KG: Aussetzung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens

Einem Verfahren vor dem KG (Beschl. v. 22.7.2019 – 2 W 1/19) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin und die Streithelferin sind die einzigen Gesellschafter der Antragsgegnerin, deren wesentliches Vermögen ein Grundstück darstellt. Die Antragstellerin und die Streithelferin streiten sich in unterschiedlichen Parteirollen in zahlreichen Prozessen vor dem LG Berlin und dem KG. Im Wesentlichen geht es dabei um die Einziehung von Geschäftsanteilen und die Abberufung und Neubestellung von Geschäftsführern.

Im hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahren geht der Antrag der Antragstellerin dahin, die Antragsgegnerin müsse sie als Gesellschafterin mit allen Rechten und Pflichten behandeln. Außerdem beantragt sie, der Antragsgegnerin zu untersagen, eine geänderte Gesellschafterliste beim Handelsregister einzureichen und Änderungen der Geschäftsführerschaft eintragen zu lassen.

Das LG hat das Verfahren ausgesetzt. Bei dem KG ist derzeit ein Berufungsverfahren anhängig, worin es um die Frage geht, ob am 15. Mai eine Gesellschafterversammlung stattgefunden habe. Die Beantwortung dieser Frage sei für das einstweilige Verfügungsverfahren vorgreiflich. Gegen den Aussetzungsbeschluss hat die Streithelferin sofortige Beschwerde eingelegt. Diese führt zur Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses des LG Berlin.

Abgesehen davon, dass hier schon keine Vorgreiflichkeit besteht und das LG auch kein ordnungsgemäßes Ermessen ausgeübt hat, kommt die Aussetzung hier schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht in Betracht. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nicht im Hinblick auf ein Hauptsacheverfahren aus demselben Sachkomplex ausgesetzt werden. Eine Aussetzung ist mit der besonderen Eilbedürftigkeit eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht vereinbar. Lediglich beim Aufhebungsverfahren nach den § 927, § 936 ZPO wird teilweise die Auffassung vertreten, dass eine Aussetzung statthaft sei. Ein solches Verfahren liegt jedoch hier nicht vor.

Das LG muss daher in dem einstweiligen Verfügungsverfahren entscheiden, ohne dass es die Hauptsacheentscheidung des KG abwarten darf.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach einem nicht rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Fristverlängerung.

Begründung eines Antrags auf Fristverlängerung
Beschluss vom 20. August 2019 – X ZB 13/18

Mit den Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand befasst sich der X. Zivilsenat.

Der in erster Instanz unterlegene Kläger hatte rechtzeitig Berufung eingelegt. Sechs Tage vor Ablauf der Begründungsfrist übersandte sein Prozessbevollmächtigter per Post einen Schriftsatz, in dem er „vorsorglich“ Fristverlängerung beantragte. Der Schriftsatz ging erst einen Tag nach Ablauf der Frist beim Gericht ein. Das LG wies den Eintrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

Abweichend vom LG sieht es der BGH allerdings nicht als schuldhaft an, dass der Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz nur per Post und nicht auch per Telefax versendet hat. Der Prozessbevollmächtigte durfte darauf vertrauen, dass die Post den Schriftsatz rechtzeitig zum Gericht befördern wird. Er war deshalb nicht gehalten, ihn zusätzlich auf anderem Wege zu versenden oder sich telefonisch über den rechtzeitigen Eingang bei Gericht zu erkundigen.

Die Rechtsbeschwerde bleibt dennoch erfolglos, weil der Prozessbevollmächtigte nicht damit rechnen durfte, dass das LG die Frist bei rechtzeitigem Antrag verlängern würde. Ein Anwalt darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass das Gericht einem ersten Antrag auf Fristverlängerung stattgibt. Dies gilt aber nur, wenn in dem Antrag erhebliche Gründe dargetan werden, die eine Verlängerung rechtfertigen. Hieran fehlte es im Streitfall. Mit der Angabe, die Fristverlängerung erfolge vorsorglich, wird ein erheblicher Grund nicht aufgezeigt.

Praxistipp: Zur Darlegung eines erheblichen Grunds für eine erstmalige Fristverlängerung reicht ein pauschaler Hinweis auf Arbeitsüberlastung aus.

Montagsblog: Neues vom BGH

Im 150. Montagsblog geht es (wie schon häufiger) um die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung einer Frist.

Allgemeine Vorkehrungen für den Fall der Verhinderung
Beschluss vom 31. Juli 2019 – XII ZB 36/19

Mit elementaren Anforderungen an die Kanzleiorganisation befasst sich der XII. Zivilsenat.

In einer Familiensache war der Antragsteller in erster Instanz unterlegen. Seine Beschwerdebegründung ging fristgerecht beim OLG ein, ließ aber nicht erkennen, von wem die darin angebrachte Unterschrift stammt. Der Antragsteller beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug vor, seine Verfahrensbevollmächtigte sei verhindert gewesen und habe deshalb eine Rechtsanwaltsfachangestellte damit betraut, mit Hilfe des Anwaltsvereins einen Vertreter zu finden. Die Angestellte habe die Räume des Anwaltsvereins aufgesucht und den Schriftsatz dort von einem zufällig anwesenden, ihr nicht näher bekannten Anwalt unterschreiben lassen. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers zurück und verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Der BGH tritt dem OLG darin bei, dass die Beschwerdebegründung nicht formgerecht ist, weil sie nicht erkennen lässt, von wem sie unterschrieben ist. Er billigt auch die Einschätzung des OLG, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers diesen Formmangel verschuldet hat, weil sie nicht selbst festgelegt hat, wer sie vertreten soll.

Praxistipp: Der eher kuriose Fall zeigt einmal mehr, dass unter einer Unterschrift stets in Druckschrift vermerkt werden solle, von wem sie stammt.

OLG Koblenz: Streitwertbeschwerde des Rechtsanwalts

Der Kläger machte gegen den Beklagten verschiedene Unterlassungsansprüche geltend. Das angegangene LG stellte seine Zuständigkeit in Frage, da der Streitwert unter 5.000 € liege. Der Kläger beantragte daraufhin den Erlass eines Streitwertbeschlusses. Das LG setzte alsdann den Streitwert vorläufig auf bis zu 5.000 € fest. Gegen diesen Beschluss beschwerte sich der Klägervertreter aus eigenem Recht, um eine Festsetzung auf 20.000 € zu erreichen. Das LG half der Beschwerde nicht ab.

Das OLG Koblenz  (Beschl. v. 18.12.2018 – 12 W 661/18, MDR 2019, 893) hat die Beschwerde des Rechtsanwalts des Klägers als unzulässig verworfen! Zwar ist gemäß § 68 Abs. 1 GKG durchaus eine Beschwerde gegen eine Streitwertfestsetzung möglich, dies betrifft jedoch nur die endgültige Festsetzung. Gegen eine – wie hier – ersichtlich vorläufige Festsetzung ist die Beschwerde nur im Verfahren nach den §§ 67, 63 Abs. 1 Satz 2 GKG zulässig, mithin dann, wenn sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe des Vorschusses, der nach der vorläufigen Wertfestsetzung berechnet wurde, wendet. Ansonsten ist die vorläufige Wertfestsetzung nicht beschwerdefähig.

Daran ändert sich auch nichts, wenn eine solche Beschwerde von dem Rechtsanwalt des Klägers eingelegt wird. Zwar gibt § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt grundsätzlich ein eigenes Beschwerderecht. Diese Vorschrift eröffnet aber keine über die Regelungen des Gerichtskostengesetzes hinausgehende Beschwerdemöglichkeit. Die Beschwerdemöglichkeit des Rechtsanwalts kann damit nicht weitergehen als diejenige der Partei selbst. In diesem Sinne hatte auch schon das OLG Hamm (Beschl. v. 11.3.2005 – 2 WF 49/05, MDR 2005, 1309, s. a. OLG Koblenz (Beschl. v. 7.1.2014 – 3 W 714/13, MDR 2014, 560) entschieden.

Der Anwalt muss somit bedenken, dass das Verfahren nach den §§ 67, 63 GKG die einzige Möglichkeit ist, am Anfang des Verfahrens eine obergerichtliche Entscheidung zur richtigen Streitwerthöhe zu erlangen und damit Einfluss auf die erstinstanzliche gerichtliche Zuständigkeit zu nehmen. Anderenfalls bleibt nur folgender Weg: Es wird kein Verweisungsantrag gestellt und eine Klageabweisung als unzulässig provoziert. Dagegen kann dann Berufung eingelegt werden und das Berufungsgericht wird sich regelmäßig zur Höhe des Streitwertes verbindlich äußern müssen. Da in solchen Fällen aber – wenn die Berufung nicht zurückgewiesen wird – eine Aufhebung und Zurückverweisung erfolgt, verzögert diese Vorgehensweise den Prozess jedoch erheblich und wird daher in aller Regel nicht sachgerecht sein.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Beachtlichkeit von tatsächlichem Hilfsvorbringen einer Partei.

Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Haupt- und Hilfsvorbringen
Urteil vom 4. Juli 2019 – III ZR 202/18

Mit der Pflicht zu wahrheitsgemäßem Vorbringen befasst sich der III. Zivilsenat.

Der Kläger nahm den Beklagten wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit der Beteiligung an einem Schiffsfonds in Anspruch. Er stützte sein Begehren in erster Linie darauf, er habe eine risikolose Anlage angestrebt; deshalb hätte er von der vom Beklagten empfohlenen Anlage abgesehen, wenn ihn dieser auf die bestehenden Risiken aufmerksam gemacht hätte. Hilfsweise machte er geltend, er hätte zwar eine risikobehaftete Anlage gezeichnet, nicht aber eine spekulative. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH billigt die tatrichterliche Würdigung des OLG, wonach der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat, weil er eine vom Beklagten übergebene Beratungsdokumentation, in der die Risiken der Anlage in drucktechnisch hervorgehobener Weise aufgeführt waren, ungelesen unterschrieben hat. Auf dieser Grundlage hat das OLG zu Recht entschieden, dass die Verjährung bereits mit Zeichnung der Anlage begonnen hat und der Anspruch bei Klageerhebung deshalb verjährt war. Der BGH tritt dem OLG auch darin bei, dass das Hilfsvorbringen des Klägers unbeachtlich ist, weil das OLG sein Hauptvorbringen als wahr unterstellt hat. Zwar ist es nicht schlechthin unzulässig, hilfsweise Tatsachen vorzutragen, die in Widerspruch zum tatsächlichen Hauptvorbringen stehen. Prozessual beachtlich ist solches Vorbringen aber nur, wenn das Gericht den Hauptvortrag als nicht bewiesen oder widerlegt ansieht, nicht aber, wenn es ihn als bewiesen ansieht oder als wahr unterstellt und die Klage aus Rechtsgründen abweist. Einer Partei steht es nicht frei, dem Gericht mehrere miteinander unvereinbare Sachverhalte zu unterbreiten mit dem Ziel, mit einem davon auch rechtlich durchzudringen.

Praxistipp: Prozessual beachtlich ist ein vom ursprünglichen Vortrag abweichendes Vorbringen, wenn es nicht hilfsweise, sondern anstelle des bisherigen Hauptvorbringens erfolgt. Ob das Gericht dem neuen Vortrag Glauben schenkt, ist eine andere Frage.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die sukzessive Geltendmachung von Teilforderungen in getrennten Prozessen.

Keine Aussetzung bei getrennter Geltendmachung von Teilforderungen
Beschluss vom 27. Juni 2019 – IX ZB 5/19

Mit dem Anwendungsbereich von § 148 ZPO befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der klagende Rechtsanwalt war von den Beklagten beauftragt worden, die Freigabe von zwei Grundschulden zu erwirken. Die Beklagten hatten einen Vorschuss von rund 7.000 Euro gezahlt. Nach Abschluss seiner Tätigkeit stellte der Kläger insgesamt rund 11.000 Euro in Rechnung. Die Beklagten klagten in einem ersten, mittlerweile in der Berufungsinstanz anhängigen Rechtsstreit auf Rückzahlung von rund 4.000 Euro, mit der Begründung, sie hätten mit dem Kläger ein Pauschalhonorar von rund 3.000 Euro vereinbart. Der Kläger trat diesem Begehren entgegen und erklärte die Aufrechnung mit einem Teil seiner Honorarforderung. Gut ein Jahr später klagte er in einem separaten Rechtsstreit den nach seiner Auffassung noch offenen Betrag von rund 4.000 Euro ein. Das AG setzte das Verfahren gemäß § 148 ZPO aus. Das LG wies die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers zurück.

Die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers hat schon deshalb Erfolg, weil das LG durch den Einzelrichter entschieden hat und dies nach der ständigen Rechtsprechung des BGH das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, wenn ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegt. In seinen Hinweisen für das weitere Verfahren gibt der BGH zu verstehen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen auch inhaltlich unzutreffend sind. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn die in dem anderen Rechtsstreit zu treffende Entscheidung für das auszusetzende Verfahren präjudiziell ist, also Rechtskraft-, Gestaltungs- oder Interventionswirkung entfaltet. Eine solche Wirkung kann zwar auch dann entstehen, wenn dieselbe Forderung im einen Verfahren eingeklagt und im anderen Verfahren zur Aufrechnung gestellt wurde. Im Streitfall betreffen die Aufrechnung im ersten Rechtsstreit und die Klage im vorliegenden Rechtsstreit aber unterschiedliche Teile der Honorarforderung. Die Rechtskraft der Entscheidungen ist auf den jeweils betroffenen Teil der Forderung beschränkt. Eine präjudizielle Wirkung kann deshalb nicht eintreten.

Praxistipp: Eine zeitliche Synchronisierung der beiden Prozesse können die Parteien in der gegebenen Konstellation allenfalls durch einen einvernehmlichen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens erreichen. Eine solche Anordnung führt aber gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB dazu, dass die Verjährung nach sechs Monaten weiterzulaufen beginnt.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um einen nicht alltäglichen Fall der Kostenerstattung.

Anwaltsbestellung nach Klagerücknahme
Beschluss vom 23. Mai 2019 – V ZB 196/17

Mit der Reichweite des Anspruchs auf Kostenerstattung nach Klagerücknahme befasst sich der V. Zivilsenat.

Der Kläger hatte mit einer gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten Klage einen Beschluss der Eigentümerversammlung angegriffen. Vier Tage nach Zustellung der Klage an den Verwalter der Anlage bestellte sich ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger gegenüber dem Gericht bereits die Rücknahme der Klage erklärt. Dieser Schriftsatz wurde dem Verwalter erst einen Tag später zugestellt. Der Rechtspfleger beim AG setzte die von den Beklagten geltend gemachten Anwaltskosten antragsgemäß fest. Die Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Der BGH stützt sich auf seine Rechtsprechung, wonach ein Rechtsmittelgegner die Kosten eines Anwalts erstattet verlangen kann, den er in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der bereits erfolgten Rücknahme des Rechtsmittels beauftragt hat. Für den Fall einer Klagerücknahme kann nichts anderes gelten. Im Streitfall war den Beklagten die Klagerücknahme nicht bekannt. Es waren auch keine Umstände ersichtlich, die auf eine entsprechende Erklärung des Klägers hindeuteten. Deshalb hat der Kläger die angefallenen Kosten zu erstatten.

Praxistipp: Um unnötige Kosten zu vermeiden, sollte der Anwalt des Klägers in solchen Situationen die Gegenseite auf möglichst schnellem Weg (Telefax, E-Mail, Telefon) direkt von der Klagerücknahme unterrichten.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflicht des Gerichts, Vortrag in einem nachgelassenen Schriftsatz zu berücksichtigen.

Schriftliche Ausführungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme
Beschluss vom 21. Mai 2019 – VI ZR 54/18

Mit den Wirkungen eines gewährten Schriftsatzrechts befasst sich der VI. Zivilsenat.

Die Kläger nahmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung ihres verstorbenen Vaters in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, die Beklagten hätten ihren Vater bereits bei einer kurz nach Beginn der Behandlung durchgeführten Untersuchung am 8. Oktober 2009 auf mögliche Infektion der Beine hinweisen und insoweit weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Das LG wies die Klage ab. Das OLG vernahm eine Praxisangestellte der Beklagten zu deren Beobachtungen bei den vorgenommenen Untersuchungen. Die Zeugin gab an, sie könne sich an die Daten der einzelnen Untersuchungen und den Zustand des Patienten nicht mehr genau erinnern. Das OLG gab den Parteien nach Abschluss der Beweisaufnahme Gelegenheit, zu deren Ergebnis schriftlich Stellung zu nehmen. In einem fristgerecht eingereichten Schriftsatz wiesen die Kläger auf ein bereits vorgelegtes Gedächtnisprotokoll hin, in dem die Zeugin festgehalten hatte, dass sich bereits am 8. Oktober 2009 Symptome einer Infektion zeigten. Das OLG ging diesem Einwand nicht nach und wies die Berufung der Kläger zurück.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Das OLG war verpflichtet, die fristgerechte Stellungnahme der Kläger zu berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wenn diese entscheidungserheblichen Vortrag enthielt, der Anlass zu weiterer Sachaufklärung gab. Hierbei ist unerheblich, ob das OLG überhaupt verpflichtet gewesen wäre, ein Schriftsatzrecht zu gewähren. Wenn das Gericht ein solches Recht einräumt, muss es fristgerecht eingereichtes Vorbringen berücksichtigen, soweit es vom Gegenstand des eingeräumten Rechts gedeckt ist. Im Streitfall hätte das OLG das Gedächtnisprotokoll in seine Beweiswürdigung einbeziehen müssen. Dies hätte möglicherweise zu einer erneuten Vernehmung der Zeugin unter Vorhalt des Protokolls geführt.

Praxistipp: Um Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu gewinnen, sollten die Parteien in der Regel ein Recht zur schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme beantragen. Wenn dieser Antrag abgelehnt wird, bleiben sie dennoch zu einer nachträglichen Stellungnahme berechtigt, soweit eine sofortige Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Neue Gesetzgebungsvorschläge zum Zivilprozessrecht

Das BMJV hat einen Referentenentwurf zur dauerhaften Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen vorgelegt. Ergänzend ist darin unter anderem vorgesehen, den Katalog von Materien, für die jedes LG und jedes OLG eine spezialisierte Kammer bzw. einen spezialisierten Senat einrichten muss, deutlich zu erweitern. An dieser Regelung könnten sich künftig langwierige Kompetenzkonflikte entzünden, die dem angestrebten Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderlaufen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber flankierende Maßnahmen vorsieht, um diese Gefahr zu minimieren.

Seit der ZPO-Reform im Jahr 2002 ist eine Revision in Zivilsachen nur noch statthaft, wenn das Berufungsgericht oder – auf Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei – der Bundesgerichtshof das Rechtsmittel zulässt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer die Grenze von 20.000 Euro übersteigt. Diese Regelung war ursprünglich nur für einen Übergangszeitraum vorgesehen. Ihr Geltungszeitraum wurde aber mehrfach verlängert, zuletzt bis 31.12.2019.

Der Referentenentwurf sieht nunmehr vor, die Wertgrenze dauerhaft in die ZPO zu übernehmen, als neuen Absatz 2 der für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblichen Regelung in § 544 ZPO. Der BGH hat sich immer wieder für diese Lösung eingesetzt, um eine anderenfalls drohende Überlastung zu vermeiden.

Ergänzend sieht der Entwurf flankierende Maßnahmen vor, denen das Ziel gemeinsam ist, die Effizienz im Zivilprozess weiter zu steigern. Dazu gehört eine Erweiterung der in § 72a und § 119a GVG vorgesehenen Kataloge von Rechtsmaterien, für die jedes LG und jedes OLG zwingend eine Spezialkammer bzw. einen Spezialsenat einzurichten hat. Die vier bereits bestehenden Tatbestände (Bank- und Finanzgeschäfte, Bau-, Architekten- und Ingenieurverträge, Heilbehandlungen, Versicherungsverträge) sollen um vier weitere Tatbestände (Kommunikations- und Informationstechnologie, Veröffentlichungen in Presse, Funk, Fernsehen und Internet, Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten) ergänzt werden. Insbesondere der Tatbestand der Kommunikations- und Informationstechnologie dürfte eine ungeahnte Vielzahl von Streitigkeiten erfassen.

Wenn die Regelungen wie geplant in Kraft treten, könnte sich eine Entwicklung verstärken, die schon unter dem bestehenden Recht eingesetzt hat und dem Ziel der Effizienzsteigerung zuwiderläuft: Angesichts der abstrakten Formulierungen, mit denen die Zuständigkeit der Spezialspruchkörper umschrieben ist, entsteht nicht selten Streit darüber, ob ein Rechtsstreit vor einen Spezialspruchkörper gehört oder ob es bei der Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer bzw. eines allgemeinen Zivilsenats verbleibt. Anders als bei Konflikten über die im Geschäftsverteilungsplan festgelegten Zuständigkeiten sehen viele Obergerichte in solchen Fällen eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zulässig an (vgl. etwa KG, B. v. 14.03.2019 – 2 AR 6/19, MDR 2019, 634). Paradoxerweise können solche gerichtsinternen Konflikte sogar schwieriger zu beurteilen sein als Kompetenzkonflikte zwischen unterschiedlichen Gerichten, denn eine Bindungswirkung, wie sie § 281 ZPO für die Verweisung an ein anderes Gericht oder § 102 GVG für das Verhältnis zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen anordnen, ist in § 72a und § 119a GVG nicht ausdrücklich vorgesehen. Selbst die ergänzenden Regelungen über die Zuständigkeit durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache (§ 39 ZPO) und über die beschränkte Nachprüfung der erstinstanzlichen Zuständigkeit in den höheren Instanzen (§ 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO) sind zumindest ihrem Wortlaut nach in solchen Fällen nicht anwendbar.

Angesichts dessen erscheint es wünschenswert, dass der Gesetzgeber gerichtsinterne Zuständigkeitskonflikte künftig (mindestens) denselben Schranken unterwirft, die für gerichtsübergreifende Konflikte gelten. Ansonsten ist nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft viele Prozesse hauptsächlich um die Frage drehen, welche Kammer bzw. welcher Senat über die Klage zu entscheiden hat.

Viral aber nicht ansteckend: Influencer und Lauterkeitsrecht

Haben Sie auch etwas gegen…?

Tja, gegen was denn eigentlich? So richtig scheint die Influencer-Welt das nicht zu wissen.

Inzwischen sieht auch die Regierung Handlungsbedarf. Dementsprechend hat das BMJV nun entsprechende Änderungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) angekündigt, die allen Beteiligten zu mehr Rechtsklarheit verhelfen soll. Wie genau diese Regelung aussehen soll, ist unklar. Mit nur einer knappen Regelung wie zum Beispiel „Äußerungen mit kommerziellem Charakter ohne jegliche Gegenleistung bedürfen keiner besonderen Kennzeichnung“ dürfte vermutlich die, über mehrere Rechtsgebiete verstreuten, Kennzeichnungspflichten nicht allumfassend modifizieren können.  Bereits in der Vergangenheit haben Bemühungen um Klärungen umstrittener Rechtsfragen (wie zum Beispiel der neu geschaffene § 97a UrhG, um bei typischen File-Sharing-Abmahnungen graue Bereiche einzuebnen) zu neuen Unsicherheiten und Auslegungsherausforderungen der Gerichte geführt. Es bleibt daher fraglich, ob ein Handeln des Gesetzgebers, das zugleich die Dynamik der Weiterentwicklung moderner Medien durch Unschärfen miterfassen muss, hier zielführend ist. Eine solche Regelung würde ein über Jahrzehnte gewachsenes Gleichgewicht, wie es zum Beispiel im Printbereich (Autozeitschrift mit Fahrzeugvorstellung) vollkommen selbstverständlich ist, möglicherweise aus der Balance bringen.

Fest steht, wettbewerbsrechtliche Abmahnungen und gerichtliche Verfahren wegen mangelnder Kennzeichnung kommerzieller Inhalte, überwiegend angestrengt vom Verband Sozialer Wettbewerb VSW, sind ein Ärgernis und verunsichern die Branche. Insbesondere das Landgericht der Influencer-Hauptstadt Berlin stellte bisher an Beiträge in sozialen Netzwerken hohe Anforderungen. Durch weitere Rechtsprechung verstreut über die Republik – dank § 14 Abs. 1 S. 2 UWG kann sich der VSW meistens nicht das Wunschgericht aussuchen – haben sich die Anforderungen aber einerseits zumindest ein wenig konkretisiert, auch sind Wege aufgezeigt worden, wie die derzeitige social-media-Praxis als rechtskonform beurteilt werden kann. Insbesondere das LG München I (Urt. v. 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MDR 2019, 820; siehe auch BöseMDR-Blog v. 1.5.2019) geht einen interessanten, wenn auch nicht kritikfreien Weg.

Hinweis: Eine Zusammenstellung der ergangenen lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung sowie konkrete Gestaltungsvorschläge „ab wann“, „wo“ und „wie“ eine Kennzeichnung von Veröffentlichtungen erforderlich ist, finden Sie in Böse, Influencer-Marketing – Die lauterkeitsrechtlichen Kennzeichnungspflichten von Werbebotschaften, MDR 2019, 769.