Anwaltsblog 17/2025: Für die beA-Ersatzeinreichung reicht die bloße Bezeichnung der Störung nicht aus!

Erneut hatte sich der BGH mit der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO zu befassen, insbesondere mit den Anforderungen an die „aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände“, die zur Ersatzeinreichung berechtigen (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VI ZB 19/24):

 

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat am 21. April 2023 (Freitag) um 11.24 Uhr per Telefax eine Berufungsschrift an das Berufungsgericht übersandt. Darin heißt es einleitend: „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Der am letzten Tag der Berufungsfrist übermittelte Schriftsatz sei entgegen § 130d Satz 1 ZPO nur per Telefax und daher nicht formgerecht als elektronisches Dokument gemäß § 130a ZPO eingereicht worden. Die Voraussetzungen einer wegen vorübergehender technischer Gründe zulässigen Einreichung auf anderem Weg seien nicht unverzüglich glaubhaft gemacht worden (§ 130d Satz 2 und 3 ZPO). Die Ersatzeinreichung per Telefax habe lediglich den Hinweis „Vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ enthalten. Eine Glaubhaftmachung erfordere eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Das gelte auch bei einer allgemeinen Störung des beA, und zwar unabhängig davon, ob diese Störung gerichtsbekannt sei und ob das Gericht sich von ihr Kenntnis verschaffen könne. Die Glaubhaftmachung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine allgemeine, mehrtägige Störung des beA gehandelt habe. Auch bei einer gerichtsbekannten Störung des beA bedürfe es der näheren Schilderung und Glaubhaftmachung der hindernden Umstände.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat durch sein Telefax vom 21. April 2023 nicht formgerecht Berufung eingelegt. Gemäß § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Das gilt auch für die Einreichung der Berufungsschrift beim Berufungsgericht (§ 519 Abs. 4 ZPO). Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Fehlt die Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO, so ist die Ersatzeinreichung unwirksam.

Der Beklagte hat die vorübergehende Unmöglichkeit, die Berufungsschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln, im Telefax vom 21. April 2023 bereits nicht ausreichend dargelegt. Nach § 130d Satz 2 ZPO ist eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dabei spielt zwar keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Möglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist, weil auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen soll. Durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ wird jedoch klargestellt, dass professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Eine vorübergehende Unmöglichkeit iSv. § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Für die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf es daher zunächst einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die dargelegten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.

Die der Ersatzeinreichung vom 21. April 2023 beigefügte Erklärung „vorab als Fax wegen dauerhafter beA Übertragungsstörung“ ist schon deshalb keine ausreichende Darlegung, weil sie keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände enthält. Denn die Darstellung des Defekts beschränkt sich auf die Bezeichnung „Übertragungsstörung“, die ganz verschiedene Auswirkungen und Ursachen haben kann. Auch die zeitlichen Zusammenhänge erschließen sich allein durch den wertenden und konkretisierungsbedürftigen Begriff „dauerhaft“ nicht. Unerheblich ist, ob die EGVP-Kommunikation vom 18. April 2023 um 18.00 Uhr bis zum 21. April 2023 um 21.20 Uhr gestört war. Auch dann wäre eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände erforderlich. Denn es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine Ersatzeinreichung ausscheidet, weil diese technische Störung nicht kausal für die gescheiterte Übermittlung als elektronisches Dokument gewesen wäre.

 

Fazit: Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22 –, MDR 2023, 862).

KG: Beschwerde im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens

In einem der letzten Beiträge wurde auf eine Entscheidung des KG (Beschl. v. 2.1.2025 – 2 W 18/24) hingewiesen, wonach die Zurückweisung von Anträgen auf Ablehnung eines „Obergutachtens“ sowie auf eine ergänzende Begutachtung durch einen bereits bestellten Sachverständigen nicht beschwerdefähig sind.

Nunmehr hat ein anderer Senat des KG (Beschl. v. 10.3.2025 – 21 W 5/25) diese Entscheidung ergänzt und ausdrücklich und gleichfalls mit langer und sorgfältiger Begründung entschieden, dass die Zurückweisung von Ergänzungsfragen zu einem im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist.

Da es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlt, könnte eine Beschwerde nur nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 zulässig sein. Wenn eine Partei im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt, Ergänzungs- oder Gegenfragen durch eine ergänzende schriftliche Begutachtung zu klären, ist dies kein „Gesuch“ i. S. d. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Unter einem Gesuch ist lediglich ein förmlicher Antrag zu verstehen. Denn über diese Punkte hat das Gericht zur Not gemäß den § 492 Abs. 1, § 411 Abs. 3 nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen zu befinden. Im Übrigen gehen die Möglichkeiten der Parteien im selbständigen Beweisverfahren nicht weiter als im ordentlichen Verfahren. Aber auch im „normalen“ Zivilprozess ist gegen die Ablehnung von ergänzenden Fragen kein Rechtsmittel gegeben. Hinzu kommt, dass im selbständigen Beweisverfahren keine Würdigung der Beweise stattfindet und deswegen Entscheidungen nach den § 411 Abs. 3 und § 412 ZPO nicht erfolgen können.

Im konkreten Fall kam der Antrag von einem Streitverkündeten. Dies ändert jedoch nichts, da ein Streitverkündeter nicht mehr Rechte hat als die Partei selbst (§ 67 ZPO). Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren (nur für die Anwaltskosten, da für das Gericht eine Festgebühr entsteht) wurde pauschal auf 25 % der Hauptsache geschätzt. Das KG hat die Kosten der erfolglosen Beschwerde dem Beschwerdeführer auferlegt (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Parteien sind insoweit nicht rechtlos gestellt. Wenn es zu einem streitigen Verfahren kommt, muss gegebenenfalls das Prozessgericht den gestellten Anträgen nachgehen. Gegen dessen (Hauptsache)Entscheidung ist dann ein Rechtsmittel gegeben. Das Unterlassen weiterer Aufklärung kann sodann gegebenenfalls mit einer Verfahrensrüge angegangen werden.

Im Übrigen erscheint noch Folgendes möglich: Es kann die Anhörung des Sachverständigen beantragt werden. Einen solchen Antrag darf das Gericht kaum ablehnen. In diesem Rahmen könnten dann dem Sachverständigen die notwendigen Fragen gestellt werden.

Anwaltsblog 15/2025: Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle

Was eine Partei vortragen muss, um Wiedereinsetzung gegen die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist gewährt zu bekommen, hat erneut den BGH beschäftigt (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 – VI ZB 36/24):

Die Klägerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist. Hierzu hat sie durch ihre Prozessbevollmächtigten ausführen und anwaltlich versichern lassen, wie die Fristenkontrolle in der Kanzlei organisiert sei und dass eine bis dahin stets zuverlässige Kanzleiangestellte G. am 17. Mai 2024 versehentlich die am 7. Juni 2024 ablaufende Berufungsbegründungsfrist als erledigt vermerkt habe, obwohl die Berufungsbegründung nicht der zuständigen Rechtsanwältin zur abschließenden Prüfung vorgelegt und versendet worden sei. Das Berufungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, weil ihre Büroorganisation hinsichtlich der Ausgangskontrolle der Post unzureichend sei.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet. So liegt es hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten beruht. Die Klägerin hat in ihrem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten über eine Ausgangskontrolle verfügt, die den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des BGH genügt. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Dazu gehört u.a. die Anordnung, die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine beauftragte Bürokraft zu überprüfen. Eine wirksame Ausgangskontrolle hat sich dabei auch darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde. Deshalb ist die Bürokraft anzuweisen, gegebenenfalls anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind. Bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Daher hat der Rechtsanwalt das zuständige Personal anzuweisen, stets den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren. Von einer erfolgreichen Übermittlung darf der Rechtsanwalt nicht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Gemessen daran hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Ihr Vortrag zur allabendlichen Kontrolle hat sich auf folgenden – anwaltlich versicherten – Satz beschränkt: „Vor Büroschluss wird von Frau G. noch einmal kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt sind; erst dann wird die Frist gelöscht.“ Es fehlen jegliche Angaben dazu, wie die Kontrolle, „ob alle Fristsachen erledigt“ sind, nach den kanzleiinternen Anweisungen zu erfolgen hat. Insbesondere wird nicht mitgeteilt, ob und wie organisatorisch sichergestellt wird, dass im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete fristgebundene Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden und bei Gericht eingegangen sind. Die Erklärung, es werde noch einmal kontrolliert, ob „alle Fristsachen erledigt“ sind, impliziert nicht, dass die spezifischen an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind. Der Vortrag im Wiedereinsetzungsantrag war damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

 

Fazit: Begehrt eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat sie einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Der Vortrag, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten werde vor Büroschluss noch einmal kontrolliert, „ob alle Fristsachen erledigt sind“, impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind; er ist damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

BGH: Kostenaufbringung der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der PKH

In einer in der „Insolvenzverwalterszene“ durchaus mit Spannung erwarteten Entscheidung hat der BGH (Beschl. v. 13.2.2025 – IX ZB 27/24) an seiner Auffassung, der Bundesagentur für Arbeit sei es nicht zumutbar, die Kosten für eine Prozessführung des Insolvenzverwalters aufzubringen (§ 116 S. 1 Nr. 1 ZPO), wenn sie aufgrund von auf sie übergegangenen Ansprüche einzelner Arbeitnehmer am Insolvenzverfahren beteiligt ist, festgehalten. Bezüglich dieser Frage hatte es in letzter Zeit ablehnende Entscheidungen verschiedener OLG gegeben.

Das Beschwerdegericht hatte die von dem Insolvenzverwalter beantragte Prozesskostenhilfe abgelehnt, und zwar mit der Begründung, die Bundesanstalt für Arbeit sei wegen der genannten Ansprüche gemäß § 116 S. 1. Nr. 1 ZPO wirtschaftlich beteiligt und habe einen Kostenbeitrag zu leisten, da sie bei einem Erfolg des Prozesses das 3,2-Fache der aufzuwendenden Kosten aus der Masse zurückerhalten werde. Der letzteren Erwägung tritt der BGH durchaus bei. Der BGH betont jedoch im Gegensatz zum Beschwerdegericht: Die betroffenen Arbeitnehmer selbst können als Kleingläubiger nicht zu den Prozesskosten herangezogen werden. Insofern wäre es widersprüchlich, die Bundesanstalt heranzuziehen, die durch die Insolvenz ohnehin maßgeblich belastet wird. Eine Einsatzpflicht von Mitteln der Bundesanstalt hätte im Übrigen zur Folge, dass dieser an sich zweckgebundene Mittel für andere Zwecke entzogen würden.

Interessant war noch ein Nebenaspekt der Entscheidung: Der BGH hat weiterhin entschieden, dass die schlichte Möglichkeit, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Insolvenzverwalter nicht entgegensteht.

Diese Entscheidung kommt den Bedürfnissen der Insolvenzverwalter entgegen.

Anwaltsblog 14/2025: Keine Pflicht des Gerichts zur rechtzeitigen Erteilung eines Hinweises an die Partei bei Fristversäumung

Der BGH hatte zu entscheiden, ob einer Prozesspartei, deren Prozessbevollmächtigter gut 14 Tage vor Fristablauf statt der Berufungsbegründung eine an seinen Mandanten gerichtete Kostenrechnung an das Berufungsgericht übermittelt hatte, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren ist (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23):

In einem Berufungsverfahren war die Begründungsfrist für den Kläger bis zum 14. August 2023 verlängert worden. Am 25. Juli 2023 ging auf dem Justizserver eine aus dem beA des Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelte Datei ein. Hierbei handelte es sich um eine an den Kläger gerichtete E-Mail seines Prozessbevollmächtigten mit der als Anhang beigefügten Kostenrechnung für das Berufungsverfahren. Nachdem das Berufungsgericht darauf hingewiesen hatte, dass bis zum Fristablauf eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers per beA einen Schriftsatz vom 18. Juli 2023 mit der Berufungsbegründung eingereicht und zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe selbst am 25. Juli 2023 die Berufungsbegründung übermitteln wollen und dabei versehentlich nicht die betreffende Datei, sondern ein E-Mail-Schreiben an seinen Mandanten ausgewählt, das „unmittelbar neben der Berufungsbegründung in der Schriftsatzhistorie des Anwaltsprogramms positioniert“ gewesen sei. Das Berufungsgericht hätte auf die Einreichung eines falschen, nicht an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatzes hinweisen müssen; dann hätte das Versehen noch geheilt werden können.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Seine Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschulden bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten beruht. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Prozessbevollmächtigte müssen in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Dies erfordert zunächst die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Es fällt in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Die Kontrollpflichten erstrecken sich u.a. darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie – anhand des zuvor vergebenen Dateinamens – ob die richtige Datei übermittelt wurde. Der Rechtsanwalt kann die Ausgangskontrolle zwar auf zuverlässiges Büropersonal übertragen und braucht sie nicht selbst vorzunehmen. Übernimmt er sie aber im Einzelfall selbst, muss er auch selbst für eine wirksame Ausgangskontrolle Sorge tragen.

An diesen Grundsätzen gemessen hat das Berufungsgericht zu Recht eine Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten des Klägers angenommen. Sein für die Fristversäumung ursächliche Verschulden entfällt auch nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Das Berufungsgericht war aufgrund der gerichtlichen Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Eingang der am 25. Juli 2023 übermittelten Datei zum Anlass zu nehmen, den Prozessbevollmächtigten des Klägers noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist darauf hinzuweisen, dass von diesem anstatt einer Berufungsbegründung eine an seinen Mandanten gerichtete E-Mail eingereicht wurde. Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt. Das Gericht darf allerdings nicht sehenden Auges zulassen, dass ein offenbares Versehen einer Partei zur Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist und damit zu Rechtsnachteilen für die Partei führt. Es hat deshalb bei ohne weiteres erkennbaren Fehlern im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs darauf hinzuweisen, um der Fristversäumnis entgegen zu wirken. Hiervon ausgehend war das Berufungsgericht nicht zu einem Hinweis an den Prozessbevollmächtigten des Klägers verpflichtet. Es lag nicht offen zutage, dass am 25. Juli 2023 seitens des Klägers (gerade) der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung übermittelt werden sollte und deshalb die Auswahl des übersandten – nicht die Berufungsbegründung enthaltenen – elektronischen Dokuments offenkundig auf einem Versehen beruhen musste. Eine leicht erkennbare Fehlerhaftigkeit der am 25. Juli 2023 erfolgten Übermittlung eines Dokuments an das Berufungsgericht ergibt sich auch nicht daraus, dass an dem betreffenden Tag für den Kläger als einzige Frist diejenige zur Berufungsbegründung lief. Denn das Berufungsgericht musste den Umstand, dass überhaupt ein Schriftsatz der Klägerseite eingegangen ist, nicht ohne Weiteres mit dem noch mehr als 14 Tage später anstehenden Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in Zusammenhang bringen.

Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Bezeichnung und den Inhalt der übermittelten Datei über die Bedeutung des eingereichten Dokuments im Unklaren war und einen Fehler des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Auswahl des zu übersendenden elektronischen Dokuments für möglich gehalten haben könnte, wäre das Berufungsgericht nicht zu einem Hinweis an den Kläger verpflichtet gewesen. Insoweit ist der Sachverhalt nicht mit den Fallgestaltungen zu vergleichen, in denen ein Schriftsatz versehentlich bei einem unzuständigen Gericht eingeht oder an einem offensichtlichen äußeren formalen – ohne Kenntnis der Akten und ohne inhaltliche Prüfung unschwer erkennbaren – Mangel, etwa einer fehlenden Unterschrift, leidet. Dagegen lässt der Eingang einer Datei – beinhaltend eine an den Mandanten gerichtete E-Mail mit der Bitte um Bezahlung der angehängten anwaltlichen Kostenrechnung – aus der Sicht des Gerichts nicht erkennen, dass auch die nach der Übermittlung vorzunehmende beA-Ausgangskontrolle des absendenden Rechtsanwalts, die gerade (auch) eine Prüfung der Übereinstimmung der übermittelten mit der zu übermittelnden Datei umfassen soll, versagt hat und dass der Absender deshalb der Fehlvorstellung unterliegt, mit der erfolgten Versendung die Rechtsmittelbegründungsfrist gewahrt zu haben. Eine entsprechende Hinweispflicht liefe auf eine weitgehende Verlagerung der Verantwortung für die Ausgangskontrolle von dem dafür zuständigen Absender auf das Gericht und damit auf eine Überspannung der gerichtlichen Fürsorgepflicht hinaus.

 

Fazit: Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (BGH, Beschluss vom 21. März 2023 – VIII ZB 80/22 –, MDR 2023, 796).

Anwaltsblog 13/2025: Unzulässigkeit einer Berufung, wenn Begründung vom Mandanten erstellt worden ist!

Der BGH hatte über die Zulässigkeit einer Berufung zu entscheiden, bei der Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die vom Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Berufungsbegründungsschrift durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt nicht erfolgt war (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2025 – IX ZB 46/23):

 

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rechtsanwaltsvergütung in Anspruch. Der Beklagte, der sich vor dem Amtsgericht selbst vertreten hat, hat Widerklage erhoben und verlangt Schadensersatz, weil Mandate, die den geltend gemachten Vergütungsansprüchen zugrunde lägen, zur Unzeit gekündigt worden seien. Er hat im Verlauf des Rechtsstreits erster Instanz eine Mehrzahl von Ablehnungsgesuchen gestellt, die als rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig angesehen worden sind. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Ein von dem Beklagten beauftragter Rechtsanwalt hat Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und eine 44 Seiten lange Berufungsbegründung zu den Akten gereicht, die sowohl in ihrem äußeren Erscheinungsbild als auch inhaltlich dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beklagten stark ähnelt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil diese nicht von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt verfasst worden sei.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat sich davon überzeugt, dass der als Berufungsbegründung bezeichnete Schriftsatz abgesehen vom Einleitungssatz vom Beklagten selbst und nicht von dessen Prozessbevollmächtigten verfasst worden sei. Dieser habe den Schriftsatz ohne eigene Prüfung lediglich unterzeichnet. Die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt stellt keine bloße Formalität dar, sie ist zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt. Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffs vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüberhinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat. Ausnahmen hiervon werden für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat. Zur letztgenannten Fallgruppe werden insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze gerechnet, die weitgehend unverständlich sind und Ausführungen enthalten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stehen oder nach deren Inhalt schlechthin auszuschließen ist, dass der Anwalt sie in der gebotenen Weise überprüft haben kann.

Diesen Grundsätzen entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat erkannt und näher begründet, dass der Schriftsatz, der zur Begründung der Berufung zu den Akten gereicht worden ist, abgesehen vom Einleitungssatz vom Beklagten selbst und nicht von dessen Prozessbevollmächtigten verfasst worden ist. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob die Berufungsbegründungsschrift ihrem Inhalt nach den Schluss erlaubt, dass der Prozessbevollmächtigte das von dem Beklagten stammende Schriftstück unbesehen unterzeichnet hat. Dies hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte des Beklagten angenommen. Es hat anhand des Inhalts des Schriftsatzes begründet, dass ein an den Regeln des anwaltlichen Berufsrechts und den Zwecken des Anwaltszwangs orientierter Rechtsanwalt die von dem Beklagten ausgearbeitete Berufungsbegründung entweder gar nicht, nicht ohne Änderungen oder ohne Distanzierung eingereicht haben würde. Darauf beruht die Überzeugung, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten müsse die Berufungsbegründung ohne eigenverantwortliche Prüfung eingereicht haben. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass die Berufungsbegründungsschrift in weiten Teilen aus unverständlichen, teils wirren Ausführungen bestehe, die juristische Fachkenntnisse vermissen ließen. Dies zeigt sich an dem elf Ziffern (zum Teil mit Unterpunkten) umfassenden Antragsprogramm. Es kann ausgeschlossen werden, dass ein an den Zwecken des Anwaltszwangs orientierter Rechtsanwalt nach eigenverantwortlicher Überprüfung Gericht und Gegner ein derartiges Antragsprogramm unterbereitet und etwa beantragt hätte, die Sache noch vor der Durchführung des Berufungsverfahrens an das Amtsgericht zurückzuverweisen (Antrag zu 4). Auch die weiteren Inhalte der Berufungsbegründungsschrift begründen die Überzeugung, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe diese unbesehen unterzeichnet. Mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass es an der von § 520 ZPO geforderten Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts fehlt. Die Berufungsbegründungsschrift wird stattdessen durch weitgehend unverständliche und wirre Ausführungen geprägt, die bei eigenverantwortlicher Prüfung durch einen Rechtsanwalt nicht zu erwarten gewesen wären.

 

Fazit: Für ein Berufungsgericht besteht in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat. Ausnahmen hiervon werden für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat.

KG: Beschwerde im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens

In einem selbständigen Beweisverfahren hatte das LG einen Antrag der Antragsgegnerinnen und Streithelferinnen auf Einholung eines „Obergutachtens“ sowie auf ergänzende Begutachtung durch den bereits bestellten Sachverständigen zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wurde von den Betroffenen sofortige Beschwerde eingelegt.

Das KG (Beschl. v. 2.1.2025 – 2 W 18/24) verwarf die sofortigen Beschwerden als unzulässig. Eine gesetzliche Zulassung der sofortigen Beschwerden gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht gegeben. Die gestellten Anträge sind solche nach den §§ 492 Abs. 1, 412 ZPO. Es ist in diesen Vorschriften keine Zulassung einer sofortigen Beschwerde gegen einen entsprechenden ablehnenden Beschluss ausgesprochen worden.

Nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (Ablehnung eines das Verfahren betreffenden Gesuchs) ist eine sofortige Beschwerde auch nicht möglich. Der Rechtsschutz im selbständigen Beweisverfahren kann nicht weitergehen als im Hauptsacheverfahren. Hier kann die Unterlassung einer weiteren Begutachtung jedoch nur im Rechtsmittelverfahren gegen die Hauptsache gerügt werden. Eine Pflicht zur Einholung eines „Obergutachtens“ oder zur erneuten Begutachtung besteht im Übrigen auch nur ausnahmsweise und setzt, wie es sich aus den §§ 412, 411 Abs. 3, 144 ZPO ergibt, eine Würdigung der bisher erhobenen Beweise voraus. Eine solche Würdigung findet jedoch im selbständigen Beweisverfahren noch gar nicht statt.

Die hier entschiedene Frage war früher streitig, wurde aber vom BGH bereits in dieser Art und Weise entschieden (BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – VI ZB 59/09, MDR 2010, 767). Das KG ruft dies in Erinnerung und bestätigt diese Entscheidung: Anträge nach § 412 ZPO, denen das Gericht nicht nachgeht, können daher erst im anschließenden Hauptsacheverfahren (so es überhaupt dazu kommt!) einer weiteren Sachbehandlung zugeführt werden. Allerdings gilt auch hier: Eine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrages nach § 412 ZPO ist nicht gegeben. Die Nichteinholung kann nur in einem Rechtsmittelverfahren im Rahmen der Hauptsacheentscheidung gerügt werden.

Anwaltsblog 11/2024: Wann darf das Gericht eine beantragte Zeugenvernehmung zurückweisen?

Unter welchen Voraussetzungen ein Gericht eine Partei mit einem Beweismittel (hier: Zeugenvernehmung) wegen dessen Nichterreichbarkeit ausschließen darf, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – XII ZR 5/23):

 

Die Beklagte ist zur Zahlung rückständiger Miete für eine Gaststätte in Höhe von 22.120,10 € nebst Zinsen verurteilt worden. Mit ihrer Berufung hat sie behauptet, es sei mündlich eine Mietreduzierung vereinbart worden, und zum Beweis das Zeugnis ihrer Mutter angeboten. Das Berufungsgericht hat von der Vernehmung der Zeugin abgesehen und den Beweis als nicht erbracht angesehen. Die Zeugin sei reise- und verhandlungsunfähig. Eine Beweisaufnahme in  Form einer Video-Übertragung sei auf unabsehbare Zeit nicht durchführbar, sodass die Beklagte beweisfällig geblieben sei. Die Verurteilung wurde daher lediglich auf 20.902 € nebst Zinsen korrigiert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Die Beklagte rügt mit Recht, dass sie durch die angefochtene Entscheidung in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, so hat das Gericht nach § 356 ZPO durch Beschluss eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird.

Im vorliegenden Fall fehlt es hinsichtlich der Vernehmung der angebotenen Zeugin bereits an einem Hindernis iSv. § 356 ZPO. Denn das Berufungsgericht hat nicht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Durchführung der Zeugenvernehmung ausgeschöpft. Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war die Zeugin zwar nicht reisefähig. Sie konnte danach weder vor dem Berufungsgericht noch vor dem vom Berufungsgericht für eine Videovernehmung ausgewählten Amtsgericht erscheinen. Daraus ergibt sich aber noch keine Undurchführbarkeit der Zeugenvernehmung. Vielmehr standen dem Berufungsgericht dazu weitere Möglichkeiten zur Verfügung, welche die Reisefähigkeit der Zeugin nicht voraussetzten. So bestand die Möglichkeit, die Zeugin nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des Berufungssenats zu vernehmen. Hätte dem entgegengestanden, dass ein unmittelbarer Eindruck von der Zeugin unerlässlich war, hätte das Berufungsgericht eine Vernehmung der Zeugin durch den vollbesetzten Senat in deren Wohnung gemäß § 219 Abs. 1 ZPO in Erwägung ziehen und erforderlichenfalls durchführen müssen. Dagegen hat das Berufungsgericht neben der von ihm verworfenen schriftlichen Beantwortung der Fragen lediglich eine Videovernehmung versucht, was mangels Reisefähigkeit der Zeugin gescheitert ist. Zwar hat das Berufungsgericht daneben noch eine mangelnde Verhandlungsfähigkeit der Zeugin angeführt. Abgesehen davon, dass es bei Zeugen nicht auf die Verhandlungs-, sondern auf die Vernehmungsfähigkeit ankommt, fehlt es an einer Begründung, warum die Zeugin nicht zu einer Aussage in der Lage gewesen sein sollte. Allein ihr Alter von seinerzeit 83 Jahren und ihre fehlende Reisefähigkeit genügen dazu nicht.

 

Fazit: Die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann; weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2021 – XII ZR 152/19 –, MDR 2021, 958).

BGH: Zulässigkeit und Prüfungsumfang bei Rechtsmitteln

Nicht nur die unteren Instanzen werden beständig mit mehr oder weniger nicht zielführenden Eingaben beschäftigt, manche davon erreichen auch den BGH. Im hier zu berichtenden Fall führte ein solcher Fall sogar zu zwei Entscheidungen des BGH (Beschl. v. 13.3.2024 und 4.12.2024 – II ZB 17/23)!

Das LG hatte einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die von dem Antragsteller gegen den Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde wurde von dem OLG zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wurde von dem OLG nicht zugelassen, jedoch vom Antragsteller gleichwohl eingelegt.

Der BGH verwarf zunächst die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Der Beschluss des OLG ist unanfechtbar (§ 577 Abs. 1 S. 2, § 574 Abs. 1 S. 1, § 127 Abs. 2 ZPO). Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist gleichfalls unanfechtbar, da es im Beschwerdeverfahren an einer dem § 544 ZPO (Nichtzulassungsbeschwerde) entsprechenden Vorschrift fehlt. Der Gesetzgeber hatte von einer solchen Möglichkeit im Beschwerdeverfahren bewusst abgesehen. Die Zulassung einer außerordentlichen Beschwerde ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Antragsteller muss den Beschluss des OLG mithin hinnehmen.

Die Konsequenz dieser Entscheidung war: Der Kostenbeamte des BGH musste dem Antragsteller eine Festgebühr in Höhe von 132 € in Rechnung stellen (GKG Anlage 1 Nr. 1826), und zwar ohne Rücksicht darauf, dass der vorstehend geschilderte Beschluss keine Kostenentscheidung erhielt. Die erwähnte Gebühr entsteht kraft Gesetzes (§ 22 Abs. 1 S. 1 GKG). Zwar ist das Verfahren für die Beantragung von Prozesskostenhilfe, einschließlich des diesbezüglichen Beschwerdeverfahrens, grundsätzlich kostenfrei; dies gilt jedoch nicht für eine unzulässige Rechtsbeschwerde. Gegen die Kostenanforderung legte der Antragssteller Erinnerung ein und verwies darauf, dass die vorherige Entscheidung unrichtig sei.

Damit konnte er keinen Erfolg haben. Die Erinnerung ist allerdings gemäß § 66 Abs. 1 GKG zulässig. Auch bei dem BGH ist der Einzelrichter zur Entscheidung berufen. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet. Im Rahmen eines Erinnerungsverfahrens können nur noch die Entscheidungen im Kostenansatzverfahren auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Eine erneute Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung, auf der die Kostenrechnung beruht, ist nicht möglich. Die Erinnerung wurde daher zurückgewiesen. Diese Entscheidung erging zum Glück für den Antragsteller kostenfrei und auch ohne Kostenerstattungspflicht (§ 66 Abs. 8 ZPO).

Fazit: Beim Einlegen unzulässiger Rechtsmittel muss stets an die Kostenkonsequenz gedacht werden. Dies muss der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten immer deutlich kommunizieren. Hier ging es nur um eine recht niedrige Festgebühr. Wenn sich jedoch die Gebühren nach dem Streitwert richten, können sehr unliebsame Überraschungen drohen!

Anwaltsblog 10/2024: Befangenheit eines Richters bei Mitwirkung an Versäumnisurteil in erster Instanz?

Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Vorsitzende eines Berufungssenats gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wenn er in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hatte, das in dem die Instanz abschließenden streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2025 – I ZB 40/24):

 

In einem Wettbewerbsprozess war Vorsitzender Richter am OLG K., damals noch als Vorsitzender einer Zivilkammer des Landgerichts, in erster Instanz am Erlass eines (ersten) Versäumnisurteils gegen die Beklagte beteiligt. Durch Endurteil, erlassen ohne die Beteiligung von K., erhielt die Kammer das Versäumnisurteil im Wesentlichen aufrecht. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. K. sitzt dem zuständigen Berufungssenat des OLG vor. Die Beklagte meint, er sei wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der Berufungssenat hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt.

Der BGH ist mit dem OLG der Ansicht, dass ein Richter, der in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil gegen den Beklagten mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist, nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Er möchte die Rechtsbeschwerde daher zurückweisen, sieht sich an einer solchen Entscheidung aber gehindert, weil er damit von der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG abwiche. Nach dessen Auffassung ist ein Richter, der in der Vorinstanz ein Versäumnisurteil erlassen hat, das auf Grund eines Einspruchs in einer neuen Entscheidung, an der ein anderer Richter mitgewirkt hat, aufgehoben oder bestätigt worden ist, gegen die nunmehr Berufung eingelegt wird, jedenfalls dann gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der weiteren Ausübung des Richteramts im Berufungsverfahren ausgeschlossen, wenn es sich – wie vorliegend – um ein nach § 331 Satz 1 ZPO gegen den säumigen Beklagten erlassenes Versäumnisurteil handelt, das gemäß § 343 ZPO aufrechterhalten worden ist (BAG, Beschluss vom 7. Februar 1968 – 5 AR 43/68). Deshalb ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 RsprEinhG beim 5. Senat des BAG anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält:

Nach Ansicht des Senats hat das OLG zu Recht entschieden, dass K. im vorliegenden Berufungsverfahren nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Danach ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund greift nicht ein, wenn der Richter – wie im Streitfall – in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Es liegt zwar eine Mitwirkung in einem früheren Rechtszug vor, die sich nicht lediglich auf die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters erstreckt. Die Mitwirkung betrifft jedoch nicht den Erlass der angefochtenen Entscheidung. Nach § 511 Abs. 1 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Vorliegend ist das die erste Instanz beendende Urteil nicht das Versäumnisurteil vom 8. März 2023, an dem K. mitgewirkt hat, sondern das Urteil vom 23. November 2023 aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung, an dem K. nicht mitgewirkt hat. Dass mit dem angefochtenen Urteil ein unter Mitwirkung des Richters erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist, stellt keine Mitwirkung des Richters an der angefochtenen Entscheidung dar. Bei einem zulässigen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist das Gericht zu einer vollständigen Prüfung der Sache verpflichtet, und zwar auch dann, wenn der durch § 342 ZPO bewirkte Wegfall der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage führt. Insbesondere kann und muss es die Schlüssigkeit der Klage ohne Bindung an das Versäumnisurteil neu beurteilen.

Es ist nicht geboten, die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO über ihren Wortlaut hinaus auf die Mitwirkung an einem ersten Versäumnisurteil anzuwenden, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Die ZPO wird von dem Gedanken geprägt, dass Richterinnen und Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten, wenn sie sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet haben. Das Verfahrensrecht sieht sie dazu in der Lage, ihre rechtliche Beurteilung fortlaufend zu überprüfen, sei es innerhalb desselben Verfahrens, sei es in einem nachfolgenden Verfahren. Die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO stellt eine begrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsmittelverfahrens sollen Richterinnen und Richter eine Entscheidung, an der sie selbst mitgewirkt haben, nicht in einem späteren Rechtszug überprüfen. Darüber hinaus eröffnet § 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 und 3 ZPO jeder Partei das Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Für eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO fehlt es daher bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

 

Fazit: Der Ausschlussgrund des § 41 Nr. 6 ZPO greift nicht ein, wenn der Richter in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist.