bietinteressenten wegen dieses Verhaltens von der Abgabe eines Gebots abgesehen haben, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Praxistipp: Nach § 57a ZVG kann der Erwerber ein bestehendes Miet- oder Pachtverhältnis zum ersten zulässigen Termin mit der gesetzlichen Frist kündigen. Bei einer Teilungsversteigerung besteht dieses Recht gemäß § 183 ZVG nicht.

Blog powered by Zöller: Neues beim elektronischen Rechtsverkehr

Ein drängendes Problem des elektronischen Rechtsverkehrs hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz v. 12.7.2024 gelöst. Es kommt ja vor, dass Prozessbevollmächtigte dem Gericht Erklärungen ihrer Mandanten oder Dritter übersenden müssen, die von diesen persönlich zu unterschreiben sind, insbesondere Vollmachten, Erklärungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse im PKH-Verfahren und eidesstattliche Versicherungen. Da Anwälte mit dem Gericht nur noch auf elektronischem Weg kommunizieren dürfen, war fraglich, wie sie diese Erklärungen wirksam übermitteln können. Dass dies möglich sein muss, war klar, aber für das Wie gab es keine gesetzliche Regelung und daher große Unsicherheit.

Nunmehr ist die Frage in einem neuen § 130a Abs. 3 Satz 3 ZPO geregelt. Demnach kann der Rechtsanwalt das einzureichende, handschriftlich unterschriebene Schriftstück in ein elektronisches Dokument übertragen und dieses dann wie einen Schriftsatz als PDF an das Gericht übermitteln, d.h. entweder mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder mit einfacher Signatur auf einem sicheren Übertragungsweg, insbesondere über sein elektronisches Anwaltspostfach.

Weitere Erleichterungen bietet ein neuer § 130e ZPO für den Fall, dass in einem an das Gericht adressierten elektronischen Schriftsatz eine an den Prozessgegner gerichtete Erklärung abgegeben werden soll, die der Schriftform bedarf (z.B. eine Kündigung).

Diese und alle weiteren Änderungen der ZPO durch das Gesetz v. 12.7.2024 werden in der Online-Ausgabe des ZÖLLER, die jeder Bezieher des Kommentars kostenfrei nutzen kann, bereits eingehend erläutert. Vertiefende Ausführungen finden Sie auch in dem Aufsatz Neue Regeln für elektronische Schriftsätze – Wie persönliche und rechtsgeschäftliche Erklärungen zu übermitteln sind“, MDR 2024, 1013.

 


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