Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Haftung für arglistig verschwiegene Mängel eines verkauften Grundstücks

Arglisthaftung bei Verkauf eines in Schwarzarbeit errichteten Grundstücks
Urteil vom 28. Mai 2021 – V ZR 24/20

Mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 444 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Klägerin kaufte von den Beklagten zu 1 und 2 im März 2012 für 253.000 Euro ein Grundstück. In dem Vertrag wurde die Haftung für Sachmängel ausgeschlossen. Das auf dem Grundstück stehende Gebäude hatte eine inzwischen verstorbene Bauunternehmerin im Auftrag des Beklagten zu 1 errichtet. Im Dezember 2012 traten bei Umbauarbeiten Feuchtigkeitsschäden im Keller zutage. Der Beklagte zu 1 trat diesbezügliche Gewährleistungsansprüche gegen die Bauunternehmerin an die Klägerin ab. Die Klägerin verlangte von den beiden Verkäufern sowie den Erben der Bauunternehmerin Ersatz eines Wertminderungsschadens in Höhe von rund 48.000 Euro. Die Klage gegen die zweite Verkäuferin und die Erben der Bauunternehmerin ist inzwischen rechtskräftig abgewiesen. Den Beklagten zu 1 verurteilte das OLG unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rund 34.000 Euro.

Die Revision des Beklagten zu 1 hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Rechtsfehlerfrei ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gebäude mangelhaft ist, weil es keine Vertikalabdichtung und nur eine unzureichende Horizontalabdichtung aufweist. Der Beklagte zu 1 hat für diesen Mangel wegen des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses gemäß § 444 BGB nur dann einzustehen, wenn er ihn arglistig verschwiegen hat. Diese Voraussetzung ist entgegen der Auffassung des OLG nicht schon deshalb erfüllt, weil der Beklagte zu 1 das Gebäude in Schwarzarbeit errichten ließ und diesen Umstand vor Abschluss des Kaufvertrags verschwiegen hat.

Der Tatbestand des § 444 BGB ist nur dann erfüllt, wenn der Verkäufer denjenigen Mangel arglistig verschwiegen hat, auf den der Käufer seinen Gewährleistungsanspruch stützt. Ansprüche wegen unzureichender Abdichtung sind deshalb nur dann begründet, wenn der Beklagte zu 1 wusste oder zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass das Gebäude unzureichend abgedichtet ist. Hierfür genügt nicht die Kenntnis, dass das Gebäude in Schwarzarbeit errichtet worden ist.

Der Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz begründet für sich gesehen keinen Mangel, der zu einer Haftung nach § 444 BGB führen könnte. Ein solcher Verstoß wirkt sich regelmäßig nicht auf die Wertschätzung des Grundstücks aus. Dass dem Verkäufer wegen Nichtigkeit des Werkvertrags keine Gewährleistungsansprüche gegen den Bauunternehmer zustehen, führt nicht zu einer abweichenden Betrachtung, weil die Abtretung solcher Ansprüche im Kaufvertrag nicht vereinbart wurde.

Praxistipp: Für die Annahme von Arglist genügt es nicht, dass sich dem Verkäufer das Vorliegen aufklärungspflichtiger Tatsachen hätte aufdrängen müssen.

BGH: Ablehnung einer Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit

Der BGH (Beschl. v. 12.5.2021 – XII ZR 152/19, MDR 2021, 958 = MDR 2021, 1050 [Laumen]) hat sich näher mit der Frage befasst, wann ein Beweisantritt auf Vernehmung eines Zeugen als ungeeignet zurückgewiesen werden kann.

Die Parteien waren im Streit über Ansprüche anlässlich der Auflösung einer langjährigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Im Rahmen einer Aufrechnungsforderung hatte der Beklagte behauptet, 3.111 Stunden für Aus- und Umbauarbeiten an dem Haus der Klägerin gearbeitet zu haben. Er hatte auch eine nachvollziehbare Aufstellung sowie Lichtbilder vorgelegt. Außerdem hatte er Zeugenbeweis angeboten. Das OLG hatte die benannten Zeugen (Nachbarn und Reinigungskräfte der Parteien) nicht vernommen und dies damit begründet, es könne ausgeschlossen werden, dass die Zeugen derartige Behauptungen nachvollziehbar bestätigen könnten.

Dies akzeptiert der BGH nicht. Wird ein erheblicher Beweisantritt nicht berücksichtigt, verstößt dies gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Bei der Zurückweisung eines Zeugenbeweises als ungeeignet, ist größte Zurückhaltung geboten (ständige Rechtsprechung: siehe zuletzt BGH v. 12.12.2018 – XII ZR 99/17, MDR 2019, 302 = MDR 2019, 467 [Laumen]). Eine Zurückweisung kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse bringen kann. Eine Unwahrscheinlichkeit alleine rechtfertigt keine Ablehnung wegen Ungeeignetheit. Es muss auch bei dem Antritt des Zeugenbeweises nicht ausgeführt werden, wie der Zeuge die zu bekundende Tatsache erfahren haben soll.

Deshalb durfte das OLG nicht davon absehen, den Zeugenbeweis zu erheben. Das Urteil wurde daher aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit die Beweisaufnahme nachgeholt werden kann.

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Diese Woche geht es um die Formbedürftigkeit eines Auftrags zum Erwerb eines Grundstücks

Treuhänderischer Auftrag zum Erwerben und Halten eines Grundstücks
Urteil vom 25. Juni 2021 – V ZR 218/19

Mit der Reichweite von § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beklagte schloss im Oktober 1992 einen notariellen Kaufvertrag über eine Wohnung in Österreich. Im November 1992 vereinbarte sie mit dem Kläger in einem privatschriftlichen Vertrag, dass sie die Wohnung treuhänderisch für den Kläger kauft und übernimmt und dass sie auf Verlangen des Klägers an einer Veräußerung der Wohnung mitwirkt. Später verlangte der Kläger, ihm die Wohnung zu übereignen. Die darauf gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg.

Der Bundesgerichtshof verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Bundesgerichtshof nimmt Bezug auf seine Rechtsprechung, wonach ein Treuhandauftrag über den Erwerb eines Grundstücks nur unter dem Gesichtspunkt der Erwerbspflicht des Beauftragten der Form des § 313 Satz 1 BGB a.F. (jetzt: § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB) unterliegt. Ein diesbezüglicher Formmangel ist im Streitfall gegebenenfalls gemäß § 313 Satz 2 BGB a.F. (jetzt: § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB) geheilt, weil die Beklagte Eigentümerin der Wohnung geworden ist.

Die Pflicht des Beauftragten, das Grundstück an den Auftraggeber herauszugeben, beruht demgegenüber nicht auf dem Vertrag, sondern auf der gesetzlichen Regelung in § 667 BGB. Sie begründet deshalb nicht das Formerfordernis des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB (so zuletzt BGH, U. v. 15.1.2021 – V ZR 210/19 – MDR 2021, 609). Etwas anderes gälte nur dann, wenn die Beklagte bei Abschluss des Treuhandvertrags bereits Eigentümerin der Wohnung gewesen wäre oder durch Stellung eines Umschreibungsantrags oder Eintrag einer Vormerkung ein Anwartschaftsrecht gehabt hätte. Hierzu muss das OLG im wieder eröffneten Berufungsverfahren noch Feststellungen treffen.

Sollte der Vertrag danach wirksam sein, steht dem Kläger gemäß § 667 BGB ein Anspruch auf Übereignung der Wohnung zu. Das im Treuhandvertrag vorgesehene Recht, die Mitwirkung an einer Veräußerung zu verlangen, ist nicht an die Stelle dieses Anspruchs getreten. Es stellt nur eine besondere Ausprägung dieses Anspruchs für eine bestimmte, hier nicht gegebene Konstellation dar.

Praxistipp: Die Verpflichtung, einen Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks abzutreten, unterliegt ebenfalls nicht dem Formerfordernis des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB.

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Diese Woche geht es um die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten, die in einem obligatorischen Güteverfahren angefallen sind.

Kosten der anwaltlichen Vertretung in einem obligatorischen Güteverfahren
Beschluss vom 24. Juni 2021 – V ZB 22/20

Mit der Reichweite von § 15a Abs. 4 EGZPO und § 91 Abs. 1 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Parteien führten eine nachbarrechtliche Streitigkeit. Ein Einigungsversuch vor der Gütestelle blieb erfolglos, weil nur die Kläger (zusammen mit ihrer späteren Prozessbevollmächtigten) erschienen waren, nicht aber die Beklagten. Im nachfolgenden Rechtsstreit legte das Gericht den Beklagten die Kosten auf. Im Kostenfestsetzungsverfahren machten die Kläger unter anderem die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten (rund 380 Euro) geltend. Der Festsetzungsantrag blieb insoweit in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Rechtsbeschwerde der Kläger hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 15a Abs. 4 EGZPO gehören die Kosten einer Gütestelle, die durch ein obligatorisches Einigungsverfahren entstanden sind, zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 und 2 ZPO. Diese Vorschrift ist im Streitfall anwendbar, weil ein Güteverfahren nach § 15a Abs. 1 EGZPO und dem einschlägigen Landesrecht zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage war. Zu den danach zu erstattenden Kosten gehören jedoch nur die Gebühren der Gütestelle, nicht die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten.

§ 91 Abs. 3 ZPO, wonach zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 und 2 ZPO auch die Gebühren gehören, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind, wird bei obligatorischen Schlichtungsverfahren durch die Sonderregelung in § 15a Abs. 4 EGZPO verdrängt. Unabhängig davon erfasst auch § 91 Abs. 3 ZPO nur die Kosten der Gütestelle, nicht aber Anwaltskosten (BGH, B. v. 15.1.2019 – II ZB 12/17 Tz. 10 – MDR 2019, 378).

Die im Güteverfahren angefallenen Anwaltskosten fallen auch nicht unter die allgemeine Regelung im § 91 Abs. 1 ZPO. Sie sind – entgegen der bislang wohl überwiegenden Auffassung – auch bei einem obligatorischen Güteverfahren nicht als Kosten zur Vorbereitung des Rechtsstreits zu qualifizieren, sondern als Kosten zur Abwendung eines drohenden Rechtsstreits. Dies gilt auch dann, wenn eine Partei bereits in diesem Stadium einen Rechtsanwalt beizieht.

Praxistipp: Hinsichtlich der Kosten eines Anwalts, der erst nach dem erfolglosen Abschluss des Güteverfahrens vorgerichtlich tätig geworden ist, dürfte nach Maßgabe der hierfür allgemein geltenden Grundsätze ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch bestehen.

Das Personen- und Sachschadensrecht bei Verkehrsunfällen in der Corona-Pandemie: Desinfektionskosten usw.

Die Corona-Pandemie hat, nach den Daten des statistischen Bundesamts, zwischen März und Juni 2020 zu einem signifikanten Rückgang der Verkehrsunfälle geführt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wurden 26 % weniger Verkehrsunfälle polizeilich aufgenommen. Gleichwohl verbleibt aber allein für diesen Zeitraum die signifikante Zahl von ca. 670.000 Verkehrsunfällen. In der Coronazeit danach dürften, auch wenn dazu noch keine amtlichen Daten vorliegen, tendenziell wieder mehr Verkehrsunfälle passiert sein.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Haftungsrecht des Straßenverkehrs

Wie wirken sich die Besonderheiten der Corona-Pandemie auf das Schadensrecht nach Verkehrsunfällen aus?

Besonderheiten ergeben sich für Unfälle in der Corona-Pandemie v.a. im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands, d.h. Schadenspositionen können im Zuge der Corona-Pandemie höher oder niedriger ausfallen als sonst üblich. Inwiefern?

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Sach- und Personenschadensrecht

Auf die meisten Schadenspositionen wirkt sich die Corona-Pandemie, sowohl im Bereich des Sachschadens als auch im Bereich des Personenschadens, schadenserhöhend aus.

  • Beim Sachschaden ist das beispielsweise für die Mietwagenkosten und die abstrakte Nutzungsausfallentschädigung der Fall. So waren im Lockdown teilweise Werkstätten geschlossen, der Gebrauchtwagenmarkt war zum Teil vollständig zum Erliegen gekommen. Dadurch kam es zu längeren Fahrzeugausfallzeiten wegen Reparatur oder Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Es liegen bereits amtsgerichtliche Entscheidungen vor, die andeuten, dass Schädiger deutlich höhere Mietwagenkosten bzw. deutlich höhere abstrakte Nutzungsausfallentschädigung zu leisten haben. Teils wird von 10 zusätzlich ersatzfähigen Tagen ausgegangen.
  • Ähnlich verhält es sich im Bereich des Personenschadens für die Schadenspositionen des Haushaltsführungsschadens und Schmerzensgeldes. So war und ist wegen der Corona-Pandemie oft eine intensivere Führung des eigenen Haushalts erforderlich (wegen Home-Office ist mehr einzukaufen, mehr zu reinigen, mehr Kinderbetreuung zu leisten usw.). Ist dies nachgewiesen, führt dies zu einem höheren Haushaltsführungsschaden. Im Bereich des Schmerzensgeldes wirkt sich schmerzensgelderhöhend aus, dass sich wegen verschobener Operationen bzw. Behandlungen die Leidenszeit des Unfallopfers oft verlängert hat.
  • Der einzige Schadensposten, bei dem ggf. eine Schadensverringerung eintritt, ist der des so genannten Erwerbsschadens, der für einen Ausgleich in der Situation sorgt, in der ein Unfallopfer seiner Berufstätigkeit oder selbständigen Erwerbstätigkeit nicht nachgehen kann. Zu ermitteln ist der Erwerbsschaden über eine vom Gericht anzustellende Prognose. Hätte ein Unfallgeschädigter wegen der Corona-Pandemie voraussichtlich weniger gearbeitet oder wäre er in Kurzarbeit geschickt worden, so mindert dies den zuzusprechenden Erwerbsschadensersatz.

Übersicht

 

Die Behandlung all dieser Schadenspositionen weist zwar durch die Corona-Pandemie ausgelöste Veränderungen auf. Sie erfolgt aber mit den altbekannten juristischen Instrumentarien für diese Schadenspositionen. Änderungen aufgrund der Corona-Pandemie halten sich damit in Grenzen.

Die Problematik der Fahrzeugdesinfektionskosten

Eine neue Schadensposition ist die der Ersatzfähigkeit von Kosten der Fahrzeugdesinfektion bei Reparatur. Kann die Reparaturwerkstatt dem Schädiger ihre Kosten für die Desinfektion des Fahrzeugs in Rechnung stellen? Die Behandlung dieser Schadenspositionen ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten:

Meinungsstand zur Ersatzfähigkeit von Kosten der Fahrzeugdesinfektion

Urteil des LG Stuttgart v. 21.7.2021 – 13 S 25/21

In einem aktuellen Urteil vom 21.7.2021 hat sich nun das Landgericht Stuttgart mit der Ersatzfähigkeit sogenannter Desinfektionskosten nach einem Verkehrsunfall während der Corona-Pandemie befasst (LG Stuttgart vom 21.7.2021 – 13 S 25/21, juris). Das Urteil des LG Stuttgart ist deshalb besonders beachtlich, weil es eines der ersten Berufungsurteile zur Thematik des Schadensrechts in der Corona-Pandemie ist und das Landgericht zudem die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen hat.

Folgende Punkte aus dem Urteil sind herauszustellen:

  1. Das LG Stuttgart differenziert zwischen den Kosten einer Desinfektion des Fahrzeugs vor Übernahme in die Werkstatt und denjenigen einer Desinfektion vor Übergabe des Fahrzeugs an einen Kunden. Die Erforderlichkeit für die Wiederherstellung wird nur für die letztgenannten Desinfektionskosten bejaht. Das LG führt aus: „In Zeiten der Corona-Pandemie darf der Geschädigte eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen vor Abholung des Fahrzeugs erwarten. Unabhängig davon, ob ein nennenswertes Risiko einer Schmierinfektion über Kontaktflächen objektiv besteht, wäre es für den Geschädigten eine über die bloße Lästigkeit hinausgehende Beeinträchtigung, wenn er das Fahrzeug ohne solche Maßnahmen entgegennehmen müsste.“
  2. Das LG Stuttgart lehnt eine Ersatzfähigkeit der Kosten einer Desinfektion des Fahrzeugs vor Übernahme in die Werkstatt nach den Grundsätzen des so genannten Werkstattrisikos ab. Über die Kosten einer Innenraumdesinfektion nach der Reparatur und vor Übergabe an den Kunden hinausgehende Maßnahmen seien kein unmittelbarer Bestandteil der Reparaturarbeiten. Die Grundsätze des Werkstattrisikos fänden mithin auf den Fall keine Anwendung.
  3. Auch die so genannte Indizwirkung der Rechnung führt, mangels bezahlter Werkstattrechnung, nicht zu einer Ersatzfähigkeit von über die unter 1.) genannten hinausgehenden Desinfektionskosten.
  4. Eine Ersatzpflicht sei wertungsmäßig nicht geboten, denn die Versagung des Anspruchs führe zu keiner unangemessenen Benachteiligung des Geschädigten.

Stellungnahme

Die Entscheidung des LG Stuttgart vom 21.7.2021 überzeugt in ihrem Ausgangspunkt, nach dem allenfalls die Kosten einer Innenraumdesinfektion des Fahrzeugs zur Wiederherstellung des Zustands vor dem schädigenden Ereignis erforderlich sind (Desinfektionskosten vor Übergabe des Fahrzeugs an den Werkstattkunden). Bei den übrigen Desinfektionskosten handelt es sich um nicht ersatzfähige Allgemeinkosten der Werkstatt.

Offen lässt das LG aber die Frage, ob sich bei den Kosten der Desinfektion vor Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden nicht nur ein allgemeines Lebens- bzw. Infektionsrisiko verwirklicht, das jeder selbst zu tragen hat. Es bestünde dann kein adäquat kausaler Zusammenhang zwischen Unfall und Desinfektionskosten. Eine Kontrollüberlegung mag bei der Entscheidung helfen: Könnte der Geschädigte seine Behandlungskosten der Corona-Erkrankung dem Unfallschädiger in Rechnung stellen, wenn er sich in einem in der Werkstatt kontaminierten Fahrzeug angesteckt hat? Nach der bisherigen Rechtsprechung, etwa zu einer Grippeinfektion anlässlich einer Krankenhausbehandlung oder zum Sturz bei der Schadensbesichtigung, wohl eher nicht! Viel spricht daher dafür, einen Kausalzusammenhang in einer Zeit hoher Inzidenzwerte mit Schutzmaßnahmen, die alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen, für die Desinfektionskosten zu verneinen und diese als mit der allgemeinen Auslagenpauschale abgegolten zu sehen. Auch beim Supermarktbesuch ist ja schließlich niemand auf die Idee gekommen, den Kunden Desinfektionskosten gesondert in Rechnung zu stellen.

Es ist sehr zu begrüßen, dass das LG Stuttgart die Revision zum BGH zugelassen hat. Das Revisionsverfahren bietet über die Gelegenheit zu einer Beendigung des Meinungsstreits zu den Desinfektionskosten hinaus für den BGH die Chance, Grunddeterminanten des Sachschadensrechts abzustecken. So betrachtet könnte ein eventuelles BGH-Urteil auch Relevanz für ähnliche Fragestellungen aus dem Bereich der Nebenschäden wie z. B. der nach der Fahrzeugreinigung im Falle eines Unfalls, entfalten.

Fazit

  1. In der Regel kommt es durch die Corona-Pandemie zu einer Ausweitung einzelner Schadenspositionen (z. B. Mietwagenkostenersatz und abstrakte Nutzungsausfallentschädigung). Neue Rechtsinstrumente für deren Behandlung sind nicht erforderlich.
  2. Zu einer Schadensminderung kann es, infolge der Corona-Pandemie, beim so genannten Erwerbsschaden kommen.
  3. Die Ersatzfähigkeit der neuen Schadensposition der Desinfektionskosten bleibt streitig. Eine BGH-Entscheidung ist mit Spannung, aber wohl kaum zeitnah zu erwarten.

Trotz des Rückgangs der Verkehrsunfallzahlen wird uns die Corona-Pandemie daher auch im Schadensrecht noch länger beschäftigen.

 

Hinweis:
Ausführliche Nachweise sowie Erläuterungen zur Ersatzfähigkeit von Fahrzeugdesinfektionskosten in der Corona-Pandemie finden Sie im Beitrag „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Schadensabwicklung bei Verkehrsunfällen“ in der MDR 14/2021, S. 845 ff. Gegenstand des Beitrags sind außer den Desinfektionskosten u.a. auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Mietwagenkostenersatz, die abstrakte Nutzungsausfallentschädigung und das Personenschadensrecht (Änderungen beim Erwerbs- und Haushaltsführungsschaden und beim Schmerzensgeld).

BGH: Anforderungen an Wiedereinsetzungsantrag bei verlorenem Schriftsatz

Trotz EGVP, beA, FAX usw. werden noch zahlreiche Schriftsätze mit einfacher Post, auch Schneckenpost genannt, versandt. Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Das Gefühl des Einwerfens eines großen Umschlages mit einem selbst verfassten Schreiben in einen gelben Kasten ist im Übrigen durch nichts zu ersetzen! Was aber, wenn ein solches Schreiben auf dem Postweg verloren geht? Dies ereignet sich durchaus. An sich ist dies kein großes Problem. Da man sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass bei der Post nichts verloren geht, kann in einem solchen Fall ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden.

Mit einem solchen Antrag darf man es sich dann aber nicht zu einfach machen. Klar ist, dass der untergegangene Schriftsatz in Kopie vorgelegt werden muss. Im konkreten Fall (BGH, Beschl. v. 13.1.2021 – XII ZB 329/20, MDR 2021, 377) hatte die Prozessbevollmächtigte daneben nur ausgeführt, der Schriftsatz sei bei der Post aufgegeben worden. Dies war dem OLG zu wenig. Das Rechtsmittel wurde verworfen. Aber auch die Rechtsbeschwerde war erfolglos!

Nach ständiger Rechtsprechung muss in derartigen Fällen durch eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft gemacht werden, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich des Versenders eingetreten ist. Zu dieser Schilderung gehören natürlich die Einzelheiten, wann und wo der Schriftsatz abgegeben wurde. Diese fehlten hier.

Zwar hatte die Prozessbevollmächtigte diese Angaben später nachgeholt, dies war aber zu spät, da die Wiedereinsetzungsfrist bereits abgelaufen war! Es können außerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nur unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, deren weitere Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, berichtigt bzw. nachgetragen werden. Dies gilt indes nicht für – wie hier – vollständig fehlende Angaben. Der Prozessbevollmächtigten musste all dies auch bekannt sein, eines Hinweises des OLG darauf bedurfte es daher nicht.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Klagebefugnisse einer Wohnungseigentümergemeinschaft.

Abwehr von Störungen des Sondereigentums
Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 41/19

Mit der Reichweite von § 9a Abs. 2 WEG befasst sich der V. Zivilsenat.

Dem Kläger steht das Nießbrauchsrecht an einer Eigentumswohnung zu. Der Beklagte ist Eigentümer einer zu derselben Anlage gehörenden Wohneinheit, die aus einem Einzelhaus besteht. Der Kläger macht geltend, Geschosszahl und Gebäudehöhe dieses Hauses widersprächen den Vorgaben der Teilungserklärung. Er begehrt deshalb in Prozessstandschaft für die Eigentümerin der von ihm genutzten Wohnung Schadensersatz wegen Wertminderung in Höhe von 55.000 Euro. Die Klage blieb in den beiden ersten Instanzen erfolglos.

Die Revision des Klägers bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der BGH lässt offen, ob die Gebäudehöhe in Einklang mit der Teilungserklärung steht, und weist die Klage – insoweit abweichend von der Vorinstanz – bereits als unzulässig ab.

Auf eine Beeinträchtigung des Sondereigentums kann die Klage weder nach altem noch nach neuem Recht gestützt werden. Nach der seit 1. Dezember 2020 geltenden Regelung in § 9a Abs. 2 WEG ist die Ausübung von Rechten aus dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehalten. Zu diesen Rechten gehören nicht nur Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung, sondern auch daran anknüpfende Sekundäransprüche. Da die Klage im Streitfall vor diesem Stichtag erhoben wurde, bliebe eine nach altem Recht bestehende Klagebefugnis zwar bestehen. Nach der insoweit maßgeblichen Regelung in § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. war die Wohnungseigentümerin, deren Rechte der Kläger geltend macht, aber ebenfalls nicht klagebefugt. Der BGH lässt dabei offen, ob der Inhaber eines Beseitigungsanspruchs – der nach altem Recht grundsätzlich vom einzelnen Eigentümer geltend gemacht werden konnte – gemäß § 281 Abs. 4 BGB nach erfolgloser Fristsetzung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann. Die Geltendmachung eines solche Schadensersatzanspruchs durch einen einzelnen Wohnungseigentümer widerspräche jedenfalls einer geordneten Verwaltung des Gemeinschaftseigentums. Der Anspruch ist deshalb gemeinschaftsbezogen im Sinne von § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. und kann nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden.

Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche wegen Beeinträchtigung seines Sondereigentums darf ein einzelner Wohnungseigentümer sowohl nach altem wie nach neuem Recht alleine geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von der geltend gemachten Störung betroffen ist. Diese Befugnis gilt auch für einen Entschädigungsanspruch, den § 14 Abs. 3 WEG für den Fall vorsieht, dass der betroffene Eigentümer eine über das zumutbare Maß hinausgehende Störung ausnahmsweise zu dulden hat. Eine solche Duldungspflicht ist im Streitfall nicht ersichtlich. Der Kläger macht vielmehr einen Schadensersatzanspruch aus § 280 und § 281 BGB geltend. Solche Ansprüche können sowohl nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a.F. als auch nach § 9a Abs. 2 WEG n.F. nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden.

Praxistipp: Die Geltendmachung von Ansprüchen durch einen einzelnen Wohnungseigentümer hat nach neuem Recht nur noch dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Entschädigung nach § 14 Abs. 3 WEG gerichtet und auf eine Beeinträchtigung des Sondereigentums gestützt sind.

OLG Celle zur Maskenpflicht und Kostenpflicht

Im Rahmen eines umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahrens vor dem LG Hildesheim, das schon 19 Verhandlungstage dauerte, weigerte sich der Verteidiger eines Angeklagten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, obgleich der Vorsitzende eine entsprechende Anordnung getroffen hatte, die von der Kammer bestätigt worden war. Daraufhin wurde das Verfahren gegen diesen Angeklagten nach § 145 Abs. 1 StPO abgetrennt und anschließend ausgesetzt. Zugleich wurde der Verteidiger gemäß § 145 Abs. 4 StPO mit den durch die Aussetzung verursachten Kosten belastet.

Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb bei dem OLG Celle (Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Ws 91/21) ohne Erfolg. Das OLG bezeichnete das Vorgehen der Kammer in einem sehr ausführlichen Beschluss sogar als vorbildlich verantwortungsbewusst im Hinblick auf die Infektionslage, auch im Hinblick auf die Plexiglaswände. Durch sein Verhalten habe der Verteidiger eine Verhandlungsunfähigkeit herbeigeführt, wie sie auch im Rahmen einer Trunkenheit angenommen wird. Natürlich steht der für ganz andere Fälle geschaffene § 176 Abs. 2 GVG, wonach an der Verhandlung teilnehmende Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen, dem nicht entgegen. Der Verteidiger habe – trotz Hinweises – auch kein ärztliches Attest vorgelegt, dass ihm das Tragen einer Maske nicht zuzumuten sei. Ansonsten sei die Maske bestenfalls lästig. Das Landgericht habe sogar transparente Masken beschafft, um den Beteiligten zu ermöglichen, die Mimik der Beteiligten zu beobachten. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Kostenauferlegung als richtig.

BGH zur hinreichenden Individualisierung von Forderungen zur Unterbrechung der Verjährung

Der BGH (Beschl. v. 23.2.2021 – II ZR 89/20) musste entscheiden, ob eine erhobene Klage tatsächlich verjährungsunterbrechende Wirkung hatte. Der klagende Insolvenzverwalter hatte zur Bestimmung seiner Zahlungsforderung gegen den Beklagten, einen Kommanditisten, eine Tabelle nach § 175 InsO vorgelegt. Darin waren lediglich Stichworte wie Warenlieferung, Darlehen, Dienstleistungsvertrag, Gewerbesteuer enthalten. Die Tatsacheninstanzen hatten dies nicht für ausreichend gehalten. Der BGH sieht dies einmal mehr anders.

Erforderlich für die Verjährungsunterbrechung ist nicht eine schlüssige und substantiierte Klage. Ausreichend ist es vielmehr, wenn der Anspruch identifizierbar ist, d. h. von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt ist, so dass er Grundlage eines rechtskraftfähigen Vollstreckungstitels sein kann. Hier hatte der Kläger mit der Klage eine später aktualisierte Forderungsaufstellung vorgelegt, worin die einzelnen Forderungen mit laufender Nummer, Gläubiger und Betrag aufgeführt waren. Weiterhin wurde auf die Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren nach § 174 Abs. 1 und Abs. 2 InsO Bezug genommen. Dies ist als ausreichend anzusehen.

Fazit: Man kann sich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren, dass der BGH beständig damit beschäftigt ist, denjenigen, die möglichst unsorgfältig arbeiten, auch noch das Durchsetzen ihrer Ansprüche zu erleichtern.

 

 

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine fast immer auftretende, aber nur selten im Fokus stehende Frage des Schadensersatzrechts.

Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten
Urteil vom 22. Juni 2021 – VI ZR 353/20

Mit den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkw mit nicht regelkonformem Dieselmotor (Typ EA189) geltend. Die Klage war in erster Instanz im Wesentlichen erfolgreich. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zum überwiegenden Teil zurück, wies die Klage jedoch ab, soweit der Kläger Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten begehrt.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Vorgerichtliche Anwaltskosten für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gehören zu dem zu ersetzenden Schaden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Zum einen muss die Beauftragung eines Anwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung aus der Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen sein. Hierzu hat das OLG im Streitfall keine Feststellungen getroffen.

Darüber hinaus müssen die Kosten tatsächlich entstanden sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Mandat zunächst auf eine außergerichtliche Tätigkeit beschränkt ist oder wenn ein Prozessauftrag nur bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilt wird. Erteilt der Mandant von Beginn an den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, fällt eine Geschäftsgebühr für außergerichtliche Tätigkeit (Nr. 2300 RVG) hingegen nicht an.

Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist das Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und dessen Anwalt. Das Auftreten des Rechtsanwalts gegenüber dem Schuldner kann aber ein Indiz bilden. Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich beim Geschädigten. Im Streitfall hatte der Anwalt des Klägers im ersten Schreiben an die Beklagte mitgeteilt, es werde Klage erhoben, wenn innerhalb der gesetzten Frist keine Zahlung erfolge. Dies durfte das OLG als Indiz für die Erteilung eines unbedingten Klageauftrags werten. Es lag am Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass er seinen Anwalt zunächst nur mit der vorgerichtlichen Vertretung betraut hat.

Praxistipp: Um Probleme bei der Beweisführung zu vermeiden, sollte das Mandat schriftlich erteilt oder bestätigt werden.