Anwaltsblog 35/2024: Nichtigkeit eines Immoblienkaufvertrages bei nicht beurkundeter Vorauszahlungsabrede?

Die Nichtigkeit eines Teils eines Vertrags führt im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 139 BGB). Der BGH hatte zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen diese Vermutung widerlegt ist, wenn Parteien eines Grundstückskaufvertrages eine formunwirksame Vorauszahlungsabrede getroffen haben (BGH, Urteil vom 14. Juni 2024 – V ZR 8/23):

 

Der verstorbene Vater der Beklagten (Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. 975) vom 23. März 2017 zu einem Kaufpreis von 40.000 € einen hälftigen Grundstücksmiteigentumsanteil an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Dieser überwies am 6. April 2017 an den Erblasser 70.000 € unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie am 15. Mai 2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „Restzahlung 975/23.3.2017“. Der Kaufvertrag wurde vollzogen. Am 8. November 2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen notariellen Kaufvertrag über die – weitere – Miteigentumshälfte des Erblassers zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Anschließend übertrug die GmbH ihren von dem Erblasser erworbenen Miteigentumsanteil auf den Kläger.

Der auf Übertragung des verbliebenen (zweiten) Miteigentumsanteils gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Das OLG hat sie abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils. Der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 sei formunwirksam und damit nichtig. Soweit der Kläger behaupte, die mittels der beiden Überweisungen geleistete Gesamtzahlung von 80.000 € hätte in Höhe von 40.000 € vereinbarungsgemäß auf den Kaufpreis aus dem erst nachfolgend geschlossenen Kaufvertrag vom 8. November 2018 verrechnet werden sollen, handele es sich um eine beurkundungsbedürftige Vorauszahlungsabrede, die mangels Beurkundung nichtig sei. Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB ziehe die Nichtigkeit dieses Vertragsteils die Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages nach sich.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils kann sich aus dem Kaufvertrag vom 8. November 2018 über den zweiten Miteigentumsanteil ergeben; dass dieser Vertrag insgesamt unwirksam ist, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht. Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 125 Satz 1 BGB nichtig wäre, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung ist beurkundungsbedürftig. Die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung unterliegt dem Beurkundungszwang, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher – ohne eine dahingehende Vereinbarung – nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Danach wäre die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und – mangels Beurkundung – nichtig.

Damit steht aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Zwar ist dies nach der Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein. Das kommt auch hier in Betracht. Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag. Denn dann kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt. Entscheidend ist danach der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht bestehende Schuld; dagegen kann nicht verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages beweist. Weist der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung nach, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Daran gemessen ist es möglich, dass der Kläger die Vermutung der Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages vom 8. November 2018 durch einen entsprechenden Zahlungsnachweis widerlegen kann. Ein Beleg der Kaufpreiszahlung ergibt sich allerdings nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen. Hier fehlt es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise beziehen sich ausdrücklich auf den Kaufvertrag vom 23. März 2017 über den ersten Miteigentumsanteil. Diese Belege enthalten damit auch aus Sicht des Klägers keine Tilgungsbestimmung, die sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den zweiten Miteigentumsanteil bezieht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber die als „Immobilien-Übergabeprotokoll“ bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15. Mai 2017 aus Sicht des Klägers geeignet sein, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für den zweiten Miteigentumsanteil nachzuweisen. Darin haben die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 € als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung die Echtheit des „Immobilien-Übergabeprotokolls“ zu klären haben und auf dieser Grundlage würdigen müssen, ob der Kläger aus seiner Sicht davon ausgehen konnte, dass er die Zahlung auf die noch nicht bestehende Forderung nachweisen kann.

 

Fazit: Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB ist bereits dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag (BGH, Urteil vom 17. März 2000 – V ZR 362/98 –, MDR 2000, 874). Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um eine materiellrechtliche und eine prozessuale Frage.

Grundstückskauf trotz Schwarzgeldabrede wirksam
BGH, Urteil vom 15. März 2024 – V ZR 115/22

Der V. Zivilsenat zeigt die unterschiedlichen Zielsetzungen des Tatbestands der Steuerhinterziehung und des Verbots der Schwarzarbeit auf.

Die Klägerin hat von der Beklagten eine Eigentumswohnung gekauft. Die Parteien hatten einen Kaufpreis von 150.000 Euro vereinbart. Hiervon zahlte die Klägerin schon vor Beurkundung einen Teilbetrag von 30.000 Euro in bar. Im notariellen Vertrag ist der Kaufpreis mit 120.000 Euro angegeben. Die Klägerin zahlte auch diesen Betrag und wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Nach einer Selbstanzeige des Beklagten führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Die Klägerin bewilligte die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin. Der Beklagte überwies 120.000 Euro auf das Treuhandkonto eines Notars. Dieser zahlte den Betrag auftragswidrig an die Klägerin aus. Im Laufe des Rechtsstreits erstattete er dem Beklagten diesen Betrag gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Klägerin.

Die Klägerin begehrt die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Schwarzgeldabrede im Streitfall nicht zur Unwirksamkeit des Kaufvertrags nach § 134 oder § 138 BGB führt. Dies gilt erst recht für die Einigung über den Übergang des Eigentums.

Der Verstoß gegen das Formgebot aus § 313b Abs. 1 BGB ist durch vollständige Erfüllung des Kaufvertrags geheilt worden.

Die Schwarzgeldabrede war zwar auf die Hinterziehung von Grunderwerbsteuer (im Streitfall: in Höhe von 1.500 Euro) gerichtet. Anders als ein Verstoß gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit führt ein solcher Gesetzesverstoß aber nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 134 BGB. Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit ist nach dem Gesetzeszweck jeglicher Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterbinden. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung steht der Durchführung eines Grundstückkaufvertrags demgegenüber nur dann entgegen, wenn die Steuerhinterziehung den Hauptzweck des Vertrags bildet. Letzteres hat das OLG im Streitfall rechtsfehlerfrei verneint.

Der BGH lässt offen, ob die Schwarzgeldabrede für sich gesehen unwirksam ist. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, hätte dies im Streitfall nicht die Unwirksamkeit des gesamten Vertrags zur Folge. Das OLG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Klägerin die Wohnung unstreitig auch dann erworben hätte, wenn der gesamte Kaufpreis von 150.000 Euro beurkundet worden wäre.

Praxistipp: Wenn in Betracht kommt, dass nur der Kaufvertrag unwirksam ist, nicht aber die Übereignung, empfiehlt sich zur vorläufigen Sicherung neben der Eintragung eines Widerspruchs gegen die Eigentumsumschreibung ergänzend die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Rückübertragung.

Rücknahme eines vermeintlich zu früh eingelegten Rechtsmittels
BGH, Beschluss vom 6. März 2024 – XII ZB 408/23

Der XII. Zivilsenat befasst sich mit einer ungewöhnlichen und zugleich haftungsträchtigen Situation.

Das AG hat mit Beschluss vom 4. April 2023 die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsteller zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt und Zugewinnausgleich verpflichtet. Am 6. April 2023 hat es dem Antragsteller eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses zugestellt, die mit einem umfassenden Rechtskraftvermerk versehen war. Noch am gleichen Tag bat der Antragsteller, den Vermerk dahin zu berichtigen, dass nur der Scheidungsausspruch rechtskräftig ist. Drei Wochen später bat das AG um Rücksendung der zugestellten Abschriften zum Zwecke der erneuten Zustellung. Zugleich wies es darauf hin, es liege eine schwerwiegende Abweichung von der Urschrift vor, die zur Unwirksamkeit der Zustellung führe.

Am Montag, 8. Mai 2023 legte der Antragsteller Beschwerde gegen die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts ein. Zugleich behielt er sich vor, die Beschwerde im Hinblick auf die unwirksame Zustellung zurückzunehmen, und bat um einen entsprechenden Hinweis des Gerichts. Noch am gleichen Tag teilte das AG mit, die erneute Zustellung des Beschlusses werde veranlasst, sobald alle fehlerhaften Ausfertigungen zurückgelangt seien. Daraufhin nahm der Antragsteller die Beschwerde zurück.

Nach erneuter Zustellung des Beschlusses legte der Antragsteller wiederum Beschwerde ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG hat die Wiedereinsetzung versagt und die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerdefrist hat bereits mit der ersten Zustellung am 6. April 2023 zu laufen begonnen. Diese Zustellung war wirksam, weil der Inhalt der zugestellten Abschrift mit dem Inhalt der Urschrift übereinstimmt. Der fehlerhafte Rechtskraftvermerk steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen. Die Beschwerde vom 8. Mai 2023 ist rechtzeitig eingelegt worden, hat ihre Wirksamkeit aber durch Rücknahme verloren. Die später eingelegte Beschwerde ist verfristet.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt. Der Antragsteller durfte die Ankündigung des AG, dass der Beschluss erneut zugestellt werde, nicht als Anregung verstehen, das vorsorglich eingelegte Rechtsmittel wieder zurückzunehmen. Er musste vielmehr den sichersten Weg wählen und das fristgerecht eingelegte Rechtsmittel innerhalb der dafür maßgeblichen Frist begründen.

Praxistipp: Solange auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die erste Zustellung einer Entscheidung trotz Fehlern wirksam ist, müssen die Fristen für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels an dieser Zustellung ausgerichtet werden.